Soldatinnen der ADF (Australian Defence Forces) während einer Übung (Bild: Gemeinfrei)

Zwi­schen Hirntod und Hal­lu­zi­na­tionen: Träu­me­reien von einer eigenen EU-Armee

„Die Nato ist hirntot…“

Macrons gran­diose Fehl­dia­gnose hat immerhin die im Stillen geträumten Schritte zu einer Mili­tär­union in Europa wieder ins Bewusstsein gerückt. Der „malade ima­gi­naire“ ist mili­tä­risch quick­le­bendig, poli­tisch aller­dings gelähmt. 

Macron will nun eine EU-Armee und eine gemein­schaft­liche Ver­tei­di­gungs­po­litik. Schließt sich der Fehl­dia­gnose jetzt eine Placebo-The­rapie oder gar eine Illusion an? Kommt es zur Dop­pel­mit­glied­schaft der EU-Mit­glied­staaten in der Nato und in ihrem eigenen Verteidigungsbündnis?

(von Junius*)

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Die Ver­ei­nigten Staaten kümmern sich derzeit gemäß der Trump-Doktrin «Amerika zuerst» zuvör­derst um ihre eigenen Anliegen. Trump redet Klartext. Dafür wird er kri­ti­siert. Im Gegensatz zu den Wün­schen der Bun­des­re­gierung weigert sich der ame­ri­ka­nische Staatschef, dass ame­ri­ka­nische Steu­er­zahler wei­terhin die Maxi­mallast am inter­na­tio­nalen Gemein­schafts­projekt «Nato» tragen. Schließlich sei die Nato ein Mili­tär­bündnis, das durch die poli­tisch ein­ge­gangene Selbst­ver­pflichtung finan­ziert wird, wonach jeder Mit­glied­staat zwei Prozent seines Brut­to­in­lands­pro­dukts für Nato-rele­vante Ver­tei­di­gungs­aus­gaben bereit­stellt. Diesem Ziel stimmten 2006 beim Nato-Gipfel in Riga auch die euro­päi­schen Nato­mit­glieder zu, 2014 wurde es beim Nato-Gipfel in Wales schriftlich in den Schluss­fol­ge­rungen nie­der­gelegt. Am 8. November 2018 bestä­tigte sogar der Deutsche Bun­destag indirekt das Zwei-Prozent-Ziel für die Nato, als er dessen von der Links­fraktion gefor­derten Widerruf ziemlich deutlich ablehnte – und sich damit fak­tisch für dieses Haus­haltsziel aussprach.

Das aber haben Bun­destag und Regierung offen­sichtlich sogleich wieder ver­gessen, weil es ja in den dar­auf­fol­genden Haus­halts­be­ra­tungen nie zur Erfüllung der nun selbst vom Bun­destag zuge­stan­denen Zwei-Prozent-Marke kam. Die Deut­schen ver­lassen sich also wei­terhin bequem auf die Ame­ri­kaner. Doch für die ist die Nato keine Wohl­stand­sum­ver­tei­lungs­agentur wie die Brüs­seler EU, wo deutsche Steu­er­zahler für nigel­na­gelneue Auto­bahnen in Kroatien und Grie­chenland blechen, während im eigenen Land die Brücken zusammenbrechen.

So schürt die Rück­be­sinnung der USA auf eigene mili­tä­rische Prio­ri­täten Ängste unter vielen EU-Mit­glied­staaten, denn sie sind weder poli­tisch noch mili­tä­risch darauf vor­be­reitet, für ihre eigene Sicherheit und Ver­tei­digung auch selbst Ver­ant­wortung zu über­nehmen. Während in Europa ame­ri­ka­nische Sol­daten zur Abschre­ckung sta­tio­niert waren, schufen Frank­reich und Deutschland die all­ge­meine Wehr­pflicht ab. Statt flie­gender Flug­zeuge und tau­chender U‑Boote gibt es in Deutschland Toi­letten für das dritte Geschlecht und schicke Uni­formen für schwangere Sol­da­tinnen. Statt der finan­zi­ellen Selbst­ver­pflichtung nach­zu­kommen und 2 Prozent des Brut­to­in­lands­pro­dukts für Nato-rele­vante Ver­tei­di­gungs­aus­gaben bereit­zu­stellen, gab Deutschland auch 2018 nur

1,39 Prozent aus. Erst 2031 will Deutschland das Nato-Ziel von 2 Prozent BIP für Ver­tei­di­gungs­aus­gaben erreichen! Da sollte man sich nicht wundern, wenn Trump kein Ver­ständnis dafür zeigt, dass sich die EU-Mit­glied­staaten auf der Mili­tär­präsenz der Ame­ri­kaner ausruhen.

Macrons «Hirn­tod­analyse» könnte man auch als «Toc­que­ville-Paradox» ver­stehen: je besser eine Situation funk­tio­niert, umso schwie­riger wird die Distanz zwi­schen Rea­lität und Ide­al­zu­stand wahr­ge­nommen. Bei­spiel: Obwohl die EU-Mit­glied­staaten schon heute ihre Mili­tär­aus­gaben für die Nato nicht erfüllen, will sich die EU eine eigene Armee geben. Macron will eine «wahre» euro­päische Armee, Frau Merkel eine «echte» euro­päische Armee und Ver­tei­di­gungs­mi­nis­terin von der Leyen wollte eine «Armee der Europäer» (also poten­tiell offen für Kon­tin­gente aus Staaten des euro­päi­schen Kon­ti­nents, nicht nur der EU). In jedem Falle würde eine von Brüssel aus befeh­ligte «EU-Armee» eine weitere Abtretung natio­nal­staatlich hoheit­licher Auf­gaben bedeuten, in diesem Falle der Lan­des­ver­tei­digung, an die Brüs­seler EU.

Jean-Claude Juncker begründete das sei­nerzeit damit, die «Klein­staa­terei in Ver­tei­di­gungs­fragen» zu beenden. Man könnte ihn im Gegenzug fragen, was wohl Jun­ckers kleines Groß­her­zogtum zu einer EU-Armee besteuern könnte? Und es stellt sich die weit ernstere Frage, ob die Ver­ge­mein­schaftung tot­ge­sparter Armeen als Motor der euro­päi­schen Inte­gration, also der immer tie­feren Zusam­men­arbeit durch die Abgabe hoheit­licher Zustän­dig­keiten an Brüssel, taugt. Der Euro sollte ja auch mal ein Inte­gra­ti­ons­motor sein, doch um ein Haar hätte er die EU gespalten und er ist auch heute der Grund für die tag­täg­liche Ent­eignung deut­scher Sparer.

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Mit den Geboten der Berg­predigt alleine lässt sich Real­po­litik nicht machen. Wo ist der feine Unter­schied zwi­schen Ver­tei­di­gungs­krieg und Angriffs­krieg? «Angriff» heißt es ja sowieso nicht mehr, poli­tisch korrekt ist „Vor­wärts­ver­tei­digung“ oder auch „Prä­ven­tiv­maß­nahme“. Der Sinn einer EU-Armee besteht darin, dass poten­tielle Angreifer wissen sollen, dass die EU-Mit­glied­staaten im Falle eines Angriffs ebenso stark, wenn nicht gar stärker, mit ver­einten Kräften zurück­schlagen könnten. Doch dazu brauchen sie kein eigenes Mili­tär­bündnis. 22 EU-Mit­glied­staaten sind auch Nato-Mit­glieder. Für sie gilt die Bünd­nis­klausel gemäß Artikel 5 des Nato-Ver­trags. Für die anderen Even­tua­li­täten sieht Artikel 42 Absatz 7 des EU-Ver­trags eben­falls eine EU-Bünd­nis­klausel im Rahmen der Ver­einten Nationen vor. Doch schon innerhalb der erprobten mili­tä­ri­schen Nato-Struk­turen können sich die EU-Mit­glied­staaten über Sou­ve­rä­ni­täts­transfers nicht einigen, wie das Bei­spiel der Awacs-Flot­ten­ver­bände der Nato zeigt.

Die Von-der-Leyen-Kom­mission hat nun ihren eigenen Kriegs­kom­missar, nämlich den Fran­zosen Thierry Breton. Er soll die EU-Armee auf­bauen. Dabei darf er sich nicht mal seine Büro­lei­terin ein­stellen, weil sie einen deut­schen Pass hat, was Paris miss­fällt. Außerdem musste sich Thierry Breton selbst ver­pflichten, bei Ent­schei­dungen der EU-Kom­mission im Bereich der mili­tä­ri­schen Stra­tegie und Aus­rüstung keine Ent­scheidung zu treffen. Grund ist seine jüngste beruf­liche Ver­gan­genheit, Breton war bis vor seinem Amts­an­tritt als EU-Kom­missar Chef von ATOS, einer der größten Mili­tär­aus­statter weltweit.

Weil in Brüssel alle wissen (und die Augen davor schließen), dass Thierry Breton der leibhaft gewordene Inter­es­sen­kon­flikt ist, darf er in seinem eigenen Port­folio keine Ent­schei­dungen treffen. Was aber ist ein Ver­tei­di­gungs­kom­missar wert, der weder in seinem Zustän­dig­keits­gebiet Ent­schei­dungen treffen, noch seine Büro­lei­terin ein­stellen darf? Und zugu­ter­letzt: Frank­reichs Staatschef Macron will zwar eine EU-Armee, doch will er dann auch die Zugangs­kodes für die fran­zö­si­schen Atom­waffen mit den 26 EU-Mit­glied­staaten teilen? Sind, solange so offen­kundig der poli­tische Wille fehlt, die Träu­me­reien von einer eigenen EU-Armee nicht doch nur Halluzinationen?

Viel­leicht ist die Nato gar nicht so hirntot. Si vis pacem para bellum…

Eine fried­liche Zeit wünscht Ihnen

Ihr

Junius

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Zur Erin­nerung: Mehrfach wurden wir gebeten, die Iden­tität des Brie­fe­schreibers aus Brüssel preis­zu­geben. Es handelt sich um eine Gemein­schafts­arbeit von Infor­manten und Redaktion. Sie erinnert an die soge­nannten Junius letters, in denen ein Pseudonym namens Junius in der Zeit­schrift Public Adver­tiser in London vom 21. Januar 1769 bis zum 12. Mai 1772 Briefe über die Gescheh­nisse am Hofe und im Par­lament ver­öf­fent­lichte. Darin wurden die Machen­schaften in der Königs­fa­milie, von Ministern, Richtern und Abge­ord­neten sati­risch und mit Sach­kenntnis der internen Vor­gänge und Intrigen auf­ge­spießt. Die Junius-letters gelten als erster Beleg des jour­na­lis­ti­schen Zeugnisverweigerungsrechts.

(Ori­ginal: iDAF_Brief aus Brüssel, Dezember 2019, https://www.i‑daf.org/aktuelles/aktuelles-einzelansicht/archiv/2019/12/12/artikel/zwischen-hirntod-und-halluzinationen-traeumereien-von-einer-eigenen-eu-armee.html)

Dieser lesens­werte Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Peter Helmes –  www.conservo.wordpress.com