Abbild über der Thesen-Tür der Schoßkirche zu Wittenberg - Bild: By Avi1111 dr. avishai teicher - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=50123079

Die Kirchen brauchen ein Wit­tenberg 2.0

Vor über 500 Jahren hat Martin Luther seine berühmten 95 Thesen am Kir­chentor von Wit­tenberg ange­schlagen. Die his­to­rische und fol­gen­reiche Kritik des ehe­ma­ligen Augus­tiner-Mönchs Luther bezog sich auf bestimmte, damals höchst frag­würdige Zustände in der Katho­li­schen Kirche. Im Zentrum des Luther‘schen Angriffs standen der Ablass-Handel und gewisse Aktionen des Papstes, die der erste Pro­testant für nicht richtig hielt.
Die Kirche ist auch heute wieder kritikwürdig
Wenn man die aktuelle Kirchen-Politik und die Hand­lungen der heu­tigen katho­li­schen Kir­chen­fürsten genau beob­achtet, kommt man nicht umhin, pro­funde Zweifel zu ent­wi­ckeln, ob das, was den Katho­liken heute als “katho­lisch” und “christlich” ver­kauft wird, auch wirklich diese Attribute verdient.
Nun mag sich der (katho­lische) Autor dieser Zeilen hier nicht auf­schwingen und einen modernen Martin Luther spielen, aber in diesem Blog­beitrag werden statt 95 Thesen ein paar pro­funde Fragen “ange­schlagen”, die viel­leicht eine Beant­wortung durch einen Kirchen-Oberen oder füh­renden Theo­logen wert sind.
Die Wendung des Katholizismus
Konkret geht es um Fol­gendes: Die hier in Frage gestellte neue Spielart des Katho­li­zismus hat sich als eine merk­würdige Wendung der Kirche mani­fes­tiert, die weg von den eigenen Gläu­bigen hin zu einer eil­fer­tigen Anbie­derung an die vielen anders­gläu­bigen Men­schen führt, deren mil­lio­nen­fache Ankunft seit einigen Jahren die gesamte euro­päische Politik und die Medi­en­szene beherrscht. Die Mas­sen­mi­gration macht viele Leute sehr nach­denklich, und wenn man sie zu Ende denkt, ergeben sich beun­ru­hi­gende Kon­se­quenzen. Alles wartet daher auf eine pro­funde und nach­haltige Reaktion des viel­zi­tierten Abend­landes. Und in diesem Abendland nimmt nun einmal die katho­lische Kirche eine enorm wichtige Position ein.
Die “Barm­her­zigkeit” soll alle Fragen lösen?
Vom Papst abwärts werden heute nicht mehr die Mission und die Kul­ti­vierung der eigenen Gemeinde, die ja beide einen Ur-Auftrag der katho­li­schen Kirche dar­stellen, als wich­tigste Säulen des katho­li­schen Glaubens prä­sen­tiert, sondern es wird nur noch die Barm­her­zigkeit als angeblich zen­trale Aufgabe des guten Christen gepriesen.
Wer sich auch nur ein bisschen mit dieser zwei­fellos wich­tigen Tugend befasst, weiss aber, dass Barm­her­zigkeit nur als Ein­zelfall-Lösung und nur im unmit­tel­baren und direkten Zusam­men­treffen mit anderen Men­schen gelebt werden kann. Sie kann daher nie als die über allem ste­hende Prä­misse poli­ti­scher Grund­sätze funk­tio­nieren. Das bekannte, oft zitierte und noch öfter miss­ver­standene Gleichnis vom Sama­riter zeigt dies ganz deutlich — man muss es nur genau lesen. Die Barm­her­zigkeit ist dem­zu­folge auch kein brauch­barer Leit­faden für eine ver­nünftige Migra­ti­ons­po­litik. Und dennoch ver­suchen viele der füh­renden Kir­chen­leute, die ver­ant­wort­lichen Poli­tiker über die Barm­her­zig­keits-Schiene wegen der geplanten und not­wen­digen Restrik­tionen im Asyl­wesen massiv zu kritisieren.
Und damit sind wir schon mitten im Fragenkatalog:
  • Warum for­mu­liert die Kirche eine Nächs­ten­liebe-Theorie, nach der alle Her­bei­strö­menden in Barm­her­zig­keits-Fälle umde­fi­niert werden — ganz egal, was deren Motiv ist, zu uns zu kommen und ganz egal, was sie im Schilde führen oder auf dem Kerbholz haben?
  • Warum werden dabei ande­rer­seits alle in der Ferne Zurück­ge­blie­benen und Zurück­ge­las­senen, die ver­mutlich oft viel hilfs­be­dürf­tiger sind als die jungen, gesunden Ankömm­linge, weg­ge­schwiegen, igno­riert und übergangen?
  • Soll sich in Afrika und im Orient der liebe Gott per­sönlich um die Elends­fälle kümmern, während hier der natürlich immer schuld­be­ladene Europäer den Immi­granten wie der Papst weiland zu Ostern die Füße waschen muss?
  • Wie schief ist diese mora­li­sie­rende und geradezu haar­sträu­bende Position, die zuvor­derst von Papst Fran­ziskus ver­treten wird, der sich auf diese Weise zum Liebling der (oft athe­is­ti­schen) Linken ent­wi­ckelt hat ?
  • Warum hat sein Vor­gänger Benedikt XVI ganz andere Ansichten zu dieser wahrhaft welt­be­we­genden Pro­ble­matik — und ist er womöglich des­wegen zurückgetreten?
  • Warum bezieht sich die Kirche nicht auf den bekannten Satz im bibli­schen Brief an die Galater, der besagt, dass “alle Men­schen gut behandelt werden sollen, aber besonders die Brüder im Glauben”?
  • Warum setzt sich die Kirche in diesem Sinne nicht mit aller Kraft und mit aller mone­tären Macht, die sie hat, für die ver­folgten Christen im Orient und in Afrika ein?
  • Warum müssen dort immer wieder Christen gewaltsam sterben, während hier die immi­grierten Anders­gläu­bigen von der Caritas rundum bestens betreut werden?
  • Was ist das Motiv von zwei­fellos klugen und hoch­ge­bil­deten katho­li­schen Theo­logen und Geist­lichen, die fun­da­mentale und offen­sicht­liche Pro­ble­matik der Mas­sen­mi­gration zu igno­rieren und alle ratio­nalen Fragen mit der Barm­her­zig­keits-Floskel wegzuwischen?
  • Was erwarten sich die füh­renden Katho­liken von ihrem Verhalten?
  • Meinen sie, dass die vielen Ankom­menden auf­grund dieser “barm­her­zigen” Kir­chen­po­litik nun in Scharen zum Chris­tentum kon­ver­tieren werden und auf diese Weise eine Stärkung der Kirche entsteht?
  • Glauben die Bischöfe im Ernst, dass Ori­entale, denen der gewaltsame Tod droht, wenn sie ihren ange­stammten Glauben ablegen, in Europa in hellen Scharen flugs zu braven Katho­liken werden?
  • Und wenn doch, gibt es darüber Sta­tis­tiken — und wenn es sie gibt, warum werden sie nicht veröffentlicht?
  • Was treibt die Kir­chen­fürsten dazu, eine geradezu anti­the­tische Politik zu den 2000 Jahre alten katho­li­schen Über­zeu­gungen zu ver­folgen, die schon im Neuen Tes­tament fest­ge­schrieben wurden?
  • Warum werden kon­ser­vative Kir­chen­männer wie der öster­rei­chische Weih­bi­schof Andreas Laun oder all die kri­ti­schen Bischöfe der Visegrad-Staaten förmlich als dis­si­dente Out­sider behandelt und fallengelassen?
  • Was ver­an­lasst unsere Ober­hirten, sich derart zurück­zu­nehmen, dass die Iden­tität des christlich geprägten Europas nur noch an den Kirch­türmen, aber nicht mehr in den Sonn­tags­pre­digten und in den Hand­lungen der Hirten zu erkennen ist?
  • Warum müssen kon­ser­vative Poli­tiker wie der bay­rische Minis­ter­prä­sident Söder darauf drängen, dass das Kreuz als tra­di­tio­nelles Symbol seinen Platz im öffent­lichen Raum haben muss — und warum wird er dafür von Bischöfen(!) heftig kritisiert?
  • Was bewegt im Gegenzug Auto­ri­täten wie den deut­schen Kar­dinal Reinhard Marx, bei seiner letzten Jeru­salem-Reise sein Kreuz abzu­nehmen, um dort “nie­manden zu provozieren”?
  • Warum ver­leugnet ein Kir­chen­fürst öffentlich das zen­trale Symbol seines Glaubens?

Die hier ange­schlagene Fra­gen­liste wäre, um mit Luther gleich­zu­ziehen, ganz leicht bis zur Nummer 95 fort­zu­setzen, aber das Wesen der aktu­ellen katho­li­schen Pro­ble­matik ist bereits jetzt aus­rei­chend frei­gelegt. Um Fairness walten zu lassen, muss man auch klar sagen: Die evan­ge­li­schen Nach­folger Luthers sind in ihrem unglaublich sub­mis­siven und anbie­dernden Ver­halten noch viel schlimmer als die derzeit ton­an­ge­benden Katho­liken. Aber das sollen sich die Pro­tes­tanten und deren Kri­tiker unter sich aus­machen. Wir müssen zunächst klären, was für ein Spiel die Katho­lische Kirche spielt. Wann also wird sie uns reinen Wein ein­schenken anstatt uns mit ver­bo­genen und nicht schlüssig argu­men­tier­baren Barm­her­zig­keits-Parolen immer wieder aufs Neue zu irritieren?
 


Dr. Marcus Franz — www.thedailyfranz.at