Vom mora­li­schen und wirt­schaft­lichen Wohl der Steu­er­hin­ter­ziehung — eine moral­phi­lo­so­phische und öko­no­mische Kritik

Dieser Vortrag ist bereits im Jahr 2013 als Artikel erschienen. Das Thema Steuern und Steu­er­hin­ter­ziehung war damals in aller Munde, nicht zuletzt wegen Uli Hoeneß. Heute ist Alfons Schuhbeck in den Schlagzeilen.

(von Prof. Dr. Hans-Hermann Hoppe)

Lassen Sie mich mit einem Zitat von dem von mir hoch geschätzten H.L. Mencken beginnen, der einst, in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahr­hun­derts, einer der berühm­testen ame­ri­ka­ni­schen Jour­na­listen und Kultur- und Gesell­schafts­kri­tiker war.

Mencken schrieb zum Thema Fol­gendes (meine Übersetzung):

Der Mann auf der Straße, Otto Nor­mal­ver­braucher, was immer auch sonst seine Fehler oder Irr­tümer sein mögen, erkennt doch zumindest klar, dass die Regierung etwas ist, was außerhalb des nor­malen mensch­lichen Zusam­men­lebens liegt – dass es eine separate, unab­hängige und oft feind­liche Macht ist, allen­falls teil­weise unter seiner Kon­trolle und in der Lage ihm großen Schaden zuzu­fügen. … Ist es ein bedeu­tungs­loser Zufall, dass überall die Beraubung des Staates durch Steu­er­hin­ter­ziehung als ein gerin­geres Übel ange­sehen wird als der Raub an einem Indi­viduum oder auch einem Unter­nehmen? … Wenn eine Pri­vat­person beraubt wird, dann wird ein ver­dienst­voller Mensch um die Früchte seines Fleißes und seiner Spar­samkeit gebracht. Wenn dagegen eine Regierung beraubt wird, ist es das Schlimmste, was pas­sieren kann, dass gewisse Schurken und Faul­lenzer weniger Geld zu ver­prassen haben als zuvor. Die Vor­stellung, dass sie dieses Geld ver­dient haben, unterhält niemand; für die meisten Per­sonen, die bei Sinnen sind, erscheint sie geradezu lächerlich. Es sind einfach Gauner, die auf­grund von Rechts­un­fällen den zwei­fel­haften Anspruch auf einen Anteil an den Erträgen ihrer Mit­men­schen erheben. Wenn dieser Anteil durch private Initiative ver­ringert wird, ist das Resultat ins­gesamt im Großen und Ganzen weit lobens­werter als andern­falls. (A Mencken Chres­to­mathy [New York: Vintage Books, 1949] S. 146–147)

Wenn ich mir die im Internet ver­öf­fent­lichten Leser­briefe zum Fall Hoeneß anschaue, frage ich mich, ob Mencken bei seiner Ein­schätzung des gesunden Men­schen­ver­standes bei Otto Nor­mal­ver­braucher nicht doch zu zuver­sichtlich und opti­mis­tisch war. Dass die Poli­tiker aller Par­teien hass­erfüllt über Herrn Hoeneß her­fallen würden, hatte ich nicht anders erwartet. Schließlich sind sie es ja, die sich ihre Gehälter, ihr Gut­men­schentum, ihre Spielchen und ihre Gespie­linnen von Herren wie Hoeneß finan­zieren lassen und die barmen müssten, wenn diese Finan­zierung aus­bliebe. Doch auch Otto Nor­mal­ver­braucher scheint ent­rüstet über das Ver­gehen der Steu­er­hin­ter­ziehung. Aber viel­leicht ist das alles auch nur eine Täu­schung, und es ist gar nicht Otto Nor­mal­ver­braucher, der Leser­briefe im Internet schreibt. Ich kann nur hoffen, dass es so ist. Oder, und ich fürchte dies ist der Fall, Otto Nor­mal­ver­braucher ist seit den Tagen Men­ckens schlicht und einfach ein­fäl­tiger geworden – oder gemacht worden – und intel­lek­tuell und mora­lisch degeneriert.

Wie dem auch sei, ich will im Fol­genden zeigen, warum die von Mencken beschrie­benen Nor­mal­bürger nicht nur recht haben, sondern, dar­über­hin­aus­gehend, warum es nicht die soge­nannten Steu­er­hin­ter­zieher wie Uli Hoeneß sind, die mora­lisch ver­ur­teilt werden sollten, sondern umge­kehrt die­je­nigen, die diese Steuern beschließen und ein­treiben, also unsere „hoch­ver­ehrten“ Poli­tiker. Und ich will zeigen, dass Steuern nicht nur Dieb­stahl im mora­li­schen Sinne sind und Regie­rungen darum auch als „sta­tio­näres Ban­di­tentum“ bezeichnet wurden, sondern dass Steuern vielmehr auch wirt­schaft­licher Unsinn sind und den Volks­wohl­stand sys­te­ma­tisch verringern.

Natur­gemäß werden Poli­tiker, die ja mit und aus Steuern bezahlt werden, diese als gerecht­fertigt und legitim erklären und Steu­er­hin­ter­zieher als kri­minell hin­stellen. Und sie werden bei diesem Unter­fangen eifrig von einer ganzen Meute eben­falls steu­er­fi­nan­zierter „Intel­lek­tu­eller“ unter­stützt. Aber auch der größte Eifer und die größten intel­lek­tu­ellen Ver­ren­kungen können die Tat­sachen nicht aus dem Wege schaffen.

Zunächst – wer wollte das bestreiten: Offen­sichtlich sind Steuern keine normale, frei­willige Zahlung für Güter und Dienst­leis­tungen, da es nicht gestattet ist, diese Zah­lungen ein­zu­stellen, falls man mit dem Produkt unzu­frieden ist. Man wird nicht bestraft, wenn man aufhört, VW-Autos zu kaufen – und damit das Gehalt des VW-Vor­standes und sämt­licher VW-Arbeiter zu zahlen. Aber man wird ins Gefängnis geworfen, wenn man sich weigert, für den Ber­liner Regie­rung­spomp und ‑protz auf­zu­kommen – und damit das Gehalt der Spit­zen­po­li­tiker und Kon­sorten sowie sämt­licher Staats­be­diens­teten zu zahlen.

Wenn man Steuern dennoch als gerecht und eine Zah­lungs­ver­wei­gerung als unge­recht hin­stellen will, dann gibt es dafür nur einen argu­men­ta­tiven Ausweg. Man muss ver­suchen, zu argu­men­tieren, dass Steuern irgendwie irgendeine ver­trag­liche Grundlage haben und Steu­er­hin­ter­zieher deshalb irgendwie eines Ver­trags­bruchs schuldig sind. Aber auch diese Ver­suche, Steuern zu recht­fer­tigen, sind allesamt zum Scheitern verurteilt.

So hat man zum Bei­spiel ver­sucht, Steuern als so etwas wie Miet­zah­lungen hin­zu­stellen, als Nut­zungs­ge­bühren, so wie sie ein Mieter an seinen Ver­mieter ent­richtet. Doch dann müsste zum Bei­spiel der deutsche Staat der Eigen­tümer ganz Deutsch­lands und der Hausherr aller Deut­schen sein. Und um das zu sein, müsste er zwei Dinge nach­weisen können: Erstens, dass der Staat, und niemand sonst, Eigen­tümer jeden Qua­drat­zen­ti­meters deut­schen Bodens ist, und zweitens, dass er mit jedem ein­zelnen Deut­schen einen Miet­vertrag betreffend die Nutzung und den Preis dieses Eigentums geschlossen hat. Kein Staat – weder der deutsche, der US-ame­ri­ka­nische oder irgendein anderer – kann diesen Nachweis führen. Es gibt schlicht und einfach keine ent­spre­chenden Grund­pa­piere und es gibt keine ent­spre­chenden Miet­ver­träge. Das Argument vom Steu­er­zahler qua Miet­zahler scheitert also eklatant an den Tatsachen.

Darum hat man ver­sucht, sich ein anderes Recht­fer­ti­gungs­ar­gument aus­zu­denken, das etwa so läuft: Zuge­geben, Steu­er­zahler haben gegenüber dem Staat keine ver­trag­liche Zah­lungs­ver­pflichtung so wie sie ein Mieter gegenüber seinem Ver­mieter hat, aber dennoch machen sie sich eines Ver­trags­bruchs schuldig, sollten sie ihre Steuern nicht zahlen. Wie? Warum? Weil sie angeblich auf einer höheren Ebene – hoch­trabend heißt das dann auf der „Meta­ebene“ – ihre Zustimmung zur Besteuerung gegeben haben, indem sie einem „höheren“ Gesetz, nämlich der Ver­fassung, ihre Zustimmung gegeben haben und diese Ver­fassung ihrer­seits die Besteuerung erlaube. Es sei also gar nicht erfor­derlich, dass man jeder steu­er­lichen Ein­zel­maß­nahme zustimmt, denn man habe dem Staat durch seine Zustimmung zur Ver­fassung gewis­ser­maßen eine Gene­ral­voll­macht aus­ge­stellt. Aber auch dieses Argument scheitert an den Tat­sachen. Denn wo, ach wo, ist die ver­trag­liche Zustimmung zur Ver­fassung? Wo sind die Unter­schriften aller der Ver­fassung angeblich unter­wor­fenen Per­sonen? Ein paar Poli­tiker haben die Ver­fassung einst unter­schrieben und ein paar Poli­tiker beschwören sie heut­zutage. Aber ich habe sie nicht unter­schrieben und so gut wie niemand sonst hat sie unter­schrieben. Wie sollte man sich da einer Ver­trags­ver­letzung schuldig gemacht haben, wenn man sich weigert, Steuern zu zahlen?

Also muss ein wei­teres Argument her. Dies Argument ist in jüngster Zeit von Groß­in­tel­lek­tu­ellen wie John Rawls und James Buchanan wieder auf­ge­wärmt worden. Rawls gilt gemeinhin als „Linker“ und wird uns von den soge­nannten „Auto­ri­täten“ in den „üblichen ver­däch­tigen“ Haupt­strom­medien regel­mäßig als „größter prak­ti­scher Phi­losoph des 20ten Jahr­hun­derts“ auf­ge­tischt, und der Wirt­schafts­no­bel­preis­träger Buchanan gilt gemeinhin als „Rechter“ und wird von den­selben „Auto­ri­täten“ regel­mäßig als „großer, radi­kaler Frei­markt­wirt­schaftler“ ange­priesen. In der Sache jedoch unter­scheidet sich ihr beider Argument in keiner Weise, und wie von offi­ziell appro­bierten Groß­in­tel­lek­tu­ellen kaum anders zu erwarten, ist ihr Argument glei­cher­maßen absurd.

Ihrem Argument zufolge ist es gar nicht not­wendig, einen Vertrag unter­schrieben zu haben, um dennoch einen Vertrag abge­schlossen zu haben. Frei nach dem Motto: kein Vertrag ist doch ein Vertrag. Wie das? Dazu ist es angeblich aus­rei­chend, einen fik­tiven Vertrag zwi­schen fin­gierten, ver­meintlich ver­nünf­tigen Men­schen geschlossen zu haben. Bei Rawls ist das ein hinter einem „Schleier der Unwis­senheit“ abge­schlos­sener Vertrag, und bei Buchanan heißt der­selbe fiktive Vertrag ein „kon­zep­tu­eller Vertrag“. Und mit diesem Trick, mittels fik­tiver oder gedank­licher statt wirk­licher Ver­träge, bean­spruchen Rawls und Buchanan dann sogar noch ein wei­teres Problem „gelöst“ zu haben. Mit echten Ver­trägen ist es offen­sichtlich unmöglich, auch zukünftige Gene­ra­tionen zu binden – wie sollten diese einem Vertrag zuge­stimmt haben und durch ihn gebunden sein? Mit nur gedank­lichen Ver­trägen zwi­schen fin­gierten ver­nünf­tigen Men­schen ist das dagegen keine Schwie­rigkeit mehr. Mittels fik­tiver Ver­träge ist es eine Leich­tigkeit, alle Per­sonen für alle Zeiten als gebunden darzustellen.

Die Lächer­lichkeit dieser Kon­struktion fik­tiver Ver­träge sollte eigentlich offen­sichtlich sein, aber viel­leicht lohnt es sich doch, kurz der Frage nach­zu­gehen, ob es tat­sächlich denkbar ist, dass ver­nünftige Per­sonen einen Vertrag à la Rawls oder Buchanan abschließen könnten. Man stelle sich also vor, eine ver­meintlich ver­nünftige Person mache fol­genden Vor­schlag: Ange­sichts der Rea­lität und Mög­lichkeit zwi­schen­mensch­licher Kon­flikte schlage ich als dau­er­hafte und unauf­lös­liche Ver­ein­barung die Ein­richtung eines Staates vor. Wir gründen eine Insti­tution, die die Befugnis hat, auf einem gege­benen Ter­ri­torium als Letz­trichter tätig zu sein. Der Staat oder, kon­kreter gesagt, der oder die Inhaber und Ver­walter des Staates, haben bei jedem Kon­fliktfall, ein­schließlich aller Kon­flikt­fälle in die sie, die Agenten des Staates, selbst ver­wi­ckelt sind, das letzte Wort darüber, wer in einem Streitfall recht hat und wer unrecht.

Es ist klar, dass Per­sonen, die sich als Inhaber des Staates sehen oder vor­stellen, diese Ver­ein­barung enthu­si­as­tisch begrüßen würden. Was man als Inhaber dieser Ein­richtung doch nicht alles anstellen könnte! Das wäre geradezu toll! Aber ist es denkbar, dass alle ver­nünf­tigen Per­sonen einer solchen Ein­richtung zustimmen könnten? Ich glaube nicht, dass ich sehr wage­mutig bin, wenn ich behaupte, dass das völlig aus­ge­schlossen ist. Eher würde man den Pro­po­nenten eines solchen Vor­schlags als irre und reif für die Klaps­mühle betrachten, als ihm zuzu­stimmen. Denn jede Person, die auch nur halbwegs bei Sinnen ist, würde sofort erkennen, was dieser Vertrag in seiner Kon­se­quenz bedeutet. Der Staat bezie­hungs­weise seine Agenten könnten auf seiner Grundlage Kon­flikte selbst ver­ur­sachen und diese dann immer zu ihren eigenen Gunsten ent­scheiden. Man könnte ange­sichts dessen buch­stäblich nicht mehr seines Lebens und seines Eigentums sicher sein. Man hat kein Recht auf Leben mehr, sondern der Staat lässt uns am Leben – solange er nicht befiehlt, dass wir für seine Inhaber töten und sterben müssen. Und man hat kein Recht auf sein Eigentum mehr, sondern der Staat belässt uns unser Eigentum – solange er nicht beschließt, es uns weg­zu­nehmen und zu ent­eignen. Das heißt, alles private Eigentum wird zu „Fiat“-Eigentum, zu Eigentum von Staates Gnaden. Nur mit einer ganz realen Pistole am Kopf würde man diesem Unsinn zustimmen können, sei es fak­tisch oder auch nur fiktiv.

Wie man es also auch dreht und wendet, man gelangt immer wieder zu dem­selben Schluss: Steuern sind Dieb­stahl und Räu­berei. Es gibt für sie kei­nerlei ver­trag­liche Grundlage, und Steu­er­hin­ter­ziehung ist darum nichts anderes als Selbst­ver­tei­digung gegenüber sta­tio­närem Ban­di­tentum. Es ist moral­phi­lo­so­phisch betrachtet kein Unrecht, sich zu weigern, an Diebe zu zahlen oder sie hin­sichtlich seines Ein­kommens oder Ver­mögens zu belügen. Das bedeutet natürlich nicht, dass es klug und weise ist, dies zu tun und seine Steuern nicht zu bezahlen – immerhin ist der Staat, wie Nietzsche es aus­ge­drückt hat, das käl­teste aller kalten Unge­heuer. Er kann dein Leben rui­nieren und dich zer­stören, wenn du dich seinen Befehlen wider­setzt. Aber es kann keinen Zweifel geben, dass es gerecht ist, seine Steuern nicht zu zahlen. Uli Hoeneß hatte also keinen Grund, sich für sein Ver­halten zu ent­schul­digen. Aber es ist ver­ständlich, dass er es ange­sichts der Über­macht der ihm gegen­über­ste­henden Gruppe der Poli­tiker und ihrer Hel­fers­helfer und der auf­ge­hetzten Bevöl­kerung dennoch getan hat (zumal ihm wohl auch die Argu­mente gefehlt haben, um sein Ver­halten argu­men­tativ stringent zu ver­tei­digen und zum Gegen­an­griff überzugehen).

Damit komme ich zur wirt­schaft­lichen Beur­teilung der Besteuerung. Und gewis­ser­maßen als Übergang zu diesem Thema möchte ich schnell noch ein besonders beliebtes Pro-Steu­er­ar­gument vom Tisch fegen. Sie alle kennen das Argument. Es ist eine weitere intel­lek­tuelle Ver­renkung, um aus einem Nein, einer Ablehnung, ein Ja, eine Zustimmung zu machen. In der ein­fachsten Fassung lautet das Argument so: Ja, Steuern sind Zwangs­ab­gaben, aber dafür erhält man immerhin etwas Wert­volles. Der Staat nimmt mir Steuern, aber er finan­ziert damit, sagen wir, die Asphal­tierung des Weges vor meinem Haus, und er tut mir somit eine Wohltat.

Darauf ist ganz kurz Fol­gendes zu erwidern:

Erstens, es ist nicht sicher, dass es sich tat­sächlich um eine Wohltat handelt. Viel­leicht hasse ich asphal­tierte Wege.

Zweitens, selbst wenn es eine Wohltat sein sollte, so ist es doch eine teure Wohltat, denn die Staats­in­haber ver­langen doch eine von ihnen fest­ge­legte Kos­ten­er­stattung bezie­hungs­weise Auf­wands­ent­schä­digung für ihre Wohl­tuerei, und wenn man das Geld anderer Leute ausgibt, dann ist man mit den Kosten und den Auf­wands­ent­schä­di­gungen bekanntlich sehr viel „groß­zü­giger“ – sprich: nach­läs­siger und ver­schwen­de­ri­scher – als wenn man sein eigenes Geld ausgibt.

Drittens, selbst wenn die Auf­wands­ent­schä­digung Null und die Kosten einer Wohltat tat­sächlich Mini­mal­kosten wären, so ist sie dennoch in jedem Fall eine wirt­schaft­liche Ver­schwendung; denn die Steu­er­zahler hätten ihr Geld für etwas anderes, aus ihrer Sicht Wert­vol­leres aus­ge­geben (sonst hätte man sie ja nicht zwingen müssen!) – was beweist, dass staat­liche Wohl­taten, worin sie auch immer bestehen mögen, im besten Fall immer nur zweit- bezie­hungs­weise nach­rangige Bedürf­nisse befrie­digen. Ihre Befrie­digung erfolgt immer auf Kosten der Befrie­digung erst- und vor­ran­giger Bedürf­nisse und stellt insofern immer eine Ver­geudung knapper Res­sourcen dar.

Und viertens ist es bei Steuern mit einer Ein­mal­zahlung in aller Regel nicht getan. Nachdem ich gezwun­ge­ner­maßen zur Asphal­tierung des Weges vor meinem Haus bei­getragen habe, muss ich anschließend auch für die weitere Auf­recht­erhaltung des asphal­tierten Wegs auf­kommen und eine Weg­nut­zungs­gebühr ent­richten. Zur ersten Ver­geudung knapper Res­sourcen kommt eine weitere hinzu. Ver­geudung wird insti­tu­tio­na­li­siert und perpetuiert.

Mit dem Stichwort „per­p­etu­ierte Ver­geudung“ komme ich zum Kern­punkt meiner Analyse der wirt­schaft­lichen und sozialen Aus­wir­kungen der Besteuerung. Mit der andau­ernden Ver­schwendung knapper Res­sourcen ist es bei Steuern nicht getan. Die Existenz eines Steu­er­staates und ins­be­sondere die Existenz eines demo­kra­ti­schen Steu­er­staates, bei dem die Regie­rungs­in­haber aus Mehr­heits­wahlen her­vor­gehen, hat grund­le­gende Aus­wir­kungen auf die Sozial- und Per­sön­lich­keits-Struktur, deren wirt­schaft­licher Schaden noch uner­messlich viel größer ist.

Zunächst: Jede Steuer bedeutet eine Umver­teilung von Ver­mögen und Ein­kommen. Ver­mögen und Ein­kommen werden ihren Eignern und Pro­du­zenten zwangs­weise genommen und an Per­sonen umver­teilt, die dieses Ver­mögen nicht besessen und dieses Ein­kommen nicht pro­du­ziert haben. Jede zukünftige Akku­mu­lation von Ver­mögen und jede zukünftige Pro­duktion von Ein­kommen wird damit ent-mutigt, und umge­kehrt wird die Kon­fis­kation und der Konsum bestehender, von anderen Per­sonen ver­wal­teter Ver­mö­gens­werte und pro­du­zierter Ein­kommen er-mutigt. Es kommt zur Spaltung der Gesell­schaft in zwei ant­ago­nis­tische Klassen.

Auf der einen Seite gibt es die Pro­du­zenten, die sich ihr Ver­mögen und Ein­kommen auf eigenen Beinen stehend erar­beiten, indem sie etwas leisten und pro­du­zieren, was von frei­willig zah­lenden Kunden nach­ge­fragt und für preiswert erachtet wird. Der Druck auf diese Pro­du­zenten wird umso höher und uner­träg­licher, je höher die ihnen auf­er­legte steu­er­liche Belastung. Je höher die Steuern, umso geringer wird darum die Zahl von Pro­du­zenten und der Andrang auf pro­duktive Tätig­keiten. Auf der anderen Seite gibt es die Steu­er­kon­su­menten, die sich ihr Ver­mögen und Ein­kommen nicht durch Pro­duktion und Verkauf ihrer Pro­dukte im freien Markt ver­schaffen, sondern dadurch, dass sie von den Pro­du­zenten auf­er­legten und abge­knöpften Ver­mögens- und Ein­kom­mens­steuern leben. Je höher das Steu­er­auf­kommen, umso größer wird die Zahl der­ar­tiger Pro­fi­teure und der Andrang auf unpro­duktive Tätig­keiten und Beschäf­ti­gungen. Dass eine Gesell­schaft dadurch nicht reicher, sondern ins­gesamt ärmer wird, sollte sich eigentlich von selbst ver­stehen. Aber das Bild wird noch trüber, wenn man sich die von Zwangs­ab­gaben lebende Klasse, so wie sie sich ins­be­sondere unter demo­kra­ti­schen Bedin­gungen her­aus­bildet, noch etwas genauer unter die Lupe nimmt.

Da gibt es zum einen die soge­nannten Sozi­al­hil­fe­emp­fänger. Stichwort Hartz IV oder neu­er­dings „Bür­gergeld“. Sie bezahlen keine Steuern, sondern ihr Ein­kommen wird voll­ständig aus den Steu­er­zah­lungen pro­duk­tiver Per­sonen bestritten. Sie werden dafür belohnt, dass sie arme Habe­nichtse sind und nichts tun. Und folglich, je größer die Belohnung, umso mehr Habe­nichtse und Nichtstuer gibt es. Armut und Arbeits­lo­sigkeit werden nicht ver­mindert oder gemildert, sondern – ganz im Gegenteil – der Anreiz, sich aus der Armut zu befreien und einer pro­duk­tiven Tätigkeit nach­zu­gehen, wird redu­ziert, und Armut und Arbeits­lo­sigkeit werden ver­größert. Die „Unter­klasse“ wächst und sie wird zu einer per­ma­nenten öko­no­mi­schen Plage für die Pro­duktive Klasse.

Aber die Unter­klasse hat nur wenig Ein­fluss auf die staat­liche Politik. Gewiss, ihre Zahl ist groß, auch „Unter­klassler“ wählen, und als Poli­tiker, der um Stimmen buhlt, muss man darum auch sie irgendwie befrie­digen. Aber es wäre naiv, anzu­nehmen, dass sie einen bestim­menden Ein­fluss auf die Politik haben und zu den Haupt­pro­fi­teuren staat­licher Umver­teilung gehören. Denn schließlich gibt es in aller Regel einen guten Grund, warum manche Per­sonen arme Habe­nichtse sind und andere Per­sonen es zu Wohl­stand gebracht haben. Um es diplo­ma­tisch zu for­mu­lieren: Bei den „Unter­klasslern“ handelt es sich in der Regel nicht gerade um die hellsten Köpfe der Gesell­schaft, und es ist kaum denkbar, dass aus­ge­rechnet sie sich bei der Auf­teilung der Steu­er­beute im demo­kra­ti­schen Umver­tei­lungs­kampf gegenüber ihren hel­leren Mit­men­schen dau­erhaft durch­setzen können.

Das bringt mich unmit­telbar zur zweiten Gruppe der Klasse der Steu­er­kon­su­menten. Dies ist die Gruppe aller Staats­be­diens­teten, Ange­stellten und Beamten, von der Gemein­de­ebene an auf­wärts bis zum Zen­tral­staat, ein­schließlich ins­be­sondere aller Poli­tiker. Auch sie bezahlen keine Steuern. Zwar erscheint auf ihrer Gehalts­ab­rechnung ein Steu­er­abzug und sie behaupten deshalb regel­mäßig, auch selbst Steu­er­zahler zu sein. Aber dabei handelt es sich lediglich um eine buchungs­tech­nische Fiktion, einen Trick, um die Gleichheit aller Per­sonen vor dem Steu­er­gesetz vor­zu­gaukeln. In Wirk­lichkeit stammt ihr gesamtes Net­to­ein­kommen und alles aus ihm auf­ge­baute Ver­mögen aus Steuern. Ihr Ein­kommen würde nicht von Netto auf Brutto her­auf­gehen, wenn es keine Steuern mehr gäbe, sondern es würde statt­dessen auf null fallen. Und Steu­er­erhö­hungen bedeuten für sie nicht, wie für Pro­du­zenten, einen Ein­kom­mens­verlust, sondern umge­kehrt eine Gehalts­er­höhung. Sie sind also allesamt genauso Steuer-Pro­fi­teure wie Hartz-IV-Emp­fänger, nur auf sehr viel höherem, teu­rerem bezie­hungs­weise kost­spie­li­gerem Niveau. Im besten Fall werden sie dafür bezahlt, Dinge zu tun, die sehr viel bil­liger und besser vom Markt erledigt werden könnten. In manchen Fällen werden sie einfach nur fürs Nichtstun bezahlt. In aller Regel aber sind sie, darin ange­führt und ange­leitet von den Poli­tikern an der Spitze des Staats­ap­pa­rates, damit beschäftigt, wirt­schaft­liches Unheil anzurichten.

Auch die Poli­tiker sind nicht die Hellsten im Lande. Aber sie müssen immerhin von den Massen gewählt werden, um in maß­geb­liche staat­liche Posi­tionen auf­zu­steigen, um Kanzler, Minister, Par­la­ments- oder Par­tei­führer zu werden. Und einmal gewählt müssen sie einen rie­sigen Betrieb führen und ver­walten, um anschließend wie­der­ge­wählt zu werden. Dazu gehört zwei­fellos eine gewisse Intelligenz.

Nur: Es ist eben ein ganz beson­derer Betrieb, den sie leiten. Das Ziel des „Betriebs Staat“ ist es nicht, einen wirt­schaft­lichen Gewinn aus dem Verkauf als preiswert erach­teter Pro­dukte oder Dienst­leis­tungen zu erzielen. Vielmehr ist es das Ziel, die Steu­er­ein­nahmen, über deren Ver­wendung man als Betriebs­leiter bestimmen kann, zu maxi­mieren und seine Aus­gaben zusätzlich mög­lichst noch durch die Auf­nahme von Kre­diten zu steigern, die erst später, mittels zukünf­tiger Steuern bedient werden müssen. Kurz: der Staat ist öko­no­misch betrachtet ein gigan­ti­sches sta­tio­näres Ban­di­tentum, erpicht auf die Maxi­mierung seiner Beute. Und die Intel­ligenz der Poli­tiker besteht darin, diese Tat­sache ideo­lo­gisch zu ver­schleiern – wobei man sich der Hilfe der „Intel­lek­tu­ellen“ ver­si­chert – und ihr „öko­no­mi­sches Ban­di­tentum“ als „soziale Wohltat“ zu ver­brämen, indem man an das scheinbar unaus­rottbare Neid­gefühl der Wäh­ler­massen appel­liert und ver­spricht, diese an der Beute zu betei­ligen; und darin, diese Beute dann nach der Wahl (die Mencken treffend als „Voraus-Auktion gestoh­lener Güter“ bezeichnet hat) tat­sächlich so geschickt zu ver­teilen, dass die Wähler auch zukünftig bei der Stange bleiben. Die Intel­ligenz von Poli­tikern ist also die Intel­ligenz von mora­lisch skru­pel­losen Dem­agogen, und deshalb geht von ihnen und ihrem Steu­er­konsum eine unver­gleichlich viel größere Gefahr für alle Pro­du­zenten aus als von intel­lek­tuell unter­pri­vi­le­gierten Ange­hö­rigen der steu­er­kon­su­mie­renden „Unter­klasse“.

Doch auch die Staats­be­diens­teten und selbst die hoch­ran­gigsten Poli­tiker können nur schwerlich als Haupt­pro­fi­teure staat­licher Abzocke ange­sprochen werden – und damit komme ich zur letzten, sehr viel klei­neren aber umso ein­fluss­rei­cheren Gruppe der Klasse wirt­schaft­licher Pro­fi­teure vom Steu­er­staat, den Plutokraten.

Unter demo­kra­ti­schen Bedin­gungen kommt es zum Auf­stieg einer neu­ar­tigen Macht­elite und herr­schenden Klasse. Prä­si­denten, Kanzler, Minister, Par­la­ments- und Par­tei­führer gehören zu dieser Klasse, aber es wäre naiv anzu­nehmen, dass sie selbst die mäch­tigsten und ein­fluss­reichsten aller Per­sonen sind. Sie sind häu­figer nur Agenten oder Dele­gierte anderer Per­sonen, die selbst im Hin­ter­grund bleiben und außerhalb des Ram­pen­lichts stehen. Die eigent­liche Macht­elite, die bestimmt und kon­trol­liert, wer es über­haupt zum Prä­si­denten, Kanzler, Par­tei­führer und so weiter bringt, sind die Plu­to­kraten. Das sind nicht einfach die Super­reichen – Groß­ban­kiers und Groß­in­dus­trielle. Vielmehr handelt es sich bei Plu­to­kraten nur um eine Unter­gruppe Super­reicher. Die Plu­to­kraten sind die­je­nigen Groß­ban­kiers und Groß­in­dus­tri­ellen, die das unge­heure Potential erkannt haben, das der Staat als Insti­tution mit dem Recht zur Besteuerung und zur Gesetz­gebung zum Zweck der eigenen Berei­cherung bietet; und die sich auf­grund dieser Ein­sicht in die Politik ein­schalten. Sie haben erkannt, dass man mittels des Staates, durch poli­tische Mittel noch schneller noch viel reicher werden kann als man es schon ist: Sei es durch den Empfang staat­licher Sub­ven­tionen, sei es durch staat­liche Groß­auf­träge oder sei es durch Gesetze, die sie vor unlieb­samer Kon­kurrenz schützen oder gar vor dem Bankrott bewahren, wie wir es erst jüngstens während der soge­nannten Ban­ken­krise in großem Stil erlebt haben. Und sie haben dar­aufhin ent­schieden, ihren Reichtum zur Eroberung des Staats­ap­pa­rates einzusetzen.

Dabei ist es gar nicht erfor­derlich, selbst Poli­tiker zu werden. Plu­to­kraten haben wich­tigere und lukra­tivere Dinge zu tun, als ihre Zeit im poli­ti­schen All­tags­ge­schäft zu ver­geuden. Aber sie haben das Geld und die gesell­schaft­liche Position, um die in aller Regel weit weniger wohl­ha­benden und weniger hellen Spit­zen­po­li­tiker zu kaufen, sei es direkt durch Schmier- und Bestechungs­gelder oder indirekt indem man ihnen nach Ablauf ihrer poli­ti­schen Kar­riere hoch­do­tierte Posi­tionen als Fir­men­ma­nager, Berater und Lob­by­isten in Aus­sicht stellt, um auf diese Weise den Verlauf der Politik ent­scheidend zum eigenen Vorteil zu beein­flussen. Und sie sind es dann, die mit dem Staat aufs Engste „wirt­schaftlich ver­bun­denen“ Groß­ban­kiers und Groß­in­dus­tri­ellen, die am meisten von der gigan­ti­schen Maschi­nerie der Ein­kommens- und Ver­mö­gens­um­ver­teilung, die die Demo­kratie, wie wir sie heute kennen, ist, pro­fi­tieren. Und zwi­schen ihnen, der wirk­lichen Macht­elite, den Beschäf­tigten des scheinbar unauf­haltsam wach­senden und auf­blä­henden Staats­ap­parats und der Unter­klasse, wird die viel­zi­tierte „Mit­tel­schicht“ der Gesell­schaft oder genauer: die noch ver­bliebene Klasse wirt­schaftlich pro­duk­tiver Per­sonen zunehmend aus­ge­presst und plattgedrückt.

Ich muss zum Schluss kommen. Steuern sind unge­recht, eine „mora­lische Sauerei“. Und der ganze demo­kra­tische Steu­er­staat ist nichts anderes als eine uner­mess­liche Ver­schwendung knapper sach­licher und mensch­licher Res­sourcen und mora­lisch betrachtet eine Brut­stätte öko­no­mi­schen sta­tio­nären Ban­di­tentums. Steu­er­hin­ter­ziehung ist darum nicht „asozial“, wie Poli­tiker uns vor­zu­gaukeln ver­suchen, sondern ein posi­tiver, sozialer Beitrag zur Tro­cken­legung eines rie­sigen mora­li­schen und wirt­schaft­lichen Sumpfes. Es sind nicht „Steu­er­sünder“ wie Uli Hoeneß oder Alfons Schuhbeck, die im öko­no­mi­schen und mora­li­schen Sinne asozial sind, sondern die­je­nigen Pro­fi­teure, die „Steu­er­sünder“ an den Pranger stellen wollen.

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Prof. Dr. Hans-Hermann Hoppe, Phi­losoph und Volkswirt, ist einer der füh­renden Ver­treter der Öster­rei­chi­schen Schule der Öko­nomie und zählt zu den bedeu­tendsten Sozi­al­wis­sen­schaftlern der Gegenwart. Er lehrte von 1986 bis zu seiner Eme­ri­tierung 2008 an der Uni­versity of Nevada, Las Vegas, USA. Er ist Distin­gu­ished Fellow des Ludwig von Mises Institute in Auburn, Alabama, USA, und Mit­glied im wis­sen­schaft­lichen Beirat des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Hoppe lehrt und hält Vor­träge weltweit. Seine Schriften sind in 30 Sprachen über­setzt worden. Er ist Gründer und Prä­sident der Pro­perty and Freedom Society und lebt heute als Pri­vat­ge­lehrter in Istanbul. Zu seinen Büchern gehören u.a. „Die Kritik der kau­sal­wis­sen­schaft­lichen Sozi­al­for­schung“, „Eigentum, Anarchie und Staat“, „A Theory of Socialism and Capi­talism“, „The Eco­nomics and Ethics of Private Pro­perty“, „The Myth of National Defense“, „Demo­kratie. Der Gott, der keiner ist“, „Der Wett­bewerb der Gauner“, „The Great Fiction: Pro­perty, Economy, Society, and the Politics of Decline“, „From Aris­to­cracy to Mon­archy to Demo­cracy“ und „A Short History of Man: Pro­gress and Decline“.
Weitere Infor­ma­tionen auf www.hanshoppe.com und www.propertyandfreedom.org.


Quelle: misesde.org