Zeit für den öko­no­mi­schen Notfallplan!

Nachdem die Börsen das Coro­na­virus lange Zeit igno­riert haben, scheint sich langsam die Erkenntnis durch­zu­setzen, dass das Virus das Zeug hat, der Welt­wirt­schaft mehr zu schaden als ursprünglich gedacht. Kein Wunder, dass die Akti­en­märkte in den letzten Tagen tief abge­taucht sind.

War es das schon? Ich weiß es nicht. Vieles spricht dafür, dass die Bör­sianer immer noch mit einer v‑förmigen Erholung rechnen, während die Anlei­hen­märkte schon längst beim „U“ ange­kommen sind. Von einem „L“ sprechen wir bis heute nicht, denn das wäre der schlimmste aller Fälle: die Spa­nische Grippe 2.0. Ein huma­ni­täres Desaster mit fatalen Folgen für die Wirtschaft.

Schon ein „U“ können wir uns nicht leisten

Dabei kann sich die Welt­wirt­schaft nicht einmal ein „U“ leisten. Schon ohne die Virus­krise kämpfen wir immer noch mit den Folgen der Finanz­krise. Das Wachstum im Auf­schwung seit 2010 war das geringste seit dem Zweiten Welt­krieg. Trotz Rekord­ver­schuldung, trotz eines eben­falls auf Schulden gebauten Booms in China und trotz Null- und Nega­tiv­zins­po­litik der Noten­banken. Selbst in den USA muss die Regierung Trump ein Defizit von rund fünf Prozent vom BIP fahren, damit die Wirt­schaft um rund zwei Prozent wächst. Kein gutes Zeichen.

Auf diese Welt trifft nun das Virus. Zunächst nur ein Problem für China, das immerhin für 18 Prozent der welt­weiten Wirt­schafts­leistung und rund 50 Prozent des Wachstums der Welt in den letzten Jahren steht. Nun auch ein Problem in Korea – immerhin die dritt­größte Volks­wirt­schaft Asiens – und mit Italien mitten in Europa. Egal, was uns die Poli­tiker erzählen, wir müssen uns darauf ein­stellen, dass das Virus die Welt erobert und lähmt. Kommt es wider Erwarten anders, umso besser.

Die Folgen wären für die Welt­wirt­schaft fatal, die Mög­lich­keiten, die Wirt­schaft wie­der­zu­be­leben für Noten­banken und Staaten sind gering. Bei Null- und Nega­tivzins bringen weitere Zins­sen­kungen wenig. Vor allem nimmt niemand einen Kredit auf, wenn die Wirt­schaft still­steht. Den braucht man erst, wenn die Wirt­schaft wieder öffnet. Und das könnte dauern, muss man doch mit einer Dauer von min­destens sechs Wochen rechnen, bis eine Person genesen ist. Auch Staats­aus­gaben bringen wenig, wenn niemand die Steu­er­gut­schriften ausgibt und niemand auf dem Bau arbeitet. Ein Sze­nario, das wir zumindest in Erwägung ziehen sollten.

Margin Call für alle Schuldner

Damit hat das Virus das Zeug, den ulti­ma­tiven Margin Call aus­zu­lösen. Schon früher habe ich an dieser Stelle die Mechanik von Margin Calls erläutert: Unsere Wirt­schaft ist immer höher ver­schuldet. Unter­nehmen arbeiten mit immer weniger Eigen­ka­pital, um so – die bil­ligen Fremd­ka­pi­tal­zinsen nutzend – die Eigen­ka­pi­tal­rendite zu steigern. Man spricht vom soge­nannten „Leverage-Effekt“. Besonders weit getrieben haben es hierbei die Unter­nehmen in den USA, die immerhin 50 Prozent mehr Schulden haben als vor zehn Jahren. Fast die Hälfte aller aus­ste­henden Anleihen ist nur noch mit dem Rating von BBB ver­sehen, eine Stufe über Ramsch.

Kommt es zu Her­ab­stu­fungen wie kürzlich beim Ketchup-Her­steller Kraft, sind rasche und starke Kurs­ver­luste die Folge. Zum einen, weil viele Inves­toren keine Papiere halten dürfen, die nicht mehr Investment-Grade sind, zum anderen, weil viele Käufer der Papiere eben­falls auf Kredit spe­ku­lieren. Das steckt auch hinter der Krise am ame­ri­ka­ni­schen Markt für kurz­fristige Finan­zie­rungen („Repo-Markt“), wo immer mehr Spieler von Banken bis Hedge­fonds mit immer höherem Leverage ver­suchen, trotz Tiefst­zinsen eine ordent­liche Rendite zu erwirtschaften.

Wir haben es also mit einem mehr­fachen Ver­schul­dungs­problem zu tun: einer immer höher ver­schul­deten Real­wirt­schaft und einem mit immer gerin­geren Eigen­mitteln zockenden Finanz­system. In nor­malen Zeiten ist das ärgerlich, aber dank der allzeit bereiten Noten­banken noch beherrschbar. Nicht, dass ich das gut finde, aber es ist ein Ver­sagen der Regu­lierung, hier nicht früher und ent­schie­dener gegen­ge­steuert zu haben.

Ver­mö­gens­werte landen auf dem Markt und ver­schärfen die Krise

Das Problem mit dem Virus ist jedoch, dass die Inter­ven­tionen von Noten­banken und Staaten wie gezeigt nicht wirken. Schuldner werden, wenn sie Liqui­dität benö­tigen, ver­kaufen müssen und die Käufer werden wegen der Unsi­cherheit nicht kaufen. Ver­mö­gens­werte werden auf den Markt geworfen und ver­schärfen so die Abwärts­be­wegung, ein Prozess, den Irving Fisher schon in den 1930er-Jahren in seiner Schulden-Defla­tions-Theorie Großer Depres­sionen ein­drücklich beschrieben hat.

Unter­nehmen werden Schwie­rig­keiten haben, ihren Zah­lungs­ver­pflich­tungen nach­zu­kommen, wenn ihre Ein­nahmen weg­brechen. Da tröstet es wenig, dass die Autos in drei Monaten ver­kauft werden. Die Ein­nahmen und damit der Cashflow fehlen heute. Damit droht eine Welle an Zah­lungs­aus­fällen, die die Finanz­märkte wie ein Tsunami über­schwemmen. Der Crash wäre perfekt.

Natürlich muss es nicht so kommen. Doch je länger die Virus-Krise andauert und je weiter sich das Virus ver­breitet, desto größer der Schaden für Real­wirt­schaft und Finanzsystem.

Wir brauchen einen öko­no­mi­schen Winterschlaf

Das letzte Mal, als das hoch-gele­veragte System vor dem Kollaps stand, rettete uns die beherzte Inter­vention der Noten­banken und Staaten vor dem Kollaps. Diesmal ist die Munition weit­gehend auf­ge­braucht oder wir­kungslos. Irving Fisher wusste schon vor 90 Jahren, was zu tun ist: Man muss den Wert des auf Kredit gekauften Assets wieder auf den Vor-Krisen-Wert erhöhen. Nur so lässt sich die Krise stoppen.

Über­setzt auf heute bedeutet dies: Wir brauchen – sollte das Virus weiter die Welt­wirt­schaft belasten – einen öko­no­mi­schen Win­ter­schlaf. Alle Zins­zah­lungen und Til­gungen werden aus­ge­setzt, alle Wert­pa­pier­preise ein­ge­froren. Wir machen Pause und nehmen den Faktor Zeit aus dem Spiel.

Wenn die Wirt­schaft dann wieder anläuft – und das wird sie – dann können die Restrik­tionen nach und nach fallen. Die Rest­laufzeit von Anleihen und Kredite wird um die Unter­bre­chungs­pe­riode ver­längert. Alle tun so, als hätten wir in einem erhol­samen Win­ter­schlaf gelegen.

Ver­rückt? Viel­leicht. Aber dann kommen sie mit bes­seren Vor­schlägen, wie eine Depression zu ver­hindern ist, wenn es nicht gelingt, das Virus zu stoppen.

Schluss­be­merkung: Noch bin ich opti­mis­tisch, dass es nicht so weit kommt. Dennoch müssen wir uns zumindest darauf vor­be­reiten. Denn wie heißt es so schön: „Das Glück bevorzugt den, der vor­be­rei­tetet ist. (Louise Pasteur) Hoffen wir, dass die Poli­tiker einen bes­seren Job bei der Bewäl­tigung der wirt­schaft­lichen Folgen als bei der Ver­hin­derung der Pan­demie machen.

→ manager-magazin.de: „Zeit für den öko­no­mi­schen Not­fallplan!“, 26. Februar 2020

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Ich weiß – ich lese ja durchaus die Kom­mentare –, dass mich einige der Leser für naiv halten. Richtig: Wer sollte so etwas beschließen,  geschweige denn durch­setzen? Niemand. Das stimmt. Ich glaube nicht ernsthaft daran. Aber es gäbe Hebel, wie mir eine Zuschrift beweist:

„(…) denken Sie nicht immer so groß – sondern auch an all die Klein­be­triebe wie Fit­ness­studios, Kinos, Restaurant usw. Würden all diese Betriebe insolvent gehen, wird es sehr schwer, dies alles wieder auf­zu­bauen. Es gibt so etwas wie einen nicht mate­ri­ellen Unter­neh­menswert, bestehend aus den jah­re­langen Erfah­rungen der Mit­ar­beiter und des Besitzers.
Gerade diese Klein­be­triebe werden als erste in Liqui­di­täts­pro­bleme kommen – aller­dings nicht durch die lau­fende Ver­bind­lich­keiten in Bezug auf Unter­neh­mens­dar­lehen –, sondern auf­grund unserer Steuersystematik.
Sie werden es selber wissen – als Selbst­stän­diger bezahlt man quar­tals­weise eine Abschlags­zahlung auf die EST-Steuer, deren Betrag sich am Ein­kommen des Vor­jahres misst. Brechen die Ein­nahmen ein, kann man natürlich einen Her­ab­set­zungs­antrag durch den Steu­er­be­rater stellen. Der muss aber gut begründet sein und auf einer Daten­basis der Buch­haltung beruhen. 
In der jet­zigen Liqui­da­ti­ons­klemme würde dies zu lange. Hier müsste das Finanz­mi­nis­terium ent­spre­chend die Finanz­ämter anweisen, extrem groß­zügig zu ver­fahren – besser von sich selber aus die Zah­lungs­termine auf­schieben.“Stelter: Recht hat der Leser! Das wäre ein, wie ich zugebe, viel bes­serer Vor­schlag als mein theo­re­ti­scher des Schuldenmoratoriums.

Dass ich nicht allein bin mit meiner Skepsis, zeigt übrigens der Kom­mentar des ehe­ma­ligen Asien Chairmans von Morgan Stanley bei Project Syn­dicate und in der FuW. Ein paar Auszüge:

  • „(…) die Ver­wund­barkeit der meisten grossen Volks­wirt­schaften im Laufe des ver­gan­genen Jahres zuge­nommen, was die Aus­sichten für Anfang 2020 umso unsi­cherer macht. In Japan, der viert­grössten Volks­wirt­schaft der Welt, schrumpfte das Wachstum auf das Jahr hoch­ge­rechnet im vierten Quartal 6,3 % – viel stärker als nach einer wei­teren Erhöhung der Mehr­wert­steuer erwartet. Die Indus­trie­pro­duktion ging im Dezember sowohl in Deutschland (–3,5 %) als auch in Frank­reich (–2,6 %), der fünft- bzw. der zehnt­grössten Volks­wirt­schaft der Welt, stark zurück. Die Ver­ei­nigten Staaten, die zweit­grösste Volks­wirt­schaft der Welt, zeigten sich im Ver­gleich dazu relativ wider­stands­fähig, doch ein reales Wachstum des Brut­to­in­land­pro­dukts (BIP) von 2,1 % im vierten Quartal 2019 kann kaum als Boom bezeichnet werden (…).“ – Stelter: Natürlich nicht. Wir sind nicht hoch­ge­kommen mit unserem Jumbo „Welt­wirt­schaft“.
  • „(…) es gab zu Beginn dieses Jahres keinen Raum für einen Unglücksfall. Doch es hat ein grosses Unglück gegeben: China ist durch den Coro­naschock erschüttert worden. (…) Täglich vom China-Team der US-Grossbank Morgan Stanley zusam­men­ge­stellte Akti­vi­täts­auf­zeich­nungen unter­streichen die lan­des­weiten Aus­wir­kungen dieser Störung. Am 20. Februar war der Koh­le­ver­brauch (nach wie vor 60 % des gesamten chi­ne­si­schen Ener­gie­ver­brauchs) gegenüber dem Vorjahr 38 % geringer, und Ver­gleiche des lan­des­weiten Ver­kehrs­wesens fielen sogar noch schwächer aus, was es den fast 300 Mio. Wan­der­ar­beitern in China extrem erschwert hat, nach dem Neu­jahrsfest in die Fabriken zurück­zu­kehren.“ – Stelter: In gewisser Hin­sicht ist es ja gut, es hilft dem Klima (und gibt einen Vor­ge­schmack auf die Verbotskultur).
  • „China ist nicht nur der mit Abstand grösste Exporteur der Welt, sondern spielt auch eine ent­schei­dende Rolle im Mit­tel­punkt der glo­balen Wert­schöp­fungs­ketten. Jüngste Unter­su­chungen zeigen, dass fast 75 % des Wachstums im Welt­handel auf globale Wert­schöp­fungs­ketten zurück­zu­führen sind und China der wich­tigste Aus­gangsort dieser Expansion ist. (…) auch die Aus­wir­kungen auf der Nach­fra­ge­seite sind von grosser Bedeutung. Schliesslich ist China heute für die meisten asia­ti­schen Volks­wirt­schaften das grösste Exportziel. Daher über­rascht es nicht, dass die Han­dels­daten sowohl von Japan als auch Korea Anfang 2020 unüber­sehbare Anzeichen von Schwäche zeigen. Somit ist so gut wie sicher, dass Japan zwei auf­ein­an­der­fol­gende Quartale mit nega­tivem BIP-Wachstum ver­zeichnen wird und nach der dritten Erhöhung der Mehr­wert­steuer (1997, 2014 und 2019) zum dritten Mal in die Rezession rut­schen wird.“ – Stelter: Und bei uns machen jene, die das Land nicht fit für die Gefahren der Welt gemacht haben, einen Schön­heits­wett­bewerb für den CDU-Par­tei­vorsitz. Gut möglich, dass das Virus auch den seit Langem Regie­renden den Rest gibt.
  • „Das Aus­bleiben der Nach­frage aus China dürfte (…)  besonders Deutschland sehr hart treffen.“ – Stelter: So ist es.
  • „Covid-19 ist in einer Zeit aus­ge­brochen, in der die wirt­schaft­liche Ver­wund­barkeit viel grösser ist. Bezeich­nen­der­weise kon­zen­triert sich der Schock auf den wich­tigsten Wachs­tums­motor der Welt. Der Inter­na­tionale Wäh­rungs­fonds beziffert den Anteil Chinas an der glo­balen Pro­duktion in diesem Jahr auf 19,7 %, was mehr als doppelt so hoch ist wie der Anteil von 8,5 % im Jahr 2003, als Sars aus­brach. Da China seit 2008 für volle 37 % des kumu­la­tiven Wachstums des welt­weiten BIP ver­ant­wortlich ist und keine andere Volks­wirt­schaft die Lücke füllt, scheint das Risiko einer aus­ge­wach­senen glo­balen Rezession in der ersten Hälfte des Jahres 2020 durchaus möglich.“ – Stelter: Und das sind dann auch schlechte Nach­richten für alle Schuldner der Welt und das Finanzsystem.
  • „(…) Schocks (sind) per Defi­nition lediglich eine vor­über­ge­hende Unter­bre­chung eines zugrunde lie­genden Trends. (…) Die Welt­wirt­schaft war schwach und wurde schwächer, als Covid-19 aus­brach. Der V‑förmige Erho­lungs­verlauf ähnlich wie bei Sars wird daher viel schwie­riger zu repro­du­zieren sein – vor allem, da die Wäh­rungs- und Finanz­be­hörden in den USA, Japan und der EU so wenig Munition zur Ver­fügung haben. Das war natürlich die ganze Zeit die grosse Gefahr.“ – Stelter: weshalb es letztlich auch egal war/ist, was der Aus­löser ist.

Dr. Daniel Stelter –www. think-beyondtheobvious.com