Ent­hül­lungen in den USA zum Afgha­nistan-Krieg: “Im Krieg mit der Wahrheit”

Skandal in den USA: Die Regierung hat die Öffent­lichkeit seit Beginn des Afgha­nistan-Krieges belogen. Auch die deutsche Regierung hat dies 18 Jahre lang getan, wie Unter­lagen zeigen, deren Freigabe eine US-Zeitung erstritten hat.
In den USA hat die Washington Post die Freigabe von Regie­rungs­do­ku­menten zum Afgha­nistan-Krieg erstritten. Bei den Unter­lagen handelt es sich um Aus­sagen von lei­tenden Regie­rungs­mit­gliedern und Militärs, die intern gesammelt wurden. Und sie zeigen, dass in Afgha­nistan die Kor­ruption gefördert und über den Kriegs­verlauf gelogen wurde. Eine Stra­tegie gegen den Anbau von Mohn für Opium gibt es keine Stra­tegie und Afgha­nistan ist unter Nato-Besetzung zum größten Pro­du­zenten von Opium geworden, über 80 Prozent des welt­weiten Opiums kommen heute aus Afghanistan.
Der Krieg, in dem auch deutsche Sol­daten sterben, ist nach über­ein­stim­mender Meinung der Insider nicht zu gewinnen. Für die internen Berichte wurden auch deutsche Betei­ligte befragt, die Bun­des­re­gierung kann sich also kaum mit „Nicht­wissen“ her­aus­reden, auch in Berlin weiß man hinter vor­ge­hal­tener Hand, dass der Krieg sinnlos und nicht zu gewinnen ist.
In deutsch­spra­chigen Medien gibt es über den Artikel nur sehr kurze Berichte, wie diese in der NZZ oder beim Deutsch­landfunk. Während die US-Zeitung vom „Krieg mit der Wahrheit“ titelt, heißt es in Deutschland in den Über­schriften ver­harm­losend, die USA hätten Berichte über den Fort­schrift in Afgha­nistan „beschönigt“. Und die wich­tigen Details des Berichtes, werden – zumindest bisher – in deut­schen Medien nicht erwähnt.
Ich habe lange überlegt, wie ich den Artikel zusam­men­fasse, der darüber berichtet und bin zu dem Schluss gekommen, das nicht zu tun, sondern den langen und detail­lierten Artikel der Washington Post kom­plett zu über­setzen. Wer gut Eng­lisch kann, sollte den Artikel im Ori­ginal anschauen, denn er ist voll mit Links zu den frei­ge­geben Dokumenten.
Beginn der Übersetzung:
Ver­trau­liche Regie­rungs­do­ku­mente, die die Washington Post in ihrem Besitz hat,zeigen unver­kennbare Beweise dafür, dass US-Offi­zielle über den Krieg in Afgha­nistan 18 Jahre lang nicht die Wahrheit gesagt und die Situation in rosa Farben gemalt und ein­deutige Hin­weise zurück­ge­halten haben, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war.
Die Doku­mente wurden von einem Bun­des­projekt gene­riert, das die Wurzeln des längsten bewaff­neten Kon­flikts in der Geschichte der USA unter­sucht hat. Sie umfassen mehr als 2.000 Seiten bisher unver­öf­fent­lichter Notizen von Inter­views mit Men­schen, die eine direkte Rolle im Krieg gespielt haben, von Gene­rälen und Diplo­maten bis hin zu Ent­wick­lungs­helfern und afgha­ni­schen Beamten.
Die US-Regierung ver­suchte, die Iden­ti­täten der über­wie­genden Mehrheit der für das Projekt befragten Per­sonen und ihre Aus­sagen geheim zu halten. Die Washington Post hat die Freigabe der Doku­mente nach dem Freedom of Infor­mation Act nach einem drei­jäh­rigen Rechts­streit erreicht.
In den Inter­views übten mehr als 400 Insider hem­mungslose Kritik daran, was in Afgha­nistan schief gelaufen ist und wie die Ver­ei­nigten Staaten in fast zwei Jahr­zehnten Krieg ver­strickt waren.
Mit einer selten in der Öffent­lichkeit geäu­ßerten Unver­blümtheit ent­blößten die Inter­views auf­ge­staute Beschwerden, Frus­tra­tionen und Geständnisse.
„Wir hatten kein grund­le­gendes Ver­ständnis von Afgha­nistan – wir wussten nicht, was wir taten“, sagte Douglas Lute, ein Drei-Strene-General, der während der Bush- und Obama-Admi­nis­tration als afgha­ni­scher Kriegszar im Weißen Haus diente 2015. Er fügte hinzu: „Was ver­suchen wir hier zu tun? Wir hatten nicht die geringste Vor­stellung von dem, was wir taten.“
„Wenn das ame­ri­ka­nische Volk das Ausmaß dieser Dys­funktion kennen würde, 2.400 Men­schen kamen ums Leben“, fügte Lute hinzu und machte den Tod von US-Mili­tär­an­ge­hö­rigen für büro­kra­tische Pannen zwi­schen dem Kon­gress, dem Pen­tagon und dem Außen­mi­nis­terium ver­ant­wortlich. „Wer wird sagen, das das umsonst war?“
Seit 2001 waren mehr als 775.000 US-Sol­daten in Afgha­nistan sta­tio­niert, viele mehrmals. Davon starben dort 2.300 und 20.589 wurden im Einsatz ver­wundet, wie das Ver­tei­di­gungs­mi­nis­terium mitteilte.
Die Inter­views bringen durch eine breite Palette von Stimmen die Kern­fehler des Krieges, die bis heute andauern, ans Tages­licht. Sie unter­streichen, wie drei Prä­si­denten – George W. Bush, Barack Obama und Donald Trump – und ihre Mili­tä­ri­schen Kom­man­deure nicht in der Lage waren, ihre Ver­sprechen zu erfüllen, in Afgha­nistan zu gewinnen.
Da die meisten von ihnen sprachen in der Annahme, dass ihre Äuße­rungen nicht öffentlich werden würden. US-Beamte gaben zu, dass ihre Kampf­stra­tegien fatal feh­lerhaft waren und dass Washington enorme Geld­summen ver­schwendet hat, um Afgha­nistan in eine moderne Nation umzugestalten.
Die Inter­views zeigen auch die ver­pfuschten Ver­suche der US-Regierung, die aus­ufernde Kor­ruption ein­zu­dämmen, eine kom­pe­tente afgha­nische Armee und Polizei auf­zu­bauen und afgha­ni­stans flo­rie­renden Opi­um­handel zu beschneiden.
Die US-Regierung hat keine umfas­sende Bilanz darüber erstellt, wie viel sie für den Krieg in Afgha­nistan aus­ge­geben hat, aber die Kosten sind erschütternd.
Seit 2001 haben das Ver­tei­di­gungs­mi­nis­terium, das Außen­mi­nis­terium und die US-Agentur für inter­na­tionale Ent­wicklung zwi­schen 934 und 978 Mil­li­arden US-Dollar aus­ge­geben, wie aus einer infla­ti­ons­be­rei­nigten Schätzung her­vorgeht, die von Neta Crawford, einer Poli­tik­wis­sen­schaft­lerin und Pro­fes­sorin und Co-Direk­torin des Costs of War Project an der Brown Uni­versity berechnet wurden.
In diesen Zahlen sind Gelder anderer Agen­turen wie der CIA und des Department of Veterans Affairs, das für die medi­zi­nische Ver­sorgung ver­wun­deter Vete­ranen zuständig ist, nicht enthalten.
„Was haben wir für diese eine Billion Dollar bekommen? War es eine Billion Dollar wert?“ sagte Jeffrey Eggers, ein pen­sio­nierter Navy SEAL und Mit­ar­beiter des Weißen Hauses unter Bush und Obama in internen Gesprächen. Er fügte hinzu: „Nach der Ermordung Osama bin Ladens sagte ich, dass Osama wahr­scheinlich in seinem nassen Grab lacht, wenn man bedenkt, wie viel wir für Afgha­nistan aus­ge­geben haben.“
Die Doku­mente wider­sprechen auch einem langen Chor von öffent­lichen Erklä­rungen von US-Prä­si­denten, Mili­tär­kom­man­danten und Diplo­maten, die den Ame­ri­kanern Jahr für Jahr ver­si­cherten, dass sie in Afgha­nistan Fort­schritte machten und der Krieg es wert war, gekämpft zu werden.
Mehrere der Befragten beschrieben explizite und nach­haltige Bemü­hungen der US-Regierung, die Öffent­lichkeit absichtlich in die Irre zu führen. Sie sagten, es sei üblich, im mili­tä­ri­schen Haupt­quartier in Kabul – und im Weißen Haus – Sta­tis­tiken zu ver­zerren, um den Anschein zu erwecken, dass die Ver­ei­nigten Staaten den Krieg gewannen, als dies nicht der Fall war.
„Jeder Daten­punkt wurde geändert, um das best­mög­liche Bild zu ver­mitteln“, sagte Bob Crowley, ein Oberst der Armee, der 2013 und 2014 als rang­hoher Berater der US-Mili­tär­kom­man­deure diente, gegenüber Regie­rungs­in­ter­viewern. „Umfragen zum Bei­spiel waren völlig unzu­ver­lässig, aber sie ver­stärkten, dass alles, was wir taten, richtig war.“
John Sopko, der Chef der Bun­des­be­hörde, die die Inter­views führte, räumte gegenüber der Washington Post ein, dass die Doku­mente zeigen, dass „das ame­ri­ka­nische Volk ständig belogen wurde“.
Die Inter­views sind das Neben­produkt eines Pro­jekts, das von Sopkos Agentur, dem Büro des Son­der­in­spektors für den Wie­der­aufbau Afgha­ni­stans, geleitet wird. Bekannt als SIGAR, wurde die Agentur 2008 vom Kon­gress gegründet, um Ver­schwendung und Betrug im Kriegs­gebiet zu untersuchen.
Im Jahr 2014 stellte SIGAR unter Sopkos Leitung seine eigent­liche Mission, Audits durch­zu­führen, ein und startete ein Side Venture. Unter dem Titel „Lessons Learned“ sollte das 11-Mil­lionen-Dollar-Projekt poli­tische Miss­erfolge in Afgha­nistan dia­gnos­ti­zieren, damit die Ver­ei­nigten Staaten die Fehler beim nächsten Ein­marsch in ein Land nicht wie­der­holen oder ver­suchen würden, ein zer­störtes Land wieder aufzubauen.
Die Mit­ar­beiter von „Lessons Learned“ befragten mehr als 600 Per­sonen mit Erfah­rungen aus erster Hand in dem Krieg. Die meisten waren Ame­ri­kaner, aber SIGAR-Ana­lysten reisten auch nach London, Brüssel und Berlin, um NATO-Ver­bündete zu inter­viewen. Darüber hinaus inter­viewten sie etwa 20 afgha­nische Beamte und dis­ku­tierten über Wie­der­aufbau- und Entwicklungsprogramme.
Auf Grundlage der Inter­views sowie anderer Regie­rungs­akten und Sta­tis­tiken hat SIGAR seit 2016 sieben „Lessons Learned“-Berichte ver­öf­fent­licht, die Pro­bleme in Afgha­nistan auf­zeigen und Ände­rungen der Stra­tegie zur Sta­bi­li­sierung des Landes empfehlen.
Aber die Berichte, die in dichter büro­kra­ti­scher Prosa geschrieben wurden und sich auf eine Alpha­betsuppe von Regie­rungs­in­itia­tiven kon­zen­trierten, ließen die schärfsten und offensten Kri­tiken aus den Inter­views aus.
„Wir stellten fest, dass die Sta­bi­li­sie­rungs­stra­tegie und die Pro­gramme, mit denen sie umge­setzt wurde, nicht richtig auf den afgha­ni­schen Kontext zuge­schnitten waren. Erfolge bei der Sta­bi­li­sierung afgha­ni­scher Distrikte dau­erten selten länger an, als die Anwe­senheit von Koali­ti­ons­truppen“, hieß es in der Ein­leitung zu einem Bericht, der im Mai 2018 ver­öf­fent­licht wurde.
In den Berichten wurden auch die Namen von mehr als 90 Prozent der Befragten für das Projekt weg­ge­lassen. Während einige Beamte sich bereit erklärt haben, mit SIGAR zu sprechen, sagte die Agentur, sie ver­sprach allen anderen, die sie inter­viewte, Anony­mität, um Kon­tro­versen über poli­tisch sen­sible Ange­le­gen­heiten zu vermeiden.
Nach dem Freedom of Infor­mation Act begann die Washington Post im August 2016 mit der Suche nach den Inter­views. SIGAR lehnte dies mit dem Argument ab, dass die Doku­mente pri­vi­le­giert seien und dass die Öffent­lichkeit kein Recht habe, sie zu sehen.
Die Washington Post musste SIGAR zweimal vor dem Bun­des­ge­richt ver­klagen, um sie zur Freigabe der Doku­mente zu zwingen.
Die Agentur ver­öf­fent­lichte schließlich mehr als 2.000 Seiten unver­öf­fent­lichter Notizen und Tran­skripte aus 428 Inter­views, sowie mehrere Audioaufnahmen.
Die Doku­mente iden­ti­fi­zieren 62 der Befragten, aber SIGAR ver­dun­kelte die Namen von 366 anderen. In juris­ti­schen Briefen behauptete die Agentur, dass diese Per­sonen als Whist­le­b­lower und Infor­manten ange­sehen werden sollten, die mit Demü­ti­gungen, Beläs­ti­gungen, Ver­gel­tungs­maß­nahmen oder kör­per­lichen Schäden kon­fron­tiert sein könnten, wenn ihre Namen öffentlich würden.
Durch Quer­ver­weise auf Daten und andere Details aus den Doku­menten iden­ti­fi­zierte die Washington Post 33 weitere Per­sonen, die befragt wurden, dar­unter mehrere ehe­malige Bot­schafter, Generäle und Beamte des Weißen Hauses.
Die Washington Post hat einen Bun­des­richter gebeten, SIGAR mit dem Argument, dass die Öffent­lichkeit ein Recht darauf hat zu wissen, welche Beamten den Krieg kri­ti­sierten und behaup­teten, dass die Regierung das ame­ri­ka­nische Volk getäuscht habe, dazu zu zwingen, die Namen aller anderen Befragten offen­zu­legen. Die Washington Post argu­men­tierte auch, dass die Beamten keine Whist­le­b­lower oder Infor­manten seien, da sie nicht im Rahmen einer Unter­su­chung befragt wurden.
Eine Ent­scheidung von Rich­terin Amy Berman Jackson vom US-Bezirks­ge­richt in Washington ist seit Ende Sep­tember anhängig.
Die Post ver­öf­fent­licht die Doku­mente jetzt, anstatt auf eine end­gültige Ent­scheidung zu warten, um die Öffent­lichkeit zu infor­mieren, während die Trump-Admi­nis­tration mit den Taliban ver­handelt und überlegt, ob sie die 13.000 US-Truppen abziehen soll, die noch in Afgha­nistan sind.
Die Post ver­suchte, Kom­mentare von jedem zu bekommen, den sie iden­ti­fi­zieren konnte. Ihre Ant­worten werden in einem sepa­raten Artikel zusammengestellt.
Sopko, der Gene­ral­inspekteur, sagte der Washington Post, dass er die flam­mende Kritik und Zweifel an dem Krieg, den Beamte in den „Lessons Learned“ Inter­views ansprachen, nicht unter­drückte. Er sagte, es habe drei Jahre gedauert, bis sein Amt die Auf­zeich­nungen ver­öf­fent­licht habe, weil er einen kleinen Stab habe und weil andere Bun­des­be­hörden die Doku­mente über­prüfen müssten, um zu ver­hindern, dass Regie­rungs­ge­heim­nisse offen­gelegt würden.
„Wir haben nicht darauf gesessenn“, sagte er. „Wir glauben fest an Offenheit und Trans­parenz, aber wir müssen uns an das Gesetz halten.“
Die Inter­view­auf­zeich­nungen sind roh und unbe­ar­beitet und die Mit­ar­beiter von SIGAR „Lessons Learned“ haben sie nicht in eine ein­heit­liche Erzählung geheftet. Aber sie sind voll­ge­packt mit harten Urteilen von Leuten, die die US-Politik in Afgha­nistan geprägt oder durch­ge­führt haben.
„Wir machen keine Inva­sionen in armen Ländern, um sie reich zu machen“, sagte James Dobbins, ein ehe­ma­liger hoch­ran­giger US-Diplomat, der unter Bush und Obama als Son­der­ge­sandter für Afgha­nistan diente, bei den Inter­views. „Wir machen keine Inva­sio­nenen in auto­ri­tären Ländern, um sie demo­kra­tisch zu machen. Wir machen Inva­sionen in gewalt­tä­tigen Ländern, um sie friedlich zu machen und wir haben in Afgha­nistan ein­deutig versagt.“
Um die Inter­views zu erweitern, erhielt die Washington Post Hun­derte von Seiten zuvor klas­si­fi­zierter Memos über den Afgha­nistan-Krieg, die von Ver­tei­di­gungs­mi­nister Donald Rumsfeld zwi­schen 2001 und 2006 dik­tiert wurden.
Die Memos, die von Rumsfeld und seinen Mit­ar­beitern als „Schnee­flocken“ bezeichnet wurden, sind kurze Anwei­sungen oder Kom­mentare, die der Pen­tagon-Chef seinen Unter­ge­benen dik­tierte, oft mehrmals am Tag.
Rumsfeld machte 2011 eine aus­ge­wählte Anzahl seiner Schnee­flocken öffentlich und stellte sie in Ver­bindung mit seinen Memoiren „Known and Unknown“ online. Aber der größte Teil seiner Schnee­flo­cken­sammlung – schät­zungs­weise 59.000 Seiten – blieb geheim.
Im Jahr 2017 begann das Ver­tei­di­gungs­mi­nis­terium als Reaktion auf eine FOIA-Klage, die rest­lichen Schnee­flocken von Rumsfeld zu über­prüfen und frei­zu­geben, die im National Security Archive, einem gemein­nüt­zigen For­schungs­in­stitut an der George Washington Uni­versity, archi­viert sind. Das Archiv teilte sie mit der Washington Post.
Zusammen stellen die SIGAR-Inter­views und die Rumsfeld-Memos über Afgha­nistan eine geheime Geschichte des Krieges und eine scho­nungslose Ein­schätzung von 18 Jahren Kon­flikt dar.
In Rums­felds bra­chialem Stil for­mu­liert weisen viele der Schnee­flocken auf Pro­bleme hin, die das US-Militär mehr als ein Jahr­zehnt später noch immer verfolgen.
„Ich kann unge­duldig sein. Ich weiß, dass ich ein bisschen unge­duldig bin“, schrieb Rumsfeld in einem Memo an mehrere Generäle. „Wir werden das US-Militär niemals aus Afgha­nistan holen, wenn wir nicht darauf achten, dass etwas vor sich geht, das die Sta­bi­lität bietet, die not­wendig sein wird, damit wir gehen können.“
„Hilfe!“, schrieb er.
Das Memo datiert vom 17. April 2002 – sechs Monate nach Kriegsbeginn.
Was sie öffentlich sagten 
April 2002
„Die Geschichte des mili­tä­ri­schen Kon­flikts in Afgha­nistan [war] einer der ersten Erfolge, gefolgt von langen Jahren des Schei­terns und des end­gül­tigen Schei­terns. Wir werden diesen Fehler nicht wiederholen.“
— Prä­sident George W. Bush in einer Rede vor dem Vir­ginia Military Institute
Mit ihren unver­blümten Beschrei­bungen, wie die Ver­ei­nigten Staaten in einem fernen Krieg stecken blieben, sowie der Ent­schlos­senheit der Regierung, das vor der Öffent­lichkeit zu ver­bergen, ähneln die „Lessons Learned“ Inter­views weit­gehend den Pen­tagon Papers, also der streng geheimen Geschichte des Vietnamkrieges.
Als sie 1971 durch­ge­si­ckert sind, sorgten die Pen­tagon-Papers für Auf­sehen, weil sie ent­hüllten, dass die Regierung die Öffent­lichkeit lange darüber getäuscht hatte, wie die Ver­ei­nigten Staaten in Vietnam ver­strickt wurden.
Die 7.000-seitige Studie, die in 47 Bände auf­ge­teilt war, stützte sich aus­schließlich auf interne Regie­rungs­do­ku­mente – diplo­ma­tische Schreiben, Ent­schei­dungs­memos, Geheim­dienst­be­richte. Um die Geheim­haltung zu wahren, erließ Ver­tei­di­gungs­mi­nister Robert McNamara einen Befehl, der den Autoren unter­sagte, jemanden Inter­views zu geben.
Das Projekt „Lessons Learned“ von SIGAR sah sich solchen Ein­schrän­kungen nicht aus­ge­setzt. Mit­ar­beiter führten die Inter­views zwi­schen 2014 und 2018 durch, haupt­sächlich mit Beamten, die während der Bush- und Obama-Jahre gedient haben.
Etwa 30 der Inter­view­auf­zeich­nungen sind Wort für Wort tran­skri­biert. Der Rest sind getippte Zusam­men­fas­sungen von Gesprächen: Seiten von Notizen und Zitaten von Men­schen mit unter­schied­lichen Stand­punkten im Kon­flikt, von Pro­vin­zau­ßen­posten bis zu den höchsten Machtzirkeln.
Einige der Inter­views sind uner­klärlich kurz. Das Interview mit John Allen, dem Mari­n­ege­neral, der von 2011 bis 2013 US- und NATO-Truppen in Afgha­nistan kom­man­dierte, besteht aus fünf Absätzen.
Ganz anders bei anderen ein­fluss­reichen Per­sön­lich­keiten, dar­unter der ehe­malige US-Bot­schafter Ryan Crocker, dessen zwei Inter­views 95 tran­skri­bierte Seiten ergaben.
Im Gegensatz zu den Pen­tagon Papers wurde keines der „Lessons Learned“-Dokumente ursprünglich als Regie­rungs­ge­heimnis ein­ge­stuft. Als die Washington Post jedoch darauf drängte, sie öffentlich zu machen, griffen andere Bun­des­be­hörden ein und klas­si­fi­zierten das Material nachträglich.
Das Außen­mi­nis­terium bei­spiels­weise erklärte, dass die Freigabe von Teilen bestimmter Inter­views die Ver­hand­lungen mit den Taliban zur Been­digung des Krieges gefährden könnte. Das Ver­tei­di­gungs­mi­nis­terium und die Drug Enforcement Admi­nis­tration klas­si­fi­zierten auch einige Interviewauszüge.
Die Inter­views von „Lessons Learned“ ent­halten nur wenige Ent­hül­lungen über mili­tä­rische Ope­ra­tionen. Aber überall sind Fluten von Kritik, die das offi­zielle Nar­rativ des Krieges wider­legen, von seinen frü­hesten Tagen bis zum Beginn der Trump-Administration.
Am Anfang zum Bei­spiel hatte die US-Invasion in Afgha­nistan ein klares, erklärtes Ziel – Ver­geltung gegen al-Qaida zu üben und eine Wie­der­holung der Anschläge vom 11. Sep­tember 2001 zu verhindern.
Doch die Inter­views zeigen, dass sich die Ziele und die Mission später änderten und dass im Weißen Haus, im Pen­tagon, und im Außen­mi­nis­terium Zweifel an der US-Stra­tegie Fuß fassten.
Grund­le­gende Mei­nungs­ver­schie­den­heiten blieben ungelöst. Einige US-Beamte wollten den Krieg nutzen, um Afgha­nistan in eine Demo­kratie zu ver­wandeln. Andere wollten die afgha­nische Kultur ver­ändern und die Rechte der Frauen erhöhen. Wieder andere wollten das regionale Macht­gleich­ge­wicht zwi­schen Pakistan, Indien, Iran und Russland neu gestalten.
„Die AfPak-Stra­tegie war ein Geschenk unter dem Weih­nachtsbaum für alle“, sagte ein nicht iden­ti­fi­zierter US-Beamter 2015 vor Regie­rungs­in­ter­viewern. „Als man fertig war, hatte man so viele Prio­ri­täten und Ambi­tionen, dass es wie keine Stra­tegie war.“
Die „Lessons Learned“ Inter­views zeigen auch, wie US-Mili­tär­kom­man­deure litten, um zu erfahren, gegen wen sie warum kämpften.
War al-Qaida der Feind oder die Taliban? War Pakistan ein Freund oder ein Gegner? Was ist mit dem Isla­mi­schen Staat und den aus­län­di­schen Dschi­ha­disten und erst recht den War­lords auf der Gehalts­liste der CIA? Den Doku­menten zufolge hat sich die US-Regierung nie auf eine Antwort geeinigt.
Infol­ge­dessen konnten US-Truppen auf im Feld oft nicht Freund von Feind unterscheiden.
„Sie dachten, ich würde mit einer Karte zu ihnen kommen, um ihnen zu zeigen, wo die Guten und wo die Bösen leben“, sagte ein unge­nannter ehe­ma­liger Berater eines Teams der Army Special Forces 2017 vor Regie­rungs­in­ter­viewern. „Es bedurfte meh­rerer Gespräche, um zu ver­stehen, dass ich diese Infor­ma­tionen nicht in hatte. Zuerst fragten sie nur: Aber wer sind die Bösen, wo sind sie?“
Die Sicht war vom Pen­tagon nicht klarer.
„Ich habe keine Ahnung, wer die Bösen sind“, klagte Rumsfeld am 8. Sep­tember 2003. „Wir haben einen erbärm­lichen Mangel an mensch­licher Intelligenz.“
Was sie öffentlich sagten 
Dezember 2009
„Die Tage der Bereit­stellung eines Blan­ko­schecks sind vorbei. Es muss klar sein, dass die Afghanen Ver­ant­wortung für ihre Sicherheit über­nehmen müssen und dass Amerika kein Interesse daran hat, einen end­losen Krieg in Afgha­nistan zu führen.“
— Prä­sident Barack Obama in einer Rede an der US-Mili­tär­aka­demie in West Point, N.Y.
Als Ober­be­fehls­haber ver­sprachen Bush, Obama und Trump der Öffent­lichkeit das­selbe. Sie würden es ver­meiden, in die Falle des „Nation-Building“ in Afgha­nistan zu tappen.
In dieser Hin­sicht haben die Prä­si­denten kläglich versagt. Die Ver­ei­nigten Staaten haben mehr als 133 Mil­li­arden Dollar für den Aufbau Afgha­ni­stans bereit­ge­stellt – mehr, als sie infla­ti­ons­be­reinigt aus­ge­geben haben, um ganz West­europa mit dem Mar­shall-Plan nach dem Zweiten Welt­krieg wiederzubeleben.
Die „Lessons Learned“ Inter­views zeigen, dass das gran­diose Nation-Building-Projekt von Anfang an getrübt war.
US-Beamte ver­suchten, – von Grund auf – eine demo­kra­tische Regierung in Kabul nach dem Vorbild ihrer eigenen in Washington zu schaffen. Es war ein fremder Begriff für die Afghanen, die an Tri­ba­lismus, Mon­ar­chismus, Kom­mu­nismus und isla­mi­sches Recht gewöhnt waren.
„Unsere Politik war es, eine starke Zen­tral­re­gierung zu schaffen, die idio­tisch war, weil Afgha­nistan keine Geschichte einer starken Zen­tral­re­gierung hat“, sagte ein nicht iden­ti­fi­zierter ehe­ma­liger Beamter des Außen­mi­nis­te­riums 2015 vor Regie­rungs­in­ter­viewern. „Der Zeit­rahmen für die Bildung einer starken Zen­tral­re­gierung beträgt 100 Jahre, die wir nicht hatten.“
Unter­dessen über­schwemmten die Ver­ei­nigten Staaten das fragile Land mit weit mehr Hilfe, als es auf­nehmen konnte.
Während des Höhe­punkts der Kämpfe, von 2009 bis 2012, glaubten US-Gesetz­geber und Mili­tär­kom­man­deure, je mehr sie für Schulen, Brücken, Kanäle und andere Bau­pro­jekte aus­geben, desto schneller würde sich die Sicherheit ver­bessern. Helfer sagten Regie­rungs­in­ter­viewern, es sei eine kolossale Fehl­ein­schätzung, ähnlich wie das Pumpen von Kerosin auf ein ster­bendes Lager­feuer, nur um die Flamme am Leben zu erhalten.
Ein unge­nannter Manager der U.S. Agency for Inter­na­tional Deve­lo­pment (USAID) ver­mutete, dass 90 Prozent dessen, was sie aus­ge­geben haben, über­trieben und nutzlos waren: „Wir haben an Objek­ti­vität ver­loren. Uns wurde Geld gegeben, gesagt, es aus­zu­geben, und wir taten es, ohne Grund.“
Viele Ent­wick­lungs­helfer machten den Kon­gress für das ver­ant­wortlich, was sie als sinnlose Ver­schwendung ansahen.
Ein nicht iden­ti­fi­zierter Auf­trag­nehmer sagte Regie­rungs­in­ter­viewern, dass von ihm erwartet wurde, täglich 3 Mil­lionen Dollar für Pro­jekte in einem ein­zigen afgha­ni­schen Distrikt in etwa der Größe eines US-Countys aus­zu­geben. Er fragte einmal einen Kon­gress­ab­ge­ord­neten, ob er so viel Geld ver­ant­wor­tungsvoll bei sich zu Hause aus­geben könne: „Er sagte zur Hölle nein. ‚Nun, mein Herr, das ist es, wozu ich gezwungen werde, so viel Geld in Gemeinden aus­zu­geben, wo die Men­schen in Lehm­hütten ohne Fenster leben.’“
Die Hilfs­gelder, die Washington für Afgha­nistan auf­wendete, führten auch zu einem his­to­ri­schen Ausmaß an Korruption.
In der Öffent­lichkeit bestanden US-Beamte darauf, dass sie keine Toleranz für Kor­ruption hätten. Aber in den „Lessons Learned“ Inter­views gaben sie zu, dass die US-Regierung in die weg schaute, während afgha­nische Ver­bündete Washingtons unge­straft die Kassen plünderten.
Chris­topher Kolenda, ein Oberst der Armee, der mehrmals in Afgha­nistan sta­tio­niert war und drei US-Generäle beriet, die für den Krieg ver­ant­wortlich waren, sagte, dass die afgha­nische Regierung unter Prä­sident Hamid Karzai sich bis 2006 „selbst in eine Klep­to­kratie“ orga­ni­siert habe – und dass die US-Beamten die töd­liche Bedrohung ihrer Stra­tegie nicht erkannt haben.
„Ich ver­wende gerne einen Ver­leich mit Krebs“, sagte Kolenda vor Regie­rungs­in­ter­viewern. „Ein­fache Kor­ruption ist wie Haut­krebs; es gibt Mög­lich­keiten, damit umzu­gehen und Sie werden wahr­scheinlich gesund werden. Kor­ruption innerhalb der Minis­terien, auf höherer Ebene, ist wie Darm­krebs; sie ist schlimmer, aber wenn Sie sie recht­zeitig bekämpfen, werden Sie wahr­scheinlich gesund. Klep­to­kratie ist jedoch wie Hirn­tumor; sie ist tödlich.“
Indem sie die Kor­ruption zuließen, sagten US-Beamte Inter­viewern, halfen sie, die Legi­ti­mität der wacke­ligen afgha­ni­schen Regierung zu zer­stören, für deren Stützung sie kämpften. Da Richter und Poli­zei­chefs und Büro­kraten Bestechungs­gelder erpressten, wandten sich viele Afghanen von der Demo­kratie ab und den Taliban zu, damit die wieder Ordnung durchzusetzen.
„Unser größtes Ein­zel­projekt, leider und unbe­ab­sichtigt, könnte die Ent­wicklung der Mas­sen­kor­ruption gewesen sein“, sagte Crocker, der 2002 und von 2011 bis 2012 als oberster US-Diplomat in Kabul diente, den Regie­rungs­in­ter­viewern. Er fügte hinzu: „Sobald es so ein Niveau erreicht hat, das ich gesehen habe, als ich drüben war, ist es irgendwo zwi­schen unglaublich hart und völlig unmöglich, es zu beheben.“
Was sie öffentlich sagten 
Sep­tember 2013
„Diese Armee und diese Polizei waren jeden Tag sehr, sehr effektiv im Kampf gegen die Auf­stän­di­schen. Und ich denke, das ist eine wichtige Geschichte, die überall erzählt werden muss.“
— Der damalige Gene­ral­leutnant Mark A. Milley lobte die afgha­ni­schen Sicher­heits­kräfte während eines Pres­se­brie­fings aus Kabul. Milley ist heute Vier-Sterne-General und Vor­sit­zender der Joint Chiefs of Staff.
Jahr für Jahr haben US-Generäle öffentlich erklärt, dass sie stetig Fort­schritte bei der zen­tralen Frage ihrer Stra­tegie machen: eine robuste afgha­nische Armee und nationale Polizei aus­zu­bilden, die das Land ohne aus­län­dische Hilfe ver­tei­digen kann.
In den Inter­views mit „Lessons Learned“ bezeich­neten US-Mili­tär­aus­bilder die afgha­ni­schen Sicher­heits­kräfte jedoch als inkom­petent, unmo­ti­viert und voll von Deser­teuren. Sie beschul­digten auch afgha­nische Kom­man­deure, Gehälter, die von US-Steu­er­zahlern gezahlt wurden, für Zehn­tau­sende von „Geis­ter­sol­daten“ zu kassieren.
Keiner äußerte sich zuver­sichtlich, dass die afgha­nische Armee und Polizei die Taliban jemals allein abwehren, geschweige denn besiegen könnten. Mehr als 60.000 Ange­hörige der afgha­ni­schen Sicher­heits­kräfte wurden getötet, eine Opferzahl, die US-Kom­man­deure als nicht nach­voll­ziehbar bezeichnet haben.
Ein nicht iden­ti­fi­zierter US-Soldat sagte, Spe­zi­al­ein­heiten hätten die afgha­nische Polizei, mit der sie trai­nierten und mit denen sie zusam­men­ar­bei­teten, „gehasst“ und sie als „schrecklich und den Boden des Fasses in einem Land, das sich bereits am Boden des Fasses befindet“ bezeichnet.
Ein US-Mili­tär­of­fizier schätzte, dass ein Drittel der Poli­zei­re­kruten „Dro­gen­ab­hängige oder Taliban“ waren. Ein anderer nannte sie „steh­lende Narren“, die so viel Treib­stoff von US-Stütz­punkten plün­derten, dass sie ständig nach Benzin rochen.
„Zu denken, dass wir das Militär so schnell auf­bauen könnten und dass es ein gutes Militär sein würde, war wahn­sinnig“, sagte ein unge­nannter hoch­ran­giger USAID-Beamter zu Regierungsinterviewern.
Während sich die Hoff­nungen der USA in die afgha­ni­schen Sicher­heits­kräfte nicht erfüllten, wurde Afgha­nistan zur weltweit füh­renden Quelle einer wach­senden Geißel: Opium.
Die Ver­ei­nigten Staaten haben in den letzten 18 Jahren etwa 9 Mil­li­arden Dollar aus­ge­geben, um das Problem zu bekämpfen, aber die afgha­ni­schen Bauern bauen mehr Opi­ummohn an, als je zuvor. Im ver­gan­genen Jahr war Afgha­nistan nach Angaben des Büros der Ver­einten Nationen für Drogen- und Ver­bre­chens­be­kämpfung für 82 Prozent der welt­weiten Opi­um­pro­duktion verantwortlich.
In den Inter­views mit „Lessons Learned“ sagten ehe­malige Beamte, dass fast alles, was sie taten, um die Opi­um­zucht ein­zu­dämmen, nach hinten losging.
„Wir haben erklärt, dass unser Ziel darin besteht, eine ‚flo­rie­rende Markt­wirt­schaft‘ zu eta­blieren“, sagte Douglas Lute, der afgha­nische Kriegszar des Weißen Hauses von 2007 bis 2013. Ich dachte, wir hätten einen flo­rie­renden Dro­gen­handel vor­geben müssen, das ist der einzige Teil des Marktes, der funktioniert.“
Von Anfang an hat Washington nie wirklich her­aus­ge­funden, wie man einen Krieg gegen Drogen in seinen Krieg gegen al-Qaida inte­grieren kann. Im Jahr 2006 befürch­teten US-Beamte, dass die Dro­gen­händler stärker geworden seien, als die afgha­nische Regierung und dass das Geld aus dem Dro­gen­handel den Auf­stand antreiben würde.
Keine Agentur und kein Land war für eine ein­heitl­liche afgha­nische Dro­gen­stra­tegie ver­ant­wortlich, so dass das Außen­mi­nis­terium, die DEA, das US-Militär, NATO-Ver­bündete und die afgha­nische Regierung sich ständig auf die Füße traten.
„Es war ein Hun­de­früh­stück ohne Chance zu arbeiten“, sagte ein unge­nannter ehe­ma­liger hoch­ran­giger bri­ti­scher Beamter vor Regierungsinterviewern.
Die Agen­turen und Ver­bün­deten ver­schlim­merten die Lage, indem sie ein dys­funk­tio­nales Durch­ein­ander von Pro­grammen hatten, so die Interviews.
Zunächst wurden die afgha­ni­schen Mohn­bauern von den Briten bezahlt, um ihre Ernten zu zer­stören – was sie nur ermu­tigte, in der nächsten Saison mehr anzu­bauen. Später löschte die US-Regierung Mohn­felder ohne Ent­schä­digung aus – was die Bauern nur wütend machte und sie ermu­tigte, sich auf die Seite der Taliban zu stellen.
„Es war traurig zu sehen, wie sich so viele Men­schen so dumm ver­halten haben“, sagte ein US-Beamter gegenüber Regierungsinterviewern.
Was sie öffentlich sagten
Sep­tember 2008
„Ver­lieren wir diesen Krieg? Absolut nicht. Kann der Feind ihn gewinnen? Absolut nicht.“
— Gene­ral­major Jeffrey Schloesser, Kom­mandeur der 101st Air­borne Division, in einer Pres­se­kon­ferenz aus Afghanistan
Das Gespenst Vietnams schwebt von Anfang an über Afghanistan.
Am 11. Oktober 2001, wenige Tage nachdem die Ver­ei­nigten Staaten mit der Bom­bar­dierung der Taliban begonnen hatten, fragte ein Reporter Bush: „Können Sie ver­meiden, in einen viet­na­m­ähn­lichen Sumpf in Afgha­nistan hin­ein­ge­zogen zu werden?“
„Wir haben einige sehr wichtige Lek­tionen in Vietnam gelernt“, ant­wortete Bush selbst­be­wusst. „Die Leute fragen mich oft: ‚Wie lange wird das dauern?‘ Diese besondere Front wird so lange andauern, wie es dauert, um al-Qaida vor Gericht zu bringen. Es kann morgen pas­sieren, es kann in einem Monat geschehen, es kann ein oder zwei Jahre dauern. Aber wir werden uns durchsetzen.“
In jenen frühen Tagen ver­spot­teten andere US-Führer die Vor­stellung, dass sich der Alp­traum Vietnams in Afgha­nistan wie­der­holen könnte.
Aber während des gesamten Afgha­nistan-Krieges zeigen Doku­mente, dass US-Mili­tär­beamte zu einer alten Taktik aus Vietnam gegriffen haben – der Mani­pu­lation der öffent­lichen Meinung.
In Pres­se­kon­fe­renzen und anderen öffent­lichen Auf­tritten haben die Kriegs­ver­ant­wort­lichen 18 Jahre lang die gleichen Gesprächs­punkte ver­folgt. Egal, wie der Krieg abläuft — und vor allem, wenn es schlecht läuft —, sie betonen, wie sie Fort­schritte machen.
Zum Bei­spiel zeigen einige Schnee­flocken, die Rumsfeld mit seinen Memoiren ver­öf­fent­lichte, dass er 2006 eine Reihe unge­wöhnlich düs­terer War­nungen aus dem Kriegs­gebiet erhalten hatte.
Nach seiner Rückkehr von einer Erkun­dungs­mission nach Afgha­nistan berichtete Barry McCaffrey, ein pen­sio­nierter Armee­ge­neral, dass die Taliban ein beein­dru­ckendes Comeback fei­erten und pro­phe­zeite, dass „wir in den kom­menden 24 Monaten auf einige sehr unan­ge­nehme Über­ra­schungen stoßen werden“.
„Die afgha­nische nationale Führung hat kol­lektiv Angst, dass wir Afgha­nistan in den nächsten Jahren ver­lassen werden und das Ganze wieder ins Chaos stürzen wird“, schrieb McCaffrey im Juni 2006.
Zwei Monate später gab Marin Strmecki, ein ziviler Berater Rums­felds, dem Pen­tagon-Chef einen geheimen, 40-sei­tigen Bericht mit wei­teren schlechten Nach­richten. Sie sagte, dass sich „enorme Unzu­frie­denheit in der Bevöl­kerung“ gegen die afgha­nische Regierung wegen ihrer Kor­ruption und Inkom­petenz aufbaue. Sie sagte auch, dass die Taliban dank der Unter­stützung von Pakistan, einem Ver­bün­deten der USA, stärker würden.
Doch mit Rums­felds per­sön­lichem Segen begrub das Pen­tagon die düs­teren War­nungen und erzählte der Öffent­lichkeit eine ganz andere Geschichte.
Im Oktober 2006 über­brachten Rums­felds Reden­schreiber ein Papier mit dem Titel „Afgha­nistan: Fünf Jahre später“. Voller Opti­mismus hob es mehr als 50 viel­ver­spre­chende Zahlen und Fakten hervor, von der Zahl der afgha­ni­schen Frauen, die aus­ge­bildet wurden (mehr als 19.000), bis hin zur „Durch­schnitts­ge­schwin­digkeit auf den meisten Straßen“ (plus 300 Prozent).
„Fünf Jahre später gibt es eine Vielzahl guter Nach­richten“, hieß es. „Während es in einigen Kreisen in Mode gekommen ist, Afgha­nistan einen ver­ges­senen Krieg zu nennen oder zu sagen, dass die Ver­ei­nigten Staaten ihren Fokus ver­loren haben, wider­legen die Fakten die Mythen.“
Rumsfeld fand es genial.
„Dieses Papier“, schrieb er in einem Memo, „ist ein aus­ge­zeich­netes Stück. Wie ver­wenden wir es? Sollte es ein Artikel sein? Ein Hand­zettel? Ein Pres­se­briefing? All dies? Ich denke, es sollte mög­lichst viele Men­schen erreichen.“
Seine Mit­ar­beiter sorgten dafür, dass dies der Fall war. Sie ver­brei­teten eine Version an Reporter und ver­öf­fent­lichten sie auf Pentagon-Websites.
Seitdem haben US-Generäle fast immer gepredigt, dass der Krieg gut vor­an­kommt, unab­hängig von der Rea­lität auf dem Schlachtfeld.
„Wir machen einige stetige Fort­schritte“, sagte Gene­ral­major Jeffrey Schloesser, Kom­mandeur der 101st Air­borne Division, im Sep­tember 2008 vor Reportern, obwohl er und andere US-Kom­man­deure in Kabul dringend Ver­stärkung gefordert hatten, wegen einer stei­genden Flut von Taliban-Kämpfern.
Zwei Jahre später, als die Opferzahl unter US- und NATO-Truppen auf einen wei­teren Höchst­stand klet­terte, hielt Gene­ral­leutnant David Rodriguez eine Pres­se­kon­ferenz in Kabul ab.
„Erstens machen wir stetige Fort­schritte“, sagte er.
Im März 2011, während der Anhö­rungen im Kon­gress, kon­fron­tierten skep­tische Ange­ordnete Armee­ge­neral David Petraeus, dem Kom­mandeur der US- und NATO-Truppen in Afgha­nistan, mit Zweifeln, ob die US-Stra­tegie funktionierte.
„In den letzten acht Monaten gab es wichtige, aber hart umkämpfte Fort­schritte“, ant­wortete Petraeus.
Ein Jahr später, während eines Besuchs in Afgha­nistan, hielt Ver­tei­di­gungs­mi­nister Leon Panetta an dem­selben Drehbuch fest – obwohl er gerade selbst einem Selbst­mord­an­schlag ent­kommen war.
„Die Kam­pagne hat, wie ich bereits betont habe, meiner Meinung nach bedeu­tende Fort­schritte gemacht“, sagte Panetta vor Reportern.
Im Juli 2016 wie­der­holte Armee­ge­neral John Nicholson Jr., der damalige Kom­mandeur der US-Streit­kräfte in Afgha­nistan, nach einer Welle von Taliban-Angriffen auf Groß­städte den Refrain.
„Wir sehen einige Fort­schritte“, sagte er vor Reportern.
Was sie öffentlich sagten
März 2009
„In Zukunft werden wir den Kurs nicht blind halten. Statt­dessen werden wir klare Kenn­zahlen fest­legen, um den Fort­schritt zu messen und uns selbst zur Rechen­schaft zu ziehen.“
— Obama, in Bemer­kungen aus dem Weißen Haus
Während Vietnam ver­ließen sich US-Mili­tär­kom­man­deure auf zwei­fel­hafte Kenn­zahlen, um die Ame­ri­kaner davon zu über­zeugen, dass sie am Gewinnen waren.
Am berüch­tigtsten war der „Body Count“, der die Zahl der getö­teten feind­lichen Kämpfer her­vorhob und die Zahlen als Erfolgs­maßstab aufblähte.
In Afgha­nistan hat das US-Militär, mit gele­gent­lichen Aus­nahmen, im All­ge­meinen ver­mieden, die Zahl der Leichen bekannt zu machen. Aber die „Lessons Learned“ Inter­views ent­halten zahl­reiche Ein­ge­ständ­nisse, dass die Regierung rou­ti­ne­mäßig Sta­tis­tiken anpries, von denen die Beamten wussten, dass sie ver­zerrt, frag­würdig oder gefälscht waren.
Eine Person, die nur als rang­hoher Beamter des Natio­nalen Sicher­heits­rates iden­ti­fi­ziert wurde, sagte, es gebe stän­digen Druck seitens des Weißen Hauses und des Pen­tagons, Zahlen zu erstellen, die zeigen, dass die Trup­pen­auf­sto­ckung von 2009 bis 2011 funk­tio­nierte, trotz harter Beweise für das Gegenteil.
„Es war unmöglich, gute Metriken zu erstellen. Wir haben ver­sucht, Zahlen über aus­ge­bil­deten Truppen, das Gewalt­niveau, darüber, welche Gebiete und Kon­trolle waren und nichts davon zeichnete ein genaues Bild“, sagte der ranghohe Beamte 2016 vor Regie­rungs­in­ter­viewern. „Die Metriken wurden für die Dauer des Krieges immer manipuliert.“
Selbst wenn die Zahl der Opfer und andere Zahlen schlecht aus­sahen, so der ranghohe Beamte, würden das Weiße Haus und das Pen­tagon sie bis zur Absur­dität ver­drehen. Selbst­mord­at­tentate in Kabul wurden als Zeichen der Ver­zweiflung der Taliban dar­ge­stellt, dass die Auf­stän­di­schen zu schwach waren, um direkt anzu­greifen. Unter­dessen wurde ein Anstieg der Zahl der US-Trup­pen­toten als Beweis dafür ange­führt, dass ame­ri­ka­nische Truppen den Kampf zum Feind tragen.
„Es waren ihre Erklä­rungen“, sagte der ranghohe Beamte. „Zum Bei­spiel: Werden ihre Angriffe immer schlimmer? Das liegt daran, dass es mehr Ziele gibt, auf die sie schießen können, also sind mehr Angriffe ein fal­scher Indi­kator für Insta­bi­lität. Dann, drei Monate später, werden die Angriffe immer noch schlimmer? Das liegt daran, dass die Taliban immer ver­zwei­felter werden, also ist es eigentlich ein Indi­kator dafür, dass wir gewinnen.“
„Und dies ging aus zwei Gründen weiter“, sagte der ranghohe Beamte, „um alle Betei­ligten gut aus­sehen zu lassen und es so aus­sehen zu lassen, als ob die Truppen und Res­sourcen die gewünschte Wirkung hätten.“
In anderen Feld­be­richten, die in der Befehls­kette nach oben geschickt wurden, gingen Mili­tär­of­fi­ziere und Diplo­maten die­selbe Linie ein. Unge­achtet der Bedin­gungen vor Ort behaup­teten sie, dass sie Fort­schritte machten.
„Von den Bot­schaftern bis auf das niedrige Niveau [sagen sie alle], dass wir einen groß­ar­tigen Job machen“, sagte Michael Flynn, ein pen­sio­nierter Drei-Sterne-General, 2015 vor Regie­rungs­in­ter­viewern. „Wirklich? Wenn wir also so einen groß­ar­tigen Job machen, warum fühlt es sich an, als ob wir verlieren?“
Bei der Ankunft in Afgha­nistan erhielten Brigade- und Batail­lons­kom­man­deure der US-Armee die gleiche grund­le­gende Mission: die Bevöl­kerung zu schützen und den Feind zu besiegen, so Flynn, der als Geheim­dienst­of­fizier mehrere Male in Afgha­nistan diente.
„Also gingen sie alle für ihre Rotation, neun Monate oder sechs Monate, und erhielten diese Mission, akzep­tierten diese Mission und führten diese Mission aus“, sagte Flynn, der später kurz­zeitig Trumps natio­naler Sicher­heits­be­rater war, seinen Job in einem Skandal verlor und wegen Lügen gegenüber dem FBI ver­ur­teilt wurde. „Dann sagten sie alle, als sie gingen, dass sie diese Mission erfüllt hätten. Jeder ein­zelne Kom­mandant. Kein ein­ziger Kom­mandant wird Afgha­nistan ver­lassen und sagen: Weißt du was, wir haben unsere Mission nicht erfüllt.“
Er fügte hinzu: „Also der nächste Kerl, der auf­taucht, findet es [seine Region] kaputt vor und dann kommen sie zurück: ‚Mensch, das ist wirklich schlecht.’“
Bob Crowley, der pen­sio­nierte Oberst der Armee, der 2013 und 2014 als Berater für Auf­stands­be­kämpfung in Afgha­nistan diente, sagte Regie­rungs­in­ter­viewern, dass „Wahrheit selten will­kommen“ sei.
„Schlechte Nach­richten wurden oft unter­drückt“, sagte er. „Es gab mehr Freiheit, schlechte Nach­richten zu teilen, wenn es kleine waren – wir über­fahren Kinder mit unseren MRAPs [gepan­zerte Fahr­zeuge] – danach kann man die Richt­linien ändern. Aber als wir ver­suchten, größere stra­te­gische Bedenken hin­sichtlich der Bereit­schaft, Kapa­zität oder Kor­ruption der afgha­ni­schen Regierung zu äußern, war klar, dass dies nicht will­kommen war.“
John Garofano, ein Stratege des Naval War College, der Marines in der Provinz Helmand im Jahr 2011 beriet, sagte, dass Mili­tär­beamte auf dem Gebiet eine über­mäßige Menge an Res­sourcen für das Erstellen far­biger Dia­gramme auf­wen­deten, die positive Ergeb­nisse präsentierten.
„Sie hatten eine wirklich teure Maschine, die die wirklich großen Papier­stücke wie in einer Dru­ckerei bedrucken konnte“, erzählte er Regie­rungs­in­ter­viewern. „Es wäre den Vor­behalt, dass es sich nicht um wis­sen­schaft­liche Zahlen han­delte, oder das kein wis­sen­schaft­licher Prozess dahinter steht.“
Aber Garofano sagte, niemand habe es gewagt, zu hin­ter­fragen, ob die Charts und Zahlen glaub­würdig oder aus­sa­ge­kräftig seien.
„Es gab keine Bereit­schaft, Fragen zu beant­worten, wie, was ist die Bedeutung dieser Anzahl von Schulen, die Sie gebaut haben? Wie hat Sie das Ihrem Ziel näher gebracht?“, sagte er.
Andere hohe Beamte sagten, sie legten große Bedeutung auf eine besondere Sta­tistik, wenn auch eine, die die US-Regierung selten gerne in der Öffent­lichkeit diskutiert.
„Ich denke, der wich­tigste Maßstab ist der, den ich vor­ge­schlagen habe: wie viele Afghanen werden getötet“, sagte James Dobbins, der ehe­malige US-Diplomat, 2009 vor einem Senats­gremium. „Wenn die Zahl steigt, ver­liert man. Wenn die Zahl nach unten geht, gewinnt man. So einfach ist das.“
Im ver­gan­genen Jahr wurden nach Angaben der Ver­einten Nationen 3.804 afgha­nische Zivi­listen in dem Krieg getötet.
Das ist der größte Zahl seit die Ver­einten Nationen vor einem Jahr­zehnt begonnen haben, die Opfer zu zählen.
Ende der Übersetzung
Ob wir die Details wohl in deut­schen Medien hören werden? Ob die Bun­des­re­gierung viel­leicht einen Unter­su­chungs­aus­schuss ein­richtet, um her­aus­zu­finden, warum auch die deutsche Öffent­lichkeit über die Situation in Afgha­nistan belogen wurde und wird? 

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“