Kursexplosionen machen den Begünstigten Freude, bei den Vorsichtigen lösen sie ungute Gefühle aus. Wir erleben derzeit eine Kursexplosion einer Kryptowährung, wie es sie noch keine gab. Oder doch? Nur eine Wiederholung? Es wird Zeit das Phänomen zu durchleuchten und zu bändigen, nach dem Motto: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt.
(Von Florian Josef Hoffmann)
Eine der Phänomene unserer Zeit ist, dass wir sie immer weniger verstehen, sie, die Phänomene unserer Zeit. Wer bitte kann uns plausibel erklären, warum wir immer reicher werden und zugleich immer ärmer an Kindern, an Nachwuchs? Wer bitte kann uns erklären, wie es möglich ist, dass vor zehn Jahren ein Gerät für die Hosentasche erfunden wurde, das man heute weder aus unserem Alltagsleben, noch aus unserem Berufsleben mehr wegdenken kann und das schon so verbreitet ist, dass es Völkerwanderungen auslöst? Und um zum Ökonomischen zurückzukehren: Wer bitte kann uns erklären, dass die Euro-Geldmenge seit Jahren rasant wächst, ohne dass es Anzeichen einer galoppierenden Inflation gibt? Und um zum Thema dieses Aufsatzes zu kommen: Wie es möglich ist, dass der „Wert“ der digitalen Währung BitCoin sich binnen eines Jahres vertausendfacht, binnen Tagen von 3.000 Euro auf 15.551,4689 Euro oder noch mehr steigt, open end, und dass es realistische Prognosen gibt, sie könne auf eine Million steigen? Das Phänomen hat pathologische Züge, oder nicht?
Um das Phänomen transparent zu machen, bedarf es eines simplen Vergleichs: Man stelle sich vor, es hätte auf der Erde bisher nie Gold gegeben. Dann entdeckt jemand einen Klumpen Gold, nur einen einzigen Klumpen, sagen wir von der Größe eines Koffers. Wichtig für die Annahme ist, dass dieses Gold einzigartig ist, also nicht vermehrbar. Der Eigentümer nimmt den Klumpen und packt ihn ein einen Koffer. Den stellt er ihn in ein Schaufenster und macht ein Schild dran: „Inhalt: 10.000 Gramm Gold“. Daneben steht ein zweites Schild: „Zehntausendstel-Anteile zu verkaufen, Preis ein Euro, wer bietet mehr?“ Ein drittes Schild besagt: „Rücknahme jederzeit zum Tagespreis“.
Wieviel Pfund Mehl gibt’s im Supermarkt für einen Bitcoin?
Irgendwann sind ein paar Tausend Teile zu einem Euro verkauft, der Koffer bleibt im Schaufenster stehen. Nach einer Zeit wird der Bruchteil tatsächlich für das Doppelte angeboten, zwei Euro steht auf dem Preisschild. Die Leute werden neugierig, denn es hat sich herumgesprochen, dass im Schaufenster etwas Seltenes steht, das nicht vermehrbar ist und dessen Preis, also dessen Tauschwert dauernd steigt, wenn man von ein paar kurzzeitigen Preisrückschlägen absieht. Da immer mehr Leute darauf schauen und gierig werden und den steigenden Preis akzeptieren, steigt der Kurs. Der Kurs steigt, weil die Nachfrage steigt und die Nachfrage steigt, weil der Kurs steigt.
Der Kursanstieg ist das faszinierendste Phänomen, aber was ist der „Kurs“ der BitCoin? Kurse sind Notierungen an Börsen. In der Tat explodiert nicht nur der Kurs, sondern auch die Zahl der „Börsen“ an denen kryptische Währungen gehandelt werden. Der Kurs des BitCoin ist sein Verhältnis zu echten Währungen. Man stelle sich vor, das Englische Pfund oder der Schweizer Franken existierten nur als Währung und nicht als Zahlungsmittel. Was wären sie wert? Nichts! Was ist der Franken heute wert? Nein, er ist nicht soundso viele Pfund oder Euro wert, nein, er ist real so viel wert, wie viele Güter sich ein Schweizer dafür kaufen kann, im Laden oder online, d. h. Währungen (Euro, Dollar oder Franken) können in echten Waren aufgewogen werden. Und mit was kann der BitCoin aufgewogen werden? Nur mit Euro oder Dollar, oder irgend einer anderen Währung. Hinter dem BitCoin selbst steht kein realer Maßstab, nur sein Tauschwert in eine andere Währung oder in andere Währungen.
Was also sind diese BitCoins?
Jedenfalls keine Währung. Der BitCoin ist eine Ware, die nicht vermehrbar ist und die keine andere Bestimmung hat, als die eigene Existenz. Die BitCoin ist handelbar wie eine Aktie, aber schon das schließt aus, dass es sich um eine Währung handelt, also um ein Geld, das geeignet ist, Güter des täglichen Bedarfs zu kaufen. Welcher Kaufmann will sie beim Kauf einer Tüte voll Lebensmittel entgegen nehmen, wenn er sich nicht sicher ist, dass er sie am nächsten Tag wieder zum gleichen Wert weiterverwenden kann. Kaufleute sind – entgegen landläufiger Meinung – keine Spekulanten. BitCoins sind ihnen zu volatil, weil ihnen die stabilisierende Wirkung der übrigen Marktpreise fehlt, die reale Währungen auszeichnet.
Marktpreise machen keine Sprünge, sondern lieben Stabilität, weil Hersteller, Konsumenten und Kunden stabile Preise lieben. Das gilt für Autopreise wie die Preise für die Wurst bei Aldi. Es gibt da zwar hin und wieder Anpassungen nach oben oder nach unten, aber Fieberkurven wie bei Aktien sehen anders aus. Aber nicht nur der Kaufmann, auch der Konsument mag keine BitCoins. Denn wer möchte sein Gehalt in BitCoin ausgezahlt bekommen, wenn er nicht sicher sein kann, dass er morgen noch seine Miete davon bezahlen kann? Die Marktgesetze sind unerbittlich, die Kryptospekulation funktioniert. Wenn auf einem Markt eine steigende Nachfrage auf ein nicht vermehrbares Gut trifft, geht der Tauschwert durch die Decke. So liegt die BitCoin sozusagen im Schaufenster und alle kaufen die neue „Währung“ – die erkennbar gar keine Währung ist, weil kaum jemand damit bezahlt, weil fast nur damit spekuliert wird.
Natürlich kann man etwas als Währung bezeichnen, mit dem hin und wieder ein Realgeschäft getätigt wird, aber das macht den BitCoin (und andere) noch nicht zur Währung. Man kann ein solches Realgeschäft auch mit einem Grundstück oder einem Diamanten oder sonst einem Gegenstand machen. Man nennt ein solches Tauschgeschäft dann nicht Kauf, sondern Barter, wenn der Tausch in Geld vermieden wird. Der Etikettenschwindel mit der Bezeichnung als „Währung“ ist also perfekt. Der Nimbus des Geldes – das Geld hat seinen Namen vom Gold – wurde erfolgreich auf die neue „Währung“ übertragen, die keine Währung ist.
Der Kaufmann spekuliert nicht
Die Geschichte lehrt: Spekulationen waren schon immer die Mutter der großen Wirtschaftskrisen. Spekulationen sind Hoffnungen auf Wertsteigerungen in der Zukunft. Es gibt zwar die normale unspektakuläre Spekulationen von Kaufleuten, die damit rechnen, dass sie die Ware, die sie heute eingekauft haben, morgen auch wieder verkaufen können. Zu einem höheren Preis natürlich. Die Spekulation des soliden Kaufmanns enthält wenig Risiken, weil er hohe Erfahrungswerte hat und man deshalb sagt, dass er „sein Geschäft versteht“. Er ist sich mit hoher Wahrscheinlichkeit sicher, die Handelsware wieder verkaufen zu können. Der solide Kaufmann geht der Spekulation soweit als möglich aus dem Weg.
Die Geschichte der Wirtschaft der Neuzeit hat ein paar echte Krisenhighlights: Die Tulpenkrise von 1673 war eine Krise holländischer Kaufleute, bei der sich der Millionenwert von Tulpenzwiebeln in Luft auflöste. Die Eisenbahnkrise des Jahres 1873 war die Krise des beginnenden Industriezeitalters, als der Tauschwert von Eisenbahnaktien durch private Nachfrage in schwindelnde Höhen gestiegen war, eine Höhe, die mit dem realen Wert nichts mehr zu tun hatte. Die große Krise der Wallstreet im Jahr war eine Spekulationskrise, in der sich der Wert vieler Aktien durch geliehenes Geld überhöht hatte; der spekulative „Hebel“ der Kreditfinanzierung wurde zum Hebel des privaten Vermögensverfalls. Die Bankenkrise von 2008/2009 war eine „Verbriefungs“-Krise. Tausende wertlose Einzelkredite zur Finanzierung von Wohnhäusern wurden von Rating-Agenturen dadurch als werthaltig erklärt, dass sie in Milliarden-Pakete zusammengefasst wurden, also verbrieft wurden. Die Lehre aus der Krise: Tausend mal Nichts bleibt Nichts.
Die Konfrontation der Illusion mit der Realwirtschaft
Alle diese Krisen waren Spekulationskrisen. Ihnen gemeinsam ist, dass Werte nicht gekauft und verkauft, sondern gehortet wurden. Das heißt, die Werte der Waren wurden nicht ad hoc realisiert, sondern verblieben als Hoffnungswert im Tresor. Das private Horten führte zur Verknappung mit der Folge steigender Preise, was wiederum die Spekulanten anzog und am Ende zu weit überhöhten Preisen führte. Niemand bezahlt in BitCoins. BitCoins werden gehortet, genau wie die am Ende wertlosen Tulpenzwiebeln, die wertlosen Eisenbahnaktien, die wertlosen US-Aktien, die wertlosen TripleA-Anleihen. Kaum droht die Konfrontation des Angebots mit der Realwirtschaft, brechen die Bewertungen zusammen, die vorher als „Marktpreise“ gegolten haben.
Die Situation ist brandgefährlich. Durch die Befreiung von staatlicher Einflussnahme kann sich ungehindert ein Brandherd entwickeln, der der Nukleus einer neuen Weltwirtschaftskrise wird. Ob das geschehen kann, hängt natürlich vom Volumen ab, dessen Wert sich binnen Stunden in Nichts auflösen kann. Wenn man die Höchstzahl von 21 Millionen mit dem heutigen Kurs von €12.000 plus x multipliziert, landet man im Billionenbereich. Es ist an der Zeit, dass sich die Staatengemeinschaft der Sache annimmt, um aus Verantwortung für das Ganze, eine große Krise zu verhindern. China hat es vorgemacht.
Wie gefährlich die Sache ist, kann man daran erkennen, dass schon heute für diese elektronische Währung weltweit so viel Strom gebraucht oder verbraucht wird, wie aktuell beispielsweise ein Land wie Irland verbraucht, also mehr als 25 Terrawatt pro Stunde. Nur zum Vergleich: Von den 198 Ländern der Erde verbrauchen derzeit 159 Länder weniger als 25 Terrawatt pro Stunde. Mit der Ausweitung dieser Art von „Währung“ ist allein schon der Zusammenbruch der Stromversorgung vorprogrammiert, sobald sie anfängt, in Industrieländern dem produzierenden Gewerbe den Strom wegzunehmen, ihm streitig zu machen, also der Realwirtschaft zu schaden.
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