Bild: Flag of South Tyrol.svg, Attribution 3.0 Unported (CC BY 3.0), https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/, F l a n k e r - Own work

Der Unbeugsame: Nachruf auf den Süd­ti­roler Frei­heits­kämpfer Sepp Mitterhofer

Man nennt sie, die der Volksmund “Bumser” hieß, gemeinhin Akti­visten des BAS (Befrei­ungsau­schuss  Süd­tirol), mit­unter auch Wider­stands­kämpfer. In den Augen von Ita­lienern und leider auch von Antifa-Zeit­ge­nossen sowie Italo­philen, wie sie nicht selten auch in ihrer Heimat zu finden sind, waren/sind es – milde aus­ge­drückt – Atten­täter, im poli­tisch-kor­rekten italo-römi­schen Jargon indes Ter­ro­risten. Ich hin­gegen scheue mich nicht, sie so zu nennen, wie sie sich selbst sahen und von hei­mat­be­wussten deutsch-öster­rei­chi­schen Patrioten als solche erachtet werden – Freiheitskämpfer.

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Sepp Mit­ter­hofer, der unlängst im 90. Lebensjahr ver­storbene Obst­bauer vom Unter­hasler-Hof in Meran-Obermais, war deren einer der letzten, die sich einst mit dem legen­dären BAS-Gründer Sepp Kersch­baumer, einem Greißler und Klein­bauern aus Frangart, zusam­men­getan hatten, um in kon­spi­ra­tiven Klein- und Kleinst­gruppen daran mit­zu­wirken, die Welt(öffentlichkeit) auf die vom “demo­kra­ti­schen” Nach­kriegs­italien in nach wie vor tota­li­tärer Gebärde sowie par­tiell fort­gel­tender faschis­ti­scher  (Un-)Gesetzlichkeit betriebene Ent­na­tio­na­li­sierung  ihrer Heimat auf­merksam zu machen. Rom hatte trotz der zwi­schen seinem Regie­rungschef Alcide DeGasperi und dem öster­rei­chi­schen Außen­mi­nister Karl Gruber 1946 in Paris ver­ein­barten Auto­nomie-Über­ein­kunft für das seit  dem (Unrechts-)Vertrag von Saint-Germain-en-Laye 1919 Italien zuge­spro­chene süd­liche Tirol, dem die Sie­ger­mächte sowohl nach dem unglück­se­ligen Ersten Welt­krieg, als auch nach dem ver­häng­nis­vollen zweiten Wel­ten­brand die Selbst­be­stimmung ver­weigert hatten, die unter Mus­solini ins Werk gesetzte sys­te­ma­tische Ita­lia­ni­sierung des Landes zwi­schen Brenner und Salurn unab­lässig fort­ge­führt. Erbar­mungslos ließen die Bozner Statt­halter der ita­lie­ni­schen Staats­macht die ange­stammte Bevöl­kerung par­tiell unterjochen.

Die Akti­visten des BAS ver­langten, worauf kein Gerin­gerer als Sepp Mit­ter­hofer in vielen seiner spä­teren öffent­lichen Mahnrufe stets hinwies, nämlich die Aus­übung des Selbst­be­stim­mungs­rechts durch den in einen wesens­fremden Staat gezwun­genen Tiroler Volksteil. Sie wandten sich in Wort und ersicht­licher wie ver­nehm­barer Tat – woran es den meisten seiner Volks­ver­treter  auf­grund real­po­li­ti­scher, von Rom bestimmter Fakten und Maß­nahmen zwangs­läufig, zum Teil aber auch aus einer gewissen Selbst­fes­selung man­gelte – gegen die römische Ver­fäl­schung jenes Gruber-DeGasperi-Abkommens, worin den Süd­ti­rolern die Selbst­ver­waltung ihrer Ange­le­gen­heiten in Form einer sta­tua­risch fest­ge­legten Lan­des­au­to­nomie zuge­standen worden war.

Hatten die BAS-Akteure zunächst noch die Hoffnung, dass sich nach der macht­vollen Demons­tration von 30.000 Süd­ti­rolern auf Schloss Sig­mundskron 1957 und mehr­ma­ligen Vor­stößen Wiens – so der Inter­vention des dama­ligen Außen­mi­nisters Bruno Kreisky vor den Ver­einten Nationen zugunsten der Süd­ti­roler 1960/61 – die starre Haltung Roms ändern könnte, so sahen sie sich alsbald getäuscht. Die Geduld wich daher zugunsten der Tat der idea­lis­ti­schen Kämpfer des BAS. Ihr “großer Schlag”, das Sprengen von annä­hernd 40 Strom­masten in der soge­nannten “Feu­er­nacht” (11. auf 12. Juni 1961) – allein Sepp Mit­ter­hofer und seine Klein­gruppe hatten deren zehn mit Zündern und Spreng­stoff “geladen” – wurde nicht nur im weiten Rund um Bozen sowie an Eisack und Etsch, sondern weit darüber hinaus gehört. Nicht zuletzt dieses Fanal der Ver­zweiflung gab – wider anders­lau­tende Auf­fas­sungen, Deu­tungen und geschichts­po­li­tische Inter­pre­ta­tionen – den Anstoß für Ver­hand­lungen der betei­ligten Kon­flikt­par­teien, woraus schließlich das zwi­schen 1969 und 1972 staats­rechtlich inkraft gesetzte neue Auto­nomie-Statut her­vorging, auf dessen Grundlage die heutige (gesellschafts)politische Ver­fasstheit Süd­tirols ruht.

Bis es soweit war, beglei­teten zahl­reiche Rück­schläge den Ver­hand­lungs­prozess zwi­schen Wien sowie Bozen und Rom. Und die BAS-Akti­visten durch­litten ein von der ita­lie­ni­schen Staats­gewalt legi­ti­miertes Pur­ga­torium, das wider die Men­schen­rechte ver­stieß und eines demo­kra­ti­schen Rechts­staates gänzlich unwürdig war. Süd­tirol wurde in Bela­ge­rungs­zu­stand ver­setzt und von Sicher­heits­kräften förmlich über­zogen, sodass mehr als 20.000 Sol­daten, Cara­bi­nieri sowie Spe­zia­listen der Geheim­dienste den ver­hängten Aus­nah­me­zu­stand zu gewähr­leisten und jede “feind­liche Regung” zu unter­drücken hatten. 150 Frei­heits­kämpfer des BAS wurden als “bom­bar­dieri” bezie­hungs­weise “ter­ro­risti” inhaf­tiert, die meisten von Ange­hö­rigen einer Spe­zi­al­einheit gefoltert, denen Ita­liens Innen­mi­nister Mario Scelba die “Carta bianca” für ihr bar­ba­ri­sches Tun erteilte.

Sepp Mit­ter­hofer, der Obst­bauer und Vater von vier Kindern aus Meran-Obermais, war unter den Gefol­terten. In einem aus dem Gefängnis geschmug­gelten, an Lan­des­hauptmann Silvius Magnago gerich­teten Brief hat er das Unfassbare geschildert, das er erleben musste. Einige Auszüge: “Im Ganzen musste ich zwei Tage und drei Nächte stramm­stehen ohne etwas zu Essen, Trinken und zu Schlafen. […] Mit Fuß­tritten wurde ich an den Füßen und am Hintern bear­beitet und auf den Zehen her­um­ge­treten. [….] Am meisten geschlagen wurde mir ins Gesicht, dass ich so ver­schwollen wurde, dass ich später nicht mehr den Mund auf­brachte zum Essen. Die Arme wurden mir am Rücken hoch­ge­rissen, dass ich laut auf­schrie vor Schmerz. Einmal musste ich mich halb­nackt aus­ziehen, dann wurde ich so lange mit Faust­hieben bear­beitet bis ich bewusstlos zusam­men­brach. […. ] Öfters musste ich stun­denlang vor bren­nende Schein­werfer stehen und hin­ein­schauen bis mir der Schweiß her­unter rann und die Augen furchtbar schmerzten. Man zog mich an den Ohren und riss mir Haare büschel­weiße vom Kopf. [… ] Der Rücken musste glatt an der Mauer angehen, kaum, dass ich mich rührte oder mit den Zehen­spitzen etwas her­aus­rutschte, so schlug mich ein Cara­bi­niere der vor mir stand, mit dem Gewehr­kolben auf die Zehen oder auf den Körper.” 

Eine Reaktion von Seiten des Adres­saten blieb aus.

Wie anderen BAS-Akti­visten wurde auch Mit­ter­hofer in Mailand der Prozess gemacht. Das Urteil lautete auf zwölf Jahre Gefängnis. Die Ver­ur­teilten wurden auf ver­schiedene Haft­an­stalten ver­teilt.  BAS-Gründer Kersch­baumer ver­starb während des Straf­vollzugs in Verona. Seine und Mit­ter­hofers Mit­streiter Franz Höfler (aus Lana) und Anton Gostner (aus St. Andrä bei Brixen), Vater von fünf Kindern, ließen ihr Leben in unmit­tel­barer Folge von Folter-Tor­turen in Kasernen von Meran bezie­hungs­weise Brixen und Bozen.  Es erscheint mir eine denk­würdige Koin­zidenz – wenn nicht eine meta­phy­sisch-über­ir­dische Fügung – zu sein, dass Sepp Mit­ter­hofer just in den Stunden ver­starb, da man Höflers vor 60 Jahren erlit­tenen Fol­tertods in Süd­tirol gedachte.

Nach sieben Jahren und elf Monaten Gefäng­nis­auf­ent­halts war Mit­ter­hofer ent­lassen worden. Folter und Haft hatten ihn eben­so­wenig brechen können wie ihn die davon­ge­tra­genen gesund­heit­lichen Schäden und lebens­langen Beein­träch­ti­gungen nicht ver­bit­terten. Im Gegenteil: Er setzte sich erfolg­reich für die ehe­ma­ligen poli­ti­schen Häft­linge ein. Mit Bei­stand nam­hafter Per­sön­lich­keiten des öffent­lichen Lebens konnte dank uner­müd­lichen Ein­satzes die Löschung der Hypo­theken des ita­lie­ni­schen Staates, welche auf dem Besitz ehe­ma­liger poli­ti­scher Häft­linge las­teten, und deren Wie­der­erlangung der bür­ger­lichen Rechte erreicht werden. Sepp Mit­ter­hofer führte auch uner­schüt­terlich den Kampf für Freiheit und Einheit Tirols mit poli­ti­schen Mitteln weiter und übernahm den Vorsitz im Süd­ti­roler Hei­matbund (SHB), an dessen Gründung er zusammen mit anderen ehe­ma­ligen poli­ti­schen Häft­lingen beteiligt gewesen war.

Ziel des SHB ist “die Durch­setzung des seit 1919 ver­wehrten Selbst­be­stim­mungs­rechts, das die Ent­scheidung über die Wie­der­ver­ei­nigung des geteilten Tirol bis zur Salurner Klause zum Gegen­stand hat. Die ange­strebte Wie­der­ver­ei­nigung soll ent­weder durch einen ein­zigen Volks­ent­scheid oder durch schritt­weisen Vollzug ver­wirk­licht werden.” Der “poli­tische Arm” des SHB, die oppo­si­tio­nelle Bewegung SÜD-TIROLER FREIHEIT, deren Mit­gründer er war, ver­tritt dieses Ziel im Süd­ti­roler Landtag und in allen öffent­lichen Auf­tritten gemäß Sepp Mit­ter­hofers Credo, wonach “Süd-Tirol nicht Italien” ist und dass allein das ursprüng­liche Ziel “Los von Rom” das 1919 gesetzte his­to­rische Unrecht aus­lö­schen könne.

Diesem großen Sohn Tirols ist weder von den Insti­tu­tionen der beiden Lan­des­teile in Bozen und Inns­bruck, noch von denen Öster­reichs, dessen poli­tische Reprä­sen­tanten in Sonn­tags­reden Süd­tirol stets “eine Her­zens­an­ge­le­genheit” nennen, jemals eine for­melle Wür­digung für seinen hei­mat­treuen Lebens­einsatz zuteil  geworden. Auch blieb ihm – aus poli­ti­scher Rück­grat­lo­sigkeit und weil das meist “aus­ge­zeichnet” genannte öster­rei­chisch-ita­lie­nische Ver­hältnis nicht getrübt werden sollte – ein offi­zi­eller Ehr­erweis versagt. Dies nenne ich eine erbärm­liche Schande.