von Vera Wagner
Medizin kann Leben retten, Medizin kann töten, das gilt für Medikamente ebenso wie für Impfungen, wie die letzten zwei Jahre gezeigt haben. Während die deutsche Regierung Vorräte für die sogenannte „Corona-Schutzimpfung“ wie ein Eichhörnchen gehortet hat, ist hierzulande ein Impfstoff knapp, der wirklich Leben retten kann: der Tollwutimpfstoff. Das ist nicht lustig, weil eine Tollwutinfektion als sicheres Todesurteil gilt. Weltweit sterben jedes Jahr fast 600.000 Menschen an Tollwut, und man geht von einer erheblichen Dunkelziffer aus. Deswegen sind Fernreisende in Deutschland besorgt. Dass aus der Sorge bitterer Ernst werden kann, zeigt der folgende Fall, den unser unbestechlicher Impf-Experte Prof. Martin Haditsch fachlich kommentieren wird.
Zwei Frauen reisen nach Thailand, auf eine entlegene, idyllische Insel. Bei einem Sturz zieht sich eine Frau, nennen wir sie Anna, eine Schürfwunde am Bein zu. Damit sie besser heilen kann, entfernt sie das Pflaster nach kurzer Zeit. Ein Straßenhund reißt die Kruste ab und leckt an der Wunde. Annas Freundin Nadja, von Beruf medizinische Fachangestellte, ist alarmiert, denn sie weiß: Es besteht Lebensgefahr! Während Deutschland seit 2008 tollwutfrei ist, tritt das Virus in vielen anderen Ländern, auch Thailand, noch auf. Eine Tollwut-Infektion endet immer tödlich, der Biss eines infizierten Hundes ist die häufigste Ansteckungsursache. Dazu Prof. Martin Haditsch: „Das ist Hochrisikoexposition!“
Obwohl sie buchstäblich „am anderen Ende der Welt“ sind, finden die beiden Frauen vor Ort eine Arztpraxis, von der Einrichtung zwar sehr einfach, aber, was die medikamentöse Versorgung angeht, offenbar erstaunlich gut ausgestattet. Anna erhält Antibiotika, um einer möglichen Sepsis (Blutvergiftung) vorzubeugen, außerdem insgesamt drei Tollwutimpfungen und die Empfehlung, sich nach der Rückkehr nach Deutschland die vierte Dosis zu holen.
„Sehr riskanter Versorgungsfehler.“, kommentiert Prof. Haditsch. „Bei nicht vorgeimpften Personen gehört die simultane Verabreichung von Hyperimmunglobulin (d.h. spezifischen vorgefertigten Abwehrstoffen gegen Tollwut) dazu! Dies nicht zu machen, hat trotz korrekt verabreichter Impfungen bei einem Inder zum Tode geführt, da diese Impfstoffe nicht sofort wirken!“
Zurück in Deutschland telefoniert sich die Arzthelferin von Annas Hausarzt die Finger wund. Normalerweise kann eine Apotheke ein solches Produkt über das Notfalldepot binnen weniger Stunden organisieren. Doch die Arzthelferin erhält überall die Auskunft, Tollwut-Impfstoff sei derzeit nicht verfügbar, nur als Import aus Portugal oder beim Tropen-Institut Frankfurt.
Dazu Prof. Haditsch: „Tollwut-Impfstoff ist (zumindest in Österreich) üblicherweise an allen Unfallabteilungen verfügbar (oder innerhalb von Stunden angeliefert). Es gab allerdings vor 15 Jahren einmal einen Engpass und einen weiteren Engpass vor ca. drei Jahren.“
Genau einen solchen Engpass gibt es zurzeit in Deutschland, er hat Apotheken monatelang auf Trab gehalten: Glaxo Smith Kline hat die Lizenzen für Rabipur verkauft. Der neue Impfstoff Verorab von Sanofi soll ab 31.1.2024 wieder verfügbar sein. In einer Mitteilung der STIKO über die „eingeschränkte Verfügbarkeit von Impfstoffen“ vom 18.12.2023 ist zu lesen:
„Durch Einstellung des Inverkehrbringens von Tollwut-Impfstoff (HDC) inaktiviert steht derzeit kein alternativer Tollwutimpfstoff zur Verfügung. Während die Belieferung von Notfalldepots der Landesapothekerkammern sichergestellt wird, kann es in der Peripherie zu Lieferengpässen kommen.“
Anna lebt in der Peripherie, und Werner S., dem Apotheker vor Ort, gelingt es nicht, den Tollwut-Impfstoff über ein Notfalldepot aufzutreiben. Verorab ist heute, zum angekündigten Stichtag – wir schreiben den 31. Januar 2024 – laut Werner S. noch nicht wie angekündigt verfügbar. Anna hätte die Spritze ohnehin Mitte Januar gebraucht! Außerdem heißt es ist in einem kanadischen Leitfaden zur Tollwutimpfung von 2015, dass – wann immer möglich – Impfserien mit demselben Produkt abgeschlossen werden sollten.
Anna hat Angst, sie fährt Mitte Januar nach Frankfurt zum Tropen-Institut, mit hundert Euro im Geldbeutel. Sie hat gerade ihr Studium abgeschlossen, der Urlaub in Thailand, noch kein Job, auf dem Konto herrscht gähnende Leere. Vor Ort bittet sie darum, ihr dennoch die dringend benötigte Spritze zu verabreichen, sie werde ihren Ausweis als Sicherheit hinterlegen und den restlichen Betrag im Februar bezahlen. Keine Chance – sie wird ohne Impfung weggeschickt. Der Preis von 380 Euro erscheint Prof. Haditsch sehr hoch: „Der genannte Preis kann nicht stimmen, die Abgabe muss zum Preis der Apotheke erfolgen, und das sind ca. 90 Euro (außer, der Arzt verrechnet 190 Euro für die Verabreichung.) 🙂
In Deutschland kostet die Tollwutimpfung 80 Euro, d.h., das Tropeninstitut berechnet für seinen Service 300 Euro. Die Arzthelferin von Annas Hausarzt berichtet, dass in der Praxis, in der sie bis vor einigen Jahren gearbeitet hat, für den Notfall immer zwei Dosen Impfstoff auf Vorrat gehalten wurden, auch noch nach 2008, seit Deutschland offiziell als tollwutfrei gilt. Tollwut-Infektionen nach Fernreisen in Risikoländer wie Asien oder Afrika (95 Prozent der gemeldeten Fälle) sind jederzeit möglich. Ein Risiko geht auch von illegal importierten Tieren aus, die oft keinen Impfschutz haben. Im badischen Lörrach musste eine Kinderärztin 2008 nachträglich zwei Kinder impfen, die Kontakt mit einem tollwütigen Hund hatten.
Im September 2021 wurde bei einem Hundewelpen, der aus dem Ausland nach Deutschland gebracht wurde, Tollwut festgestellt. Die Lage könnte sich verschärfen, weil viele Flüchtlinge aus der Ukraine ihre Haustiere mitnehmen. Die Ukraine ist nicht tollwutfrei, Hunde, Katzen oder Frettchen können Virusträger sein. Normalerweise sind die Auflagen bei der Einreise aus einem Risikoland streng: Es muss eine Tollwutschutzimpfung nachgewiesen werden, die länger als 21 Tage zurückliegt. Die Regelungen wurden allerdings mit Beginn der Flüchtlingswelle gelockert, vermutlich, weil die zuständigen Behörden mit der Kontrolle überfordert sind. Auf der Webseite der Welttierschutzorganisation ist am 4. März 2022 zu lesen: „Die Maßnahmen gegen die Tollwut sollten im Angesicht der Gewalt jedoch nicht die Flucht aus der Ukraine beeinträchtigen. … Haustiere dürfen auch ohne Dokumente sowie Identifizierung und Impfung zunächst einreisen.“
Prof. Haditsch schätzt die Situation im Moment zwar noch als nicht dramatisch ein: „Die Tollwut manifestiert sich bei Tieren innerhalb kurzer Zeit (klassisch innerhalb von zwei Wochen), und dann sterben sie. Und menschliche Kontaktinfektionen, die ja tödlich enden, sind mir nicht bekannt.“.
Apotheker Werner S. zeigt sich auf meine Nachfrage allerdings besorgt: „Wir können nicht sicher sein, ob da nicht doch etwas auf uns zukommt … oder schon da ist.“
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