BGH nimmt Facebook an die Leine: Sperrung und Löschung nach Gut­dünken nicht mehr möglich

Facebook war einmal eine Sache, die Spaß gemacht hat. Die Welt wurde ein Dorf, jeder kann sich mit jedem ent­spannt aus­tau­schen. Wie im rich­tigen Leben gibt es dabei auch bös­artige Mit­men­schen. Der fiese „Dorf­tratsch“ findet auch hier statt, und es wird sich auch kräftig dane­ben­be­nommen, wie im echten Leben auch. Facebook begann – auch auf staat­lichen Druck — sich als Zucht­meister auf­zu­spielen und nach Belieben zu löschen, ohne dass die Betrof­fenen sich wirklich wehren konnten. Das hat der BGH jetzt mit zwei Urteilen weit­gehend unterbunden.

Mark Zucker­bergs vir­tu­eller „Dorf­tratsch“ war ein unglaub­licher Erfolg. Doch genau das machte dieses Soziale Medium auch zu einem Poli­tikum. Es wirkte eben nicht mehr nur im pri­vaten Raum. Der Einsatz von bestimmten Tech­niken auf Facebook im Wahl­kampf 2016 für Donald Trump durch Cam­bridge Ana­lytica wir­belte viel Staub auf und hat wahr­scheinlich einen guten Anteil an Herrn Trumps Wahlsieg. Ent­spre­chend schädlich war für ihn dann die will­kür­liche und rein ideo­lo­gisch moti­vierte Ver­bannung aus den Sozialen Medien im Wahl­kampf 2020.

Was im Umgang mit Ex-US-Prä­sident Trump hohe Wellen schlug, pas­siert den Usern von Facebook tag­täglich im Kleinen. Ständig kämmen soge­nannte Bots die Facebook-Accounts durch, und bei bestimmten Begriffen und Wörtern wird einfach gesperrt oder gelöscht. Fertig. Man kann zwar Ein­spruch erheben, aber das führt nur dazu, dass der Zensur-Bot ein zweites Mal über den Beitrag drü­ber­huscht – und stur aus dem­selben Grund sperrt.

Das ist nur zum Teil igno­rante Willkür von Facebook. Herr Zuckerberg muss ziemlich astro­no­mische Zah­lungen leisten, wenn sein Frat­zenbuch „Hassrede“, Ras­sismus oder andere, poli­tisch inkor­rekte Inhalte nicht umgehend löscht. Die Datenflut ist so groß, dass es kaum möglich ist, die Ver­stöße und Beschwerden durch Men­schen zu über­prüfen: War der bean­standete Text eine iro­nische Bemerkung? Hat der Ver­fasser die inkri­mi­nierte Aussage nur zitiert, um sich dagegen zu wenden? War das Satire?  Ist die Aussage im Text­zu­sam­menhang eine ganz andere? Das können Bots nicht beur­teilen und sperren einfach — und zwar in einem Maße, dass es eine ständige Bedrohung und Drang­sa­lie­rerei darstellt.

Daran ändert auch nichts, dass Facebook sich immer wieder als pri­vates Unter­nehmen auf sein „Haus­recht“ beruft. Nach diesen Gemein­schafts­stan­dards in seinen AGB kann Facebook auch solche Aus­sagen löschen und sperren, die noch nicht unter „Volks­ver­hetzung“ oder „strafbare Belei­digung“ fallen. Doch „Gemein­schafts­stan­dards“ hin oder her, der Bun­des­ge­richtshof erkennt zwar an, dass die unter­neh­me­rische Freiheit von Facebook solche Sper­rungen für Posts, die gegen seine AGB ver­stoßen, erlaubt. Aber das Grund­recht der Nutzer auf Mei­nungs­freiheit müsse eben­falls gewahrt werden. Facebook ist kein rechts­freier Raum. Der BGH musste zwi­schen den Grund­rechten beider Seiten abwägen. Der Senats­vor­sit­zende, Herr Ulrich Herrmann sah sehr wohl die unter­neh­me­rische Freiheit von Facebook, ande­rer­seits habe Facebook mit 31 Mil­lionen deut­schen Nutzern „quasi eine Mono­pol­stellung“, die das Unter­nehmen fak­tisch eben doch ver­pflichte, die Mei­nungs­freiheit der Nutzer zu beachten. Das liest sich dann so:

„Sie (die Plattform Facebook) darf sich das Recht vor­be­halten, bei Verstoß gegen die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stan­dards Bei­träge zu ent­fernen und das betref­fende Nut­zer­konto zu sperren.“

Das gilt auch dann, wenn der Inhalt noch nicht unter das Straf­ge­setzbuch fällt. Aber Facebook darf es für­derhin nicht ohne Vor­warnung, nach Gut­dünken und de facto irrever­sibel tun:

„Sie (die Plattform Facebook) muss sich deshalb in ihren all­ge­meinen Geschäfts­be­din­gungen ver­pflichten, den betref­fenden Nutzer über die Ent­fernung des Bei­trags zumindest nach­träglich und über eine beab­sich­tigte Sperrung des Nut­zer­kontos grund­sätzlich vorab zu informieren.“

Eine Frau und ein Mann hatten sich bis zum BGH hoch durch drei Instanzen geklagt. Beide hatten 2018 jeweils „migran­ten­feind­liche“ Posts geschrieben. Facebook hatte die Posts gelöscht und die Konten tagelang gesperrt. Auch den Facebook Mes­senger konnten die beiden Kläger nicht mehr benutzen. Die beiden sind nur zwei von Tau­senden, insofern hatte das BGH-Urteil ein gesell­schaftlich schon lange schwä­rendes Problem zu behandeln. Weil zum Zeit­punkt der Löschung der Bei­träge im Jahr 2018 noch keine Infor­mation dazu seitens Facebook an die Nutzer gegeben wurde, muss Facebook jetzt diese Bei­träge wieder frei­schalten und darf sie nicht noch einmal ent­fernen. Der BGH erklärte die dama­ligen Nut­zungs­be­din­gungen in Bezug auf Löschungen und Sper­rungen für unwirksam.

Facebook dürfe Nut­zer­konten nicht ohne Nach­fragen vor­über­gehend sperren und Bei­träge löschen. Die Lösch­regeln mit Stand vom 19. April 2018 seien unwirksam, so der III. Zivil­senat des BGH (Az. III ZR 179/20 und III ZR 192/20), weil sich Facebook „nicht gleich­zeitig dazu ver­pflichtet, den Nutzer über die Ent­fernung seines Bei­trags zumindest nach­träglich und über eine beab­sich­tigte Sperrung seines Nut­zer­kontos vorab zu infor­mieren, ihm den Grund dafür mit­zu­teilen und eine Mög­lichkeit zur Gegen­äu­ßerung mit anschlie­ßender Neu­be­scheidung einzuräumen“.

Das Urteil erlegt Facebook zwingend auf, die Nutzer vor einer dro­henden Sperrung zu infor­mieren und den Nutzern die Mög­lichkeit ein­räumen „sich zu erklären“. Über die Gründe der Ent­fernung eines Bei­trages muss nach­träglich infor­miert werden.

Wie Facebook das bewerk­stel­ligen will, ist noch unklar. Der Facebook ver­tre­tende Anwalt, Herr Christian Rohnke, hält die vor­herige Anhörung der Nutzer für „undenkbar“:

Dass der Zeit­faktor im Netz ent­scheidend sei, habe bei­spiels­weise der Shit­storm gegen die dun­kel­häu­tigen eng­li­schen Elf­me­ter­schützen nach dem EM-Finale gezeigt. Das habe man umgehend unter Kon­trolle bekommen müssen, indem man lösche und sperre. ‚Man muss solche Phä­nomene kurz­fristig stoppen können.‘“ 

Vor allem wird Facebook jetzt nach mensch­lichen Zen­soren suchen müssen, die sich mit den Beschwerden der Nutzer aus­ein­an­der­setzen müssen, denn da wird jetzt eine Welle los­ge­treten. Zig­tau­sende Löschungen und Sper­rungen werden jetzt auf­ge­ar­beitet und manche davon werden auch vor Gericht landen. Die Que­re­leien könnten dazu führen, dass immer mehr Nutzer zu anderen Platt­formen, wie VK wechseln, wo nicht zen­siert wird. Neue Platt­formen, viel­leicht eine Art Facebook durch Telegram könnten sich erfolg­reich etablieren.