Manche Beiträge trägt man einige Zeit mit sich herum, wiegt sie in die eine und die andere Richtung, liest die Informationen, die im Beitrag verarbeitet werden sollen, einmal und noch einmal und noch einmal. Man prüft die Quellen der Beiträge, prüft die Qualifikation der Autoren – soweit man das kann, überlegt, ob es gerechtfertigt ist, etwas in den Raum zu stellen, was hinter vorgehaltener Hand vielleicht von manchen geraunt wird und mit Sicherheit diejenigen auf den Plan bringt, die schon “Verschwörungstheorie” rufen, noch bevor sie auch nur gedacht haben.
Und dann muss man sich entscheiden, ob man den Beitrag bringt oder ob man ihn nicht bringt.
Wir haben uns entschlossen, den Beitrag zu bringen, wegen dem wir Ihnen nun schon einige Sätze lang die Nase lang gemacht haben.
Fangen wir mit den neuesten Nachrichten zum Coronavirus 2019-nCoV an.
11.374 bestätigte Infektionen, 259 Tote und 252 vom Virus Genesene, 17.988 Verdachtsfälle.
Die Geschwindigkeit, mit der sich 2019-nCoV ausbreitet, ist alarmierend. In Deutschland gibt es übrigens mittlerweile 7 bestätigte Fälle. Das nur am Rande.
9 Autoren hat der Beitrag, bei dem wir uns so lange überlegt haben, ob wir über ihn berichten sollen. Sie arbeiten alle an der Kusuma School of Biological Science am Indian Institute of Technology in New Delhi, Indien. Sie sind Mikrobiologen, Biologen, Bioinformatiker, Biotechnologie-Experten, Physiker und Mathematiker. Wir haben jeden einzelnen der Autoren mit für ihn relevanten Informationen verlinkt, damit sich unsere Leser ein eigenes Bild davon machen können, mit welchen hochkarätigen Experten in ihrem Feld sie es hier zu tun haben.
Unsere Reihenfolge folgt nicht der Reihenfolge der Autoren des Textes. Das hat keine hierarchischen, sondern reputationale Gründe. Die Autoren, die bei uns oben stehen, haben dann, wenn sie etwas Unausgegorenes veröffentlicht haben, am meisten zu verlieren.
- Bishwajit Kundu, Professor der Biologie, Protein-Engineering; Leiter von Biswhajit Kundi’s Lab;
- James Gomes, Professor der Biologie, Systembiologie, u.a. die Untersuchung von DNA und Zellaufbau;
- Manoj Balakrishnan Menon, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Zellsterblichkeit, Zellaufbau und Autophagie;
- Perumal Vivekanandan, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Mikrobiologie;
- Kumar Tripathi, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Molekularbiologie;
- Akhilesh Mishra, Post-Doc Student, Genetik
- Parul Gupta, Post-Doc Student, Computer-Programmierung;
- Prashant Pradhan, PhD-Student, Biotechnologie
- Ashutosh Kumar Pandey, PhD-Student, Bioinformatik
Die neun Autoren haben einen Beitrag mit dem Titel: “Uncanny Similarity of Unique Inserts in the 2019-nCoV Spike Protein to HIV‑1 gp120 and Gag” veröffentlicht, der hier heruntergeladen werden kann.
Die entscheidenden Worte in diesem Beitrag lauten: uncanny, unlikely und not fortuitous: unheimlich, unwahrscheinlich und nicht zufällig.
Gegenstand der Analyse, über die die neun Autoren berichten, ist das neue Coronavirus 2019-nCoV, das derzeit in China endemisch ist. Die Autoren untersuchen das Virus: Sie kommen zu dem Ergebnis, zu dem auch Zhu et al. (wir haben hier darüber berichtet) gekommen sind, nämlich dass es sich um ein neues Coronavirus handelt, das nur zu 80% mit dem SARS Coronavirus identisch ist. Von hier aus haben sich die Autoren für das interessiert, was den neuen Virus von SARS und anderen bekannten Coronaviren unterscheidet.
Endeckt haben sie vier neue Sequenzen im Spike Protein, “Inserts” (Einfügungen) wie die Autoren schreiben. Die vier Inserts sind in allen 2019-nCoV Proben aus Wuhan präsent, eine Beobachtung, die die Autoren überrascht und dazu motiviert, den Ursprung der “Inserts” zu untersuchen. Als Hauptmerkmal der vier Inserts, die die Autoren gefunden haben, geben sie an, dass der Coronavirus 2019-nCoV durch die vier Inserts u.a. die Fähigkeit gewinnt, von Mensch zu Mensch zu springen, also eine Epidemie unter Menschen auszulösen.
“Since surface proteins are repsonsible for host tropism, changes in these proteins imply a change in host specificity of the virus. … it has gained tropism to humans as well”.
Dieses Ergebnis sowie das Ergebnis, dass die vier “Inserts” zwar in allen 28 Proben, die die Autoren aus Wuhan haben, aber in keiner Probe, die Fledermäusen entnommen wurden, die Träger von 2019-nCoV waren, vorkamen, hat die Autoren beunruhigt, wie sie schreiben und neugierig gemacht. Ergo haben sie sich auf die Suche nach Proteinen gemacht, die eine Ähnlichkeit oder Übereinstimmung mit den “Inserts” im Wuhan-Virus aufweisen. Und sie sind fündig geworden:
“Surprisingly, each of the four inserts aligned with short segments of the Human immunodeficiency Virus‑1 (HIV‑1) proteins.”
HIV-Proteine und das Wuhan-Virus haben somit eine Gemeinsamkeit, die sich im Wuhan-Virus als “Insert”, als Mutation darstellt, von der die Autoren sagen, dass sie nicht durch Zufall zustande gekommen sein kann:
“one may sporadically expect a fortuitous match for a stretch of 6–12 contiguous amino acid residues in an unrelated protein. However, it is unlikely that all 4 inserts in the 2019-nCoV spike glycoprotein fortuitously match with 2 key structural proteins of an unrelated virus (HIV‑1).”
Hinzu kommt, dass die HIV-Proteine, für die die Autoren eine Übereinstimmung mit den vier “Inserts” gefunden haben, vornehmlich in Afrika und Asien vorkommen. Die Einfügung von vier Sequenzen, die mit dem HIV‑1 Protein identisch sind, verleiht 2019-nCoV nicht nur die Fähigkeit, von Mensch zu Mensch zu springen, es macht das Virus auch aggressiver und erfolgreicher im Versuch, einen Uninfizierten zu infizieren.
Liest man die 13 Seiten der Arbeit der neun Autoren aus Indien, dann kann man förmlich greifen, wie sie mit den Ergebnissen, die sie selbst erarbeitet haben, kämpfen, wie sie sich immer und immer wieder quasi selbst vergewissern müssen, dass derartige Einschübe nicht zufällig zustande kommen. Dabei kommen Formulierungen, wie die folgenden heraus:
“This uncanny similarity of novel inserts in the 2019-nCoV spike protein to HIV- gp120 and Gag is unlikely to be fortuitous. […} Taken together, our findings suggest unconventional evolution of 2019-nCoV that warrants further investigation”.
Wenn etwas nicht per Zufall zustande kommen kann und auch keine natürliche Mutation darstellt, sondern unkonventionell zustande gekommen ist, dann gibt es nicht viele Möglichkeiten, die verbleiben, um zu erklären, dass ausgerechnet Proteine von HIV‑1 im neuen Coronavirus 2019-nCoV nachgewiesen werden können. Der Versuch, eine biologische Waffe zu bauen, ein Designer-Virus ist eine Erklärung, vielleicht eine wahrscheinliche Erklärung. Wie wahrscheinlich diese Erklärung zutrifft, ist eine Funktion der Menge an Alternativerklärungen.
Kennt jemand eine (bessere) alternative Erklärung?
Wie immer, wenn Studien wie diese veröffentlicht werden, dauert es nicht lange, bis Widerspruch kommt. Hier kann nachgelesen werden, warum die Studie, über die wir hier berichtet haben, Unsinn sein soll. Wir bemühen uns derzeit, eine Stellungnahme aus Indien zu erhalten.
Hier wird argumentiert, dass die oben beschriebene Studie fehlerhaft sei und es keinen Beleg dafür gebe, dass der Virus von Menschen hergestellt sein soll. Der Autor des Beitrags, Ari Allyn Feuer ist der Ansicht, dass 2019-nCoV tierischen Ursprungs ist. Er sieht in der Überlappung zwischen der Sequenz aus 2019-nCoV und HIV‑1 nichts erstaunliches, meint, es handle sich dabei um einen Zufall und macht im Wesentlichen drei Argumente:
- There is nothing remarkable about the fact that 2019-nCoV’s sequence diverges from its nearest known relative, or that its unique sequences are conserved among cases of 2019-nCoV.
- The sequence matches with HIV are very short and appear in hypervariable regions of both virus, and similar overlaps are seen between 2019-nCoV sequences and many other organisms.
- The unique biological properties that HIV sequences could theoretically impart to another virus are completely missing from 2019-nCoV, and 2019-nCoV has no unique clinical properties that are outside what is known to be possible for a coronavirus
Hinzu kommt, dass die Übereinstimmung, die die neun Autoren aus Indien mit HIV‑1 gefunden haben, ein Artefakt der Datenbank sein soll, das der kurzen Sequenz geschuldet ist, nach der die Autoren aus Indien gesucht haben.
Das ganze entwickelt sich zu einem interessanten Wissenschaftsstreit, in dem es im Wesentlichen um die Qualität von Daten geht. Wir sind gespannt und versuchen, wie gesagt, eine Stellungnahme aus Indien zu erhalten.
Prashant Pradhan, einer der beiden Phd-Studenten, die am Text beteiligt sind, hat folgende Meldung auf BioRxiv hinterlassen (Danke an Frank R.):
This is a preliminary study. Considering the grave situation, it was shared in BioRxiv as soon as possible to have creative discussion on the fast evolution of SARS-like corona viruses. It was not our intention to feed into the conspiracy theories and no such claims are made here. While we appreciate the criticisms and comments provided by scientific colleagues at BioRxiv forum and elsewhere, the story has been differently interpreted and shared by social media and news platforms. We have positively received all criticisms and comments. To avoid further misinterpretation and confusions world-over, we have decided to withdraw the current version of the preprint and will get back with a revised version after reanalysis, addressing the comments and concerns. Thank you to all who contributed in this open-review process.
: Authors of the Manuscript
Was die Intention der Autoren gewesen ist, die sich hinter der Einordnung, die gefundenen Inserts könnten nicht zufällig entstehen, seien also keine zufälligen Mutationen und deren Bewertung als “uncanny”, also unheimlich, furchterregend, steckt, sagt Pradhan leider nicht. Auf die verbesserte Version des Beitrags warten wir mit Spannung.
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Quelle: sciencefiles.org
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