Wahl­kampf: Die Schwei­ge­spirale zur Ausländerpolitik

Während alle Umfragen belegen, dass kein Thema die Deut­schen annä­hernd so stark bewegt wie die Zuwan­derung, war es am Montag und Dienstag Abend bei den Wahl­foren mit Merkel und Schulz in ARD und ZDF nur ein Randthema.

(Gast­beitrag von Dr. Rainer Zitelmann)

Die ARD gab an, die 150 Stu­dio­gäste bei der Sendung mit Angela Merkel seien durch das Mei­nungs­for­schungs­in­stitut Infratest reprä­sen­tativ aus­ge­wählt worden. Infratest gehört zu den ange­se­hensten Insti­tuten und weiß, wie so etwas geht. In der Tat ist es möglich, durch ent­spre­chende Ver­fahren die Gesamt­be­völ­kerung der Wahl­be­rech­tigten in einer Gruppe von 150 Men­schen abzu­bilden. Umso uner­klär­licher ist es jedoch, wie die Themen gewichtet waren.

Merk­wür­dig­keiten

Sowohl bei der Sendung mit Angela Merkel am Montag als auch bei der mit Martin Schulz am Dienstag waren die Themen „Zuwanderung/Flüchtlinge/Ausländer“ nur Rand­themen. Dabei zeigen reprä­sen­tative Umfragen, etwa vom ZDF-Polit­ba­ro­meter durch die For­schungs­gruppe Wahlen, dass kein anderes Thema die Men­schen auch nur annä­hernd so stark bewegt wie dieses. Jeder Zweite gab bei der letzten Umfrage an, dies sei für ihn das Haupt­thema. Warum spielte es dann bei den beiden Sen­dungen nur eine unter­ge­ordnete Rolle?

Eine weitere Merk­wür­digkeit: Laut Umfragen kommt die AfD ver­mutlich auf acht bis zehn Prozent der Stimmen. Demnach müssten unter den 150 Stu­dio­gästen ungefähr 12 bis 15 AfD-Wähler gewesen sein. Bei beiden Sen­dungen hatte man jedoch den Ein­druck, dass maximal ein bis zwei der Wort­mel­dungen von Per­sonen kamen, die mög­li­cher­weise AfD-nahe Posi­tionen vertraten.

Ent­weder man unter­stellt der ARD, sie habe geschummelt und die Aussage, die Stu­dio­gäste seien von Infratest reprä­sen­tativ aus­ge­wählt worden, sei gelogen. Oder man unter­stellt dem Institut, es habe aus Unfä­higkeit oder mit bösem Vorsatz die Men­schen anders aus­ge­wählt als dies behauptet wurde. Rechte Ver­schwö­rungs­theo­re­tiker, die sowieso alles für gelogen und mani­pu­liert halten, werden das so sehen. Ich selbst glaube das jedoch nicht. Denn die ARD muss gar nicht so offen­sichtlich mani­pu­lieren, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen:

Schwei­ge­spirale

Wie ist das Rätsel zu lösen, dass am Montag bei Merkel, wo die Themen nicht vor­ge­geben waren, die Ein­wan­derung nur ein Rand­thema war? Und wie ist es zu erklären, dass dezi­diert kri­tische Posi­tionen zum The­men­be­reich Zuwanderung/Ausländerpolitik kaum arti­ku­liert wurden? Es bietet sich zur Erklärung eine Theorie an, die in den 70er Jahren die renom­mierte Mei­nungs­for­scherin Eli­sabeth Noelle-Neumann for­mu­liert hat. Sie spricht von einer „Schwei­ge­spirale“. Gemeint ist damit: Sind die Men­schen der Auf­fassung, dass sie sich mit der Arti­ku­lation einer Meinung sozial iso­lieren, dann äußern sie diese Meinung nicht. Ins­be­sondere haben sie Hem­mungen, wenn in den Mas­sen­medien eine ganz bestimmte Meinung – die ihrer eigenen mög­li­cher­weise wider­spricht – stark dominiert.

Die Gäste bei Merkel und Schulz wussten, welche Mei­nungen zum Thema Zuwanderung/Flüchtlinge im Fern­sehen erwünscht sind und welche nicht. Sie bekommen seit Monaten vor­ge­führt, wie Anders­den­kende, die etwa Merkels Flücht­lings­po­litik dezi­diert kri­tisch sehen, öffentlich nie­der­ge­macht werden. Wer hat Lust, im Fern­sehen öffentlich als Rechts­ra­di­kaler oder Aus­län­der­feind an den Pranger gestellt zu werden? In einem solchen Mei­nungs­klima, das hat die Theorie von Noelle-Neumann gezeigt, schweigen die Men­schen lieber.

Das wissen natürlich auch die Mei­nungs­for­scher. Daher zählen sie bei­spiels­weise zu den Men­schen, die sich bei einer Umfrage bekennen, AfD zu wählen, weitere hinzu, die dies nicht angeben. Denn sie wissen, dass sich selbst bei einer geheimen, ver­trau­lichen Umfrage viele Men­schen nicht trauen, zu einer Partei zu bekennen, die öffentlich stig­ma­ti­siert ist. Wenn das schon bei einer geheimen Umfrage so ist, dann ist es erst Recht so bei einer Fernsehsendung.

DER SPIEGEL brachte in der vor­letzten Ausgabe einen hoch inter­es­santen Beitrag über tie­fen­psy­cho­lo­gische Inter­views, die ein anderes Umfra­ge­institut vor den Wahlen durch­ge­führt hat. Ergebnis: Kein Thema bewegt die Men­schen auch nur annä­hernd so stark wie die Kritik an der Flücht­lings­po­litik. In den Inter­views zeigte sich mit aller Deut­lichkeit das, was in den beiden Sen­dungen weit­gehend beschwiegen wurde. Wäre es nicht die Aufgabe der Medien in einer Demo­kratie, die Men­schen zum Sprechen statt zum Schweigen zu bringen?

 

Quelle: TheEuropean.com

Bild: Collage aus Screen­shots / Merkel in der Wahl­arena / Schulz bei “Klartext”