Angesichts der immer weiter zunehmenden Zensier- und Bestrafungswut der Regierung und der Sozialen Medien wird der Korridor der erlaubten Meinungsäußerungen immer enger, die Wut aber immer größer. Ein Spannungsfeld, was sich immer weiter verschärft. Das ist schon seit Menschengedenken so. Das Volk findet immer Möglichkeiten, die Zensur zu umgehen, die „Mächtigen“ immer neue Methoden, Druck und Strafen zu verschärfen, bis der Topf überkocht und die Machtelite weggefegt wird. Die „Mächtigen“ lernen nie, dass sie den Volkszorn nur anheizen und allenfalls Zeit schinden. Das kann man gerade an Chinas Sozialen Medien beobachten.
https://edition.cnn.com/2022/11/11/asia/guangzhou-cantonese-covid-dissent-intl-hnk-dst/index.html
Trotz drakonischer Maßnahmen, Löschungen und Sperrungen von sozialen Accounts wissen die Chinesen, wie sie ihrem Ärger dennoch Luft machen können. Manche erzählen kleine, erfundene Geschichten aus Verwandtschaft und Freundeskreis als Gleichnis und jeder weiß, wen die angeblichen Protagonisten eigentlich darstellen. Oder sie benutzen alte Schriftzeichen ihrer Provinz, die von den Zensurbots nicht gelesen werden können. Oder sie benutzen westliche Schriftzeichen oder russische, um in „Lautsprache“ chinesisch zu schreiben. Manchmal ohne Leertaste zwischen den Wörtern und mit absichtlichen Schreibfehlern. Man muss es sich dann selbst laut vorlesen, um den Sinn zu verstehen. Und wenn es dann noch in der eigenen Provinzsprache mit ihren ganz eigenen Ausdrücken geschrieben ist, erkennt der Zensur-Bot nur noch Buchstabensalat.
Um das ein bisschen zu illustrieren, versuche ich hier einmal ein Beispiel:
Demmwermasschozaigndemhaaderlumpmdemdreggadn.
Nixversteh? Erste Hilfe: Es ist Bayrisch:
Dem wer’n ma’s scho zeig’n, dem Haderlump’m dem dreggad’n:
Übersetzung:
„Dem werden wir es schon zeigen, diesem Mistkerl, diesem dreckigen!“
Jetzt stellen Sie sich noch vor, dass in dem Post noch chinesische Schriftzeichen enthalten wären, die bestimmte Silben ersetzen, sowie Emojis mit einer ganz andere Bedeutung als üblich, dann verstehen Sie vielleicht, was die Chinesen da machen.
Gerade seit ein paar Tagen ist ja wieder ein totaler Lockdown über die 19-Millionenstadt Guangzhou verhängt worden. Diese Megacity ist Chinas Textilherstellungs-Zentrum. Am letzten Freitag wurden am dritten Tag in Folge wieder über 3.500 Covid-Infektionen gemeldet. Die Regierung riegelte Teile der Stadt ab und verhängte strenge Eindämmungsmaßnahmen, einschließlich Auslieferungsstopps.
Das führte sofort zu Verzögerungen und Warenstaus vor und in den Häfen Guangzhous, Shenzhens und Hongkongs. Dort liegen zurzeit bereits rund 90 Frachtschiffe mit insgesamt 435.000 Containern vor Anker. Die benachbarten Häfen in Shenzhen (Yantian und Shekou) sind ebenfalls durch hohe Exportverweilzeiten von mehr als acht Tagen praktisch lahmgelegt, berichtet das Handelsblatt.
Und CNN berichtet, dass in Guangzhou über fünf Millionen Einwohner in ihren Häusern eingesperrt sind. Wir erinnern uns an Shanghai, wo wegen eines Covid-Ausbruches Millionen Menschen in ihren Wohnungen eingesperrt waren und viele verhungert sind. Die Leute fingen an, ihre Haustiere zu essen oder sprangen in ihrer Verzweiflung von den Balkonen in den Tod.
Das wiederholt sich jetzt offensichtlich in Guangzhou. Das, obwohl die Erfahrungen aus Shanghai zeigen, dass sie nicht wirklich wirksam sind, mehr Tote als die Infektion selbst verursachen, riesige, wirtschaftliche Schäden erzeugen und die Menschen wütend machen.
Der gegenwärtige Ausbruch in Guangzhou ist der schlimmste seit Beginn der Pandemie:
„Die meisten Fälle in Guangzhou konzentrierten sich auf den Bezirk Haizhu – ein hauptsächlich durch Wohngebiete gekennzeichneter Stadtbezirk mit 1,8 Millionen Einwohnern am Südufer des Perlflusses. Haizhu wurde am vergangenen Samstag abgeriegelt, die Bewohner wurden angewiesen, das Haus nicht zu verlassen, es sei denn, es sei unbedingt nötig. Alle öffentlichen Verkehrsmittel – von Bussen bis zu U‑Bahnen – wurden eingestellt. Der Lockdown sollte zunächst drei Tage dauern, wurde inzwischen aber bis Freitag verlängert. Zwei weitere Distrikte – mit einer Gesamtbevölkerung von 3,8 Millionen – wurden am Mittwoch gesperrt, als sich der Ausbruch ausweitete. Das Essen in Restaurants wurde verboten und die Schließung von Geschäften angeordnet, mit Ausnahme derer, die wichtige Vorräte lieferten.
Am Mittwochnachmittag kündigte ein dritter Bezirk, das abgelegene Panyu, eine Sperrung an, die bis Sonntag dauern wird. Der Bezirk verbannte auch Privatfahrzeuge und Fahrräder von den Straßen. Ab Donnerstag verlegen alle Grund- und Mittelschulen in den acht Stadtteilen der Stadt den Unterricht online, die Kindergärten sind geschlossen. Nachhilfeklassen, Ausbildungseinrichtungen und Kindertagesstätten werden ebenfalls ihre Dienste einstellen.“
Noch ist der Lockdown nicht so brutal wie in Shanghai, es gibt noch keine Hungersnot. Die Leute hatten sich nach den grauenhaften Tragödien in Shanghai gleich bei den ersten Anzeichen einer Covid-Epidemie mit Lebensmitteln für lange Zeit eingedeckt:
„In Erwartung, dass noch Schlimmeres kommt, haben sich viele Einwohner von Guangzhou mit Lebensmitteln und anderen Vorräten eingedeckt. „Ich habe wie verrückt (Lebensmittel und Snacks) online gekauft. Am Schluss werde ich wahrscheinlich einen Monat lang Reste essen“, sagte ein Bewohner, dessen Gebiet im Bezirk Haizhu von den Behörden (noch) als risikoarm eingestuft wurde.“
Natürlich fürchten sie, dass, wenn sich der Covid-Ausbruch ausweitet und die ganze Stadt betreffen sollte, dieselben Zustände kommen könnten, wie in Shanghai:
„Viele befürchten jedoch, dass eine pauschale, stadtweite Sperrung unmittelbar bevorstehen könnte, wenn sich der Ausbruch weiter ausbreitet. Auf WeChat, Chinas Super-App, teilen Einwohner Diagramme, in denen sie Ende März, in den Tagen vor der zweimonatigen Sperrung des östlichen Finanzzentrums, die steigende Fallzahl von Guangzhou mit der von Shanghai vergleichen. Beamte in Shanghai bestritten zunächst, dass eine stadtweite Sperrung notwendig sei, verhängten dann aber eine, nachdem die Stadt 3.500 tägliche Infektionen gemeldet hatte.“
Die strikten Eindämmungsmaßnahmen, wie an jeder Ecke testen, das Eingesperrtsein in der Wohnung, die abgeriegelten Wohnblöcke, nirgendwohin gehen können, ohne überall seinen QR-Code an den Sperren einzugeben, ob man passieren darf – rufen Angst und Wut hervor. CNN schreibt:
„Andere, die zornig wegen der Eindämmungsmaßnahmen und Testpflichten sind, benutzen die sozialen Medien und machen ihrer Frustration Luft. Auf Weibo, Chinas Pendant zu Twitter, kursieren immer mehr Beiträge, die Slang und Kraftausdrücke im lokalen kantonesischen Dialekt verwenden, um Null-Covid-Maßnahmen zu kritisieren – und die scheinen den Augen von Online-Zensoren, die sie nicht verstehen können, weitgehend zu entwischen. „Ich lerne jeden Tag kantonesische Schimpfwörter in Echtzeit-Hot-Search“, sagte ein Weibo-Nutzer. Unterdessen stehen die lokalen Behörden landesweit unter Druck (aus Peking), die Covid-Eindämmungsmaßnahmen zu verstärken – trotz wachsender öffentlichen Frustration.“
Die Eindämmungsmaßnahmen sind mittlerweile gefürchteter als die Infektion. Ein Video der South China Morning Post schildert, wie beim Auftreten der ersten Covid-Infektionen in dem großen Werk von Foxconn in Shengszhu, in der Provinz Henan, die Belegschaft in wilder Flucht das Werksgelände verlässt und nach Hause eilt. In diesem Werk wird das neue Apple Iphone zusammengebaut. Die Belegschaft weiß eben genau, dass, wenn sie nicht rechtzeitig weg sind, sie darin auf unbestimmte Zeit gefangen sind. Weder wäre eine – schon normalerweise schlechte – Verpflegung mit Essen möglich, noch gäbe es die nötigen sanitären Einrichtungen in der Fabrik.
Bevor blitzartig die Absperrungen, die weißen Outbreak-Bataillone und die Teststationen überall aus dem Boden schießen und der grüne QR-Code auf dem Handy (ohne den man keine Straßenkreuzung weiterkommt) auf rot geht und man vollkommen verloren ist, muss man daheim sein, bevor man verloren ist und in irgendein Lager transportiert wird.
Angst, Not, Leid, Aussichtslosigkeit und Wut im Volk zusammen mit Zensur sind die Zutaten für eine hochexplosive Mischung. Schon immer gewesen.
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