Industrie auf der Flucht aus Deutschland?

Am Wochenende habe ich die deut­schen Export­über­schüsse the­ma­ti­siert und dabei den Zusam­menhang mit der inlän­di­schen Ersparnis erklärt. Ein wich­tiger Sektor, der spart, sind die Unter­nehmen. Erst seit der Jahr­hun­dert­wende, besonders seit der Finanz­krise, sind die deut­schen Unter­nehmen Net­to­sparer. Um die Ursachen zu ana­ly­sieren, hat die KfW die Daten tiefer aufbereitet:

Quelle: KfW, Destatis

Gehen wir die Punkte nach­ein­ander durch:

  • Deut­liche höhere Ver­mö­gens­ein­kommen: „Hinter dieser hier als Net­to­größe defi­nierten Position stehen in fast gleichem Ausmaß ein Rückgang der geleis­teten Ver­mö­gens­ein­kommen infolge des lang­jäh­rigen Zins­ver­falls und gerin­gerer Fremd­ver­schuldung (Beitrag: 2,5 Pp.) wie auch ein deut­licher Zuwachs der emp­fan­genen Ver­mö­gens­ein­kommen (Beitrag: 2,2 Pp.).Darunter spielen die im Ausland reinves­tierten Gewinne aus Direkt­in­ves­ti­tionen eine wichtige Rolle. (…) Die damit erwirt­schaf­teten und im Ausland belas­senen Gewinne kommen iso­liert betrachtet auf einen Beitrag von 1,6 Pp. zum Anstieg des Finan­zie­rungs­saldos der Unter­nehmen. Auch unter den übrigen emp­fan­genen Ver­mö­gens­ein­kommen dürften wach­sende Mit­tel­zu­flüsse aus dem Ausland besonders bei Divi­den­den­zah­lungen und Ähn­lichem domi­nieren.“ – Stelter: Die Unter­nehmen inves­tieren immer mehr im Ausland (was richtig ist!) und bekommen dafür Erträge. Wich­tiger noch: Wie auch der Staat pro­fi­tieren die Unter­nehmen von den tie­feren Zinsen, die wie­derum den pri­vaten Haus­halten direkt oder indirekt (Lebens­ver­si­cherung, Pension) als Ein­nahmen fehlen. Die Umver­teilung über den Zins wirkt also konsumdämpfend!
  • Geringere Lohn­kosten: „Ein wei­terer bedeu­tender Treiber der wach­senden Eigen­mittel und des Finan­zie­rungs­über­schusses im Unter­neh­mens­sektor ist die gesunkene Lohn­quote (Anteil des Arbeit­neh­mer­ent­gelts an der Brut­to­wert­schöpfung der Unter­nehmen), die sich vor allem in der lang­jäh­rigen Phase der aus­ge­prägten Lohn­zu­rück­haltung nach der Jahr­tau­send­wende bis etwa zum Jahr 2007 auf­gebaut hat (Beitrag: 2,3 Pp.).“ – Stelter: und die außerdem die Bin­nen­nach­frage dämpft und damit den Han­dels­über­schuss weiter wachsen lässt. Besser wäre es, die Lohn­quote zu erhöhen, aller­dings ist es nicht nur ein deut­sches Phänomen. 
  • Geringere Aus­schüt­tungen: „Von den stei­genden Gewinnen schütten die Firmen jedoch immer weniger an die Anteils­eigner aus und setzen statt­dessen auf eine Stärkung ihrer Innen­fi­nan­zie­rungs­mög­lich­keiten und ihrer Eigen­ka­pi­tal­basis. Wurden zum Start der Wäh­rungs­union noch rund 90 % der Unter­neh­mens­ge­winne aus­ge­schüttet, ist die Aus­schüt­tungs­quote 2017 auf das neue Tief von 60 % gefallen. Besonders rasant sinkt sie seit 2010.“ – Stelter: Wer einmal gesehen hat, wie schnell Kredite nicht mehr fließen im Zuge einer Finanz­krise, dem pas­siert das nicht wieder.
  • Mehr Steuern: „Lediglich die zuletzt im Zuge des aktu­ellen, kräf­tigen Auf­schwungs stei­genden Steuern, Abgaben und Bei­träge an den Staat haben den Finan­zie­rungs­über­schuss der Firmen im Betrach­tungs­zeitraum gedämpft.“ – Stelter: Der Staat hat bekanntlich bei allen heftig abkas­siert in den letzten Jahren.
  • Und 4,3 Pro­zentpunkte weniger Inves­ti­tionen: „Wie (…) abzu­lesen, ist die häufig beklagte Inves­ti­ti­ons­schwäche der Firmen mit 4,3 Pp. zwar ein erheb­licher, aber nicht der einzige Treiber dieses sehr starken Anstiegs. (…) Schwach ent­wi­ckelten sich vor allem die Inves­ti­tionen der Firmen in Aus­rüs­tungen und Wirt­schafts­bauten, also die­je­nigen Inves­ti­ti­ons­güter, die recht eng mit dem Expan­si­ons­motiv ver­knüpft sind.“ – Stelter: Die Inves­ti­tionen liegen rund 20 Prozent unter dem frü­heren Niveau. Wir haben gerade ange­sichts der Rekord­ge­winne und des erheb­lichen Mit­tel­zu­flusses (+6,4 Pro­zent­punkte!) tiefe Inves­ti­tionen. Man hätte theo­re­tisch mit höheren Inves­ti­tionen rechnen müssen ange­sichts der Lage der Wirtschaft.
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Die schlei­chende Deindustrialisierung

Dahinter liegt eine weitaus dra­ma­ti­schere Ent­wicklung. Während wir uns des Export­welt­meister-Titels erfreuen, wandert die Industrie ab. Die F.A.Z. berichtete in der ver­gan­genen Woche:

  • „Die deutsche Industrie steckt in der Krise. Die Unter­nehmen scheinen ver­mehrt ins euro­päische Ausland abzu­wandern. (…) Seit dem Jahr 2016 sinkt der Anteil der Industrie an der Wert­schöpfung, von 23 auf nur noch 21,5 Prozent, wie das Sta­tis­tische Bun­desamt Mitte Januar mit­teilte. Es ist der nied­rigste Wert seit der Finanz­krise.“ – Stelter: Und die Zahlen zeigen, es ist ein deut­sches Problem, kein euro­päi­sches. Die Industrie flieht aus Deutschland.
  • „Ver­liert Deutschland also nach und nach seine Industrie? Davon sind zumindest die Öko­nomen der Com­merzbank mitt­ler­weile über­zeugt. Als Beleg für ihre These von der schlei­chenden Deindus­tria­li­sierung dient ihnen die Ent­wicklung der Indus­trie­pro­duktion, die in Deutschland deutlich schlechter aus­sieht als im übrigen Euroraum. Der Com­merzbank-Chef­volkswirt Jörg Krämer spricht unum­wunden von der Rückkehr des ‘kranken Mann Europas’ wie um die Jahr­tau­send­wende herum.“ – Stelter: mit einem wesent­lichen Unter­schied. Unsere Industrie wandert aus, das ist ein Struktur‑, kein Konjunkturproblem.
  • „Besonders beun­ru­higend ist die Lage im Fahr­zeugbau. Hier gab es par­allel zur Dis­kussion über Fahr­verbote und die Zukunft des Die­sel­motors Mitte 2018 in Deutschland einen regel­rechten Pro­duk­ti­ons­ein­bruch. Das Pro­duk­ti­ons­niveau liegt derzeit fast 10 Prozent unter dem Wert von 2015. (…) Quar­tals­zahlen des Auto­mo­bil­ver­bands VDA stützen Ver­mu­tungen über eine ero­die­rende Stand­ort­qua­lität und eine Pro­duk­ti­ons­ver­la­gerung ins Ausland. So wurden im Jahr 2007 je Quartal noch doppelt so viele Fahr­zeuge von deut­schen Her­stellern hier­zu­lande gefertigt wie von deut­schen Her­stellern im übrigen Europa.“ – Stelter: Es pro­du­zieren die­selben Unter­nehmen mehr im Ausland und weniger im Inland! Das nenne ich mal Abstimmung mit den Füßen. Aber unsere Politik hat ja andere Probleme.
  • „Für Stefan Kooths, den Kon­junk­turchef am Kieler Institut für Welt­wirt­schaft, gehen Kon­junk­tur­flaute und Stand­ort­ver­schlech­terung Hand in Hand. Zwar sei die Fallhöhe nach der jah­re­langen Son­der­kon­junktur besonders hoch. „Es ist aber nicht nur die Unsi­cherheit in der übrigen Welt, die auf die export­ori­en­tierte deutsche Wirt­schaft durch­schlägt, sondern auch haus­ge­machte Unsi­cherheit“, sagt Kooths. Neben dem Still­stand in der Steu­er­po­litik werfe die Ener­gie­po­litik große Fragen auf.“ – Stelter: So ist es. Ange­sichts von Rekord­preisen und zuneh­menden Zweifeln an der Ver­sor­gungs­si­cherheit muss jedes ver­nünftige Unter­nehmen woanders inves­tieren.
  • „Maß­nahmen zum Büro­kra­tie­abbau blieben aus, die Infra­struktur brö­ckele, was Gift sei für die eng­ma­schige „Just-in-Time“-Produktion. Auch die Steu­er­quote für Unter­nehmen ver­harre auf hohem Niveau, während andere Indus­trie­länder sie gesenkt haben. All das bedinge die längst ein­ge­setzte Abwan­derung der deut­schen Industrie ins Ausland.“ – Stelter: Und dieses Abwandern geht einher mit unzu­rei­chenden Inves­ti­tionen hierzulande.

Die Ursachen liegen auf der Hand:

  • unat­traktive Steuerbelastung
  • schlechte und zunehmend ver­fal­lende Infrastruktur
  • Rück­stand bei Digi­ta­li­sierung und Mobilfunk
  • absehbar schlechte demo­gra­fische Entwicklung
  • Verfall des Bildungswesens
  • falsche poli­tische Prio­ri­täten mit mehr Diri­gismus (siehe Don­nerstag bei bto)
  • hohe Ener­gie­kosten mit absehbar schlech­terer Versorgungssicherheit
  • Tech­no­lo­gie­s­kepsis, inves­ti­tions- und inno­va­ti­ons­feind­liches Klima.

Was ist also zu tun?

  • Mehr staat­liche Inves­ti­tionen in bessere Infra­struktur und Digi­ta­li­sierung führen auch zu mehr pri­vaten Investitionen.
  • Staat­liche För­derung von Innovation.
  • Umstellen der Besteuerung der Unter­nehmen, um Inves­ti­tionen besonders zu begüns­tigen, also keine gene­relle Steu­er­senkung, sondern Anreize zu Inves­ti­tionen in Sach­ver­mögen, aber auch For­schung und Entwicklung.
  • Weniger Regu­lierung und Bürokratie.
  • Eine nach­haltige Kli­ma­po­litik mit plan­baren Kosten, wett­be­werbs­fä­higen Ener­gie­preisen und Verstand.
  • Bekenntnis der Politik zur freien Markt­wirt­schaft und Inves­tition statt Konsum.

Nicht absehbar.


Dr. Daniel Stelter –www. think-beyondtheobvious.com