Migra­ti­ons­krise: Christ­liche Nächs­ten­liebe muss selektiv sein

Mit dem Begriff der Nächs­ten­liebe wird seit dem Beginn der Migra­ti­ons­krise reichlich Schind­luder getrieben. Besonders jene, die ohnehin Athe­isten oder höchstens Tauf­schein-Christen sind, wollen den christ­lichen Kri­tikern der Mas­sen­zu­wan­derung ständig erklären, dass man unchristlich sei und das Gebot der Nächs­ten­liebe miss­achte, wenn man nach stren­geren Migra­ti­ons­ge­setzen ver­langt oder gar geschlossene Grenzen fordert.
Von der christ­lichen Religion ziemlich ahnungslose Linke gesellen sich bei der Nächs­ten­liebe-Argu­men­tation immer gerne dazu und ver­suchen, mit Häme den Christen da eine Falle zu stellen. Auch viele bigotte Christen und die sattsam bekannten, immer betu­lichen und hyper­mo­ra­li­schen Selbst­dar­steller des öffent­lichen Lebens faseln mit auf­ge­setzter Mensch­lich­keits­miene ständig von einer Nächs­ten­liebe, die es in einer daher­ge­schwa­felten, all­um­fas­senden und kri­tik­losen Form gar nicht gibt und gar nicht geben kann.
Der Wiener Theologe und päpst­liche Ehren­prälat Karl Hörmann, der auch Ordi­narius für Moral­theo­logie war, hat zum Thema “Nächs­ten­liebe” schon vor Jahr­zehnten Grund­le­gendes ver­fasst. Die Lektüre seiner Stel­lung­nahme kann den­je­nigen, die ständig von der Nächs­ten­liebe reden, aber von der Begriff­lichkeit und ihrer Bedeutung kein wirklich pro­fundes Wissen haben, zur Erwei­terung ihres Hori­zontes und zur Wahr­heits­findung dienen. Hier ein Auszug aus seinem Lexikon der christ­lichen Moral von 1976:
Gerade an der Erkenntnis, daß sich das Gebot der Nächs­ten­liebe auf jeden Men­schen erstreckt, wird klar, daß dieses Gebot ein Rich­tungs­gebot ist. Der Mensch mit seinem beschränkten Können stößt in der Ver­wirk­li­chung der Nächs­ten­liebe bald an Grenzen. Wohl ist er zur Gesinnung der Liebe jedem Men­schen gegenüber wenigstens so weit ver­pflichtet, daß er keinen aus­drücklich aus der Nächs­ten­liebe aus­schließt und daß er bereit ist, für jeden das Ent­spre­chende zu tun, wenn die Situation eine For­derung drängend werden läßt. In der Betä­tigung der Nächs­ten­liebe erreicht der Mensch nur allzu rasch die Grenzen seiner Mög­lich­keiten: Schon innerlich kann er nicht jedem Mit­men­schen seine lie­bende Auf­merk­samkeit zuwenden und noch weniger kann er sich für die Anliegen eines jeden Mit­men­schen durch die Tat einsetzen.
So bleibt ihm nichts anderes übrig, als für das Tun der Nächs­ten­liebe eine kluge Auswahl zu treffen, etwa nach seiner näheren oder ent­fern­teren Ver­bun­denheit mit den Mit­men­schen, nach der Größe ihrer Not, nach dem Rang der Werte, um die es für sie geht (vgl. Pflich­ten­kol­lision, Wert). Wenn sich z.B. mehrere Mit­men­schen in gleicher Not befinden, drängt die Nächs­ten­liebe den Men­schen zur Hilfe für den, der ihm durch alle Gege­ben­heiten und Fügungen am nächsten ver­bunden ist; bei gleicher Ver­bun­denheit aber fordert die Nächs­ten­liebe den Einsatz dort, wo die Not am größten ist.”
Allein aus diesen paar Zeilen geht hervor, dass der Mensch mit seiner Nächs­ten­liebe haus­halten muss. Anders gesagt: Ernst gemeinte Nächs­ten­liebe hat ganz klar selektiv zu sein. Man kann weder vom Ein­zelnen noch von Gruppen noch von Völkern fordern, dass sie sich bedin­gungslos unter ein Gebot der ufer­losen Nächs­ten­liebe stellen, denn das würde im Extremfall die Aufgabe der jeweils eigenen Person (und im Grö­ßeren auch der eigenen Nation) bedeuten. Das ist nicht der Sinn von Nächs­ten­liebe, sondern höchstens ihre Perversion.
“Liebe deinen Nächsten wie dich Selbst” heisst vor allem auch, zuerst sich selbst zu lieben. Denn wer sich selbst nicht liebt und nicht auf sich schaut, der kann auch den Nächsten nicht lieben und ihm auch nicht helfen. Eine wirklich hilf­reiche Nächs­ten­liebe ist ohne die Selbst­achtung und den Selbst­schutz gar nicht möglich.
Diese Bedin­gungen blenden unsere Mensch­lich­keits-Pre­diger aber gerne aus — ent­weder weil sie betulich und mit Halb­wissen agieren oder, viel schlimmer, weil sie es vor­sätzlich tun, um den Leuten ein schlechtes Gewissen ein­zu­impfen und den migra­ti­ons­freund­lichen Main­stream für ihre dubiosen Eigen­in­ter­essen zu bedienen. Beide Argu­men­ta­ti­ons­linien sind höchst unredlich und schaden am Ende allen.
Der ehe­malige Prä­si­dent­schafts­kan­didat Andreas Khol hat genau diesen Punkt in einer Rede zum Thema Migration auf­ge­griffen: “Charity begins at home. Es heisst ja Nächs­ten­liebe und nicht Ferns­ten­liebe” sagte er sinn­gemäß Anfang des Jahres. Khol erntete dafür einer­seits Kritik von Bischöfen, weil sie meinten, Politik solle nicht den Glauben ver­ein­nahmen, ande­rer­seits gaben sie ihm aber auch defi­nitiv recht. Nächs­ten­liebe betrifft vor allem jene, die im eigenen Umfeld in Not geraten sind.
Und es geht bei der Nächs­ten­liebe natürlich auch um eine Auswahl und eine Ent­scheidung, welchen in Bedrängnis gera­tenen grö­ßeren Men­schen­gruppen oder Völkern man zuerst helfen soll. In der Bibel steht dazu Inter­es­santes: “Lasset uns an jedermann Gutes tun, vor allem aber an den Genossen im Glauben” (Brief an die Galater 6,10). Wer diesen Satz ernst nimmt, muss auch vehement fordern, dass den ver­folgten Christen im Orient zual­lererst geholfen wird.
Ansätze dazu gab es in der öster­rei­chi­schen Politik, aber sie wurden von links tor­pe­diert — para­do­xer­weise auch mit dem Hinweis auf die Nächs­ten­liebe, die doch für alle gälte. Die bür­ger­lichen Poli­tiker, die Hilfs­pro­jekte für Christen im Orient initi­ieren wollten, wurden damit (aus-) gebremst — auch von den christ­lichen NGOs. Ver­mutlich haben sie alle Karl Hörmann nicht gelesen und auch nicht den Brief an die Galater.
 
Dr. Marcus Franz / thedailyfranz.at