Titelbild: Rainer Maria Kardinal Woelki, Bild: Wikimedia Commons, Raimond Spekking, Bildlizenz: CC BY-SA 4.0

„Nicht mehr glaub­würdig“ – Düs­sel­dorfer Gemeinde lädt Kar­dinal Woelki bei Firmung aus

Die Fir­mungs­feier in der katho­li­schen Gemeinde Sankt Mar­gareta in Düs­seldorf-Ger­resheim ist ein exem­pla­ri­scher Fall für das Schwinden des Ver­trauens der Men­schen in die Kirche.  Rainer Maria Kar­dinal Woelki vom Erz­bistum Köln kün­digte sich zur Firmung in der Gemeinde an. Die fühlte sich jedoch nicht geehrt, sondern reagierte brüs­kiert. Hin­ter­grund sind Vor­fälle, in denen zwei Priester der Gemeinde in der Ver­gan­genheit Min­der­jährige miss­braucht hatten. Kar­dinal Woelki habe die Auf­klärung eher behindert, statt Auf­ar­beitung und Trans­parenz zu praktizieren.

Düs­seldorf-Ger­resheim wird gerade ein bekannter Ort. Zumindest in katho­li­schen Kreisen. Hier kommt es zum ersten Mal zu einer klaren Kon­fron­tation zwi­schen Gläu­bigen und der kirch­lichen Obrigkeit. In dieser Gemeinde wirkten zwei Priester, denen sexuelle Über­griffe gegen Kinder vor­ge­worfen werden, ein Problem der katho­li­schen Kirche all­gemein, das in den letzten Jahren in seiner ganzen Häss­lichkeit unter dem Mantel des Schweigens her­vor­ge­zerrt wurde.

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So bei­spiels­weise „Pfarrer D“. Dieser stand im Ver­dacht, Kinder sexuell zu beläs­tigen. Tat­sächlich gestand der Pfarrer später ein, Verkehr mit einem 17jährigen Pro­sti­tu­ierten gehabt zu haben, mehr soll nicht pas­siert sein – oder es war nicht zu beweisen. Doch statt den Pfarrer aus Düs­seldorf abzu­ziehen und in einer Aufgabe ein­zu­setzen, wo er keinen Außen­kontakt, ins­be­sondere nicht zu Min­der­jäh­rigen gehabt hätte, beför­derte Kar­dinal Woelki den Pfarrer auch noch zum stell­ver­tre­tenden Düs­sel­dorfer Stadt­de­chanten. Dort blieb er allen Pro­testen zum Trotz im Amt und wurde erst vor kurzem beur­laubt, als die Rück­tritts­for­de­rungen gegen Kar­dinal Woelki immer lauter wurden.

Ein zweiter Geist­licher, „Pfarrer O“, soll einen schweren Miss­brauch gegen ein Kind verübt haben. Der Pfarrer ist mitt­ler­weile ver­storben. Kar­dinal Woelki nahm bei seinem Amts­an­tritt in Köln 2015 diese Gescheh­nisse „zur Kenntnis“, mehr aber nicht. Weder ver­an­lasste der Kar­dinal eine kir­chen­recht­liche Vor­un­ter­su­chung, noch meldete er die Tat in Rom bei der zustän­digen Stelle. Darauf von der Gemeinde ange­sprochen, recht­fer­tigte er seine Untä­tigkeit damit, dass der beschul­digte Pfarrer O. bereits unter fort­ge­schrit­tener Demenz leide, so dass eine Befragung unmöglich geworden sei.

Unter dem Druck der Gläu­bigen und der kri­ti­schen Medi­en­be­richte ließ Kar­dinal Woelki dann ein Miss­brauchs­gut­achten erstellen. Das Auf­ar­bei­tungs­gut­achten ließ Kar­dinal Woelki nicht ver­öf­fent­lichen. Er hielt es für „feh­lerhaft und nicht rechts­sicher“. In einem zweiten Gut­achten, erstellt von den Straf­rechtlern Björn Gercke und Kerstin Stirner, beschei­nigen die Juristen hohen Amts­trägern im Erz­bistum mehr­faches Fehl­ver­halten im Umgang und der Auf­ar­beitung der vor­ge­fal­lenen Miss­brauchs­fälle. Ins­be­sondere der Vor­gänger Kar­dinal Woelkis, Alt­erz­bi­schof Joachim Kar­dinal Meisner, ist für ein Drittel der Pflicht­ver­let­zungen verantwortlich.

In 14 Akten­vor­gängen habe es 24 Pflicht­ver­let­zungen gegeben, sechs Mal habe er seine Aufklärungs‑, neun Mal die Melde‑, zwei Mal die Sank­tio­nie­rungs- und einmal die Ver­hin­de­rungs­pflicht ver­letzt. Zudem sei er fünf Mal seiner Pflicht zur Opfer­für­sorge nicht nach­ge­kommen. Zudem habe Meisner zusätzlich zu den Archiven des Erz­bistums einen eigenen, ‚Brüder im Nebel‘ beti­telten Ordner geführt, in dem er laut Gercke ‚geheim­hal­tungs­be­dürftige Unter­lagen auf­be­wahrt‘ habe.“

Das ist dann schon eine bewusste und aktive Ver­schleierung und da in Köln „Kar­neval“ und „Kar­dinal“ eng zusam­men­liegen, hatte dar­aufhin ein Kar­ne­vals­verein, der Kar­dinal Meisner eine ehrende Aus­zeichnung ver­liehen hatte, die­selbe posthum wieder zurückgezogen.

Ins­gesamt 75 Pflicht­ver­let­zungen weist das Gercke-Gut­achten acht hohen Amts­trägern des Bistums nach.

Rainer Maria Kar­dinal Woelki selbst, der unter Joachim Kar­dinal Meisner Geheim­se­kretär und später Weih­bi­schof war, wird in dem Gut­achten juris­tisch nicht mit einem Fehl­ver­halten belastet. Daher sieht er auch keinen Anlass, die Rück­tritt­for­de­rungen ernst zu nehmen. Kirche sei „vom Selbst­ver­ständnis her keine demo­kra­tische Partei“ beschied er seine auf­ge­brachten Schäflein bündig.

Genau das ist es, was die Basis stört. Die Unter­zeichner werfen Woelki vor, sich im Zuge der Miss­brauchs­auf­ar­beitung auf „rein juris­tisch ver­wertbare Tat­be­stände“ zu fixieren. Dies reiche nicht aus, schreiben sie weiter: „Wir brauchen auch eine sys­te­mische, mora­lische und theo­lo­gische Auf­ar­beitung. Die Kon­se­quenzen daraus müssen umge­setzt werden.“ Man könne nicht erkennen, dass Woelki diese Ver­ant­wortung wahr­nehme. Viele Enga­gierte dächten „sehr ernsthaft“ über einen Kir­chen­aus­tritt nach: „Wir haben das Ver­trauen ver­loren, dass mit Ihnen als Erz­bi­schof ein Neu­anfang gelingen kann.“

Das sehen nicht nur Gläubige so. Der Ham­burger His­to­riker Thomas Groß­bölting, der zur Zeit eine unab­hängige Miss­brauchs­studie für das Bistum Münster erstellt, ist der Meinung, dass es für einen „Reprä­sen­tanten einer reli­giösen Gemein­schaft mit hohem Selbst­an­spruch indis­ku­tabel“ sei, einfach nicht zurück­zu­treten. Kar­dinal Woelki aber denkt gar nicht daran. Im Gegenteil: „Die mora­lische Ver­ant­wortung einfach mit­nehmen und gehen zum Schutz des Ansehens von Bischofsamt und Kirche — das ist mir zu einfach.“ Ein solcher Rück­tritt „wäre nur ein Symbol, das nur für eine kurze Zeit hält“.

Statt­dessen lud sich der Kar­dinal selbst in Düs­seldorf-Ger­resheim zur Fir­mungs­feier ein. Das hatte der Gemeinde gerade noch gefehlt. Man bat ihn höflich, von der Firmung abzu­sehen. Kar­dinal Woelki sah nicht ab. Dar­aufhin ver­fasste die Gemeinde den Offenen Brief, den die Rhei­nische Post ver­öf­fent­lichte, aller­dings leider hinter einer Bezahl­schranke. In diesem heißt es, man habe durch die Gemein­de­leitung und ‑mit­glieder den Kar­dinal bereits früher gebeten, von der Firmung abzu­sehen. „Sie halten trotzdem an Ihrer Absicht fest. Wir fühlen uns dadurch ein wei­teres Mal miss­achtet.“ Zu den Unter­zeichnern zählt auch die frühere Düs­sel­dorfer Bür­ger­meis­terin und FDP-Bun­des­tags­ab­ge­ordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

Am kom­menden Don­nerstag ist nun ein Gespräch zwi­schen Woelki, Mit­gliedern des Pfarr­ge­mein­derats und wei­teren Ver­tretern der Gemeinde geplant. Auch hier kommt Kritik im offenen Brief: „Medi­en­ver­treter sind dazu von Ihnen nicht gewünscht. Einen offenen Dialog auf Augenhöhe stellen wir uns anders vor!“

In dem Offenen Brief heißt es weiter, das Sakrament der Firmung könne nur jemand voll­ziehen, „der als Christ in seinem Amt und in seinem Handeln glaub­würdig ist. Sie sind das leider für uns nicht mehr“. Die Fir­mungs­feier dürfe nicht instru­men­ta­li­siert werden, um „den ver­lo­renen Kontakt zur Basis“ zu suchen — und umge­kehrt auch nicht für Protestaktionen.