Bitte leben Sie weiter, hier gibt es nichts zu fürchten!

Die Schlag­zeilen lauten „Nur noch 19 Grad im Büro – Wer sich darüber aufregt, ist schlicht dekadent“, „Man kann sich wärmer anziehen. Wichtig ist, dass die Wirt­schaft am Laufen bleibt“, „Füll­stand sinkt – Deutsch­lands Gas­speicher werden wieder ange­zapft“ oder „Monat­liche Zah­lungen für Gas werden sich ver­drei­fachen, warnt die Netz­agentur“ und alle stehen sie gerade im Online­portal der WELT. Die hat zwar kein Monopol auf den Panik-Knopf, alle Medien klingen heute so oder noch schlimmer – und das aus Gründen. Doch ist es aus­ge­rechnet die WELT, in der auch fol­gende Schlag­zeile zu finden ist: „Wie Neo­nazis und Ver­schwö­rungs­ideo­logen Ener­gie­krise und Inflation für sich nutzen“. Das macht neu­gierig und während ich den Artikel lese, blendet mir die Wer­be­ab­teilung der WELT Bau­markt­werbung für ein Not­strom­ag­gregat ein, obwohl ich, der Cookie-Gott im Digi­tal­himmel sei mein Zeuge, seit Men­schen­ge­denken nicht nach sowas gesucht habe.

Das ist natürlich reiner Zufall, und hat nichts mit gar nichts zu tun. Aber zurück zum Artikel, denn ich erwartete von grim­migen Reichs­bür­ger­preppern zu lesen, die sich im Kyff­häuser ver­schanzen, nachdem sie den Markt für Not­fall­ra­tionen leer­ge­kauft haben. Pus­te­kuchen! Zu Preppern möchte uns die Bun­des­re­gierung selbst ja seit kurzer Zeit machen und die Emp­fehlung an Firmen, sich mit Not­strom­ag­gre­gaten ein­zu­decken, stammt eben­falls nicht vom Sturm­bann­f­ähnlein Fie­sel­schweif, sondern von offi­zi­eller Stelle. Was also sagen oder tun die Neo­nazis wirklich, um sich das Miss­fallen der WELT-Autorin Diana Pieper zuzuziehen?

„Mit War­nungen vor einem „Energie-Lockdown“ heizen Rechts­extreme und Vor­denker aus dem „Querdenker“-Milieu Abstiegs­ängste an – und instru­men­ta­li­sieren Frust über stei­gende Preise. Dabei nutzen sie Netz­werke aus der Zeit der Corona-Proteste.“

Immerhin Heizung, möchte man sar­kas­tisch anmerken. Doch bin ich mir sicher, dass nicht nur Rechts­extre­misten die Dusch­emp­feh­lungen des Wirt­schafts­mi­nisters, die Ankün­digung weiter galop­pie­render Gas­preise oder die gestie­genen Benzin- und Lebens­mit­tel­kosten nur so mit­telgut finden. Das Problem ist: wie unter­scheidet man einen in die Pleite getrie­benen Sprin­ger­stie­fel­träger von einem rui­nierten SPD-Wähler, wenn beide an der­selben Tank­stelle und hin­ter­ein­ander an der Super­markt­kasse stehen? Wie sieht es wohl aus, wenn der Frust über stei­gende Preise nicht (oder von den Fal­schen) instru­men­ta­li­siert wird? Für den Kar­tof­fel­anbau auf dem hei­mi­schen Balkon ist es zu spät und die Ölheizung, die man zugunsten einer modernen und KfW-geför­derten Gas­heizung raus­ge­rissen hat, kommt durch stummes Ver­zweifeln auch nicht wieder. Von der „milieu­ge­trieben Abstiegs­angst“ ist es in der Presse wohl nur noch ein kleiner Schritt zur Abstiegsphobie, womit man die wie auch immer gestal­teten Unmuts­äu­ße­rungen der Bürger erfolg­reich ins Patho­lo­gische und Irra­tionale hinein geframed hätte.

Da kann der Wirt­schafts­mi­nister noch so oft bei Lanz zer­knirscht auf den dräu­enden Winter deuten, kei­nes­falls darf der Bürger den eigenen lügenden Augen und Ohren trauen und das Gehörte in Frust umwandeln, welcher nach Arti­ku­lation drängt. Wisse, Bür­gerlein, dass „Rechts­extreme und Vor­denker aus dem Quer­denker-Milieu“ auch nicht gern frieren wollen. Willst du zu jenen gehören? Nein? Dann zieh den Pullover an und halt die Klappe.

Der säch­sische Ver­fas­sungs­schutz assis­tiert der WELT auf Nach­frage mit der Fest­stellung, das Milieu „sei dabei das poli­tische Kalkül [dieser rechten Gruppen, Anmerkung d. A.], von den sozialen Abstiegs­ängsten der Bürger zu pro­fi­tieren“ und die aufs Stichwort war­tende Sozi­al­psy­cho­login ergänzt „Rechts­extreme ver­suchen, gesell­schaft­liche Krisen und Span­nungs­lagen für sich zu nutzen“. Nun habe ich wirklich keinen Schimmer, ob sich ange­sichts des pro­kla­mierten Abstiegs Deutsch­lands als Indus­trie­nation in diesem Augen­blick kon­spi­rative rechte Kräfte die Hände reiben, dass dies jedoch auf der ent­ge­gen­ge­setzten Seite gang und gäbe ist, beweisen die zahl­reichen grünen NGO jeden Tag, wenn sie Straßen blo­ckieren und den von ihnen abhän­gigen Branchen der Son­nen­farmer und Wind­müller den Weg in die Sub­ven­ti­ons­kassen des Staates frei machen. Wer sieht sie nicht, die „Span­nungslage“ zwi­schen der guten und der schlechten Energie, die, künstlich erzeugt, dem Selbst­betrug der ener­ge­ti­schen Abhän­gigkeit von Russland erst die Tore geöffnet hat.

Natürlich, so weiß die WELT, lauert die ver­mutete Ver­schwörung dort, wo auch jeder andere Wahnsinn der Post­mo­derne sein hei­me­liges Nest hat: in den sozialen Medien. „In vielen Gruppen der ver­schwö­rungs­ideo­lo­gi­schen Szene domi­nieren derzeit die Themen hohe Inflation und Ener­gie­knappheit. Prak­tisch aus Sicht der Szene: Struk­turen und Netz­werke sind bereits vor­handen, genauso wie Kommunikationsräume.“

Prak­tisch aus Sicht der Ver­un­glimpfer: Struk­turen und Netz­werke sind auch bereits vor­handen, genauso wie Kom­mu­ni­ka­ti­ons­räume. Überall Nazis, Quer­denker und Leugner, mit denen sich Redak­tionen, Fak­ten­checker und NGOs befassen können, bevor es im Herbst wieder ans Boostern der Booster geht. Ob Corona, Klima, Energie oder Inflation…machen sie sich um Himmels Willen kein eigenes Bild von der Lage und meiden sie Kom­mu­ni­ka­ti­ons­räume, in denen sie auf Kritik an der Weisheit der Regie­renden stoßen könnten. Hieß es bei Groß­mutter noch sozial ein­hegend „was sollen denn die Leute denken“, schaltet man heute einen Gang höher und fragt, was denn wohl die Regierung über Sie denken soll, liebe Leser.

Die WELT behauptet, es sei poli­ti­sches Kalkül der Nazis, von den sozialen Abstiegs­ängsten der Bürger zu pro­fi­tieren. Doch das trifft für alle Extre­misten zu, ob sie nun links, rechts, religiös oder sonst ideo­lo­gisch zu ver­orten sind. Die Ange­fasstheit, mit der Politik und Medien auf die nun immer lauter wer­denden Vor­würfe bezüglich einer geradezu kri­minell fahr­läs­sigen Geld- und Ener­gie­po­litik in Deutschland reagieren, ist jedoch ein starkes Indiz dafür, dass hier unter einer mons­trösen Anschul­digung berech­tigte Kritik beerdigt werden soll. Ja, so ver­zweifelt ist man wohl schon, um zu solchen Mitteln zu greifen.

Unter­dessen titelt die BILD, Bau­mi­nis­terin Geywitz wünsche sich eine Debatte, ob große Woh­nungen dem Klima nicht zu sehr schaden. Na na, liebe Leser, da werden Sie doch wohl nicht kri­tisch bis blutig in die Debatte grät­schen wollen? Jetzt, da Ihnen die WELT die Instru­mente gezeigt hat? Das geschieht alles nur zu Ihrem Wohl und wenn Sie daran Schaden nehmen, müssen Sie ent­weder unso­li­da­risch oder ein Nazi sein. Und jetzt laden Sie Ihr Elek­troauto, essen Ihr Din­kel­brötchen, zahlen Sie Ihre Gas­rechnung und spenden Sie für „Demo­kratie Leben“. Aber bitte leise, der Kanzler schläft!


Quelle: unbesorgt.de