Wenn Ihnen jemand in einem weit entfernten, fremden Land offenbaren würde, dass er Ihre persönliche Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kennt, indem er sie aus in Sanskrit oder Tamil verfassten Schriften lesen könne, die auf uralten Palmblattmanuskripten geschrieben stehen – würden Sie ihm glauben? Wahrscheinlich nicht.
(von Thomas Ritter)
Dennoch gibt es sie, die geheimnisvollen Palmblattbibliotheken. Die Urschriften der dort aufbewahrten Palmblätter wurden von einer Gruppe mythologischer Wesen – den Rishis – verfasst, die etwa 5000 v. Chr. gelebt haben sollen. Der Überlieferung zufolge nutzten die Rishis ihre spirituellen Fähigkeiten dazu, aus der Akasha-Chronik die Lebensläufe von mehreren Millionen Menschen zu lesen und schriftlich auf den getrockneten Blättern der Stechpalme zu fixieren.
Das gesamte Leben dieser Menschen, von der Geburt bis zum genauen Zeitpunkt ihres Todes, wurde auf den Palmblättern in Alt-Tamil – einer Sprache, die heutzutage nur noch von wenigen Eingeweihten beherrscht wird – in eng geschriebenen Zeichen eingeritzt.
Ein solches Palmblatt überdauert im Normalfall etwa 800 Jahre. Wenn es alt und brüchig geworden ist, wird eine Abschrift des Textes auf einem neuen Palmblatt angefertigt.
Von der einstigen Urschrift existieren zwölf Kopien, die in ebenso vielen Bibliotheken in ganz Indien bewahrt werden. Etwa 10 Prozent der Palmblätter sollen Informationen über das Schicksal von Nicht-Indern enthalten. Jeder, der erfahren möchte, was das Schicksal für ihn bereithält, muss sich aber selbst in eine der Palmblattbibliotheken begeben.
Anders als im Westen sind in Südostasien Wissenschaft und Religion keine ausgeprägten Gegensätze. Sie werden vielmehr als zwei verschiedene, einander ergänzende Wege auf der Suche nach Wahrheit und Erleuchtung angesehen. In der hinduistischen Wissenschaft hängt das Verständnis der äußeren Wirklichkeit untrennbar vom Verständnis des Göttlichen ab.
Ganz besonders gilt das hier Gesagte für Systeme, die im Westen als „Pseudowissenschaft“ oder noch schärfer formuliert „Aberglauben“ abgetan werden. Dieser Verachtung durch die Schulwissenschaft sind neben zahlreichen alternativen Heilverfahren – als umstrittenstes Beispiel sei hier nur die Geistheilung erwähnt – auch die vielfältigen Möglichkeiten einer mehr oder minder exakten Deutung der individuellen bzw. kollektiven Zukunft anheimgefallen.
Die Astrologie etwa ist im Abendland trotz zahlreicher zutreffender Voraussagen immer noch eine vielfach bespöttelte Außenseiterdisziplin. In Indien dagegen wird die Zukunftsdeutung nach wissenschaftlich anmutenden Kriterien betrieben. Die vedische Astrologie geht davon aus, dass das Universum ein geschlossenes System darstellt und in seiner Gesamtheit den gleichen Gesetzmäßigkeiten gehorcht.
Bei der Betrachtung eines beliebigen Teiles dieses geschlossenen Systems muss es daher möglich sein, auf das Verhalten anderer Teile dieses Systems zu schließen.
Der Grundsatz „Wie oben, so unten“, der abendländischen Hermetiker besagt im Prinzip dasselbe.
Ein Horoskop zeigt nach Auffassung der Jyotir-Astrologen daher bei entsprechender Berechnung mit exakter Genauigkeit die Verteilung der Wirklichkeitsbausteine an, aus denen sich das Leben eines jeden Menschen im Einzelnen zusammensetzt. Das Horoskop lässt also sichtbar werden, welche dieser „Bausteine“ etwa in Form von Talenten, Neigungen und Veranlagungen mit in das Leben gebracht werden und welche es noch durch entsprechende Erfahrungen zu erwerben gilt.
Es zeigt sogar die Art und Weise des Handelns oder Geschehens an, das die noch ausstehenden Erfahrungen erst ermöglicht. In einem solchen Horoskop sind Ausgangspunkt und Finalität eines Lebens vereint. Das Horoskop, welches für den Zeitpunkt der Geburt eines Menschen erstellt wird, beinhaltet aus der Sicht der Jyotir-Veda also die „Lebensformel“ der betreffenden Person.
Die indische Astrologie – einstmals wurde sie mit Astronomie gleichgesetzt – wird schon seit mehr als 1.500 Jahren in der heute bekannten Form ausgeübt. Sie ist aus der Synthese zweier großer Traditionen entstanden. In Indien entwickelte sich ursprünglich die im Purana beschriebene Jyoti – die Wissenschaft der göttlichen Astronomie. Erste „Untersuchungen der Lichter am Himmel“ finden sich in den Vedangas.
Diese Kommentare sind die „Glieder der Veden“ und um etwa 400 v. u. Z. zum ersten Male schriftlich niedergelegt worden. Ebenso wie die frühe westliche Astrologie stellte auch die Jyoti-Lehre eine Wissenschaft dar, die aus den Disziplinen Philosophie, Astronomie und Mathematik bestand. Diese Jothi-Lehre verschmolz vor mehr als 1.500 Jahren mit dem altgriechischen System der Astrologie.
Daher ist die indische Astrologie der abendländischen auch in vielen Belangen ähnlich. So führte die Verbindung zwischen abendländischem und indischem Denken zu einer Blüte der wissenschaftlichen Astrologie, die bis heute andauert, da die Horoskope indischer Astrologen von einer bestechenden Präzision sind. Keinesfalls sollte man sich die indische Astrologie als monolithisches Denkgebäude vorstellen.
Vielmehr untergliedert sie sich in verschiedene Zweige. Da ist beispielsweise der im Alltag überaus wichtige, Muhurta genannte Bereich. Er dient der Bestimmung des günstigsten Zeitpunktes für die Vornahme einer Handlung, etwa den Abschluss eines Geschäftes. Die Vishava-Astrologie hingegen hilft bei der Partnerwahl und der Bestimmung des Termins für die Hochzeit. So ist es in Indien durchaus üblich, bei einer Partnersuche mittels Zeitungsinserat auch das Horoskop des Wunschpartners aufzuführen.
Jedoch bildet das Horoskop nicht die einzige Variante der Zukunftsschau. Es gibt noch andere Möglichkeiten, deren wohl vollkommenste und auch spektakulärste vor allem in Indien praktiziert wird – in den geheimnisumwobenen Palmblattbibliotheken.
Im August 1993 besuchte ich zum ersten Mal den indischen Subkontinent. Da sich alle mir bekannten Palmblattbibliotheken in Südindien befinden, hatte ich Madras, die Hauptstadt des indischen Bundesstaates Tamil Nadu, als Ausgangsort meiner Exkursionen gewählt. Das Nadi-Reading, welches der Leser R. V. Ramani in seiner Bibliothek dort für mich abhielt, dauerte etwa 50 Minuten. Die Basis des Nadi-Readings ist die Lehre vom Shuka-Nadi.
Diese Lehre beruht auf der Wahrnehmung von Vergangenheit und Zukunft jenseits unseres herkömmlichen Raum-Zeit-Begriffes. Darauf aufbauend, soll das Shuka-Nadi eine lebensberatende Funktion ausfüllen. In der Palmblattbibliothek von Sri Ramani, die in ihrem Ursprung auf den Rishi Kakabujanda zurückgehen soll, lief das Nadi-Reading nach einem vorgezeichneten Ritual ab.
Der Klient gibt zunächst seinen vollständigen Namen und sein Geburtsdatum an. Das Orakelhafte der Zeremonie beginnt, wenn der Besucher dann neun polierte Muscheln über einem Mandala werfen muss, dass in einen kleinen Teppich gestickt ist. Danach sucht der Nadi-Reader die im Zentrum des Mandalas liegenden Muscheln heraus. Ihre Zahl, verbunden mit den bereits genannten Daten, bildet die Information für das Auffinden des persönlichen Palmblattes unter Tausenden von Palmblattmanuskripten. Sri Ramani gelang es in relativ kurzer Zeit (ca. 5 – 7 Minuten), „mein“ persönliches Palmblatt herauszusuchen. Danach übersetzte er die Texte des Palmblattes schriftlich ins Englische.
Mein Palmblatt enthielt Informationen und genaue Daten über die Vergangenheit, teilweise sogar aus früheren Inkarnationen, bis hin zur Zukunft sowie Aussagen über sehr persönliche, ja intime Angelegenheiten, welche, soweit sie die Vergangenheit betrafen, auch überprüfbar waren und der Wahrheit entsprachen.
Nach der Zeremonie war ich von der Echtheit des Nadi-Readings zumindest in diesem Fall überzeugt. Ich hatte den Aufenthalt in der Palmblattbibliothek mit zahlreichen Fotos dokumentiert, hatte Tonbandmittschnitte angefertigt und war im Besitz der englischen Übersetzungen meines Palmblattes. Doch genügte das als Beweis? Ich glaubte dem Nadi-Reading des Sri Ramani. Wer würde mir glauben?
Es gab nur einen Beweis – das Palmblatt selbst. Und so wagte ich das Unmögliche; bat den Nadi-Reader um mein Palmblatt; bat darum, es mitnehmen zu dürfen nach Europa. Solch einer Bitte war meines Wissens noch niemals stattgegeben wurden. Doch das Unglaubliche geschah. Sri Ramani öffnete erneut die zu Bündeln zusammengeschnürten Manuskripte und übergab mir dieses für mich unschätzbar wertvolle Palmblatt.
Die Fotokopien dieses Manuskriptes wurden von führenden Spezialisten Europas für alttamilische Philologie analysiert und geprüft. Die Übersetzung gestaltete sich jedoch bei weitem langwieriger und komplizierter als ich angenommen hatte. Sie nahm mehr als zwei Jahre in Anspruch. Dennoch wurde mir im Ergebnis mitgeteilt, dass es sich bei dem Manuskript tatsächlich um meinen Lebenslauf und nicht etwa um einen beliebigen religiösen Text handelt.
Ferner nahm das Kernforschungszentrum Rossendorf/Sachsen unabhängig von den Ergebnissen der Übersetzung eine Altersbestimmung des Palmblattes mittels der C‑14-Methode vor. Diese Analyse ergab, dass das untersuchte Palmblatt älter als 350 Jahre ist. Mit aller gebotenen Vorsicht möchte ich dies als einen Beweis dafür werten, dass zumindest vor 350 Jahren jemand meinen Lebenslauf jedenfalls insoweit kannte, als er ihn von einem älteren Manuskript kopierte.
Trotz meines Erfolges in Madras blieb ich skeptisch. Um den Wahrheitsgehalt des Nadi-Readings zu überprüfen, suchte ich eine weitere Palmblattbibliothek in Bangalore, der Hauptstadt des indischen Bundesstaates Karnataka, auf. Für das Auffinden des Palmblattes bei der Lesung genügen hier die Angabe des Namens und des Geburtsdatums. Das Palmblatt wird nach seinem Auffinden dem Besucher durch den Palmblattleser Gunjur Sachidananda in Englisch vorgelesen. Es ist dem Klienten freigestellt, die für ihn wichtigen Punkte selbst zu notieren oder aber das Reading auf Kassette aufzuzeichnen.
Die Lesung des Palmblattes untergliedert sich in mehrere Abschnitte. Nach einer Einleitung, in welcher die astrologischen Daten des Klienten unter Verwendung des hinduistischen Kalenders dargelegt werden, berichtet Gunjur Sachidananda anhand des Palmblattes zunächst von der Vergangenheit seines Klienten in diesem Leben. Stimmen die mitgeteilten Fakten mit der Realität überein, werden die charakterlichen Eigenschaften, Talente und Fähigkeiten des Klienten sowie die Aufgaben erläutert, die sich daraus ergeben, und die für die Gestaltung der Zukunft des Ratsuchenden wichtig sind.
Das künftige Leben des Klienten wird in Abschnitten von jeweils 2 bis 3 Jahren bis hin zum Todestag geschildert und erläutert. Im Zusammenhang damit werden auch frühere Leben des Klienten besprochen, aus welchen bestimmte Erfahrungen und Ereignisse in die jetzige Inkarnation hineinwirken. Ein weiteres Kapitel des Nadi-Readings ist der gesundheitlichen Verfassung des Klienten sowohl in psychischer als auch in physischer Hinsicht gewidmet. Hier werden auch die Gegenmittel zur Behebung bestehender oder künftig auftretender gesundheitlicher Probleme genannt.
Danach wird noch einmal gesondert die Thematik Partnerschaft und Familie mit allen positiven und auch weniger günstigen Aspekten besprochen. Zum Abschluss des Nadi-Readings erhält jeder Klient sein ganz persönliches Mantra, welches er immer dann sprechen soll, wenn er in Situationen gerät, welche die ganze Kraft der Persönlichkeit erfordern.
Die Texte meiner Palmblätter in den Bibliotheken von Madras und Bangalore stimmten in ihrem Aussagen nicht nur überein, sondern korrespondierten in dem Sinn miteinander, dass die Aussagen des Nadi-Readings in Bangalore jene von Madras ergänzten und umgekehrt.
So unterschiedlich die in den einzelnen Bibliotheken praktizierten Rituale zum Auffinden der einzelnen Palmblätter auch immer sein mögen – inhaltlich sind die Lebensläufe äußerst präzise. Soweit meine nächste Zukunft betroffen war, welche nunmehr bereits Vergangenheit ist, konnte ich feststellen, dass all das, was mir das Palmblattorakel vorausgesagt hatte, auch eintraf.
Es war von einer bedeutenden Veränderung in meinem Leben die Rede gewesen, einer Hinwendung zu geistigen Werten, und der Möglichkeit, meine Leidenschaft – das „magische Reisen“ – zum Beruf zu machen. All dies war mir vorausgesagt, und dennoch war ich wohl am überraschtesten von allen, als es einfach geschah, denn Voraussagen zu hören und ihnen zu glauben, das sind zwei sehr unterschiedliche Dinge.
Doch gerade dies ist wohl Sinn und Zweck der Palmblattbibliotheken – nämlich bestimmten Menschen zu bestimmten Zeiten die Aufgaben zu zeigen, welche sie in ihrem Leben erfüllen sollen.
Auszug aus dem Buch „Magische Palmblätter“.
Quelle: pravda-tv.com
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