Vanille aus Plas­tikmüll? Was als Durch­bruch in der grünen Chemie gefeiert wird, ist einfach nur unappetitlich

Seit Ulrich Grimms Food-Industrie-kri­ti­schem Klas­siker „Die Suppe lügt“ wissen wir, dass die High-Tech-Alche­misten in ihren Laboren mit allen Wassern gewa­schen sind, wenn es darum geht, aus Abfall Geschmack zu zaubern; auch in meinem Buch „Iss richtig oder stirb“ habe ich diese Tricks beschrieben. Wenn Sie einen Vanille-Pudding, ein Vanille-Joghurt oder ‑eis essen, sorgt für den leckeren Geschmack meist syn­the­ti­sches Aroma, das aus dem Abwasser von Papier­fa­briken gewonnen wird. Nun ist es For­schern gelungen, Plas­tikmüll in Vanille-Aroma umzu­wandeln, das wird gefeiert wie eine nobel­preis­ver­dächtige Ent­de­ckung. Mir ver­dirbt dieser „Durch­bruch in der grünen Chemie“ gründlich den Appetit auf Vanille!

Wis­sen­schaftler der Uni­ver­sität Edin­burgh haben gezeigt, dass das Darm­bak­terium Esche­richia coli aus Plas­tikmüll köst­liches Vanille-Aroma machen kann. Die For­scher haben die E. coli-Bak­terien gen­tech­nisch ver­ändert, damit sie die in Kunst­stoff-PETs ent­haltene Tere­phthal­säure in Vanillin ver­wandeln können. Plas­tikmüll von der Müll­de­ponie in den Mund? Die For­scher sind begeistert: Gut für die Welt­meere, gut fürs Recy­cling. Einer der betei­ligten Wissen-schaf(f)t‑ler, Stephen Wallace hofft, „die Wahr­nehmung auf Plastik als Pro­blem­abfall ändern zu können.“ Und Joanna Sadler, feder­führend bei der Studie, schwärmt: „Dies ist das erste Bei­spiel der Nutzung eines bio­lo­gi­schen Systems, um Plas­tik­ab­fälle in eine wert­volle Indus­trie­che­mi­kalie umzu­wandeln, und es hat sehr span­nende Aus­wir­kungen auf die Kreis­lauf­wirt­schaft.“ Meinen Kreislauf bringt dieser wis­sen­schaft­liche „Durch­bruch“ mächtig durch­ein­ander, er treibt meinen Blut­druck in die Höhe.

Ja, ich weiß, dass rund 85 Prozent des Vanillins syn­the­tisch her­ge­stellt werden, denn natür­liche Vanil­le­schoten können die Gier nach dem Stoff, der nach Mut­ter­milch und unbe­schwerter Kindheit schmeckt, schon lange nicht mehr decken. 2018 wurden auf dem welt­weiten Markt 37.000 Tonnen syn­the­tische Vanille ver­kauft. Des­wegen mache ich einen großen Bogen um Pro­dukte, die syn­the­tische Vanille ent­halten. Ja, mir ist klar, dass das Vanillin rein che­misch betrachtet nichts mehr zu tun hat mit der weg­ge­wor­fenen PET-Flasche, aus der es gewonnen wurde. Trotzdem hat die Sache für mich einen üblen Bei­geschmack. Der wis­sen­schaft­liche Durch­bruch kann nämlich nicht über eine bedenk­liche Ent­wicklung hin­weg­täu­schen, die Vanil­li­sierung des Geschmacks. Damit Babys die Tüten­milch mögen, peppen die Her­steller von Säug­lings­nahrung ihre Pro­dukte mit Frucht- und Vanil­le­aromen auf, eine fatale Ent­wicklung, weil die so geprägten Babys zu Kindern her­an­wachsen, die lieber quietsch­süßen Joghurt und Scho­kolade als frische Erd­beeren oder Brokkoli essen. Bereits im Jahr 1999 zeigten For­scher von der Gesell­schaft für Sen­so­rische Analyse und Pro­dukt­ent­wicklung (ASAP) die Folgen dieser Geschmacks­kon­di­tio­nierung auf: Men­schen im Alter von 12 bis 59 Jahren wurden zwei ver­schiedene Ketchup-Sorten vor­ge­setzt. Eine Sorte war mit Vanillin aro­ma­ti­siert, sie wurde von der Gruppe, die als Baby per Flasche gefüttert worden war, ein­deutig (67 Prozent) bevorzugt, nur jeder dritte gestillte Proband mochte das Vanille-Ketchup.

Spielt also die Wis­sen­schaft – mög­li­cher­weise unbe­wusst – Big Food in die Hände, wenn immer neue Ver­fahren ent­wi­ckelt werden, mit denen aus Dreck Geschmacks­er­leb­nisse gezaubert werden können? Und haben die For­scher in ihrem Elfen­beinturm über­haupt darüber nach­ge­dacht, was wird in unserem Körper pas­sieren, wenn wir gen­tech­nisch ver­än­derte E. Coli zu uns nehmen? Inter­es­siert es sie überhaupt?

Ich kann mich nicht freuen über einen solch frag­wür­digen wis­sen­schaft­lichen Durch­bruch ange­sichts der Tat­sache, dass wir im Plastik-Zeit­alter leben! For­scher haben 2018 schon Mikro-Plastik im Darm gefunden — in sämt­lichen Stuhl­proben der acht Pro­banden. Mikro-Plastik auf den Feldern, in der Luft, Mee­res­tiere, die Plastik inzwi­schen für Nahrung halten und es fressen. Planet Plastik — wo soll das enden? Welche gesund­heit­lichen Folgen hat der Kunst­stoff lang­fristig im mensch­lichen Körper? Kann die Kon­ta­mi­nation mit Plastik Krebs aus­lösen? Viele bren­nende Fragen, auf die es noch keine Ant­worten gibt. Und so ver­meidet der bewusste Ver­braucher Plastik, so weit es eben möglich ist, und Wis­sen­schaftler freuen sich darüber, dass man aus Plas­tikmüll Vanil­le­aroma zaubern kann. Schöne neue Welt!

www.weihrauchplus.de

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Quellen:

https://www.mann.tv/technik/forscher-wandeln-plastikmuell-zu-vanille-aroma-um

https://www.yamedo.de/blog/unsere-koerper-werden-zu-plastik/

https://taz.de/Vorlieben-beim-Essen/!5138987/