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Erste anti-rus­sische Sanktion auf­ge­hoben: Russland bekommt volle Rechte im Euro­parat zurück

Russland erhält sein Stimm­recht im Euro­parat zurück. Das ist die erste Straf­aktion gegen Russland, die nun wieder auf­ge­hoben wurde.
Im April habe ich mal über dieses Thema berichtet, das in den deut­schen Medien gar keine Rolle gespielt hat. 2014 wurde Russland im Zuge der Ukraine-Krise auf Druck des Westens das Stimm­recht im Euro­parat entzogen.
Der Euro­parat ist kein Gremium der EU, sondern eine Ver­tretung von Par­la­men­ta­riern aller euro­päi­schen Staaten. Dort ist auch zum Bei­spiel der Euro­päische Gerichtshof für Men­schen­rechte ange­siedelt. Russland hat, nachdem ihm seine Rechte in dem Gremium ent­zogen wurde, keine Dele­ga­tionen mehr geschickt und ab 2017 auf­gehört, seine Mit­glieds­bei­träge zu bezahlen und mit­ge­teilt, dass es diese erst wieder ent­richten werde, wenn es auch alle Rechte wie­der­be­komme. Mit­glieds­bei­träge zu bezahlen, aber nicht die vollen Rechte eines Mit­gliedes zu haben, lehnte Russland ab.
Russ­lands Bei­träge machen jedoch fast 10% des Budgets aus und so kamen die Insti­tu­tionen des Euro­pa­rates in finan­zielle Schwie­rig­keiten. Hinzu kam, dass das Reglement vor­sieht, dass ein Land, das zwei Jah­res­bei­träge schuldig ist, aus dem Euro­parat ganz aus­ge­schlossen wird. Das würde zum Bei­spiel auch bedeuten, dass das Land nicht mehr an Ent­schei­dungen des Euro­päi­schen Gerichtshofs für Men­schen­rechte gebunden ist.
Russland hat mit­ge­teilt, dass es den Aus­schluss in Kauf nehmen würde, weil es ja de facto ohnehin schon aus­ge­schlossen sei.
In der Nacht hat der Euro­parat beschlossen, Russland seine Rechte im vollen Umfang wieder zuzu­ge­stehen. Dem war eine heftige Debatte vor­aus­ge­gangen, denn es gab natürlich auch Gegner dieser Ent­scheidung. Das waren vor allem die bal­ti­schen Staaten, Georgien und natürlich die Ukraine selbst, die verbal schwerste Geschütze auffuhr und sogar mit ihrem Aus­tritt drohte, sollte Russland seine Rechte zurückbekommen.
Von diesem Aus­tritt wird zwar derzeit nicht mehr geredet, aber Kiew schäumt vor Wut, spricht von einem unzu­läs­sigen Ent­ge­gen­kommen gegenüber Moskau und innen­po­li­tisch bezeichnen die Gegner Selenskys dieses Ergebnis als Schwäche des neuen Prä­si­denten. Dabei hätte auch Poro­schenko dies nicht ver­hindern können. Dass es eine Mehrheit für die Rückkehr Russ­lands geben würde, war schon im April klar, als Poro­schenko noch Prä­sident war.
Auch Gegner Russ­lands, wie zum Bei­spiel Groß­bri­tannien, sprachen sich für eine Rückkehr Russ­lands aus, wenn auch mit anderen Argu­menten: Wenn Russland aus­trete, bezie­hungs­weise kom­plett aus­ge­schlossen würde, und in der Folge der Euro­päische Gerichtshof für Men­schen­rechte keine Macht mehr über Russland habe, dann gäbe es keine Mög­lich­keiten mehr für Russen, auf inter­na­tio­naler Bühne juris­tisch gegen rus­sische Gerichts­ent­schei­dungen vorzugehen.
Bei der Debatte äußerte ein ser­bi­scher Abge­ord­neter etwas, was auch die Gegner Russ­lands nach­denklich machen sollte. Er sagte, dass dieses Gremium eine demo­kra­tische Ver­tretung sei und dass die Instru­men­ta­li­sierung dieses Gre­miums für poli­tische Zwecke eine Abkehr von der Demo­kratie sei. Der Aus­schluss von Abge­ord­neten bedeute ja nicht nur den Aus­schluss eines Landes, sondern vor allem den Aus­schluss von gewählten Abge­ord­neten und damit auch der Wähler, die hinter ihnen stünden. Wie das mit demo­kra­ti­schen Prin­zipien in Ein­klang zu bringen sei, ver­stehe er nicht.
Die Rückgabe aller Rechte an Russland bedeutet nun aber ganz nebenbei, dass die erste Sanktion gegen Russland gefallen ist. Sie zeigt, dass die anti-rus­sische Front Risse bekommt.
Natürlich gefällt das den deut­schen Medien nicht. Die Vor­ge­schichte und die mona­te­langen Dis­kus­sionen über das Thema im Euro­parat wurden in der Zeit von den deut­schen Medien nicht the­ma­ti­siert. Im Spiegel gibt es heute einen Artikel über die Ent­scheidung, den natürlich negativ aus­fällt. Nachdem wir die Vor­ge­schichte kennen, können wir abgleichen, ob der Spiegel objektiv oder ten­denziös berichtet. Schon die Ein­leitung zeigt, wohin die Reise geht:

„Wegen der Krim-Annexion hatte die Par­la­men­ta­rische Ver­sammlung des Euro­parats Russland das Stimm­recht ent­zogen. Moskau übte unver­hohlen Druck auf die älteste euro­päische Insti­tution aus – mit Erfolg.“

Dann folgen drei Absätze, die berichten, dass Russland „nach hit­ziger Debatte“ sein Stimm­recht zurück­be­kommen wird und das die Ukraine dagegen pro­tes­tiert hat. Danach erklärt der Spiegel seinen Lesern, worin Moskaus angeb­licher „unver­hoh­lener Druck“ bestanden hat:

„Als Reaktion auf die Krim-Annexion hatte die Par­la­men­ta­rische Ver­sammlung den rus­si­schen Ver­tretern im April 2014 das Stimm­recht und andere Rechte aberkannt. Moskau hatte darauf mit einem Boykott der Ver­sammlung reagiert und keine Dele­gation mehr geschickt. Seit Juni 2017 zahlt Russland außerdem keine Mit­glieds­bei­träge mehr an den Euro­parat. Es schuldet dem Euro­parat für 2017 und 2018 rund 54,7 Mil­lionen Euro. Zusammen mit dem im Juli fäl­ligen Beitrag für dieses Jahr liegen die Schulden bei rund 87,2 Mil­lionen Euro plus Zinsen.“

Frage: Stellen Sie sich vor, Sie wären Mit­glied in einem Verein und dort ent­zieht man Ihnen das Recht, Anträge ein­zu­bringen und an Abstim­mungen teil­zu­nehmen. Würden Sie wei­terhin auf die Ver­samm­lungen gehen und ihre Mit­glieds­bei­träge zahlen? Wohl kaum. Aber für den Spiegel ist eine solche Reaktion „Druck ausüben“.
Um den Leser von der ein­fachen Tat­sache abzu­lenken, dass Russ­lands Reaktion durchaus nach­voll­ziehbar ist, benutzt der Spiegel die ein­ge­probten For­mu­lie­rungen von der „Krim-Annexion.“ Alle Details zu den Ereig­nissen 2014 auf der Krim finden Sie in dieser Lese­probe aus meinem Buch über die Ukraine-Krise 2014. Lesen Sie das und ent­scheiden Sie selbst, ob es in Ihren Augen eine Annexion war oder nicht.
Dann schreibt der Spiegel noch:

„Moskau hatte wie­derholt mit einem Aus­tritt aus dem Euro­parat für den Fall gedroht, dass die Sank­tionen gegen die rus­sische Dele­gation auf­recht­erhalten bleiben“

Auch das ist nicht wahr, aber im Spiegel erscheint kaum ein Artikel über Russland, in dem nicht von „rus­si­schen Dro­hungen“ die Rede ist. Russland hatte damit nicht gedroht, es hat lediglich mit­ge­teilt, dass sich das Gremium ent­scheiden müsse. Ent­weder gibt es Russland seine vollen Rechte zurück oder es hätte Russland, auf­grund seiner eigenen Rege­lungen, wegen zwei­jäh­riger Nicht­zahlung von Bei­trägen ganz raus­schmeißen müssen. Russland wollte einfach Klarheit und wollte nicht Bei­träge an ein Gremium bezahlen, in dem es de facto schon kein Mit­glied mehr war. Es war also keine rus­sische Drohung mit Aus­tritt, sondern die Auf­for­derung an das Gremium, sich zu entscheiden.
Man kann ver­einzelt in der Presse lesen, Russland habe den Euro­parat finan­ziell erpresst. Die Nicht­zahlung der rus­si­schen Bei­träge hat das Gremium unbe­streitbar in finan­zielle Schwie­rig­keiten gebracht. Russ­lands Anteil beträgt ca. 10%, aber in nackten Zahlen sind das nur ca. 30 Mil­lionen Euro pro Jahr. Das ist eine Summe, die die ver­blie­benen über 40 Mit­glieds­länder pro­blemlos hätten auf­bringen können. Von einer finan­zi­ellen Erpressung kann also kaum die Rede sein.
Vielmehr ist das etwas, was man bei vielen Sank­tionen gegen Russland beob­achten kann: Man beschließt etwas, jedoch ohne Russland wirklich zu schaden. Den voll­stän­digen Bruch mit Russland will man in Europa anscheinend auch nicht, man folgt dem Druck der USA und ver­hängt Sank­tionen gegen Russland, die den EU-Staaten mehr schaden, als Russland selbst. Aber wirklich schwer­wie­gende Sank­tionen gegen Russland werden nicht beschlossen. Die Ent­wick­lungen im Euro­parat haben gezeigt, dass die euro­päi­schen Staaten mehr­heitlich zurück­rudern, wenn zum Schwur kommt.
Und das macht Hoff­nungen für die zukünf­tigen Bezie­hungen zu Russland, das Kind scheint noch nicht in den Brunnen gefallen zu sein.
Nachtrag: Kurz nachdem ich diesen Beitrag geschrieben habe, hat die Ukraine doch ihre Abge­ord­neten aus dem Euro­parat abge­zogen. Der Spiegel schrieb dazu:

„Die Regierung in Kiew kün­digte nun an, die eigenen Mit­ar­beiter würden aus Protest gegen die Ent­scheidung ihre Arbeit in dem Gremium vorerst aussetzen.“

Auch der ukrai­nische Bot­schafter beim Euro­parat wurde zu Kon­sul­ta­tionen nach Kiew beordert.


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“