Brexit für Groß­bri­tannien eben doch ein Erfolgsmodell?

Es ist, wie nach einer Ehe­scheidung: Die wenigsten bekommen es anständig hin. Als Groß­bri­tannien die EU verließ, machte es die EU dem ehe­ma­ligen „Fami­li­en­mit­glied“ schwer. Bein­harte Ver­hand­lungen, keinen Zen­ti­meter Raum wollte man dem treu­losen Rene­gaten und Ver­räter an der euro­päi­schen Idee lassen. Die Briten würden sich noch wundern, wo sie mit ihrem Ego­ismus hin­kommen. Die Wirt­schaft würde kol­la­bieren, das ehe­malige Empire tief fallen. Keine Fach­kräfte, Iso­lation am Welt­markt, Lieferschwierigkeiten.

Und wie bei Ehe­schei­dungen so oft: Der Partner, der aus dem Hafen der Ehe wieder hin­aus­segelt, geht eben nicht elend unter, sondern segelt in einen Son­nen­aufgang mit neuen Mög­lich­keiten und neuen Partnern.

Die Briten haben es, wie‘s scheint, richtig gemacht. Die Arbei­ter­ein­kommen sind gestiegen, vor allem Hand­werks­be­triebe flo­rieren, denn es kommt nicht mehr alles bil­ligst von außerhalb, und man kauft einfach neu. Die untere Mit­tel­schicht krebst nicht mehr am Exis­tenz­mi­nimumm, hat jetzt Geld, um längst über­fällige Repa­ra­turen und Moder­ni­sie­rungen an den Woh­nungen und Häusern vor­zu­nehmen. Auch der ver­meint­liche Nachteil, dass kein stän­diger Zustrom an Bil­lig­ar­beitern alle Leis­tungen und Pro­dukte erschwinglich hält – und wehe, wenn sie weg­fallen! — hat sich als nicht schlagend erwiesen.

Plötzlich geht es eben doch: Die Knappheit an LKW-Fahrern, die für einen Hun­gerlohn her­um­kut­schieren mussten, führte zu Lohn­er­hö­hungen, die keine Gewerk­schaft hätte durch­setzen können. 20.000 aus­län­dische LKW-Fahrer mussten das Land ver­lassen, was den Fah­rer­mangel auf 100.000 erhöhte. Nun über­bieten sich die Trans­port­un­ter­nehmen in den Gehältern für die Fahrer. Seit die Ost­europa-Hun­ger­löhner weg­fielen, bekommen bri­tische LKW-Fahrer plötzlich statt­liche Gehälter bis zu 63.000 € Jah­reslohn. Vorher mussten sie mit den Bil­liglohn-Fahrern kon­kur­rieren, was ihre Löhne eben logi­scher­weise auf das­selbe Niveau drückte. Da blieb mancher Fahrer lieber daheim und bezog Arbeits­lo­sen­un­ter­stützung. Nun ist die ost­eu­ro­päische Bil­lig­kon­kurrenz weg­ge­fallen und immer mehr Briten mit LKW-Füh­rer­schein sind plötzlich an dem Job inter­es­siert. Angebot und Nach­frage funk­tio­niert eben immer.

Aber in der Rumpf-EU wurde man nicht müde zu betonen, wie schlimm der Brexit den Briten mit­spielt. Und auch die Lie­fer­schwie­rig­keiten und der LKW-Fah­rer­mangel waren natürlich Aus­wir­kungen des Brexit. Der bri­tische Ver­kehrs­mi­nister, Mr. Grant Shapps, schoss zurück. Das sei völ­liger Unsinn, denn die anderen euro­päi­schen Nationen erlebten ja die­selbe Misere bis hin zum Bruch der Lie­fer­ketten. Der Brexit habe es aber immerhin ermög­licht, den „Fla­schenhals der Tests zu entlasten“.

In anderen EU-Ländern wie Polen und Deutschland gibt es nicht nur sehr große und sogar noch größere Eng­pässe, die ein­deutig nicht mit dem Brexit zu tun haben können, sondern tat­sächlich konnte ich durch den Brexit das Gesetz ändern und den Weg ändern. Unsere Fah­rer­tests funk­tio­nieren jetzt auf eine Weise, die ich nicht hätte machen können, wenn wir noch Teil der EU wären. Der Brexit hat also in Wirk­lichkeit einen Teil der Lösung ermög­licht, indem er mehr Slots für Lkw-Tests bietet, und es stehen jetzt viel mehr – doppelt so viele – Test­mög­lich­keiten zur Ver­fügung als vor der Pan­demie, weil wir nicht mehr in der EU sind.“

Das LKW-Fah­rer­problem löst sich anscheinen gerade wir von selbst und die Fahrer könnten mög­li­cher­weise bald unter bes­seren Arbeits­be­din­gungen fahren, als ihre Kol­legen in der EU.

Der nächste Faktor, der einiges in Bewegung gebracht hat, ist, dass etwa 1,3 Mil­lionen Men­schen aus ver­schie­denen Gründen Groß­bri­tannien ver­lassen haben. Dar­unter 200.000 EU-Bürger, die dort nicht weiter arbeiten konnten oder wegen der Pan­demie und den Ein­däm­mungs­maß­nahmen die Insel verließen.

Die Wirt­schafts­seite Bloomberg zeigt eine offi­zielle Sta­tistik, der­zu­folge bis Ende 2020 3,5 Mil­lionen EU-Bürger und 2,57 Nicht-EU-Bürger Groß­bri­tannien ver­lassen haben. Das sind 6 Mil­lionen Abwan­derer. Da der Brexit tat­sächlich erst einmal eine tiefe Delle in die bri­tische Wirt­schaft schlug, waren die Aus­sichten im Hei­matland dann doch für viele Immi­granten ver­lo­ckender. Und nun, da Groß­bri­tannien nicht mehr zur EU gehört, wird es für Immi­granten deutlich schwie­riger, wieder auf die Insel zurück­zu­kommen, schreibt Bloomberg.

Ein Schrumpfen von ca. 6 Mil­lionen Men­schen (ohne neue Zuwan­derung, da gibt es anscheinend nur Zahlen im ersten Quartal 2020) sind bei einer Gesamt­be­völ­kerung von 67,22 Mil­lionen (2020) ein bedeu­tender Faktor.

Der wirkt sich auf Häu­ser­preise und Miet­preise aus. Ganz besonders in London, wo die Mieten in fan­tas­tische Höhen gestiegen waren und Haus­preise nur noch für Mil­lionäre machbar, sind die Preise auf weiter Front gefallen. Allein aus London sind ca. 700.000 Men­schen weg­ge­zogen. Bei fast neun Mil­lionen Ein­wohnern scheint das nicht viel, aber es sind doch über sieben Prozent. Da kommen plötzlich wesentlich mehr Woh­nungen und Häuser auf den Markt, was die Preise drückt. Zumindest kurz­fristig. Sollte Groß­bri­tannien durch stei­gende Löhne und wirt­schaft­liche Erholung wieder attraktiv werden, werden die Preise wieder deutlich anziehen.

Und so sieht es auch tat­sächlich aus. Der Min­destlohn wird ab April 2022 auf Betreiben von Pre­mier­mi­nister Boris Johnson um 6,6% ange­hoben und liegt (nach heu­tigem Umrech­nungskurs) dann bei 11,17 Euro/Stunde, was fast 2.000 Euro Monatslohn bedeutet. Jüngere Jahr­gänge zwi­schen 21–22 Jahren erhalten dann eine Erhöhung von 9,8% Min­dest­lohn­stei­gerung einen Stun­denlohn von umge­rechnet 10,80 €. Die Regie­rungs­seite platzt geradezu vor Freude über das „Robuste Wachsen der Wirtschaft“:

„Die heute ange­kün­digten Erhö­hungen werden die Löhne und den Lebens­standard von Nied­rig­lohn­ar­beitern in einer Zeit, in der das Lohn­wachstum in der gesamten Wirt­schaft robust ist, unter­stützen. Sie kommen vor dem Hin­ter­grund starker BIP-Pro­gnosen, der Rückkehr der Beschäf­tigung auf das Niveau vor der Pan­demie und der Ver­öf­fent­li­chung von Rekord­zahlen an Stellen.“

Der Vor­sit­zende der Nied­rig­lohn­kom­mission, Mr. Bryan San­derson, wird mit fol­genden Worten zitiert:

„Mit den von uns emp­foh­lenen Tarifen fließt Geld in die Taschen von Pfle­ge­kräften, Lebens­mit­tel­händlern und vielen anderen Gruppen der am wenigsten bezahlten Mit­glieder unserer Gesell­schaft in ganz Groß­bri­tannien. Viele von ihnen haben in den letzten schwie­rigen Monaten einen ent­schei­denden Beitrag geleistet. Die Aus­wir­kungen auf die Gemeinden sind beträchtlich. Blackpool wird bei­spiels­weise min­destens 6,1 Mil­lionen Pfund von Gehalts­er­hö­hungen für seine gering bezahlten Arbeit­nehmer profitieren.“

Das weckt Begierden in der EU. Die fran­zö­si­schen Gewerk­schaften wollen auch das, was in Groß­bri­tannien jetzt möglich wird: Höhere Löhne, wesentlich bessere Bezahlung von Last­wa­gen­fahrern. Die fordern nach Infor­ma­tionen der Bran­chen­seite Trans.Info bereits ein 13. Monats­gehalt. Und hoch­qua­li­fi­zierte LKW-Fahrer, die soge­nannte Gruppe 7 erhalten nun statt 10,39 € Stun­denlohn 10,49 € (woowww!). Es ist trotz Fah­rer­mangel auch für die mäch­tigen Gewerk­schaften in Frank­reich (CGT, FO, FSU und Sud-Solidaires) schwer, höhere For­de­rungen durch­zu­setzen, weil in der EU immer noch die Dum­ping­löhner aus Ost­europa das Preis­niveau bestimmen. Nun rufen die Gewerk­schaften zum Streik auf.

Twitter

Mit dem Laden des Tweets akzep­tieren Sie die Daten­schutz­er­klärung von Twitter.
Mehr erfahren

Inhalt laden

Die EU-Medien ver­suchten eine Weile, die bri­tische Gas­knappheit und den immens stei­genden Gas­preis als eine Folge des Brexits hin­zu­stellen. Ein recht kurz­sich­tiger Versuch, denn die Gründe der Ener­gie­ver­teuerung haben mit dem Brexit über­haupt nichts zu tun. Sie sind teil­weise auch eine Folge der Ein­däm­mungs­maß­nahmen, haupt­sächlich aber eine Folge der illu­so­ri­schen Klima-Ener­gie­wende und das Ergebnis eines wind­armen, ver­reg­neten, kalten Sommers.

Der Bruch der Lie­fer­ketten wegen der Ein­däm­mungs­maß­nahmen, wie z.B. den kilo­me­ter­langen Corona-Test-Staus vor den Häfen und an den Lan­des­grenzen, hin­derten die Öltanker und Gas­tan­ker­schiffe daran, ihre Ladung zu löschen und die LKW-Kolonnen an der rei­bungs­losen Abwicklung. Überall stellen die Corona-Test und ‑Kon­troll­sta­tionen fast unüber­windbare Hin­der­nisse dar. In Italien führte das zu heimlich orga­ni­sierten Pro­testen von LKW-Fahrern. Sie taten sich in ihrer Not zusammen und nutzen Funk­geräte auf dem CB-Kanal 27, wo sie die ganze Pro­test­aktion koor­di­nierten und wichtige Auto­bahnen und Kno­ten­punkte in Italien lahm­legten, um gegen die grünen Impf­pässe zu protestieren.

Twitter

Mit dem Laden des Tweets akzep­tieren Sie die Daten­schutz­er­klärung von Twitter.
Mehr erfahren

Inhalt laden

Die hohen CO2-Zer­ti­fi­kats­preise ver­teu­erten das Schweröl für die Tan­ker­schiffe und den Diesel für die LKWs, so dass die Logis­tik­firmen in Bedrängnis gerieten und die Preise erhöhen mussten, was Bil­lig­waren zu trans­por­tieren zum Ver­lust­ge­schäft macht. Also wurden weniger Trans­porte gebucht – und die blieben dank Coro­na­maß­nahmen überall stecken. Das­selbe bei Stein­kohle und Braun­kohle, die eben­falls teure Man­gelware werden, dank grüner Ener­gie­po­litik. Dazu kam die Wind­flaute und der ver­regnete Sommer – und voilà: Alles braucht nun dringend Gas und Kohle, um das Stromnetz auf­recht zu halten.

Das hat nichts  mit dem Brexit zu tun, sondern mit der Kli­ma­po­litik. Gerade weil die Wirt­schaft im Ver­ei­nigten König­reich wieder deutlich anzieht (man rechnet dort mit fast 7 Prozent Wirt­schafts­wachstum), was mehr Energie benötigt, macht sich der Mangel an fos­silen Ener­gie­trägern besonders schmerzhaft bemerkbar. Aller­dings würde ein hohes Wirt­schafts­wachstum Groß­bri­tan­niens auch die nötigen Finanzen bereit­stellen, die hohen Ener­gie­preise leichter bezahlen und sich  aus­rei­chend Ener­gie­träger beschaffen zu können – was Kon­ti­nen­tal­europa abge­schlagen zurückließe.

Sollte das so kommen, würde auch alles Lügen und Ver­drehen in den Main­stream­m­edien nichts mehr nützen. Dann können die Grünen ein­packen. Ent­weder sie lassen sich noch recht­zeitig und not­ge­drungen auf eine ver­nünf­tigere Politik ein, oder sie werden von einer not­lei­denden, wütenden Bevöl­kerung in der EU mitsamt ihrer pseu­do­grünen Zer­stö­rungs- und Unter­drü­ckungs­po­litik weggefegt.