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BERICHT AUS ARGEN­TINIEN: VOR JAVIER MILEI STEHT EINE HERKULESAUFGABE

Mit 55,7 Prozent wurde der libertäre Javier Milei am 19. November zum neuen Prä­si­denten Argen­ti­niens gewählt. Das Mei­nungs­for­schungs­in­stitut Atlas­Intel führte kurz vor der Stichwahl – vom 15. bis 17. November 2023 – eine Umfrage bei 6.897 Argen­ti­niern durch, die zeigte, dass Milei vor allem bei jungen Wählern große Unter­stützung fand. In der Alters­gruppe der 16 – 24-jäh­rigen fand Milei doppelt so viel Unter­stützung wie der Link­spe­ronist Massa. Dagegen fand Massa bei den über 60jährigen mehr Zustimmung. Von den Männern sprachen sich 15 Pro­zent­punkte mehr für Milei aus als bei den Frauen. Die Unter­schiede bei den Ein­kom­mens­gruppen waren geringer als beim Geschlecht oder beim Alter. Bei den höheren Ein­kom­mens­gruppen fanden Massa und Milei gleich viel Zustimmung, bei den Nied­rig­ver­dienern fand Milei etwas mehr Unterstützung.

(von Rainer Zitelmann)

Die wich­tigsten Themen aus Sicht der Befragten waren der Kampf gegen die Inflation (77,5%), gegen die Kor­ruption (46,5%) sowie für mehr innere Sicherheit (38%). Milei schnitt deutlich besser ab bei den Kom­pe­tenz­werten Kampf gegen die Kor­ruption (17 Pro­zent­punkte mehr als Massa), gegen die Inflation (10 Pro­zent­punkte mehr als Massa) und gegen Gewalt und Unsi­cherheit (9 Pro­zent­punkte mehr als Massa).

Aber es wird nicht leicht für Milei. Ich traf am 24. November, wenige Tage nach der Wahl, Nicolás Emma, den Vor­sit­zenden der Liber­tären Partei von Milei in Buenos Aires im Head­quarter der Partei. Dabei waren auch mehrere weitere Koor­di­na­toren der Partei, so Gustavo Federico und Facundo Ozan Car­ranza. In den Gesprächen, die ich mit füh­renden Ver­tretern seiner Partei, Ver­tretern von Thinktanks und mit argen­ti­ni­schen Jour­na­listen führte, wurde immer wieder deutlich, dass auf Milei eine Her­ku­les­aufgabe wartet.

Es gibt viele Her­aus­for­de­rungen in dem Land mit einer drei­stel­ligen Infla­ti­onsrate. Mileis Partei hat nur 35 von 257 Abge­ord­neten im Par­lament (Cámera de Dipu­tadas). Seine schärfsten Gegner, die Link­spe­ro­nisten und andere Linke, haben 105. Im Senat (Senado) hat seine Partei nur acht von 72 Abge­ord­neten. Das wun­derte mich zuerst, aber es liegt daran, dass diesmal nur die Hälfte der Abge­ord­neten im Unterhaus gewählt wurde, die andere Hälfte wird erst in zwei Jahren wieder gewählt. Im Senat wurde nur ein Drittel der Abge­ord­neten neu gewählt. Milei kann zwar einige Maß­nahmen als Prä­sident per Dekret anordnen, doch alles was mit Steuern zusam­men­hängt, muss natürlich vom Par­lament und vom Senat beschlossen werden. Er kann auch ver­suchen, mit Refe­renden das Volk zu mobi­li­sieren, aber solche Refe­renden können nur zu bestimmten Fragen abge­halten werden und sind nicht bindend.

In den Gesprächen mit den Ver­tretern von Mileis Partei wurden als Haupt­gegner immer wieder die Gewerk­schaften genannt. Die Gewerk­schaften sind extrem stark in Argen­tinien, sehr poli­tisch und fest in der Hand der Pero­nisten. Mit besonders starkem Wider­stand rechnen Mileis Leute wegen seiner Pläne, das staat­liche Fern­sehen zu pri­va­ti­sieren. Auch für Mar­garet Thatcher in Groß­bri­tannien in den 80er Jahren war die Aus­ein­an­der­setzung mit den linken Gewerk­schaften die größte Her­aus­for­derung – sie über­zogen das Land mit teil­weise mona­te­langen Streiks.

Mileis Leute sagen, dass es Hun­dert­tau­sende „Beschäf­tigte“ im Staats­dienst gibt, die wort­wörtlich nichts tun, außer ihre Gehalts­schecks zu beziehen und jederzeit für die Pero­nisten ein­zu­stehen. Wenn deren Jobs gefährdet werden, ist mit mas­sivem Wider­stand zu rechnen.

Die zen­trale Frage, die ich immer wieder stellte: Werden die Argen­tinier genug Geduld haben für die Reformen, auch wenn sich die Situation zuerst ver­schlechtern sollte? Die Erfah­rungen aus anderen Ländern (z.B. That­chers Reformen in Groß­bri­tannien in den 80er Jahren, Leszek Bal­ce­ro­wiczs Reformen in Polen in den 90er Jahren) zeigen, dass markt­wirt­schaft­liche Reformen stets zunächst dazu führen, dass sich manches ver­schlechtert. Sub­ven­tionen werden gestrichen, aus ver­steckter Arbeits­lo­sigkeit wird offene Arbeits­lo­sigkeit. Erst nach einer solchen Durst­strecke, die im besten Fall zwei Jahre dauert, wird es besser. Die Antwort von Mileis Leuten: Er habe im Wahl­kampf schon immer wieder darauf hin­ge­wiesen, dass es min­destens drei Wahl­pe­rioden brauchen werde, um seine Reformen durch­zu­ziehen und Argen­tinien wieder erfolg­reich zu machen.

Das Haupt­thema für die Argen­tinier ist, wie alle Umfragen zeigen, der Kampf gegen die Inflation. Augustin Etche­barne von dem Thinktank Libertad y Pro­greso meint, dass die von Milei ver­spro­chene Dol­la­ri­sierung der Währung zumindest in den ersten zwei Jahren nicht statt­finden werde, zumal die Banken großen Wider­stand dagegen leis­teten und der Wirt­schafts­mi­nister sowie der Zen­tralbank-Chef ver­mutlich von Macri-Anhängern gestellt werde. Was bleibe, sei also nur der radikale Abbau von Sub­ven­tionen, um den Haushalt zu sanieren.

Eine weitere Frage: Wie loyal werden sich die Anhänger von Maurico Macri ver­halten, mit denen Milei ein Bündnis ein­ge­gangen ist, um die Stichwahl zu gewinnen? Und wie stark ist der Ein­fluss von rechten Natio­na­listen in Mileis liber­tärer Partei?

Zudem muss Milei erst eine richtige, nationale Partei auf­bauen. Derzeit gibt es ver­schiedene unab­hängig agie­rende Glie­de­rungen der Partei in den ein­zelnen Regionen. Ich traf die Leute, die sich in Buenos Aires damit befassen, die recht­lichen Vor­aus­set­zungen dafür zu schaffen, diese zu einer Partei zusammenzuführen.

Um es auf den Punkt zu bringen: Selbst wenn es Milei trotz der Mehr­heits­ver­hält­nisse in Par­lament und Senat gelingt, die Reformen durch­zu­führen (die erste Hürde), wird alles davon abhängen, ob die Argen­tinier der Geduld haben, die bei markt­wirt­schaft­lichen Reformen not­wendige Durst­strecke durch­zu­stehen (zweite Hürde).

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Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist pro­mo­vierter His­to­riker und Soziologe. Er war zunächst Wis­sen­schaft­licher Assistent am Zen­tralin­situt für sozi­al­wis­sen­schaft­liche For­schung der FU Berlin. Seine Bücher werden weltweit in zahl­reiche Sprachen über­setzt – sein Buch „Die 10 Irr­tümer der Anti­ka­pi­ta­listen“ (eng­lisch: In Defense of Capi­talism) erscheint in 30 Sprachen. In den ver­gan­genen Jahren schrieb er Artikel oder gab Inter­views in füh­renden Medien wie Wall Street Journal, Daily Tele­graph, Times, Forbes, Newsweek, Le Monde, Cor­riere della Sera, Frank­furter All­ge­meine Zeitung, Die Welt, Neue Zürcher Zeitung und zahl­reichen Medien in Latein­amerika und Asien. Mehr Infor­ma­tionen: www.rainer-zitelmann.de


Quelle: misesde.org