Bild: Flag of South Tyrol.svg, Attribution 3.0 Unported (CC BY 3.0), https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/, F l a n k e r - Own work

Gewichtige Erträge der his­to­ri­schen Forschung

Unab­weis­liche Nach­weise für die Unschuld von Frei­heits­kämpfern an  auf­se­hen­er­re­genden  Vor­fällen des Höhe­punktes der Süd­ti­roler Bombenjahre

Es gehört zu den wis­sen­schaft­lichen Stern­stunden, wenn sich ergibt, daß die his­to­rische For­schung her­vor­bringt, was ihre ureigene Aufgabe und Zweck­be­stimmung sein sollte, nämlich  neue Ein­blicke auf Hand­lungen und Ein­sichten in Gescheh­nisse zu eröffnen, für die in der Zunft bis dato gemeinhin galt, es seien alle Tat­be­stände und Zusam­men­hänge bereits klar zutage getreten gewesen und in der Geschichts­schreibung quasi amtlich oder unver­rückbar dar­ge­stellt worden. Nicht selten spielt dabei die Ent­de­ckung und akri­bische Analyse bisher unbe­kannter oder unbe­achtet wenn nicht gar igno­rierter Archi­valien die ent­schei­dende Rolle.

Hier bestellen

So etwa das von Helmut Golo­witsch in drei volu­mi­nösen Bänden („Süd­tirol – Opfer für das west­liche Bündnis. Wie sich die öster­rei­chische Politik ein unlieb­sames Problem vom Hals schaffte“, Graz 2017; „Süd­tirol – Opfer geheimer Par­tei­po­litik“, Graz 2019; „Süd­tirol – Opfer poli­ti­scher Erpressung“; Graz 2019; alle im Stocker-Verlag) auf­be­reitete Pri­vat­archiv des Kärntner Unter­nehmers Rudolf Moser.  Auf­grund  seiner  geschäft­lichen  Bezie­hungen nach Italien und engen Ver­bin­dungen zu rang­hohen dor­tigen Poli­tikern übte er nach 1945 hinter den Kulissen einen nicht uner­heb­lichen  Einfluß auf die Süd­tirol-Politik aus, den man aus heu­tiger Sicht als geradezu ver­häng­nisvoll bezeichnen muß, indem er als  (partei)politischer Pos­tillon und ver­deckt  arbei­tender Unter­händler zwi­schen ÖVP und DC wirkte, Geheim­treffen Leopold Figls mit Alcide Degasperi und anderer ÖVP- bzw. DC-Größen arran­gierte. Ebenso ein­drücklich und mus­ter­gültig doku­men­tierte Golo­witsch anhand von meist pfarr­amt­lichen Archi­valien in den Büchern „Repression. Wie Süd­tirol 1945/46 wieder unter das Joch gezwungen wurde” sowie „Repression − 1946 bis 1961: Die Fort­führung der Zwangs­herr­schaft in Süd­tirol“ (Neumarkt/Etsch 2020 bzw. 2021, erschienen im Verlag effekt!) , wie die Süd­tirol-Frage damals zugunsten des aber­ma­ligen Kriegs­ge­winnlers Italien  beant­wortet und im Gewande des „demo­kra­ti­schen Italien“ die Re-Faschi­sierung  zwi­schen Brenner und Salurn vor­an­ge­trieben worden war.

Römische Über­töl­pelung

Auf der Pariser Frie­dens­kon­ferenz  war dem öster­rei­chi­schen Rück­glie­de­rungs­er­suchen  für den 1919 durch Italien annek­tierten süd­lichen Lan­desteil Tirols  durch die Alli­ierten eben­so­wenig statt­ge­geben worden wie dem Ver­langen nach Aus­übung des Selbst­be­stim­mungs­rechts seiner Bevöl­kerung. Statt­dessen sollte eine zwi­schen dem ita­lie­ni­schen Regie­rungschef Alcide DeGasperi und dem öster­rei­chi­schen Außen­mi­nister Karl Gruber am 5. Sep­tember 1946 getroffene ver­trag­liche Über­ein­kunft über eine weit­ge­hende  ter­ri­to­riale Selbst­ver­waltung und sprachlich-kul­tu­relle Selb­stän­digkeit den Erhalt der volk­lichen Iden­tität der Süd­ti­roler im Rahmen einer eigen­stän­digen Provinz gewähr­leisten.  Statt­dessen sahen sich die Süd­ti­roler aber in dem vom trick­reichen DeGasperi kon­zi­pierten festen Verbund der Provinz Bolzano Alto Adige mit der benach­barten Provinz Trento in einer mit allen auto­no­mie­recht­lichen sta­tua­ri­schen Bestimmung ver­se­henen Region durch das ita­lie­nisch-eth­nische und poli­tisch-fak­tische Über­ge­wicht der Tren­tiner majo­ri­siert und ver­trags­rechtlich über­tölpelt. Hinzu kam, dass Rom alles unternahm, um auch in Süd­tirol selbst die eth­ni­schen Ver­hält­nisse umzu­kehren, indem es – wie zuvor unter dem Faschismus — massiv die Ansiedlung von Ita­lienern för­derte, Arbeits­plätze (nur) für sie schuf und Volks­wohn­bauten aus­schließlich für sie errichtete.

Als alle poli­ti­schen Demarchen und Pro­teste bis hin zu Vor­gaben der Ver­einten Nationen (UN), wohin Öster­reich den Kon­flikt mit Italien getragen hatte, und die anschlie­ßenden Ver­hand­lungen zwi­schen Wien und Rom nichts fruch­teten, schlossen sich beherzte Idea­listen aus beiden Lan­des­teilen Tirols und dem übrigen Öster­reichs unter Führung von Sepp Kersch­baumer zu einem Befrei­ungs­aus­schuß Süd­tirol (BAS) zusammen und ver­übten unter Berufung auf das Wider­stands­recht gezielte Anschläge auf ita­lie­nische Ein­rich­tungen. Zu den bedeu­tendsten gehörte die soge­nannte „Feu­er­nacht“, als BAS-Akti­visten rund um Bozen mehr als 40 Masten von Über­land­lei­tungen sprengten und damit die Strom­ver­sorgung in der dor­tigen Indus­triezone unter­brachen. Trotz Ver­haftung der meisten BAS-Leute nach der „Feu­er­nacht“, der Fol­terung von Gefan­genen, von denen zwei starben, der Ver­hängung des Aus­nah­me­zu­stands bei Beor­derung von mehr als 20 000 Sicher­heits­kräften von Heer und Cara­bi­nieri in die „Unru­he­provinz“, führten andere BAS-Akti­visten den Frei­heits­kampf unter Berufung auf das Wider­stands­recht fort. Es konnte indes nicht aus­bleiben, dass es dabei auch zu unbe­ab­sich­tigten Todes­fällen auf ita­lie­ni­scher Seite kam.

Ver­schluss­akten

Der  (Militär-)Historiker  Hubert Speckner  stieß indes im Rahmen seiner Beschäf­tigung mit der  auf­grund der dor­tigen Vor­komm­nisse poli­tisch ange­ord­neten Ver­legung von Ein­heiten des Bun­des­heeres an die öster­reich-ita­lie­nische Grenze in Nord- und Ost­tirol auf äußerst bri­sante Ver­schluß­akten im Öster­rei­chi­schen Staats­archiv. Als er sie erschloß, erschien ins­be­sondere ein von ita­lie­ni­scher Seite als blu­tigstes Attentat  Süd­ti­roler Wider­stands­kämpfer der 1960er Jahre gebrand­markter Vorfall, den Rom als Hebel benutzte, um Wiens EWG-Asso­ziation zu unter­laufen, in einem gänzlich anderen Licht. Denn er erkannte alsbald, dass die sogleich auch von der öster­rei­chi­schen  Regierung als zutreffend erach­teten  Beschul­di­gungen von ita­lie­ni­scher Seite gegen die der Tat bezich­tigten und in Öster­reich in Haft genom­menen Per­sonen, Erhard Hartung, Peter Kie­nes­berger und Egon Kufner, äußerst zwei­felhaft waren.  Die Genannten, Akti­visten des BAS,  sollen den Mast einer Über­land­leitung gesprengt und eine Spreng­stoff­vor­richtung im unmit­telbar benach­barten Gelände ange­bracht haben, bei deren Deto­nation drei ita­lie­nische Mili­tär­an­ge­hörige getötet und einer schwer ver­letzt worden seien.

Die BAS-Leute waren später in einem Prozess in Florenz in Abwe­senheit zu hohen (Kufner) bis lebens­langen Haft­strafen (Hartung, Kie­nes­berger) ver­ur­teilt, in  Öster­reich hin­gegen  „in dubio pro reo“ frei­ge­sprochen worden, wor­aufhin nach staats­an­walt­schaft­lichem Ein­spruch Bun­des­prä­sident Kirch­schläger zur hellen Empörung Roms die Ein­stellung des Ver­fahrens ver­fügte.  Speckner konnte in seiner umfang­reichen Studie „,Zwi­schen  Porze und Roß­kar­spitz …‘ Der ‚Vorfall‘ vom 25. Juni 1967 in den öster­rei­chi­schen sicher­heits­dienst-lichen Akten“, Wien (Verlag Gra&Wis) 2013, auf­grund zahl­reicher Akten­stücke den Nachweis führen, dass sich besagtes Geschehen an der Por­ze­scharte  kei­nes­falls so abge­spielt haben konnte, wie es offi­ziell  dar­ge­stellt wurde und in his­to­risch-poli­ti­schen Publi­ka­tionen seinen Nie­der­schlag fand, zumal es begründete Ver­dachts­mo­mente gab und gibt, dass die ita­lie­ni­schen Mili­tär­an­ge­hö­rigen dort über­haupt nicht zu Tode gekommen sein dürften. Es zeigten sich überdies gewichtige Indizien, die dafür sprechen, dass die Tat mit hoher Wahr­schein­lichkeit  einer fin­gierten Aktion des ita­lie­ni­schen Mili­tär­ge­heim­dienstes SIFAR/SID/SISMI  sowie dem damit ver­quickten  „Gladio“-Arm  der geheim „Stay behind“-Organisation der Nato zuzu­schreiben sein dürfte.

In „Zwi­schen ‚Feu­er­nacht‘ und ‚Por­ze­scharte‘…. Das ‚Süd­tirol-Problem‘ der 1960er Jahre in den öster­rei­chi­schen sicher­heits­dienst­lichen Akten“,  seiner auf­se­hen­er­re­genden und doppelt umfang­reichen Studie von 2016 (Wien, Verlag Gra&Wis), unter­suchte Speckner  mehr als 50 Fälle, welche sich im Rahmen des bri­santen  Süd­tirol-Kon­flikts  zwi­schen  Dezember 1955 bis  März 1970 zutrugen.  Seine darin luzide auf­be­reitete und minutiös aus­ge­breitete Auf­ar­beitung der Gescheh­nisse machte deutlich,  wie weit und gra­vierend die offi­zielle Dar­stellung von der Aktenlage des von im Staats­archiv auf­ge­fun­denen sicher­heits­dienst­lichen Bestandes abwichen. Zudem ergänzte er seine Befunde aus den Pri­mär­quellen der öster­rei­chi­schen Staats­po­lizei (StaPo) mittels der durch in zahl­reichen Gesprächen mit den Frei­heits­kämpfern des BAS gewon­nenen Aus­sagen, was his­to­rio­gra­phisch durch „Oral history“ seine metho­dische Recht­fer­tigung findet. Die von Speckner erschlos­senen sicher­heits­dienst­lichen Akten erbrachten in vielen dieser Fälle neue, von der For­schungslage bis dahin abwei­chende Sicht­weisen,  Erkennt­nisse und Ergeb­nisse sowohl auf die Gescheh­nisse im Ein­zelnen, als auch auf die gesamte Süd­tirol-The­matik bezogen.

Hier bestellen

Expertise von Fachleuten

Schließlich stellt Speckner im Zusam­men­wirken mit fun­dierten Exper­tisen  amtlich aner­kannter Fach­leute in seinem  soeben im Verlag effekt! (Neu­markt a.d. Etsch) erschie­nenen  Buch mit dem Titel „Pfit­scherjoch Steinalm Por­ze­scharte — Die drei ‚merk­wür­digen  Vor­fälle‘ des Höhe­punktes der Süd­ti­roler Bom­ben­jahre 1966 und 1967“ auf Ratio­na­lität fußende, exquisite  Weise  jene  echoreichsten, blu­tigste Fällen vom Kopf auf die Füße und führt damit deren amt­liche ita­lie­nische Dar­stel­lungen ad absurdum. So im Falle eines tod­brin­genden Ereig­nisses am Pfit­scherjoch, das sich am 23. Mai 1966 ereignet hatte. Dort war in einem neben dem Pfit­scherjoch-Haus gele­genen Stütz­punkt von  Guardia di Finanza, Cara­bi­nieri und Alpini-Sol­daten infolge einer Explosion ein Ange­hö­riger der Finanz­wache ums Leben gekommen. Laut der „offi­zi­ellen“ ita­lie­ni­schen Version des Geschehens habe er während des Patrouil­len­gangs die Tür zum Schutzhaus geöffnet, worauf eine Spreng­ladung von ungefähr 50 kg Spreng­stoff explo­diert sei. Wie bei ähnlich gela­gerten Vor­fällen in den 1960er  Jahren „wussten“ ita­lie­nische  Medien wie Politik,  dass die gewaltige, das Gebäude nahezu völlig zer­stö­rende Explosion von „Ter­ro­risti“ ver­ur­sacht worden sei. Noch heute hält das Museum der Finanzer-Truppe in seiner offi­zi­ellen Dar­stellung fest,  dass „der Anschlag, der auch den Ein­sturz der Kaserne zur Folge hatte, ent­puppte sich als Werk der Süd­ti­roler Sepa­ra­tis­ten­or­ga­ni­sation Befrei­ungs­aus­schuss Süd­tirol (BAS)“, die „die gewaltige Ladung wenige Tage zuvor instal­liert“ gehabt hätten. Und alsbald wurden die vier „Puschtra Buibm“ („Pus­terer Buben“)  Sieg­fried Steger, Josef Forer, Heinrich Ober­leiter und Heinrich Ober­lechner, die Italien meh­rerer Anschläge — dar­unter 1964 den nie bewie­senen und von der spä­teren Aussage eines seiner Came­raden von jemandem anderem dafür ver­ant­wortlich gemachten Mord am  Cara­bi­niere Vittorio Tiralongo in Mühlwald bei Taufers bezich­tigte – als Täter beschuldigt.

Der Beur­teilung meh­rerer dama­liger Spreng­sach­ver­stän­diger  – dar­unter eines Experten des Ent­schär­fungs­dienstes des öster­rei­chi­schen Innen­mi­nis­te­riums – zufolge weist die Auf­nahme des Getö­teten ebenso wie die Fotos von der zer­störten Holz­hütte ursächlich auf eine Gas­ex­plosion in der Küche der Schutz­hütte hin, wäh­rend­dessen sich das Opfer  in der Toi­lette direkt neben dem Explo­si­onsherd auf­ge­halten haben dürfte. Auch das auf den offi­zi­ellen Tat­ort­fotos der Guardia di Finanza zu erken­nende  ein­ge­sackte Dach der Hütte wider­spreche mit aller Deut­lichkeit der Ver­wendung von Spreng­stoff, noch dazu in der erwähnten Menge von 50 kg: dies­falls wäre das Dach, anstatt in sich zusam­men­zu­sacken vielmehr  in Trümmern in die Luft geflogen.

Speckners aus den von ihm ent­deckten und erstmals  aus­ge­wer­teten Archi­valien ermit­telten Ergeb­nissen, wonach sich der Pfit­scherjoch-Vorfall „also kaum so zuge­tragen haben konnte  wie von offi­zi­eller ita­lie­ni­scher Seite dar­ge­stellt“, ist von unlängst vor­ge­nom­menen, mit modernen natur­wis­sen­schaftlich-spreng­tech­ni­schen  Instru­men­tarien fußenden umfang­reichen Unter­su­chungen durch Experten so erhärtet worden, dass sie der Wahrheit des Geschehens zwei­felsfrei am nächsten kommen und somit als bewiesen gelten dürfen. So allein schon durch die Fall­be­ur­teilung des Spreng(mittel)experten Max Ruspeck­hofer, der in seiner „COLD CASE PFIT­SCHERJOCH — Wie ein Unfall zu einem Anschlag wurde“ kurz und bündig fest­stellt: „Wenn man alle diese Dinge in Betracht zieht, bleibt eigentlich nur mehr eine einzige Schluss­fol­gerung übrig: Es han­delte sich bei diesem Ereignis nicht um ein Attentat, bei dem bewusst der Tod von Men­schen in Kauf genommen wurde, sondern um einen tra­gi­schen Unfall“.  Und eine letzt­ver­ge­wis­sernde Expertise durch den beei­deten unab­hän­gigen Sach­ver­ständige Prof. Dr. Ing. Harald Hasler, welche zudem durch dessen bal­lis­tische Berech­nungen in Bezug auf das Ver­halten von Per­sonen bei Explo­sionen auf Grundlage der inter­na­tional aner­kannten Basis­li­te­ratur TNO Green Book (Methods for the deter­mi­nation of pos­sible damage to people and objects resulting from releases of hazardous mate­rials) kom­plet­tiert wurden, unter­mauert nicht nur Ruspeck­hofers Befund, sondern stellt die amt­liche ita­lie­nische gänzlich in Abrede. Vielmehr steht für ihn zwei­felsfrei fest, dass „auf­grund der fest­ge­stellten tech­ni­schen Tat­sachen und Sach­ver­halte zwei­felsfrei klar [ist], dass sich der akten­kundig beschriebene Vorfall am 23. Mai 1966 am Pfit­scherjoch mit an Sicherheit gren­zender Wahr­schein­lichkeit so NICHT ereignet haben kann. Alle Indizien sprechen ein­deutig für eine Gas­ex­plosion. Sach­ver­halts­dar­stel­lungen, Fach­be­ur­tei­lungen und ent­schei­dende Schluss­fol­ge­rungen aus den vor­lie­genden Akten  sind  in keinster Weise nach­voll­ziehbar, man­gelhaft und unter­liegen keinen fachlich fun­dierten und objektiv ermit­telten gerichts­ver­wert­baren Erkenntnissen.“

 Sozu­sagen analog dazu ergaben sich für Speckner wie für die bei­gezo­genen Sach­ver­stän­digen in der „Causa Steinalm“ ähnlich geartete  Ergeb­nisse. Knapp fünf Monate nach dem Geschehen am rund um das Pfit­scherjoch-Haus waren zufolge  einer Explosion in einem kaser­nierten Stütz­punkt der Guardia di Finanza (Finanz­wache) auf der Steinalm nahe dem Bren­nerpass zwei Finanz­wache-Sol­daten  ums Leben gekommen, ein schwer­ver­letzter ver­starb starb wenige Tage später. Bis heute werden in Italien drei BAS-Akti­visten, dar­unter der legendäre Frei­heits­kämpfer und Schüt­zen­major Georg („Jörg“) Klotz, des „blut­rüns­tigen Anschlags“ bezichtigt und poli­tisch sowie jus­tiz­amtlich der Tat beschuldigt. Klotz‘ Frau Rosa, geborene Pöll, eine Grund­schul­leh­rerin,  deren mutigem, auf­op­fe­rungs­reichem und ent­sa­gungs­vollen  Leben ihre Tochter jüngst eine warm­herzige Bio­graphie widmete (Eva Klotz: Rosa Pöll – Die Frau des Frei­heits­kämpfers“; Neumarkt/Etsch, effekt!-Verlag 2022), war dar­aufhin ver­haftet und für 14 Monate ein­ge­kerkert, ihre sechs Kinder Ver­wandten und Nachbarn über­stellt worden, da der Vater nach­weislich in Öster­reich im Exil war und auch die beiden anderen Beschul­digten hieb- und stich­feste Alibis hatten. 

Wider­sprüch­liche Darstellungen

Wenn­gleich damals schon zahl­reiche Gut­achten, die von meh­reren Sach­ver­stän­digen zu dem Vorfall auf der Steinalm ange­fertigt worden waren, die Explosion einer Gas­flasche, oder die Deto­nation einer Kiste mit Hand­gra­naten in deren unmit­tel­barer Nähe, als ursächlich für den Tod der Finanzer sowie die Zer­störung des Stütz­punktes ansahen, blieb und bleibt Rom geradezu dok­trinär bei seiner Her­gangs­version und der Täter­be­schul­digung und wies, wie stets bei der­ar­tigen Vor­fällen, Wien eine „Mit­schuld“ zu, da die öster­rei­chi­schen Behörden zu wenig gegen den Ter­ro­rismus in Italien unternähmen.

Dass diese offi­zielle römische Schuld­zu­schreibung zu ver­werfen ist, zeigt eigentlich allein schon Speckners Durch­leuchtung des dama­ligen Vor­falls, zudem unter­mauert die eigens durch­ge­führte  neue wis­sen­schaftlich begründete Begut­achtung durch den Sach­ver­stän­digen Hasler seine akten­mäßig erschlos­senen  his­to­ri­schen Ergeb­nisse.  Hasler stellt nämlich auf­grund seiner umfang­reichen Befunde, einer foren­si­schen, kri­mi­nal­tech­ni­schen Analyse sowie der Bewertung der ange­führten ein­zelnen Sach­ver­halte unum­wunden fest,  „dass sich der akten­kundig beschriebene Vorfall am 9. Sep­tember 1966 auf der Steinalm mit an Sicherheit gren­zender Wahr­schein­lichkeit so NICHT ereignet haben konnte“. Infol­ge­dessen ver­wirft er die dem dama­ligen Gerichts­ver­fahren und Urteil zugrund­le­genden Ergeb­nisse ita­lie­ni­scher Gut­achter, indem er kon­sta­tiert, sie unter­lägen „keinen fachlich fun­dierten und objektiv ermit­telten gerichts­ver­wert­baren Schluss­fol­ge­rungen“.

Schließlich der an Tragik und Ver­werf­lichkeit des amt­lichen Wirkens ita­lie­ni­scher Politik wie Justiz und Agierens der Medien sowie des publi­zis­ti­schen ebenso wie des gene­rellen wis­sen­schaftlich und his­to­rio­gra­phi­schen Nach­halls  im Blick auf die „Süd­ti­roler Bom­ben­jahre“ wohl kaum zu über­tref­fende „Fall Por­ze­scharte“.  In einer Auf­listung von (nach heu­tigen Erkennt­nissen angeb­lichen) Ter­ror­an­schlägen, die einer Wien über­mit­telten diplo­ma­ti­schen „Ver­balnote“ des römi­schen Außen­mi­nis­te­riums vom 18. Juli 1967 bei­geheftet ist, wird das Geschehen auf der Por­ze­scharte am 25. Juni 1967 wie folgt „klar und ein­deutig“ beschrieben: „Sprengung des Mastes einer Hoch­span­nungs­leitung  durch eine mit Uhrwerk ver­sehene Spreng­vor­richtung. Während des Lokal­au­gen­scheins tritt der Alpini-Soldat Armando Piva auf eine Tretmine und ver­ur­sacht eine Explosion. Infolge der schweren Ver­let­zungen stirbt der Soldat kurz darauf im Zivil­kran­kenhaus von Innichen. Gegen 15 Uhr des­selben Tages gerät eine Feu­er­werker-Truppe nach Säu­berung des um den Hoch­span­nungsmast gele­genen Geländes in eine weitere Minen­falle. Die Explosion ver­ur­sacht den Tod des Kara­bi­nie­ri­haupt­manns Fran­cesco GENTILE, des Fall­schirm­jä­ger­leut­nants Mario DI Legge und des Fall­schirm­jäger-Unter­of­fi­ziers Olivo TOZZI [sic!, der richtige Name ist DORDI], sowie schwere Ver­letzung des Fall­schirm­jäger-Feld­webels Mar­cello FAGNANI. Am Tatort wurde ein Gerät mit der Auf­schrift B.A.S. aufgefunden.“

Schon von Anfang an hatten sich daran jedoch äußerst auf­fällige Wider­sprüche ergeben. Bereits am 26. Juli, also einen Tage nach den ersten ita­lie­ni­schen Mel­dungen, die öster­rei­chische Stellen über­mittelt worden waren, ließ sich der Ost­ti­roler Bezirks­hauptmann Dr. Dob­lander mit einem Hub­schrauber  an den Ort des Geschehens bringen.  Das Ergebnis seines Erkun­dungs­fluges meldete die Sicher­heits­di­rektion für Tirol an das öster­rei­chische Innen­mi­nis­terium: „Der Bezirks­hauptmann schließt, mit 100 %-iger Sicherheit‘ aus, daß in der Nähe dieses Mastes eine andere Explosion erfolgt ist. Es konnten weder Fuß­spuren noch Blut­spuren noch irgendwie andere Spuren fest­ge­stellt werden, die darauf hin­deuten würden, daß sich hier mehrere Men­schen befunden haben. Der ita­lie­nische Grenz­trupp soll aber aus 25 Per­sonen bestanden haben. Die Anwe­senheit dieser 25 Per­sonen in der Nähe dieses Mastes hält der Bezirks­hauptmann auf Grund der Bodenlage und ‑beschaf­fenheit für aus­ge­schlossen.“ Dies deckte sich mit dem Inhalt eines Akten­vermerk der Tiroler Sicher­heits­di­rektion auf­grund von Angaben der Öster­rei­chi­schen  Ver­bund­ge­sell­schaft, wonach zwei deren Mon­teure aus dem Standort Lienz in Begleitung eines Gen­dar­me­rie­be­amten am 27. Juni  auf der Por­ze­scharte zur Scha­dens­be­gut­achtung an der Leitung von Lienz nach Pelos waren. In besagtem Akten­vermerk wurde dar­aufhin fest­ge­halten:  „Im näheren Bereich des Mastes auch auf ita­lie­ni­schem Gebiet konnte außer einem Zettel, ita­lie­nisch beschriftet, einigen Drähten, keine Spuren gefunden werden, die auf Minen­ex­plo­sionen und vor allem auf das Ver­un­glücken von Men­schen schließen lassen. Es wäre anzu­nehmen, daß in solchen Fällen Ver­band­reste, Blut­spuren oder ähn­liches wahr­nehmbar gewesen wäre. Außer einem weit ent­fernten Posten in der meist besetzten Kaverne aus dem 1. Welt­krieg waren im gesamten Bereich weder Grenz­schutz­organe, Militär noch Arbeiter zu bemerken.“ 

Der „blu­tigste Terrorakt“

Fest steht, dass die alsbald für „den blu­tigsten Ter­rorakt“ ver­ant­wortlich gemachten und in Inns­bruck in Unter­su­chungshaft genom­menen Akti­visten des Süd­ti­roler Frei­heits­kampfs Erhard Hartung (Arzt), Peter Kie­nes­berger (Elek­triker) und Egon Kufner (Soldat) in der betref­fenden Nacht im Juni 1967 gemeinsam am Ort des Geschehens waren. Sie waren Peter Kie­nes­berger am 24. nach Ein­bruch der Dun­kelheit  – um vom Alpini-Stütz­punkt For­cella Dignas aus nicht gesehen zu werden –, in Richtung Por­ze­scharte auf­ge­stiegen, um, wie sie stets beteuer(te)n, dort einen ver­wun­deten Süd­ti­roler BAS-Mann zu über­nehmen, das Vor­haben aber auf­grund von unüb­lichen Wahr­neh­mungen des durch viele ähn­liche Ein­sätze erfah­renen Kie­nes­berger, der sie als mög­liche ita­lie­nische Falle  deutete,   abbrachen.  Buch­autor Speckner arbeitete heraus, dass Kie­nes­bergers Erkenntnis, in dieser Nacht nicht allein auf der Por­ze­scharte zu sein,  mit einiger Sicherheit der Wirk­lichkeit ent­sprochen haben dürfte. Vehement stell(t)en Hartung und Kufner, die beiden noch Lebenden – Kie­nes­berger ver­starb 2015 —  das von ita­lie­ni­scher Seite unter­stellte Ziel der gezielten Tötung von Ange­hö­rigen der ita­lie­ni­schen Sicher­heits­kräfte mittels Minen in Abrede. Die in Italien ver­ur­teilten und dort nach wie vor von Inhaf­tierung bedrohten, in Öster­reich hin­gegen frei­ge­spro­chenen beiden lebenden Akti­visten beteuern in aller Klarheit, mit dem Tod der vier ita­lie­ni­schen Sol­daten am 25. Juni 1967 nicht das Geringste zu tun zu haben, was in den öster­rei­chi­schen Gerichts­ver­fahren, dem damals zugrun­de­lie­genden, von ihren Ver­tei­digern initi­ierten Gut­achten sowie von den  in Speckners vor­ge­legtem Buch ein­ge­gan­genen jüngsten Sach­ver­stän­digen- Exper­tisen unter­mauert wird.

Nach ita­lie­ni­scher Dar­stellung der Ereig­nisse um den 25. Juni 1967, welche unter Druck, dem sich Wien nicht wider­setzte, vom poli­ti­schen Öster­reich und dessen Sicher­heits- sowie par­tiell auch Jus­tiz­or­ganen letztlich über­nommen worden ist, soll die Gruppe Kie­nes­berger binnen einer halben Stunde den Strommast direkt an der Grenze doppelt vermint und zwei perfekt getarnte Spreng­fallen derart optimal verlegt haben, dass sie ihr mör­de­ri­sches Ziel erreicht hätten. Fest­zu­halten ist, dass diese Dar­stellung trotz aller neuen Archiv­funde und seit 2013 erschie­nenen Publi­ka­tionen, welche sie erheblich in Zweifel ziehen, als allein­gültige ange­sehen wird – in Italien sowieso – und auch von einigen His­to­rikern, ins­be­sondere in Süd­tirol, geteilt wird. Dies vor­nehmlich infolge des ideo­lo­gisch moti­vierten „erkennt­nis­lei­tenden Inter­esses“ und merk­licher Bedacht­nahme  auf die vielfach obwal­tende „poli­tische Kor­rektheit“, wonach die „Por­ze­scharte-Atten­täter“ aus Öster­reich „ein­deutig dem Rechts­extre­mismus zuzu­rechnen“ seien.

Wie sich in Speckners  vor­lie­gendem  Buch zeigt, miss­achtet die erwähnte Über­nahme der ita­lie­ni­schen  Dar­stellung die sicher­heits­dienst­liche Aktenlage sowie die spreng­tech­ni­schen und natur­wis­sen­schaft­lichen Bedin­gungen des Geschens(ablaufs) auf der Por­ze­scharte. Diese werden in den darin ent­hal­tenen gut­ach­ter­lichen Stel­lung­nahmen der Sach­ver­stän­digen Ruspeck­hofer und Hasler aus­führlich erörtert.  So resü­miert Max Ruspeck­hofer  die von ihm ange­stellten umfäng­lichen spreng­tech­ni­schen Ana­lysen und fasst deren Erge­bisse unum­wunden in der aus­sa­ge­kräf­tigen Fest­stellung „ein Attentat das keines war“ zusammen.

Hasler stellte nach vier Jahren umfang­reicher wis­sen­schaft­licher Feld­ver­suche Rekon­struk­tionen zu dem Vorfall und den beschrie­benen Sach­ver­halten im Detail zusammen. In foren­si­schen Unter­su­chungen wurden die auf­grund der vor­han­denen Akten sich erge­benden Sach­ver­halte in nach  modernsten, aus  naturwissenschaftlich-(spreng)technischen  Erkennt­nissen gewon­nenen Methoden  auf Plau­si­bi­lität sowie Repro­du­zier­barkeit hin über­prüft und bewertet sowie schließlich den akten­kun­digen Ergeb­nissen gegen­über­ge­stellt. Der Gut­achter stellte zusam­men­fassend fest: „Auf­grund der sehr umfang­reichen Befund­auf­nahme, der Feldversuche/ Rekon­struk­tionen sowie Detail­ana­lysen der ein­zelnen Sach­ver­halte zu den akten­kun­digen Angaben der Ereig­nisse vom 25. Juni 1967 auf der Por­ze­scharte kann […..]mit an Sicherheit gren­zender Wahr­schein­lichkeit gesagt werden, dass sich die Ereig­nisse so NICHT ereignet haben können. Die doku­men­tierten Ereig­nisse sind nicht im Ansatz repro­du­zierbar, absolut uner­klärbar und nicht im Ansatz nach­voll­ziehbar. […..] Prak­tische Feld­ver­suche bei denen die Sprengung vom 25.06.1967 mehrmals mit bal­lis­ti­scher Gelatine, huma­noiden  Dummies und Indi­ka­toren nach den Akten­an­gaben wis­sen­schaftlich hin­ter­fragt und nach­ge­stellt wurden“, belegten dies „ein­deutig und zwei­felsfrei“. 

Speckners (im Verlag effekt!, Neumarkt/Etsch) unter dem Titel „Pfit­scherjoch Steinalm Por­ze­scharte. Die drei ‚merk­wür­digen Vor­fälle‘ des Höhe­punktes der Süd­ti­roler Bom­ben­jahre in den Jahren 1966 und 1967“ erschie­nenes und mit bisher unbe­kannten sowie sich aus dem Wirken der Gut­achter erge­benden Illus­tra­tionen Buch schließt mit einem anlass­be­zo­genen  poin­tierten Über­blick über jene überaus beach­tens­werten geheim­dienst­lichen Akti­vi­täten in Italien, welche  vor allem im Zusam­menhang mit der Süd­tirol-Pro­ble­matik von Belang und Sub­stanz sind. 

Ehre und Unehre

Abschließend ist fest­zu­halten, dass der Beharr­lichkeit und Ziel­stre­bigkeit  des ein­schlägig aus­ge­wie­senen  Autors das Haupt­ver­dienst zukommt, in gründ­lichen Forschung(sarbeit)en den Nachweis erbracht zu haben, dass für die Anschläge von 1966 und 1967 auf dem Pfit­scherjoch, der Steinalm und der Por­ze­scharte  kei­neswegs unter die Ver­ant­wortung der  Frei­heits­kämpfer des BAS zu rubri­ziert werden dürfen,  sondern ent­weder als Unfälle zu ver­buchen sind oder den von höchsten Stellen, Amts­trägern und Poli­tikern des Staates ange­ord­neten und/oder  gebil­ligten Umtriebe natio­na­lis­tisch-auto­ritär gesinnter ita­lie­ni­schen Geheim­dienste und darin wir­kenden Funk­ti­ons­trägern anheim­zu­stellen sind. Es gereicht Italien eben­so­wenig wie einer gewissen Spezies der His­to­riker- wie der Poli­to­lo­gen­zunft nicht zur Ehre, dass es trotz längst dingfest gemachter Wider­sprüch­lich­keiten und nach­ge­wie­sener Unrich­tig­keiten unnach­giebig die Absicht zu ver­folgen scheint,  an seinen bzw. ihren her­kömm­lichen Dar­stel­lungen fest­zu­halten. Und allen in die Süd­tirol-Frage invol­vierten Amts- und Funk­ti­ons­trägern in Politik, Justiz, Wis­sen­schaft und Medien Öster­reichs und Tirols als Ganzes ist leider der Vorwurf nicht zu ersparen, ange­sichts aller neuen Erkennt­nisse, die sie auf­rütteln müssten, vor diesem untrag­baren Zustand die Augen zu verschließen.

REYNKE DE VOS