Dieser Kommentar von mir erschien im April 2018. Ein schönes Beispiel für das generelle Problem mit dem Timing. Ich war zu früh dran, und auch die Auslöser passen nicht genau. Aber es zeigt, wie fragil unsere Wohlstandsillusion ist:
Das Zwischenhoch in der Eurozone hat den Höhepunkt überschritten, während es auch ohne Protektionismus schlecht steht um die exportabhängige deutsche Wirtschaft. Nun rächt sich, dass in den letzten zwölf Jahren auf Verteilen und Verwalten, statt auf das Sichern der Zukunft gesetzt wurde.
Die wirtschaftspolitische Bilanz der letzten zwölf Jahre ist ausgesprochen ernüchternd. Knapp zusammengefasst kann man sagen, dass es Ziel der deutschen Regierungen unter Angela Merkel gewesen ist, mit Umverteilen und finanziellen Wohltaten Zustimmung im Inland und relative Ruhe im Ausland zu erkaufen. Von Zukunftssicherung hingegen keine Spur.
Daran ändert sich auch mit der Neuauflage der geschrumpften Großen Koalition nichts. Im Gegenteil: Der Koalitionsvertrag ist ein lautes „Weiter-so!“, gepaart mit leichtfertigen und überflüssigen Versprechungen, die letztlich deutschen Wohlstand vernichten, sollten sie realisiert werden. Diese Zusicherungen der GroKo begünstigen ein französisches Modell von Europa, das auf Umverteilen und Schulden setzt, um das Projekt Euro noch eine Runde weiterzubekommen.
Thatcher hatte Recht
„The problem with socialism is that you eventually run out of other people’s money“, bemerkte Margaret Thatcher schon in den 1970er-Jahren. Das Gleiche gilt für die im Kern sozialistische Politik der Bundesregierungen unter Führung von Angela Merkel. Noch nie hat der Staat so hohe Steuereinnahmen gehabt wie heute, hat uns Bürgern also so viel Geld abgenommen. Wohl noch nie mussten wir im Gegenzug erleben, wie Infrastruktur und Schulen verfallen, die innere Sicherheit in weiten Bereichen nicht mehr gesichert ist und die Bundeswehr eine Lachnummer ist. Sogar die Schweiz dürfte über mehr funktionsfähige Hubschrauber und Kampfpanzer verfügen als Deutschland.
Stattdessen wurden die Reformen der Regierung Schröder aufgeweicht, die Zahlungen für Rentner erhöht, der Mindestlohn mit einem wahren Feuerwerk an Bürokratie eingeführt und eine Migrationspolitik betrieben, die direkt in den Sozialstaat führt, statt die Grundlage für künftige Beschäftigung zu legen.
Noch wird dies alles verdeckt durch eine einzigartige Kombination an makroökonomischen Faktoren: den tiefen Zinsen, dem schwachen Euro und der ungebrochenen Nachfrage nach Autos und Maschinen aus Deutschland. Ein einzigartiger Glücksfall für die Kanzlerin, die es nur dieser Scheinblüte verdankt, immer noch im Amt zu sein.
Doch spätestens 2019 dürfte die Wohlstandsillusion platzen. Die Kombination aus Italien, Brexit und Donald Trump dürfte sich als toxisch für die deutsche Wirtschaft und damit auch für die neue Bundesregierung erweisen.
Italien beendet die Euro-Rettungs-Illusion
Es ist immer wieder faszinierend, wie entspannt die Politik auf die Veränderungen in Europa reagiert. Da wurde, wie von allen erwartet, in Italien der Protest gewählt und es ändert nichts. Dass an den Finanzmärkten nichts passiert, ist dabei nicht mal so verwunderlich. Wissen doch alle Teilnehmer, dass die EZB schon jetzt der größte Käufer von italienischen Staatsanleihen ist und solange Mario Draghi im Amt ist, wird sich daran auch nichts ändern. Zum anderen hat ja die neue deutsche Regierung schon vor Beginn der Verhandlungen zugesagt, mehr Geld zu geben.
Also aus Sicht der Italiener eine einfache Sache: Sie können sich über die Defizitgrenzen hinwegsetzen und ihre Wahlversprechen wie ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen und sich dafür weiter verschulden. Wer sollte sie davon abhalten? Aus dem Euro und der EU wird man das Land nicht werfen. Im Gegenteil: Das Land kann mit der Einführung einer Parallelwährung drohen – die Pläne dafür liegen vor -, um noch mehr Zugeständnisse der Partner – also von uns Deutschen – zu erpressen.
Erpressen ist dabei das Stichwort. Italien schuldet bereits mehr als 430 Milliarden Euro im Rahmen des Target2-Systems. Gläubiger dieser 430 Milliarden sind vor allem wir Deutschen als „Aktionäre“ der Bundesbank. Insgesamt hat die Bundesbank rund 900 Milliarden Euro an Target2-Forderungen, also rund 11.000 Euro pro Kopf der hier lebenden Bevölkerung. 5000 Euro davon gehen also als zins- und tilgungsfreier Kredit von jedem Deutschen an Italien und das auch noch ohne Sicherheit.
Wie heißt doch der Witz so schön: „Wenn man eine Million Schulden hat, hat man ein Problem. Wenn man 100 Millionen Schulden hat, hat die Bank ein Problem.“ Wir Deutsche haben ein massives Problem in der Eurozone und die Regierungen Merkel haben das einfach ausgesessen. Gerade die konsequente Weigerung der deutschen Regierungen, die Grundprobleme der Eurozone – Überschuldung und fehlende Wettbewerbsfähigkeit einzelner Länder – anzugehen, wird uns so teuer auf die Füße fallen.
In den nächsten zwölf Monaten wird uns die Rechnung präsentiert werden und die große Täuschung der Illusionisten aus Berlin fliegt auf: Die Eurokrise wird, statt bewältigt zu werden, lautstark fortgesetzt.
Brexit trifft unsere Wirtschaft massiv
Während die Medien bei uns immer den Schaden des Brexit-Votums für die Briten in den Vordergrund stellen, sollten wir uns viel mehr fragen, was die Folgen für uns sind. Ich bleibe bei meiner an dieser Stelle schon früher geäußerten Auffassung, dass der Brexit für Deutschland ein politisches Desaster ist, weil uns ein marktwirtschaftlicher Verbündeter in Europa verloren geht. Großbritannien jedoch hat die Chance, die Grundlage für eine erfolgreiche Zukunft zu legen, und zwar dank herausragender Universitäten und Schulen und der Möglichkeit, Migration nach eigenen Interessen zu steuern, statt sie wie bei uns einfach „geschehen zu lassen“.
Selbst wenn es nun scheint, dass der „harte Brexit“, wie von der EU-Kommission im Sinne einer Abschreckungs- und Strafaktion gewünscht, nicht kommen wird, sind die Risiken erheblich. Nur mit den USA erzielen wir im Außenhandel einen größeren Überschuss als mit Großbritannien. Fällt dieser weg, wird sich das schnell und deutlich in der hiesigen Wirtschaft bemerkbar machen. Umso erstaunlicher, wie deutsche Politiker den harten Kurs Brüssels unterstützen. Ein weiteres Beispiel für eine Hybris, die die eigene Verwundbarkeit leugnet.
Trump kann den Handelskrieg gewinnen
Donald Trump hat recht. Man kann einen Handelskrieg gewinnen. Natürlich stimmt es, dass es der Welt besser geht, wenn es keinen Protektionismus gibt. Aber wenn jemand einen Handelskrieg verliert, dann sind es die Länder mit den größten Überschüssen. Womit wir wieder bei Deutschland wären.
Schon vor über einem Jahr habe ich an dieser Stelle angemahnt, dass wir unsere Wirtschaftspolitik im eigenen Interesse anpassen müssen. Die Überschüsse, die wir erzielen,
- verdanken wir zu einem guten Teil dem künstlich schwachen Euro, während die Produktivitätszuwächse als eigentlicher Indikator unserer Wettbewerbsfähigkeit seit Jahren rückläufig sind;
- führen zu einem Kaufkraftentzug in anderen Ländern, weshalb es nur eine Frage der Zeit war, bis es zu stärkeren Gegenmaßnahmen kommt;
- sind verbunden mit einem Export unserer Ersparnisse in das Ausland, was in einer überschuldeten Welt keine gute Idee ist. Wir legen unser Geld im Ausland sehr schlecht an; die Target2-Forderungen sind nur das drastischste Beispiel für diese verfehlte Politik.
Nichts ist passiert. Ökonomen und Politiker schwafeln lieber von der Überlegenheit deutscher Produkte, was sicherlich stimmt, aber ohne einen impliziten Währungsvorteil von über 20 Prozent deutlich anders aussähe. Und sie leugnen, dass es möglich wäre, an diesem Zustand etwas zu ändern.
Dabei wäre ein Programm nicht nur denkbar, sondern auch in unserem eigenen Interesse:
- mehr staatliche Investitionen in Deutschland, vor allem in klassische und digitale Infrastruktur und Bildung aber auch in innere und äußere Sicherheit;
- Umstellen der Besteuerung der Unternehmen, um Investitionen, Forschung und Entwicklung in Deutschland zu fördern, zum Beispiel im Bereich von Robotern und Automatisierung;
- Senken der Abgabenlast für kleinere und mittlere Einkommen über eine Reduktion der Sozialbeiträge – gerade diese Einkommensgruppen geben am ehesten das zusätzliche Geld aus;
- Gründen eines Staatsfonds nach dem Muster von Norwegen oder Singapur, um unser Auslandsvermögen endlich besser anzulegen;
- wirkliches Sanieren der Eurozone durch einen umfangreichen Schuldenschnitt und eine Neuordnung der Mitgliedsländer, da nur so einige der Krisenländer überhaupt wettbewerbsfähig werden können.
Stattdessen werden wir es wohl auf die harte Tour erleben. Der Brüsseler Thinktank Bruegel hat einmal durchgerechnet, wie sich ein Importzoll von 35 Prozent auf europäische Autos auf die hiesige Industrie auswirken würde. Wenig überraschend würde es die deutsche Automobilindustrie massiv treffen. Bis zu 17 Milliarden Exportumsatz wären demnach gefährdet.
Noch hat die US-Regierung ihre Drohung gegen Deutschland nicht wahr gemacht. Stattdessen ist China (zu Recht!) im Fokus der amerikanischen Maßnahmen. Bleibt es jedoch bei den erheblichen deutschen Überschüssen, ist es nur noch eine Frage kurzer Zeit, bis es auch zu Beschränkungen deutscher Exporte kommt. Die Freude in Berlin über den „Verhandlungserfolg“ des Wirtschaftsministers dürfte von kurzer Dauer sein.
Konjunkturabsturz und neue Eurokrise
Damit deutet sich ein gefährliches Szenario an: Die Eurokrise bricht zu einem Zeitpunkt wieder auf, in dem die deutsche Wirtschaft in eine Rezession stürzt, ausgelöst durch den teilweisen Wegfall zweier großer Exportmärkte. Ganz Europa rutscht in eine Rezession, was wiederum die Divergenzen im Euro noch deutlicher zutage treten lässt. Die EZB wird noch massiver intervenieren, um das Konstrukt vor dem Einbruch zu bewahren, damit aber weitere protektionistische Maßnahmen heraufbeschwören, weil nicht nur die USA darin einen erneuten Versuch sehen, über die Abschwächung des Euro einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen.
Über Nacht werden wir aus der Wohlstandsillusion erwachen. Wir werden erkennen, dass wir unseren konjunkturellen Aufschwung selbst finanziert haben und dabei in erheblichem Maße Forderungen aufgebaut haben, die nicht werthaltig sind. Es wird schlagartig sichtbar, dass wir nicht in der Lage sind, ganz Europa zu finanzieren. Und es wird klar, dass unsere Politik die guten Jahre nicht dafür genutzt hat, vorzusorgen, sondern unsere Lasten so zu erhöhen, dass uns der nächste Abschwung umso brutaler trifft.
Der Illusionskünstlerin im Kanzleramt mag noch der eine oder andere Trick gelingen. Doch auch bei ihr gilt der Grundsatz, den schon Abraham Lincoln prägte: „You can fool all the people some of the time, and some of the people all the time, but you cannot fool all the people all the time.” Die Zeit läuft aus.
Dr. Daniel Stelter –www. think-beyondtheobvious.com
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