Jens Spahn auf dünnstem Eis: „Notarzt muss auch einmal Nein sagen“ — Anstiftung zur unter­las­senen Hilfeleistung?

Gesund­heits­mi­nister Jens Spahn hat einiges auf den Weg gebracht, das soll nicht gerin­ge­schätzt werden. Zum Bei­spiel, dass das Schulgeld für The­ra­peu­ten­aus­bil­dungen ver­schie­denster Rich­tungen (Logo­päden, Phy­sio­the­ra­peuten, Ergo­the­ra­peuten, Podo­logen usw.) in Bayern abge­schafft wird. Denn einer­seits über Fach­kräf­te­mangel im medi­zisch-the­ra­peu­ti­schen Bereich zu jammern und ande­rer­seits ein Ver­mögen von ca. 25.000 Euro als Aus­bil­dungsgeld —  für viele junge Leute eine unüber­windbare Bar­riere -, kann nicht ziel­führend sein.
Tat­sächlich steht der Gesund­heits­mi­nister einer in Grund und Boden gewirt­schaf­teten Berufs­land­schaft gegenüber. Der Pfle­ge­kräf­te­mangel ist teil­weise so massiv, dass es zu Situa­tionen kommt, die schlichtweg ver­boten sind. Eine Bege­benheit aus dem eigenen Erfah­rungs­be­reich als Bei­spiel: Eine Medi­zin­stu­dentin aus der engsten Ver­wandt­schaft leistete mit großem Enga­gement ein Prak­tikum am ört­lichen Kreis­kran­kenhaus. Am Wochenende war die Besetzung hin und wieder so dünn, dass die junge Frau mit knapp 20 Jahren als Prak­ti­kantin zwei Sta­tionen ganz allein betreute. Zwar mit Ärzten und erfah­renen Pflegern aus anderen Sta­tionen in Ruf­be­reit­schaft, aber dennoch mit einer Ver­ant­wortung und Tätig­keiten, wie Katheter und Infu­sionen legen, die sie gar nicht ver­richten durfte. Nicht aus Leichtsinn der Klinik, sondern wegen bru­talen Per­so­nal­mangels. Gott­seidank ist nichts passiert.
Wo es aber schwierig wird ist, wenn Herr Gesund­heits­mi­nister Spahn eine pro­funde Unkenntnis der Abläufe bei Not­rufen und Not­ärzten offenbart.
So sagte Herr Spahn im Interview mit der Augs­burger Allgemeinen:
Augs­burger All­ge­meine: Das heißt, wenn ich die 112 anrufe, muss jemand per Fern­dia­gnose ent­scheiden, ob ich ein Notfall bin?
Spahn: Wir können nicht immer gleich den Notarzt schicken, sondern müssen auch einmal Nein sagen können – bisher traut sich das aller­dings kaum einer. Deshalb müssen wir ein System schaffen, das drin­gende von weniger drin­genden Fällen unter­scheidet und unsere Not­dienste effi­zi­enter organisiert. 
Hoppla, Herr Gesund­heits­mi­nister Spahn. Da wäre es doch emp­feh­lenswert gewesen, sich vorab einmal zu infor­mieren, bevor man sich in die gefähr­liche Nähe einer anemp­foh­lenen unter­las­senen Hil­fe­leistung nach § 323c StGB begibt oder aus Nicht­wissen so im schwe­re­losen Raum vor sich hin von sich wei­gernden Not­ärzten fabuliert.
Wenn bei der Not­ruf­nummer 112 ein Anruf eingeht, dann beant­wortet der dienst­ha­bende Dis­ponent diesen Anruf. Je nachdem, was er für Infor­ma­tionen bekommt, ent­scheidet er, was getan werden muss. Da gibt es im Prinzip zwei­erlei Schienen.
Die eine ist, man braucht einen Arzt, weil es sich um einen Krank­heitsfall außerhalb der Pra­xis­zeiten handelt. Dafür gibt es die so genannten Bereit­schafts­ärzte. Das sind normale, nie­der­ge­lassene Ärzte der Umgebung des Anrufers. Hat also jemand hohes Fieber, Brech­durchfall oder grausige Zahn­schmerzen, besteht keine unmit­telbare Lebens­gefahr und der Dis­ponent gibt die Nummer des jewei­ligen Bereit­schafts­arztes heraus oder ver­bindet sofort. Der Bereit­schaftsarzt kann dann genauere Fragen stellen und kommt, wenn nötig zum Pati­enten gefahren oder beordert den­je­nigen in seine Praxis.
Die zweite Schiene ist der Kranken- oder Ret­tungs­wagen, gege­be­nen­falls mit Notarzt. Hier stellt der Dis­ponent ent­spre­chende, gezielte Fragen. Tauchen Schlag­wörter, wie zum Bei­spiel schwerer Auto­unfall, Schlag­anfall, Herz­in­farkt, Bewusst­lo­sigkeit, starke Blu­tungen etc. auf, schickt er sofort einen Ret­tungs­wagen oder Hub­schrauber los — samt Notarzt. Da gibt es kein „Nein“ vom Notarzt, wenn der nicht wegen unter­las­sener Hil­fe­leistung vor Gericht stehen will.
Bei schweren Auto­un­fällen oder Haus­bränden, ein­ge­stürzten Gebäuden oder ähn­lichem alar­miert die Ret­tungs­leit­stelle zusätzlich sofort Polizei und Feu­erwehr, die eben­falls unver­züglich ausrückt.

Lässt sich aus der abge­fragten Situation beim Pati­enten ent­nehmen, dass es sich um einen Fall handelt, bei dem ent­weder ein Sani­tä­terteam mit Ret­tungs­wagen die Sache lösen kann, oder ein Kran­ken­wagen den Pati­enten am besten zur nächsten Klinik bringen sollte, wenn aber keine akute Lebens­gefahr besteht, wird auch kein Notarzt losgeschickt.
Stellt sich vor Ort heraus, dass der Patient zwar der Beschreibung nach nicht so ernst betroffen zu sein schien, die erfah­renen Sani­täter aber mit geschultem Blick erkennen, dass es sich doch um einen akuten, viel­leicht lebens­ge­fähr­lichen Notfall handelt, wird, je nachdem, wie dringend es ist, doch der Notarzt per Auto alar­miert, im erfor­der­lichen Fall auch gleich mit Rettungshubschrauber.
Auch so etwas habe ich schon direkt in Natura mit­erlebt bei einem relativ jungen Mit­ar­beiter, dem es gar nicht wohl war, der aber wenig Auf­hebens darum machte. Da er aber wirklich unge­wöhnlich schlecht aussah, rief ich meinen Lebens­ge­fährten hinzu, der ein alt­ge­dienter Sani­täter ist. Er ver­mutete sofort einen Herz­in­farkt und tat, was man in solchen Fällen machen kann. Der „Sanka“ wurde gleich­zeitig gerufen — gegen den Willen des Mit­ar­beiters. Eine kurze Unter­su­chung durch den mit ein­tref­fenden Notarzt, die Dia­gnose „Herz­in­farkt“ war zutreffend und er war gefähr­licher, als gedacht. Sofort wurden Erste Hilfe-Maß­nahmen ein­ge­leitet, einige Minuten später bereits landete ein Hub­schrauber im Garten und der Mit­ar­beiter wurde bereits im Hub­schrauber intensiv von den Not­ärzten behandelt. Er ist voll­ständig genesen und mit dem Schrecken davon gekommen.
Unsere Not­fall­ver­sorgung funk­tio­niert sehr gut und ange­messen. Und die Leute in den Ret­tungs­leit­stellen wissen sehr genau, was sie tun. Kein Notarzt rückt mit der gesamten Kaval­lerie unter Leucht­re­klame und Musik aus, wenn Oma Müller Zahn­schmerzen oder Herr Meier Durchfall hat. Aber kein Notarzt sagt Nein, wenn die Infor­ma­tionen aus der Ret­tungs­leit­stelle eine Lebens­gefahr oder ernste Pro­bleme signalisieren.
Wenn Herr Gesund­heits­mi­nister Spahn sich lieber auf seine Han­dyApp zur Dia­gnose ver­lässt, dann kann er das bitte gerne tun: „Ich selbst habe eine App auf dem Handy, die mit 20 oder 30 Fragen Dia­gnosen genauer trifft als viele Ärzte, weil sie auf so viele Studien und Infor­ma­tionen zurück­greifen kann, wie es kein Arzt alleine kann.“
Prima, Herr Minister Spahn. Und jetzt erzählen Sie uns doch bitte noch, warum sich die Bun­des­bürger gefäl­ligst selbst per Han­dyApp dia­gnos­ti­zieren sollen, um das Gesund­heits­system zu ent­lasten, aber dass gleich­zeitig gut aus­ge­bildete, erfahrene und erfolg­reiche Heil­prak­tiker abge­schafft gehören, weil sie keine aka­de­misch aus­ge­bil­deten Ärzte sind und daher eine Gefahr für den Kranken. Dan­ke­schön, auf Wiedersehen.
 

Gesund­heits­reform 2018, der neue Ret­tungs­wagen, Modell “Jens Spahn”. Preiswert, umwelt­freundlich, nicht per­so­nal­in­tensiv und durch Pfer­de­kraft auch in Die­sel­fahr­ver­bots­zonen einsetzbar!