Das ewige Thema der Altersarmut erreicht wieder einmal einen neuen traurigen Höhepunkt: Die Zahl der Rentner, die auf Hartz IV angewiesen sind, war noch nie so hoch. Mehr als eine halbe Million unserer alten Mitbürger haben nicht genug Rente, um davon leben zu können. Da stellt selbst Hartz IV noch eine Verbesserung dar. Das Thema ist seit Jahren in den Medien, es gibt ständig neue, immer schlimmere Zahlen, aber eine Verbesserung der Lage wird gar nicht erst angestrebt. Die Armut und die stille Verzweiflung wird nur verwaltet.
Während sich finanziell gut ausgestattete Interessensverbände lautstark für ihre jeweiligen Minderheiten-Gruppen engagieren und besondere Rechte, Möglichkeiten und Geldmittel aus unseren Steuergeldern fordern – und auch bekommen, müssen Hunderttausende Rentner jeden Cent umdrehen, Tafeln besuchen, im Supermarkt nach Abfallgemüse und Essensspenden fragen und in den Caritas- und Rotkreuz-Kleiderkammern nachfragen, wenn sie etwas zum Anziehen brauchen.
Eine Datenabfrage der Linken hat es einmal wieder in die Schlagzeilen gebracht. Das Statistische Bundesamt packte seine Zahlen auf den Tisch. Seit 2003 hat sich die Zahl der bettelarmen Senioren fast verdoppelt: Im Jahr 2003 waren es ungefähr 257.700 Rentner, denen die Rente nicht einmal ein Leben ermöglicht und die auf die staatliche Grundsicherung angewiesen waren. Heute (Stand September 2021) sind es etwa 579.000, die auf das eh nicht gerade üppige Hartz IV angewiesen sind, wenn sie nicht verhungern und erfrieren wollen. Das ist eine Zunahme gegenüber dem Vorjahr von 13.280 alten Menschen.
Und ein weiterer, trauriger Fakt: Obwohl auch seit Jahrzehnten lamentiert wird, dass es zum weit überwiegenden Teil die Frauen sind, die in die Altersarmut fallen, tut sich auch an dieser ewigen Baustelle nichts. Ihr Anteil liegt bei 56 Prozent der Rentner. In Zahlen: Ca. 321.800 Rentnerinnen brauchen Hartz IV. Und auch das ist ein Höchststand. Zusätzlich – so offenbaren die Zahlen des Statistischen Bundesamtes, dass seit einigen Jahren auch immer mehr alte Männer trifft. 2003 waren es rund 75.000 Männer und 183.000 Frauen, die die Grundsicherung erhielten. Inzwischen ist die bittere Altersarmut auch ein Männerproblem geworden.
Bei Frauen ist der Grund für ihre Überrepräsentation in der Armuts-Statistik meist das Kinderkriegen und Familienversorgung. Die Betreuung der Kinder führt sehr oft zu weniger qualifizierten, schlecht bezahlten Teilzeitarbeiten und zu jahrelangen Ausfallzeiten im Beruf. Oder zu Jobs, bei denen der Arbeitgeber keine Sozialkosten und nichts für die Rentenkasse zahlt. Die Frauen nehmen es hin, weil ihre Aussichten, eine feste Stellung zu ergattern, denkbar schlecht sind und die Familie Geld braucht. Im späteren Teil des Lebens, wenn die Großeltern alt und hinfällig geworden sind, erwartet man von den Frauen, die schon wegen der Kinder- und Familienarbeit schlechtere Renten hinnehmen müssen, oft auch noch die Betreuung der ganz Alten. Gab es dann noch eine für sie nachteilige Scheidung im Leben der Frau, ist der Weg in die Altersarmut vorgezeichnet.
Aber auch an den Männern geht die Verarmung der Deutschen nicht spurlos vorbei, wie die Zahlen offenbaren. War es bis in die siebziger Jahre noch möglich, dass der Mann mit seinem Gehalt die ganze Familie recht gut ernähren konnte und sogar ein Urlaub mit Kindern an der Ostsee drin war, ging es seitdem schrittweise immer mehr in die Richtung, dass auch ganz normale Arbeitsverhältnisse nicht genug Einkommen erbrachten, dass man damit unbeschwert leben kann. Anfangs waren „Doppelverdiener“ richtig fein raus und gut betucht. Doch im Laufe der Jahre musste die Frau mitverdienen, um nicht ständig vor dem „Monatsersten“ das Geld für den letzten Monats-Wochenendeinkauf irgendwo zusammenzukratzen.
Die Familienarbeit, deren Wichtigkeit gar nicht überschätzt werden kann, ist finanziell ein Opfergang für die Familie. Der Staat braucht zwar die Kinder, denn die werden die neuen Steuerzahler, aber deren Eltern, besonders die Mütter, speist er im Alter für diese „Erziehungsjahre“ mit einem lächerlichen Taschengeld ab.
Der Grundsicherungssatz beträgt zurzeit 851 Euro im Monat. Dazu kommt noch Heizung und Miete. Das ist regional unterschiedlich und passt sich den dort jeweils üblichen Mietspiegeln und Heizkosten an.
Wer Anspruch auf eine Rente über diesem Niveau erarbeiten will, muss als Durchschnittsverdiener rein rechnerisch 28 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Dieses Rechenexempel führte aus Seiten der anfragenden Linken-Fraktion zu Empörung. Der Vorsitzende der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, sieht hierin einen strukturellen Mangel des deutschen Rentensystems:
„Wenn 28 Jahre Durchschnittsverdienst notwendig sind, um überhaupt Grundsicherung zu erreichen, dann hat die gesetzliche Rente ein Strukturproblem“. Die enormen Preissteigerungen bei der Energieversorgung und den Lebensmitteln müssen unbedingt durch eine Erhöhung der Grundsicherung ausgeglichen werden, forderte Herr Bartsch von der Regierung.
Die Deutschen im Rentenalter reagieren schon seit einiger Zeit auf diesen Dauermissstand. Wer kann, investiert in eine private Altersversorgung, um nicht nur auf die magere, staatliche Rente angewiesen zu sein. Wer nichts zurücklegen konnte, sucht nach Möglichkeiten, selbst Geld dazu zu verdienen. Es gibt auch schon ein Wort dafür: „Silverworkers“. Die Bezeichnung bezieht sich auf die Haarfarbe der Beschäftigten.
Viele Selbstständige arbeiten ja klassischerweise deutlich über das Rentenalter hinaus und haben die Möglichkeit, ihre Arbeitsleistung auch ihren Kräften anzupassen. Sie planen meist schon lang im Vorhinein den Übergang zur reduzierten Belastung und achten sehr darauf, gesund und leistungsfähig bis in die späten Siebziger zu bleiben. Nicht wenige arbeiten sogar noch jenseits der Achtzig.
Wer angestellt war und keine Möglichkeit auf seinem Gebiet sieht, eine Selbstständigkeit aufzubauen, kann sich auf speziellen Jobbörsen umsehen. Minijobs gibt es für Rentner zwar auch auf den üblichen Job-Plattformen. Es gibt Angebote, die sich gezielt auf „Senior Management Experten im Unuhestand“ spezialisieren, andere informieren die ältere Generation über die Möglichkeiten, was man bei der Steuer beachten muss, wenn man in der Rente noch weiter arbeitet. Man bekommt Tipps für das Schreiben geeigneter Bewerbungen oder Einkommenstipps für Senioren.
Viele eigentlich pensionierte Lehrer werden an die Schulen zurückgeholt, weil Lehrermangel herrscht. Sie müssen aufgrund des Landesbeamtenversorgungsgesetzes nicht befürchten, dass ihnen ihr Ruhegehalt gekürzt wird. Insgesamt sind mehr als die Hälfte der im Rentenalter noch arbeitenden Silverworker Akademiker. Das ist nachvollziehbar. Für körperlich anstrengende Arbeiten sind die meisten Mittsechziger zu verbraucht und nicht mehr fit genug. Wer die veschleißende Arbeit eines Dachdeckers, Schmieds oder Bauarbeiters geleistet hat, ist körperlich verbraucht. Angestellte, die Bürojobs ausgeführt haben, sind sehr viel eher in der Lage, ihre Arbeitszeit noch um Jahre weiter zu leisten.
Viele Ältere wollen nicht nur gern weiter arbeiten, weil es ihnen Spaß macht. Sie sehen recht nüchtern, dass ihre Rente nicht ausreichen wird, ein Leben zu führen, wie sie sich das wünschen. „Sicher kann ich in Rente gehen. Aber dann muss ich sparen, um überhaupt leben zu können. Wenn ich noch etwas arbeite, hab ich mehr Spaß UND mehr Geld und kann dann auch mal richtig Urlaub machen – und muss nicht mit jedem Cent knausern.“
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