Das wahre Ener­gie­de­saster kommt erst noch — und nimmt Gestalt an

Es fehlt der Wind. Dieser November und Dezember ist eine einzige Wind­flaute und Bes­serung nicht in Sicht. Gleich­zeitig ist prak­tisch jeder Tag trüb und wol­ken­ver­hangen – eben eine Dun­kel­flaute. Das lässt die gerade nach­las­senden Ener­gie­preise wieder kräftig steigen. Dazu kommt, dass wir einem harten Winter ent­ge­gen­gehen und die Gas­speicher nicht so voll sind, wie man uns weis­machen will. Wir müssen uns im wahrsten Sinne des Wortes „warm anziehen“. Dafür haben es die Freunde Russ­lands aber schön. China und Indien kaufen rus­si­sches Öl fast für den halben Preis wie wir. Dafür sind wir aber mora­lisch weit überlegen. 

Auf einen wirklich strengen Winter ist die Euro­päische Ener­gie­struktur nicht vor­be­reitet – auch ganz abge­sehen von dem akuten Problem mit Nordstream2 und dem Ukrainekrieg.Wir hatten Glück, dass der November eine ganze Weile unge­wöhnlich mild war. Lus­ti­ger­weise ver­kniffen sich die Medien ihr Alarm­ge­schrei wegen Kli­ma­er­wärmung. Nor­ma­ler­weise hätten wir wieder Schlag­zeilen zu „Rekord­hitze im November“ gesehen und Berichte über das Auf­tauchen erster Wüs­ten­flöhe. Der Kli­ma­er­wär­mungs­jour­na­lismus schwieg jedoch beharrlich. Warum? Weil ihnen ein lautes „Na, Gott­seidank!!!“ ent­gegen geschallt wäre. Und es stimmt ja: Das sparte Gas und andere Ener­gie­träger. Aber jetzt ist Schluss mit Lustig und mit warm Duschen.

Jetzt wird es kalt und damit weht auch noch weniger, aber eisiger Wind. Laut der Wet­ter­seite „windy.com“ säuselt der Wind lahm dahin. In den Höhen der großen Wind­ro­toren braucht man eine Wind­ge­schwin­digkeit von Minimum 5 Meter/Sekunde, um Strom zu erzeugen. Richtig gut wird es erst ab 15 Metern/Sekunde (zu viel darf es aber auch nicht werden). Leider ist das auf absehbare Zeit laut Wet­ter­be­richte nicht möglich. Das sagt die Meteo­ro­login und For­scherin Frau Evan­geline Cookson von Marex Spectron. Das Unter­nehmen ist eine in Groß­bri­tannien ansässige diver­si­fi­zierte globale Finanz­dienst­leis­tungs­plattform, die Kunden mit den glo­balen Energie‑, Metall‑, Agrar- und Finanz­märkten verbindet.

Selbst die wind­reichen Regionen mit einer hohen Dichte an Wind­kraft­an­lagen stehen prak­tisch still, denn die Tief­druck­winde, die nor­ma­ler­weise um diese Zeit über Nord­deutschland und die Bene­lux­länder bis Frank­reich hinein wehen, bleiben aus. Die schwachen Winde, die von Nord­osten kommen, drücken aber kalte Luft nach Europa hinein. Wahr­scheinlich auf Befehl Prä­sident Putins.

Das woke Europa lernt gerade, dass erneu­erbare Energien das rus­sische Gas eben nicht ersetzen können. Jetzt kommen die Bruch­linien der „kli­ma­neu­tralen“ EU-Energie-Infra­struktur schmerzhaft zur Wirkung. Wir haben uns von der unsteten Sonne-und-Wind-Energie abhängig gemacht, bevor wir belastbare Spei­cher­tech­no­logien für die Über­ka­pa­zi­täten hatten. Diese Tech­no­logien sind teuer, und es braucht bis zu vier Jahren, bis sie imple­men­tiert sind. Dass wir plötzlich kein Gas aus Russland mehr beziehen, war bisher nicht vor­ge­sehen. Und nun wurden wir sprich­wörtlich davon „kalt erwischt“.

Wir sitzen also in einer Wind­ge­schwin­dig­keits-Anomalie fest. Das ist eigentlich nichts Beson­deres, sagt Frau Cookson, aber im Moment halt recht schwierig, denn wir bekommen kein rus­si­sches Gas. Nicht, weil es das nicht gibt. Sondern weil Europa das nicht will. Es will Russland bestrafen, und wenn seine Bürger erfrieren müssen.

Nun ja, wir haben ja noch Atom­kraft und Was­ser­kraft. Nur … die drei ver­blie­benen Atom­kraft­werke schaffen das nicht annä­hernd und auch die Was­ser­kraft macht nur einen kleinen Teil des Ener­giemix aus. Abge­sehen davon ist der Was­ser­durch­fluss immer noch nicht stark genug, denn nach dem tro­ckenen Sommer sind die Flüsse immer noch auf relativ nied­rigen Pegelständen.

Am letzten Freitag waren daher die Strom­preise an den Ener­gie­börsen bereits wieder auf 361 €/Megawattstunde gestiegen, nachdem sie Mitte November auf erfreu­liche 108 €/Megawattstunde abge­sunken waren. Kaum wurde das Wetter kälter, gingen auch die Gas­preise wieder hoch.

Sehr viele Europäer können sich die Gas­preise – selbst, wenn genug Gas da wäre —  gar nicht leisten. Das­selbe gilt für die Ölpreise. Auch die Ölhei­zungen werden nur sehr sparsam in den Pri­vat­haus­halten ein­ge­setzt. Wer sich im Bekann­ten­kreis umhört, der weiß, dass die Leute mit Ölhei­zungen auch fürchten, kalt zu sitzen, wenn der Strom aus­fällt – denn die Brenner dieser Hei­zungen brauchen Strom. Aber auch die Aus­sicht, im Zwei­felsfall hor­rende Preise für eine Tank­füllung bezahlen zu müssen, ist für die meisten ein Alp­traum. Aktuell liegen die Heiz­öl­preise „noch“ bei ca. 121,70 € pro 100 Liter (netto). Wer einen Drei­tausend-Liter-Tank füllen will, der kommt schon auf 3.651 € netto. Plus 19% Mehr­wert­steuer ergibt 4.344, 69 €. Es wird wohl noch deutlich teurer werden. Wenn man es denn über­haupt bekommt.

Denn Die USA und Europa haben ein Import­verbot auf rus­si­sches Öl gelegt. Die USA können sich das leisten, sie haben riesige Vorräte und eigene Ölquellen. Seit gestern, dem 5. Dezember beginnt das EU-Import­verbot für rus­si­sches Öl. Die Raf­fi­nerien und Händler drosseln ihre Akti­vi­täten und redu­zieren ihre Bestel­lungen. Die Russen stört das freilich nicht. Die rus­si­schen Öltanker fahren fröhlich weiter aus den Häfen – aller­dings in Richtung Asien. China und Indien kaufen heute zwei Drittel des Rohöl Russ­lands. Ein Teil davon ist die Hälfte des Rohöls aus Russ­lands Pipe­lines, die nach China geliefert wird.

Man darf nicht ver­gessen, dass Russland ein pro­mi­nentes Mit­glied der OPEC+ ist. Dieser Verbund ölför­dernder Staaten reprä­sen­tiert 40 Prozent der glo­balen Ölför­derung. Sie agieren zusammen und schützen sich gegen­seitig. Und sie pro­fi­tieren von den stei­genden Ölpreisen. So hat die OPEC + schon unmiss­ver­ständlich klar gemacht, dass niemand von ihnen die Lücke schließen wird, wenn Russland nicht mehr liefern will.

Indien kauft schon lange Öl im großen Maßstab von Russland. Web­seiten, auf denen man den Schiffs­verkehr in Echtzeit ver­folgen kann zeigen aber, dass die rus­si­schen Tanker auf offener See sich mit indi­schen Tankern treffen und das Öl umladen auf die indi­schen Schiffe, die es dann zu hohen Preisen nach Europa schippern und ver­kaufen. Dabei machen die Inder einen satten Gewinn, denn der rus­sische Ölpreis liegt um ca. 40 Prozent unter dem, was die Europäer bezahlen. Für den Ver­braucher kommen dann noch Lie­fer­kosten und Mine­ral­öl­steuer obendrauf.

Die Deut­schen Wirt­schafts­nach­richten schreiben:

„Alle Ver­suche des Westens, Russland im Ener­gie­sektor zu schaden, haben bisher vor allem den Bürgern in Europa geschadet, welche die höheren Ener­gie­preise zahlen müssen. Russland pro­du­ziert und expor­tiert wei­terhin riesige Mengen und erzielt daraus enorme Profite. In der Folge wird Russ­lands Leis­tungs­bi­lanz­über­schuss dieses Jahr vor­aus­sichtlich 265 Mil­li­arden Dollar erreichen. Nur China schafft vor­aus­sichtlich noch mehr.“