In Deutschland gibt es de facto nur noch drei Par­teien: Die Linke, die “Block­partei der Mitte” und die AfD

Demo­kratie soll eigentlich ein Streit um die besten Ideen sein, in der die Par­teien ver­schiedene Posi­tionen ver­treten, zwi­schen denen der Wähler sich ent­scheiden kann. Aber was wird aus einer Demo­kratie, wenn alle Par­teien das gleiche wollen?
Die Älteren unter uns werden sich noch erinnern, dass es früher klare Abgren­zungen zwi­schen den Par­teien gab. Rechts war die CDU, die sich einen hef­tigen Kampf mit der SPD geliefert hat. Unver­gessen sind Rede­duelle im Bun­destag, wenn sich zum Bei­spiel Helmut Schmidt und Franz-Joseph Strauss beharkt haben. Später kamen dann die Grünen hinzu, die noch einmal völlig andere Posi­tionen ver­treten haben, als die anderen Par­teien. Damals konnte man also noch wirklich zwi­schen den ver­schie­denen Posi­tionen der Par­teien aus­wählen und vor allem: Sie hatten tat­sächlich unter­schied­liche Positionen.
Und wie ist das heute? Können Sie bei wich­tigen Themen Unter­schiede zwi­schen den eta­blierten Par­teien fest­stellen? Gibt es noch echte Streit­punkte zwi­schen ihnen? Ich finde partout keine mehr.
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Alle Par­teien sehen die neo­li­berale Glo­ba­li­sierung als alter­na­tivlos an und unter­stützen sie, wo sie nur können. Alle diese Par­teien finden Hart 4, Ren­ten­kür­zungen, Ban­ken­rettung und so weiter mehr oder weniger gut, jeden­falls hat sich keine der Par­teien dagegen aus­ge­sprochen. Und dass Nato, deutsche West­an­bindung, der Euro und die EU heilige Kühe sind, die man nicht in Frage stellen darf, darin sind sich eben­falls alle einig. Auch beim Kli­ma­paket sind sich alle einig, dass es auf jeden Fall kommen muss, man streitet sich eigentlich nur darüber, wie viel es kosten soll. Wer es bezahlt, ist klar: Die ein­fachen Leute durch höhere Steuern und Ener­gie­preise. Und wenn Unter­nehmen dadurch Mehr­kosten haben sollten, landen auch die durch Preis­er­hö­hungen beim Ver­braucher, wenn die Unter­nehmen nicht gleich ihre Pro­duktion in Deutschland schließen und nach Rumänien oder sonst­wohin umziehen. Dann bezahlen die ein­fachen Leute eben mit Arbeitslosigkeit.
Mir fällt absolut kein Thema ein, bei dem die eta­blierten Par­teien CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne unter­schied­licher Meinung sind. Wenn es denn mal Dif­fe­renzen gibt, beschränken die sich auf Details, wie zum Bei­spiel die unglaublich wichtige Frage, wie viel denn eine Tonne CO2 in Zukunft zusätzlich kosten soll. Aber dass sie mehr kosten soll, darin sind sich alle einig.
Und so ist es seit Jahren bei jedem Thema, wann gab es das letzte Mal einen wirk­lichen Rich­tungs­streit unter den eta­blierten Par­teien? Der letzte Rich­tungs­streit, der mir ein­fällt, war die Frage, ob Deutschland am Irak-Krieg teil­nehmen sollte. Bun­des­kanzler Schröder wollte nicht und Oppo­si­ti­ons­füh­rerin Merkel hat ihn dafür heftig kri­ti­siert. Zwei Jahre später war sie Kanz­lerin und spä­testens seitdem sind die Mei­nungs­un­ter­schiede zwi­schen den Par­teien nicht mehr viel größer, als bei den Block­par­teien in der DDR.
Wenn es um poli­tische Posi­tionen geht, gibt es in Deutschland nur noch die Wahl zwi­schen Die Linke, den „Block­par­teien der Mitte“ und der AfD. 
Diese These werden die Anhänger von Tages­schau und Spiegel natürlich bestreiten, aber ich habe meine Zweifel, ob sie das auch mit Argu­menten belegen und mir Bei­spiele für Rich­tungs­streit zwi­schen den „Block­par­teien der Mitte“ nennen können.
Und auch in Sachen Ideo­logie sind die „Block­par­teien der Mitte“ min­destens so beton­köpfig, wie die DDR-Block­par­teien, wie man am Umgang mit der AfD sehen kann. In Sassnitz auf Rügen haben sich Abge­ordnete der SPD vor kurzem erdreistet, zusammen mit der AfD gemeinsame Anträge ein­zu­bringen. Die SPD war scho­ckiert und machte mächtig Druck auf die Kom­mu­nal­po­li­tiker. Mit der AfD, also das ginge gar nicht!
Ich war der Meinung, dass es in einer Demo­kratie um Sach­fragen und Lösungen für Pro­bleme gehen sollte und nicht um ideo­lo­gische Kämpfe. Bei den gemein­samen Anträgen in Sassnitz ging um bür­ger­freund­liche Inhalte, zum Bei­spiel mehr Trans­parenz in der Stadt­ver­tretung, die Schaffung eines Behin­der­ten­be­auf­tragten oder die Besei­tigung eines Schand­flecks am Bahnhof.
Eigentlich ist das ein Skandal: Wenn die AfD dafür ist, einen Behin­der­ten­be­auf­tragten zu schaffen, dann stimmt die SPD lieber dagegen, als gemeinsam mit der AfD etwas sinn­volles zu tun. Das hat nichts mehr mit sach­licher Politik zu tun. Das ist eine ideo­lo­gisch so ver­bohrte Haltung, wie man sie in Deutschland zuletzt vor 1933 gesehen hat, als Hitler aus ideo­lo­gi­schen Gründen gegen alles war und die Arbeit des Reichs­tages so lange blo­ckiert und immer wieder Neu­wahlen erzwungen hat, bis er endlich Kanzler wurde.
Wenn es für Par­teien wich­tiger ist, den poli­ti­schen Gegner zu bekämpfen, als etwas für die Men­schen zu tun, dann ist das eine Situation, die mit demo­kra­ti­schen Werten nichts zu tun hat. Und tat­sächlich hat der Druck dazu geführt, dass die SPD-Abge­ord­neten sich ein paar Tage später aus den gemein­samen Anträgen zurück­ge­zogen haben. Was nun aus ihnen wird, können Sie bei Interesse in der ört­lichen Regio­nal­zeitung verfolgen.
Und auch bei den Land­tags­wahlen in Bran­denburg, Sachsen und Thü­ringen haben wir das wieder gesehen. Die „Block­par­teien der Mitte“ haben sich kaum um Inhalte und den poli­ti­schen Kon­kur­renz­kanpf unter ein­ander gekümmert, sondern sind alle zusammen gegen die AfD auf­mar­schiert. Das führt zu Regie­rungen aus Par­teien, die sich eigentlich inhaltlich Spinne Feind sein müssten. Die soge­nannte Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen ist genau das, was ich gerade beschrieben habe: Den Zusam­men­schluss von Block­par­teien, denen der ideo­lo­gische Kampf gegen den poli­ti­schen Gegner wich­tiger ist, als die poli­tische Sacharbeit.
Kein Scherz, das war ein Wahl­plakat in Nuthetal in Brandenburg

Im Spiegel konnte man dazu lesen:
„Die Kenia-Koalition könnte eine Chance sein, wo die AfD ein Viertel der Wähler hinter sich ver­sammelt: Kon­ser­vative CDU, Koh­le­partei-SPD und das städ­tische Bil­dungs­milieu der Grünen sitzen am Kabi­netts­tisch und ringen um Kom­pro­misse. Eine Mitte-Regierung, die den auf­stre­benden Popu­listen etwas ent­ge­gen­stellt und die Pro­bleme angeht. So ver­sucht man sich das auch in Sachsen und Bran­denburg schön­zu­reden, wo man nun gerade den Ein­druck ver­meiden will, die Kenia-Koalition sei lediglich ein Not­fall­bündnis gegen die AfD.“
Bemer­kenswert finde ich, wie der Spiegel hier unter­schwellig seine Leser beein­flussen möchte. Nach Spiegel-Meinung ist „kon­ser­vativ“ etwas schlechtes, man soll heute pro­gressiv und modern sein, kon­ser­vativ klingt für den Spiegel alt­backen und ver­staubt. Und auch Kohle, das lernen wir im Spiegel inzwi­schen täglich mehrmals, ist ganz doll pfui! Und so schreibt der Spiegel von der „kon­ser­va­tiven CDU“ und der „Koh­le­partei-SPD„. Der treue Spiegel-Jünger wird schön gegen beide Par­teien beein­flusst, aber die Grünen sind für den Spiegel das „städ­tische Bil­dungs­milieu„. Genau als das scheinen sich die Redak­teure in Hamburg selbst zu empfinden.
Übrigens würde mich mal inter­es­sieren, wie der Spiegel darauf kommt, die CDU kon­ser­vativ zu nennen. Mir fällt keine kon­ser­vative Position mehr ein, die die CDU noch ver­treten würde. Aber das ist ein anderes Thema.
Die „Block­par­teien der Mitte“ nennt der Spiegel dann eine „Mitte-Regierung„, die „Pro­bleme angeht„. Da bin ich aber mal wirklich gespannt, welche Pro­bleme diese Koali­tionen so angehen werden. Aus Sachsen-Anhalt, wo die Block­par­teien bereits gemeinsam regieren, habe ich jeden­falls noch nicht viel von erfolg­reicher Pro­blem­lösung gehört.
Apropos „Mitte“: Als geschichtlich sehr inter­es­sierter Mensch weiß ich, dass jede Zeit ihre eigenen, positiv besetzten Begriffe hatte. Im Kai­ser­reich wurde man kaum als voll­wer­tiges Mit­glied der Gesell­schaft ange­sehen, wenn man nicht „gedient“ hatte. Bei den Nazis war es ganz toll, sich als „Arier“ zu fühlen und „Ange­hö­riger der Volks­ge­mein­schaft“ zu sein. In der DDR hatte man Nach­teile, wenn man nicht zu den jungen Pio­nieren wollte und nicht „die Partei hat immer recht“ gesungen hat.
Und heute ist dieser positive Begriff „die Mitte“. Der durch­schnitt­liche Ein­heitsbrei wird als das Ideal ange­priesen. Ich dachte immer, dass eine Demo­kratie von Vielfalt und ver­schie­denen Mei­nungen lebt, von Streit zwi­schen „links“ und „rechts“. Aber heut­zutage ist „rechts“ böse und „links“, naja, eigentlich auch, es sei dann man ist nur ein bisschen links, wie zum Bei­spiel die Grünen. Wobei: klas­sische linke Posi­tionen finde ich bei den Grünen nicht, sie sind längst zu einer neo­li­be­ralen FDP-Kopie geworden, die von Umwelt­schutz redet, aber klamm­heimlich dagegen stimmt, wenn keiner hinschaut.
Als Ein­heits­block prä­sen­tierten sich die eta­blierten Par­teien auch bei der EU-Wahl vor einigen Monaten. Wenn man sich die Wahl­plakate ange­schaut hat, konnte man außer der Farbe der Plakate keinen Unter­schied zwi­schen den „Block­par­teien der Mitte“ erkennen. Sie hatten alle die gleichen Slogans.

Und dass es den „Block­par­teien der Mitte“ auch nicht um demo­kra­tische Gepflo­gen­heiten geht, kann man im Bun­destag beob­achten. Laut Geschäfts­ordnung steht jeder Fraktion ein Sitz im Par­la­ments­prä­sidium zu. Aber die AfD hatte schon drei Kan­di­daten vor­ge­schlagen, die alle abge­lehnt wurden. In der letzten Woche geschah das auch mit dem vierten Kan­di­daten. Das hat weder etwas mit Demo­kra­tie­ver­ständnis, noch mit sach­licher Arbeit zu tun.
Deutschland hat bereits zwei Mal sehr schlechte Erfah­rungen mit Ideo­logien gemacht. Die Nazis und auch der „real exis­tie­rende Sozia­lismus“ waren keine Ruh­mes­blätter der deut­schen Geschichte und wir Deut­schen müssten aus dieser Erfahrung eigentlich wissen, das ideo­lo­gische Ver­bohrtheit uns noch nie irgend­etwas anderes, als Pro­bleme gebracht hat. Nun also scheint Deutschland den dritten Versuch einer auf reiner Ideo­logie basie­renden Politik zu machen, dieses Mal mit den Parolen „Neo­li­be­ra­lismus“ und „Glo­ba­li­sierung“.
Man darf abwarten, wie böse das Erwachen nach diesem ideo­lo­gi­schen Expe­riment sein wird.


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“