Realer Sozia­lismus: Ein Albtraum

Es ist manchmal erstaunlich, wie kurz das his­to­rische Gedächtnis der Menschheit sein kann. Wenn Sie einige Per­sonen in der ame­ri­ka­ni­schen Wis­sen­schaft und in den sozialen Medien hören, würden Sie denken, der Sozia­lismus sei eine neue und glän­zende Idee, die noch nie zuvor aus­pro­biert wurde und die eine wun­derbare Zukunft des Friedens, der Liebe und des Über­flusses für alle ver­spricht. Es ist, als ob es die hundert Jahre umge­setzten Sozia­lismus in den vielen Ländern auf der ganzen Welt niemals gegeben hätte.

(von Richard M. Ebeling)

Wenn die Wirk­lichkeit des realen Sozia­lismus im 20. Jahr­hundert ange­sprochen wird, bestehen viele „pro­gressive“ und „demo­kra­tische“ Sozia­listen darauf, dass keine dieser his­to­ri­schen Epi­soden Bei­spiele für einen „echten“ Sozia­lismus waren. Es waren bloß die fal­schen Leute ver­ant­wortlich, es wurde nicht richtig umge­setzt, die poli­ti­schen Umstände haben eine „faire Chance“ einer erfolg­reichen Arbeit ver­hindert, es sind alles Lügen oder Über­trei­bungen über das ver­meint­liche „Schlechte“ oder die bru­talen Erfah­rungen unter diesen sozia­lis­ti­schen Regimen. Man kann nicht den Sozia­lismus dafür ver­ant­wortlich machen, dass es einen Lenin, einen Stalin, einen Vor­sit­zenden Mao, einen Fidel Castro, einen Kim Il-Sung, einen Pol Pot, einen Hugo Chavez oder sonst jemanden gegeben hat …

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Tyrannei, Terror, Mas­senmord und wirt­schaft­licher Still­stand zusammen mit poli­ti­scher Aus­beutung und Pri­vi­legien für die wenigen an der Spitze der sozia­lis­ti­schen Regie­rungs­hier­ar­chien waren kein Bild davon, wie Sozia­lismus wirklich sein kann. Lasst uns ihm einfach noch eine Chance geben. Und dann noch eine Chance und noch eine und dann noch eine.

Die Sta­tis­tiklügen der Sowjets wurden im Westen zu oft für bare Münze genommen

Diese Geis­tes­haltung ist wirklich nichts Neues. Während des gesamten 20. Jahr­hun­derts gab es viele Apo­lo­geten, die Aus­reden parat hatten und jede Pro­pa­ganda, die von den Sprach­rohren des sozia­lis­ti­schen Regimes in Sowjet-Russland aus­ge­spuckt wurde, unhin­ter­fragt geglaubt haben. Sie ver­schlossen die Augen vor den harten Fakten, was dort wirklich vor sich ging. Die­je­nigen, die aus dem als UdSSR bekannten Gefan­ge­nen­lager fliehen konnten und erzählten, wie das Leben im Arbei­ter­pa­radies tat­sächlich war, wurden igno­riert oder als Men­schen mit anti­so­wje­ti­scher Haltung ver­spottet. Warum sonst hätten sie ihr wun­der­volles sowje­ti­sches Mut­terland verlassen?

Eine andere Aus­prägung dieser Blindheit war die rück­haltlose Akzeptanz der sowje­ti­schen Wirt­schafts­sta­tistik durch viele renom­mierte Sowjet-Experten im Westen, ein­schließlich der „pro­fes­sio­nellen“ Ana­lysten innerhalb der Geheim­dienste von Ländern wie den Ver­ei­nigten Staaten. Sowohl vor als auch nach dem Zweiten Welt­krieg hielt eine Mehrheit dieser Wis­sen­schaftler und Ana­lysten die von der Sowjet-Regierung ver­öf­fent­lichten offi­zi­ellen Sta­tis­tiken und die dazu­ge­hö­rigen Daten darüber, wie wun­derbar und erfolg­reich die zentral geplante sowje­tische Wirt­schaft war, für zuver­lässig. Die eigene Pro­pa­ganda ver­kündete die Erfolge der sowje­ti­schen Plan­wirt­schaft – ein­schließlich der erzwun­genen Kol­lek­ti­vierung der Land­wirt­schaft –, die durch die Ein­führung von Fünf­jah­res­plänen in den 1930er Jahren zu einem Indus­trieland geworden sein sollte. In den Jahren nach dem Zweiten Welt­krieg brachten die sowje­tisch-staat­lichen Pla­nungs­be­hörden riesige Mengen sta­tis­ti­scher Daten heraus, aus denen her­vorging, dass in der Nach­kriegszeit alles auf dem besten Weg zum sozia­lis­ti­schen Wohl­stand war.

Der Führer der kom­mu­nis­ti­schen Partei, Nikita Chruscht­schow, gab 1961 stolz bekannt, dass in zwanzig Jahren – also in den 1980er Jahren – das sowje­tische Volk in der lang ver­spro­chenen und erwar­teten Zukunft eines Kom­mu­nismus ohne Knappheit leben werde. Der bekannte ame­ri­ka­nische Ökonom und spätere Nobel­preis­träger Paul Samu­elson (1915–2009) hatte in seinem weit ver­brei­teten Wirt­schafts­lehrbuch in den 1960er und 1970er Jahren und sogar bis in die 1980er Jahren ver­öf­fent­lichten Aus­gaben darauf hin­ge­wiesen, dass zu Beginn des 21. Jahr­hun­derts sehr wahr­scheinlich das sowje­tische das ame­ri­ka­nische Brut­to­in­lands­produkt über­holen werde. Der sowje­tische Sozia­lismus würde seine wirt­schaft­liche Über­le­genheit gegenüber dem ame­ri­ka­ni­schen Kapi­ta­lismus zeigen.

West­liche Kor­re­spon­denten in Moskau berich­teten über die Wirk­lichkeit im sowje­ti­schen Sozialismus

In der Zeit zwi­schen den beiden Welt­kriegen gab es unter den in Moskau sta­tio­nierten west­lichen Pres­se­korps berüch­tigte Apo­lo­geten und Pro­pa­gan­disten für die Sowjet­union. Der aben­teu­er­lichste von ihnen war der Kor­re­spondent der New York Times, Walter Duranty (1884–1957), der sogar einen Pulitzer-Preis für seine Ver­tu­schungs­be­richt­erstattung über die Hun­gersnot in den frühen 1930er Jahren während Stalins erzwun­gener Kol­lek­ti­vierung des Landes erhielt, die den Tod von min­destens 12 Mil­lionen Männern, Frauen und Kindern zur Folge hatte.

Aber es gab auch auf­rechte west­liche Bericht­erstatter, die in dieser Zeit aus der Sowjet­union berich­teten. Als sie von ihren Touren in Moskau nach Hause kamen und frei von der sowje­ti­schen Zensur waren, die sie darin beschränkte, was sie aus dem Land ihren Zei­tungs­re­dak­teuren im Westen schicken konnten, erzählten sie die Lebens­wirk­lichkeit sehr detail­liert. Zwei der besten von ihnen waren meiner Meinung nach William Henry Cham­berlin (1897–1969) in seinen Büchern Soviet Russia: A Living Record and a History (1931), Russia’s Iron Age (1934) und Coll­ec­tivism: A False Utopia ( 1937) und Eugene Lyons (1898–1985) in seinen Schriften Moscow Carousel (1935) und Assignment in Utopia (1937).

In den 1970er und 1980er Jahren wurden ins­be­sondere unzen­sierte Berichte über das wirk­liche Leben im sowje­ti­schen Sozia­lismus ent­hüllt. Keine zucker­be­stäubten, tro­ckenen sta­tis­ti­schen Daten. Im typi­schen Bericht­erstat­tungsstil erklärten die Kor­re­spon­denten die Logik der geplanten Gesell­schaft, indem sie endlose Geschichten über die Absur­di­täten erzählten, wie die zen­trale Planung einer Wirt­schaft aus der Per­spektive gewöhn­licher Men­schen, die ihrem Alltag nach gingen, tat­sächlich ablief. Genauso wie über die Unter­drü­ckung, Ver­haftung und Folter aller der­je­nigen, die im Ver­dacht standen, „anti-sowje­tische“ Gedanken und Hand­lungen nachzugehen.

Meiner Ansicht nach finden sich unter den infor­ma­tivsten Berichten Hedrick Smith, The Rus­sians (1976), Robert G. Kaiser, Russia: The People and the Power (1976), David K. Shipler, Russia: Broken Idols, Solemn Dreams (1983), Michael Binyon, Life in Russia (1983), Kevin Klose, Russia and the Rus­sians: Inside the Closed Society (1984), David Willis, Klass: How Rus­sians Really Live (1985), David Remnick, Lenin’s Tomb: The Last Days of the Soviet Empire (1993) und Scott Shane, Dis­mantling Utopia: How Infor­mation Ended the Soviet Union (1994).

Die Absur­di­täten und Kor­rup­tionen der sozia­lis­ti­schen Zentralplanung

In staat­lichen Unter­nehmen wurden die Fer­ti­gungs­ziele erreicht, indem Bau­teile oder Fer­tig­pro­dukte her­ge­stellt wurden, die die Mengen- und Ton­na­ge­quoten des „Plans“ erfüllten, die in Größe, Form oder Funk­tio­na­lität unbrauchbar waren, aber den gefor­derten Pro­duk­ti­ons­zielen der Zen­tral­planer aus Moskau ent­sprachen. Es gab min­der­wertige und schlecht ver­ar­beitete Kon­sum­güter, die nicht mit den Wün­schen der sowje­ti­schen Kon­su­menten in Bezug auf Stil, Eigen­schaften oder Größe über­ein­stimmten. Solange aber die Pro­duk­ti­ons­ziele zumindest auf dem Papier erreicht wurden, spielte es keine Rolle, wie sta­gnierend, ärmlich und frus­triert das Leben der nor­malen Sowjet-Bürger war, Haupt­sache die Behörden der kom­mu­nis­ti­schen Partei auf mitt­lerer Ebene im ganzen Land und die zen­tralen Pla­nungs­be­amten in Moskau konnten gegenüber den höheren Ebenen der Sowjet-Macht ver­si­chern, dass alles nach Plan lief.

Es spielte keine Rolle, wie wirt­schaftlich inef­fi­zient, ver­schwen­de­risch und fehl­ver­teilt Roh­stoffe, Maschinen und Men­schen durch eine hypo­the­tisch zentral geplante Koor­di­nie­rungs­all­macht auch immer gewesen waren. Wenn die Mengen und Arten von Roh­stoffen und Waren, die von den Pla­nungs­be­hörden jeder Pro­duk­ti­ons­anlage und Fabrik zuge­wiesen wurden, zu gering oder zu hoch waren, um die plan­wirt­schaft­lichen Pro­duk­ti­ons­vor­gaben zu erfüllen, ver­fügten die Pro­duk­ti­ons­leiter der Anlagen immer über einen Beschaffer, der in anderen Fabriken die benö­tigten Dinge ein­tauschte oder sonst wie besorgte, um die monat­lichen Pro­duk­ti­ons­ziele zu erreichen. Die eigenen über­schüs­sigen Roh­stoffe und Waren standen ihnen dabei als Tausch­mittel zur Ver­fügung, um diese zu bezahlen. Nicht dass dieser infor­melle und illegale Faktor- und Roh­stoff­markt etwas mit echter Kos­ten­ef­fi­zienz oder Pro­duk­ti­vität zu tun gehabt hätte. Es ging nur darum, das zu haben, was man minimal brauchte, um sicher­zu­stellen, dass man das Planziel für diesen Monat erreicht hatte.

Wenn das einmal nicht geklappt hatte, mussten die Zahlen nur unbe­merkt fri­siert werden, die an die zen­tralen Pla­nungs­boh­nen­zähler weiter oben gemeldet wurden. Und wenn es doch von jemandem weiter oben in der Partei und in der Pla­nungs­hier­archie ent­deckt wurde, konnten per­sön­liche Geschenke und Gefäl­lig­keiten sicher­stellen, dass das „Fri­sieren der Bücher“ „zwi­schen Freunden“ möglich blieb. Die den Waren zuge­wie­senen Preise waren bedeu­tungslos und wurden von den Pla­nungs­be­hörden Jahre, wenn nicht Jahr­zehnte zuvor fest­gelegt, ohne Bezug auf die Wirk­lichkeit oder auf das tat­säch­liche Angebot und den Bedarf. Endlose Schlangen vor den Geschäften für benö­tigte Güter lösten die Ratio­nie­rungs­pro­bleme der sowje­ti­schen Gesell­schaft. Wertlose Waren lagen einfach in den Regalen von unbe­suchten staat­lichen Ein­zel­han­dels­ge­schäften rum, die von Regie­rungs­an­ge­stellten besetzt waren, die sich ein Dreck darum küm­merten, solange sie ihren Lohn erhielten und stun­denlang von der Arbeit „ver­schwinden“ konnten, um ihre eigenen, dringend benö­tigten Ein­käufe zu erle­digen. Daher stammt der geflü­gelte sowje­tische Satz: „Sie geben vor, uns zu bezahlen, und wir geben vor, zu arbeiten.“

Erleb­nisse des sowje­ti­schen Kon­su­men­ten­lebens in der sozia­lis­ti­schen Utopie der Sowjetunion

Ich war Anfang der neun­ziger Jahre häufig in der ehe­ma­ligen Sowjet­union unterwegs, um Bera­tungs­ar­beiten zu Markt­re­formen und Pri­va­ti­sie­rungen durch­zu­führen, einige davon mit der Mos­kauer Stadt­re­gierung und dem rus­si­schen Par­lament, aber haupt­sächlich mit anti-sowje­ti­schen Regie­rungs­mit­gliedern im sowje­ti­schen Litauen, die ent­schlossen waren, die nationale Unab­hän­gigkeit ihres Landes zurück­zu­ge­winnen und eine markt­ori­en­tierte Wirt­schaft wie­der­her­zu­stellen. (Siehe hierzu meinen Artikel „Wit­nessing Lithuania’s 1991 Fight for Freedom from Soviet Power“.)

Als ich in Moskau war, ging ich mehrmals zum GUM-Kauf­haus­komplex mit Blick auf den Kreml über den Roten Platz. Heute, im post-sowje­ti­schen Russland, wurde es mit Geschäften und Bou­tiquen moder­ni­siert, die sich nicht wesentlich von solchen Ein­kaufs­vierteln in Paris, London oder New York unter­scheiden. Aber damals war alles im Besitz vom und ver­waltet durch den Sowjet-Staat und wurde durch die Erzeug­nisse und Quoten der zen­tralen Pla­nungs­be­hörde GOSPLAN beliefert.

Das Gebäude hatte ein U‑förmiges Inneres mit drei Ebenen, auf denen sich ver­schiedene Ein­zel­han­dels­ge­schäfte für die „Men­schen“ ver­teilten. Das Gebäude war alt und bau­fällig, mit abblät­ternder Farbe, Löchern und Rissen in den Wänden, Gängen und Hand­läufen. Der Ort war wirklich schmud­delig. Es war ein her­aus­ra­gendes Bei­spiel für die Errun­gen­schaften des sowje­ti­schen Sozia­lismus im Dienste der arbei­tenden Massen im hellen und schönen sozia­lis­ti­schen Paradies.

Mür­rische und müde aus­se­hende Men­schen gingen mit leeren Blicken auf den drei Ebenen umher, während sie an einem Geschäft nach dem anderen mit den meist leeren, an depri­mierend grauen und kahlen Wänden befes­tigten Regalen vor­bei­gingen. Das Ver­kaufs­per­sonal stand mit keiner oder wenigen Waren hinter den Schaltern. Ihre leeren Blicke ins Nir­gendwo wurden nur unter­brochen, wenn einige Kunden eine Frage stellten oder etwas kaufen wollten. Offen­sichtlich waren die Leit­sprüche im sowje­tisch-sozia­lis­ti­schen Ein­zel­handel: „Bediene den Kunden mit einem unhöf­lichen Stirn­runzeln und har­schen Worten“ und „Der sowje­tische Ver­braucher hat niemals Recht und ist noch weniger gerne gesehen.“

Nach der Weisheit der sowje­ti­schen Zen­tral­planung gab es keine Super­märkte im west­lichen Stil. Statt­dessen gab es separate Ein­zel­han­dels­ge­schäfte für bestimmte Arten von Waren. Ich stand in einer Schlange vor einem „Brot­laden für das Volk“ und stand mir wartend die Beine in den Bauch, um an die Theke zu gelangen, an dem ich einem Laden­an­ge­stellten sagte, welche der begrenzten Brot­sorten ich wollte. Ich erhielt einen Beleg mit der gewünschten Menge Brot und wurde ange­wiesen, mich in eine zweite Schlange zu stellen und zu warten, an deren Ende ich das Brot bezahlte, das ich kaufen wollte. Ich erhielt dann eine Quittung und wurde ange­wiesen, mich an einer dritten Schlange anzu­stellen, bei der ich nach erneut langem Warten das Brot abholen konnte, für das ich bezahlt hatte.

Aber wie das Sprichwort so schön heißt, der Mensch lebt nicht vom Brot alleine. Also machte ich mich auf die Suche nach Ein­zel­han­dels­ge­schäften für Milch- und Fleisch­pro­dukte, die nicht unbe­dingt in der Nähe des Ortes waren, an dem ich das Brot erhalten hatte. Und bei jedem dieser Geschäfte wie­der­holte sich das Spielchen der drei Schlangen von neuem. Jetzt, mit den vollen Taschen, die alles ent­hielten, was ich glück­li­cher­weise in diesen Läden hatte erwerben können, fand ich endlich einen Laden, in dem Wasser in Fla­schen und die sowje­tische Version von Limo­naden zu erwerben waren. Ich reihte mich in eine Schlange ein, die bis weit auf die Straße reichte, und als ich nach langem, langem Warten fast die Theke im Lade­nin­neren erreicht hatte, wurde ver­kündet, dass der Tages­vorrat auf­ge­braucht war, und allen wurde mit­ge­teilt, dass sie morgen wie­der­kommen sollten. Aber selbst im sozia­lis­ti­schen Paradies gab es Mög­lich­keiten, zu einem glück­lichen Ende zu kommen. Aus einer Ecke im Laden rief eine Schwarz­händ­lerin, dass sie von allem genug habe – natürlich zum sowje­ti­schen „Markt­preis“. Ich hatte zuvor schon bemerkt, dass die­selbe Frau, die jetzt eine Fülle von dem anbot, was die Leute wollten, in einer Tür im Laden stand, die zum Hin­ter­zimmer führte, in dem die Vorräte an Wasser in Fla­schen und Soda auf­be­wahrt wurden. Was für ein Zufall!

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Unter den wach­samen Augen der Diener des Sowjet-Staates

Ich war oft in Moskau im Cosmos Hotel, das Aus­ländern vor­be­halten und das für Sowjet-Bürger ver­sperrt war. Es sei denn, sie gehörten natürlich zu den von der Partei aner­kannten Pro­sti­tu­ierten, die ihre Gewinne mit ihren Zuhältern der Partei teilten und/oder aus­ge­wählte Aus­länder aus­spio­nierten Besucher, an denen die sowje­ti­schen Behörden besonders inter­es­siert waren. Ich ging einmal aus und kehrte an diesem Abend nicht ins Hotel zurück. Als ich am nächsten Morgen zurückkam, fuhr ich mit dem Aufzug auf meine Etage und als sich die Türen öff­neten, wurde ich von einer der sowje­ti­schen Matronen begrüßt, die jeder Etage zuge­wiesen waren, und gegrillt, wo ich die ganze Nacht gewesen war. „Es ist auf­ge­fallen“, dass mein Bett unbe­rührt geblieben war, über meine Bewe­gungen müsse man schließlich Bescheid wissen. Wie man so schön sagt: „Jemand wacht über dich.“

Ich mietete ein Auto in diesem Mos­kauer Hotel, damit meine zukünftige Frau und ich für ein langes Wochenende nach Leningrad fahren konnten, und sie mir die Stadt zeigen konnte, in der einige ihrer Freunde lebten. Ich wurde von allen gewarnt, dass ich beim Parken die Schei­ben­wi­scher abnehmen und im Auto weg­schließen musste, wenn ich nicht wollte, dass sie gestohlen wurden. Mehrere Leute sagten mir, dass ich besser sicher­stellen sollte, dass ich den Ben­zintank auf­ge­füllt und mehrere tragbare Ben­zin­ka­nister aus­ge­liehen hatte, um den Tank auf dem Weg wieder auf­zu­füllen, da es auf den 500 Meilen Straße zwi­schen den beiden Städten fast keine Tank­stellen gab. Im sozia­lis­ti­schen Wun­derland gab es auch in Moskau nur wenige Tank­stellen. Nachdem ich eine gefunden hatte, musste ich zwei Stunden in einer Schlange warten, um mit dem Auto endlich zur Zapf­säule vor­zu­fahren. Außerdem legte meine Ver­lobte großen Wert darauf, viel Essen und Getränke für die Reise ein­zu­packen, da es entlang der Straße weder Restau­rants noch Rast­plätze gab (außer einfach von der Straße in den Wald abzu­biegen). Und das auf der Haupt­straße zwi­schen den beiden Vor­zei­ge­städten der Sowjetunion!

Ich hatte auch die Freude, von einem Miliz­sol­daten (Poli­zisten) wegen eines Ver­kehrs­ver­stoßes in der Nähe der Lub­janka, dem Haupt­quartier des KGB, ange­halten zu werden, und ich übte mich in der Kunst des Bestechens, obwohl ich beim Fahren nichts falsch gemacht hatte. Ich hatte das Ver­gnügen, zu ver­suchen, Medi­ka­mente in der sozia­lis­ti­schen Gesell­schaft der „kos­ten­losen“ Gesund­heits­ver­sorgung zu bekommen. Es war schon schwierig genug, die richtige Person in einer „Volks­klinik“ zum rich­tigen Preis zu finden. Und selbst wenn man eine solche Person gefunden und das Geld hatte, um das Bestechungsgeld zu bezahlen, bestand die Mög­lichkeit, dass das benö­tigte Anti­bio­tikum einfach nicht ver­fügbar war. Ich hatte auch die Gele­genheit, zu ver­suchen, in einem Restaurant zu Abend zu essen und fest­zu­stellen, dass das sozia­lis­tische Moskau nur über sehr wenige für die breite Öffent­lichkeit offen­ste­hende Restau­rants ver­fügte. Und dass es bei den wenig geöff­neten Restau­rants erfor­derlich war, den Portier zu bestechen, um Zutritt zu erhalten, nur um dann her­aus­zu­finden, dass 90 Prozent von allem, was auf dem Menü abge­druckt war, leider nicht ver­fügbar war.

In der Lobby des alten Russiya Hotels unweit des Kremls trank ich mit meiner zukünf­tigen Frau Kaffee, als ich bemerkte, dass eine dieser Hotel­ma­tronen auf einer Bank an der Wand saß und eine kleine Kamera unter dem Mantel auf ihrem Schoß hatte und schnell ein Bild von uns schloss, bevor sie die Kamera wieder unter ihrem Mantel ver­steckte. Irgendwo im Archiv der Geheim­po­lizei befindet sich das erste gemeinsame Foto von uns beiden. Wenn ich bloß einen 8×10-Hochglanzabzug davon bekommen könnte! Als wir beschlossen zu hei­raten, sagte mir ein Beamter der ein­zigen Mos­kauer Amts­stelle die Hei­rats­ur­kunden für Sowjet-Bürger aus­stellte, die Aus­länder hei­raten wollten, dass ich ein nota­riell beglau­bigtes Dokument der Gene­ral­staats­an­walt­schaft in jedem der 50 Bun­des­staaten der USA benö­tigen würde, das beschei­nigte, dass ich nicht in diesem Staat ver­hei­ratet war. Mit anderen Worten, ich musste 50-mal Doku­mente nach­weisen, bevor eines der Doku­mente abge­laufen war. Wir haben dann schließlich in den USA geheiratet.

Was für eine Welt war doch der Sozia­lismus in der Praxis! Eine Welt voller, wie es der öster­rei­chische Ökonom Ludwig von Mises in einem seiner kür­zeren Bücher umschrieb, Planned Chaos (1947). Aber noch mehr war die Spie­gelwelt des sowje­ti­schen Sozia­lismus eine völlig ver­drehte Version von Alice im Wun­derland mit dem buch­stäblich geplanten Wahnsinn.

Als der fran­zö­sische Soziologe Gustave Le Bon 1899 Die Psy­cho­logie des Sozia­lismus ver­öf­fent­lichte, befürchtete er, dass „zumindest eine Nation unter [der Errichtung eines sozia­lis­ti­schen Systems] leiden muss, um der Welt eine Lektion zu erteilen. Es wird eine dieser prak­ti­schen Lek­tionen sein, die allein die Nationen erretten kann, die von den Träumen des Glücks, die die Priester des neuen [sozia­lis­ti­schen] Glaubens vor unseren Augen zeichnen, ver­wirrt sind.“ Ist es wirklich not­wendig, alles noch einmal zu erleben? Hoffen wir nicht.

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Aus dem Eng­li­schen über­setzt von Arno Stöcker. Der Ori­gi­nal­beitrag mit dem Titel Socialism-in-Practice Was a Nightmare, Not Utopia ist am 23.2.2021 auf der website des Ame­rican Institute for Eco­nomic Research erschienen.

Richard M. Ebeling, Senior Fellow des Ame­rican Institute for Eco­nomic Research, ist BB&T Distin­gu­ished Pro­fessor of Ethics and Free Enter­prise Lea­dership am The Citadel in Charleston, South Carolina.


Quelle: misesde.org