Kali­ningrad 1949: Kom­mu­nis­tische Umer­ziehung im ost­preus­si­schen Königsberg!

Das Thema Flucht und Ver­treibung beschäftigt mich schon seit meiner Kindheit. Bin ich doch selbst ein „Nach­ge­bo­rener“ von Ver­trie­benen aus West­preußen (Danzig).

Allzu gut erinnere ich mich an die schreck­lichen erin­nerten Erzäh­lungen vor allem meiner Groß­mutter, die mit ihren drei Söhnen (dar­unter auch mein Vater) über das zuge­frorene Haff fliehen musste.

Bei dieser unfassbar harten und grau­samen Flucht griffen immer wieder sowje­tische Tief­flieger und Jagd­bomber (Jabos) den (und auch andere) schutz­losen Flücht­lings­trecks an.

Hun­derte vor allem Frauen, Kinder und Alte kamen dabei ums Leben, wie meine Oma berichtete. Sie erzählte, wie die rus­si­schen Schützen mit den Bord-MGs auf die Wehr­losen zielten und abdrückten.

Nur mit viel Glück über­lebten sie …

Dazu an anderer Stelle mehr.

Die Ver­treibung und die Flucht von Mil­lionen Men­schen aus den deut­schen Ost­ge­bieten ist ein Thema, das noch immer viel zu kurz kommt, mir aber sehr am Herzen liegt.

So bin ich in einem Archiv auch auf ein 72 Jahre altes “Mit­tei­lungs­blatt der Lands­mann­schaft Ost­preußen” gestoßen, in dem ein Königs­berger über das damalige Leben in seiner eins­tigen Heimat, der frü­heren Haupt­stadt Ost­preußens berichtet.

Aus dem deut­schen Königsberg, einst ab 1724 die König­liche Haupt- und Resi­denz­stadt in Preußen, wurde das rus­sische “Kali­ningrad”.

Lesen Sie selbst dieses äußerst inter­es­sante Zeit­do­kument, das einen Blick in die unheil­volle Ver­gan­genheit zulässt:

Quelle Screenshot/Bildzitat: https://archiv.preussische-allgemeine.de/1949wo/1949_02_01wo01.pdf

Königsberg, im Januar.

Ein kies­be­streuter Bahn­steig, drei bau­fällige Baracken, ein Tri­umph­bogen aus grüner Pappe, mit den Bildern Lenins und Stalins geschmückt. Kali­ningrad emp­fängt seine Besucher in Ponarth, auf dem ehe­ma­ligen Güter­bahnhof, weit draußen im Süden der Stadt. Hellblau, leder­ge­polstert mit blin­kenden Scheiben die Stra­ßenbahn, die mich zum Stadtkern bringt. Sie ist frisch aus Moskau impor­tiert und kündet stolz von der „Kultura” im „Vaterland der Werktätigen”.

Durch zer­störte und völlig ver­ödete Stadt­teile geht es zum „Platz der Befreiung”, auf dem noch heute das Denkmal Kaiser Wilhelm I. steht. 

Rund 80 v. H. aller Bauten in Königsberg sind durch Kriegs­ein­wir­kungen zer­stört. Von der Innen­stadt ist außer kleinen „Oasen” am Han­sa­platz und am Rosen­garten nichts stehen geblieben. Der Schloßturm, das alte Wahr­zeichen der Stadt, ist auf der einen Seite völlig auf­ge­rissen. Von der Uni­ver­sität steht nichts mehr. Fast der gesamte Nord­westen der Stadt aber, Juditten, Ratshof, Ama­lienau, die Hufen und Char­lot­tenburg, sind zum größten Teil erhalten geblieben. 

Auf den Hufen haben sich die Regie­rungs­stellen niedergelassen.

 

Quelle Screenshot/Bildzitat: https://archiv.preussische-allgemeine.de/1949wo/1949_02_01wo01.pdf

Der „Oberste Sowjet” des Gebiets resi­diert im ehe­ma­ligen „Raiff­ei­sen­hochhaus”, im Amts­ge­richt am Nord­bahnhof sitzt die NKWD, deren Kom­missare auch in Kali­ningrad zu den meist­be­schäf­tigsten Leuten gehören. Das frühere Finanz­prä­sidium ist das Haupt­quartier des Ober­kam­man­die­renden, die Mäd­chen­ge­wer­be­schule, das „Haus der Roten Armee” geworden. Die Han­dels­schule ist jetzt „Tech­nikum”. Die ehe­malige Staats­bi­bliothek wurde nach Wilna abtransportiert. 

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Etwa 20 000 Deutsche leben heute in Königsberg. Nur langsam und zögernd kam die rus­sische Zivil­be­völ­kerung in das eroberte Gebiet. Erst als das Gebiet am 1. Januar 1946 in die „Rus­sische Föde­rative Sowjet­re­publik” ein­ge­gliedert wurde, sie­delte man die Ein­woh­ner­schaft ganzer Dörfer von der Ukraine und West­si­birien nach Nord­ost­preußen um. Etwa 100 000 davon ließen sich in Königsberg nieder. 

Im Sep­tember 1946 wurden „Nicht­rus­sische Volks­schulen” zugelassen. 

Deutsche Lehrer müssen hier die ihnen anver­trauten Kinder zu Kom­mu­nisten erziehen.

Die deutsche Intel­ligenz ist in dem soge­nannten “Deut­schen Club” zusam­men­gefaßt, wo sie von KPFunk­tio­nären geistig aus­ge­richtet wird.

Die Deut­schen, die in der ersten Zeit will­kommene Arbeits­kräfte gewesen waren, sind jetzt mehr und mehr durch Russen, die sie selbst ein­ar­beiten mußten, ver­drängt worden. Nur wer das Glück hat, arbeiten zu dürfen, erhält Geld und Lebensmittelkarten. 

Viele Wohn­häuser in Ama­lienau und auf den Hufen sind zu „Staats­läden” umgebaut worden, in denen es seit dem Ende der Ratio­nierung in der Sowjet­union, Dezember 1947, alles zu kaufen gibt. Die Preise sind sehr hoch und stehen in keinem Ver­hältnis zu den Ein­kommen, vor allem dem der Intelligenzberufe. 

Ein Buch­halter oder Arzt müßte für ein Paar Schuhe oder vier Pfund Butter sein halbes Monats­gehalt opfern, ein Betriebs­führer oder Pro­fessor ein Sie­bentel. Ein Anzug west­eu­ro­päi­scher Qua­lität würde den Pro­fessor anderthalb Monats­ein­kommen kosten. 

Zur kul­tu­rellen Betreuung der rus­si­schen Bevöl­kerung stehen das Theater der „Roten Armee” und vier Kinos zur Ver­fügung, die meist schlecht syn­chro­ni­sierte deutsche Filme zeigen. 

Wenn Pro­pa­gan­da­streifen der rus­si­schen Regierung vor­ge­führt werden, sind die Film­theater leer. 

Sämt­liche Indus­trie­werke Königs­bergs wurden 1945 zer­stört, der Rest, soweit noch brauchbar, demon­tiert und nach dem Osten geschafft. 

1946 begann sehr langsam der Wie­der­aufbau der Industrie. Die soge­nannte Leicht­in­dustrie arbeitet aus­schließlich für die „Rote Armee”. 

Im Zuge der Ein­glie­derung in die Sowjet­union wurden alle deut­schen Bauern von ihren Höfen ver­trieben und ihr Land rus­si­schen Siedlern zur Ver­fügung gestellt. Nur etwa die Hälfte des zur Ver­fügung ste­henden Bodens wird bebaut. 

Nord­ost­preußen, früher die Korn­kammer Deutsch­lands, muß heute die Hälfte seines Bedarfs an Getreide und Fleisch einführen. 

Kali­ningrad ist heute eine durchaus rus­sische Stadt geworden. Ihr äußeres Bild gleicht dem eines der vielen rus­si­schen Provinzstädtchen. 

Mit Königsberg hat es nur noch die geo­gra­phische Lage gemeinsam. 

(„Die Welt”, 15. 1. 1949.)

Quelle: “Wir Ost­preußen – Mit­tei­lungs­blatt der Lands­mann­schaft Ostpreußen/Folge 1/Jahrgang 1/1. Februar 1949” (https://archiv.preussische-allgemeine.de/1949wo/1949_02_01wo01.pdf)


Guido Grandt — Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog des Autors www.guidograndt.de