Refe­renden in Italien: Großer Sieg für mehr Unabhängigkeit

Wer die Finanzen erwirt­schaftet, sollte auch Einfluß auf die Ver­wendung haben.

Scheinbar unbe­ein­druckt von der Kata­lonien-Krise haben in Italien die Men­schen in den wirt­schafts­starken Regionen Lom­bardei (Mailand) und Venetien (Venedig) über mehr Auto­nomie von der Regierung in Rom abge­stimmt. Zu den Refe­renden am Sonntag (22.10.17) in zwei der reichsten Gegenden des Landes waren rund zehn Mil­lionen Men­schen auf­ge­rufen. Beide Regionen werden von der von ihren Gegnern gerne als „rechts­po­pu­lis­tisch“ bezeich­neten „Lega Nord“ (ehem. Par­teichef Bossi) geführt – was bei deut­schen Poli­tikern Anlaß zum Nach­denken geben sollte.Die Refe­renden sind rechtlich nicht bindend. Sie sollen vielmehr den jewei­ligen Regio­nal­ver­tretern mehr Gewicht in Ver­hand­lungen mit der Regierung in Rom geben. Die Kata­lonien-Krise ließ aller­dings Befürch­tungen auf­kommen, es werde zu „erheb­lichen Dif­fe­renzen“ mit der Zen­tral­re­gierung in Rom kommen, sollte das Refe­rendum Erfolg haben. (In Spanien – anders als in Italien – will sich das reiche Kata­lonien von der Zen­tral­re­gierung in Madrid lossagen.)

Sehr hohe Betei­ligung und Zustimmung

In Italien war vor der Abstimmung schon klar, daß eine Wäh­ler­zu­stimmung von mehr als 70 Prozent als hoher Sieg für die Regionen gewertet würde. Nun liegt das Abstim­mungs­er­gebnis vor­aus­sichtlich bei um die 90 Prozent (offi­zielle End­ergeb­nisse liegen derzeit, 23.10. 6 Uhr, noch nicht vor).

Die Wahl­be­tei­ligung war in beiden Regionen höher als erwartet. Während in Venetien eine Hürde („Quorum“) von 50 Prozent über­sprungen werden mußte, gilt in der Lom­bardei mit der Wirt­schafts­me­tropole Mailand kein solches Quorum. Der Prä­sident der Region, Roberto Maroni, hoffte auf eine Wahl­be­tei­ligung von mehr als 34 Prozent. „Ich hoffe, daß die Bürger in der Lom­bardei und in Venetien ver­stehen, daß dies eine his­to­rische und außer­or­dent­liche Gele­genheit ist“, sagte Maroni (RAI).

Und die Bürger hatten ver­standen: In Venetien lag die Wahl­be­tei­ligung bei selbst von Opti­misten uner­war­teten 59 Prozent und die Zustimmung bei 98 %, in der Lom­bardei lag die Wahl­be­tei­ligung bei rd. 45 Prozent und die Zustimmung bei rd. 95 %.

So ist schon jetzt klar, daß sich die jewei­ligen Regie­rungen als Gewinner der Refe­renden über mehr Auto­nomie sehen.

Die Regio­nal­prä­si­denten der wirt­schafts­starken Gegenden Venetien und Lom­bardei erklärten sich am Sonntag nach Schließung der Wahl­lokale zum Sieger der Volks­be­fra­gungen. Beide Regionen wollen mit den rechtlich nicht bin­denden Refe­renden mehr Kom­pe­tenzen von der Regierung in Rom. Sie ver­langen vor allem, daß ihre Steuern in der Region bleiben. Eine Unab­hän­gigkeit vom Zen­tral­staat ver­folgen sie – anders als in der spa­ni­schen Region Kata­lonien – nicht.

Zaia: „Ziel erreicht“ 
Luca Zaia, Regio­nal­prä­sident Vene­tiens, postete sofort nach Ende der (vor­läu­figen) Aus­zählung auf Facebook:
„Luca Zaia
✔ @zaiapresidente
“Quorum rag­giunto, obi­ettivo rag­giunto, comincia una nuova storia per il nostro Veneto!!!”
(„Quorum erreicht, Ziel erreicht, es beginnt eine neue Geschichte für unser Venetien“)

Offi­zielle End­ergeb­nisse liegen noch nicht vor. Die Regio­nal­prä­si­denten hatten die Wahl­be­tei­ligung als Grad­messer für einen Erfolg aus­ge­geben. Zaya sprach daneben auch von einem mut­maß­lichen Hacker­an­griff auf die Regio­nal­re­gierung bei der Aus­zählung der Stimmen – daher könne sich die Ver­kündung der Ergeb­nisse verzögern.

Die Refe­renden sollen den Regio­nen­ver­tretern, die die Lega Nord stellt, mehr Gewicht bei Ver­hand­lungen über eine Ver­la­gerung von Kom­pe­tenzen (**) geben. Die Lega ver­folgte einst die Abspaltung des reichen Nordens vom armen Süden, mitt­ler­weile hat sie den Sezes­si­ons­ge­danken aller­dings weit­gehend auf­ge­geben. Die Refe­renden seien ein „Sieg nicht nur für die Lega sondern für die Bevöl­kerung“, so Lega-Chef Matteo Salvini auf Twitter.

(**) Unter anderem wollen die Lom­bardei und Venetien mit Tou­ris­ten­hoch­burgen wie Verona und Venedig das Geld, das sie erwirt­schaften, in der Region halten. Rom ver­schlingt in ihren Augen das ganze Geld. Die Lom­bardei spricht zum Bei­spiel von 54 Mil­li­arden Euro, die sie an Steuern an Rom überweist.

Lega Nord: Auto­nomie, aber nicht Abspaltung
Das Par­tei­pro­gramm der Lega Nord ist eine Kom­bi­nation aus poli­ti­schem und fis­ka­li­schem Föde­ra­lismus und Regio­na­lismus. So unter­stützt die Partei in den nord­ita­lie­ni­schen Regionen, in denen sie aktiv ist, den Schutz der jewei­ligen (lom­bar­di­schen, vene­ti­schen, pie­mon­ti­schen etc.) Kultur, Tra­dition und Sprachen (Dia­lekte). Das erklärte Ziel der Lega Nord ist eine Ansammlung ver­schie­dener regio­na­lis­ti­scher Bestre­bungen, die zwar den Föde­ra­lismus bejahen, aber zu grö­ßerer Unab­hän­gigkeit von Rom führen sollen. Es ist bereits jetzt abzu­sehen, daß diese Bestre­bungen weitere Unter­stützung in anderen ita­lie­ni­schen Regionen finden, selbst im Süden, z. B. der sizi­lia­nische Movi­mento per le Auto­nomie. Die süd­ita­lie­nische Lega Sud Ausonia gilt jetzt bereits als Schwes­ter­partei. Der ehe­malige Minis­ter­prä­sident Silvio Berlusconi/Forza Italia unter­stützt die Ziele der Lega Nord.

Obwohl die Föde­ra­li­sierung des ita­lie­ni­schen Zen­tral­staates bzw. die Erlangung von Auto­nomie für den Norden Ita­liens nach wie vor das unbe­strittene Hauptziel der Lega ist und sie sogar bei Erlangung dieses Zieles die Ein­stellung ihrer poli­ti­schen Akti­vi­täten in Aus­sicht stellt, ist die Lega im Gegensatz zu ihrem Anfangs­jahren keine Ein-Themen-Pro­test­partei mehr.

Ver­la­gerung zen­traler Kom­pe­tenzen auf die Regionen („Devo­lution“)
Der derzeit zen­trale Pro­gramm­punkt der Partei ist die Ver­la­gerung von Kom­pe­tenzen des ita­lie­ni­schen Zen­tral­staates auf die ita­lie­ni­schen Regionen („Devo­lution“).

Konkret und als einen ersten Schritt in Richtung Devo­lution fordert die Lega Nord die Über­tragung exklu­siver Kom­pe­tenzen des ita­lie­ni­schen Zen­tral­staates in den Bereichen
* Gesund­heits­wesen (Kran­ken­für­sorge und sanitäre Organisation)
* Bil­dungs­wesen (Schul­or­ga­ni­sation, Ver­waltung der Schulen und Wei­ter­bil­dungs­ein­rich­tungen. Defi­nition jener Teile der Schul- und Wei­ter­bil­dungs­pro­gramme mit einem spe­zi­fi­schen regio­nalen Interesse)
* regionale Polizei
auf die ita­lie­ni­schen Regionen.

Dabei soll die eigent­liche Kom­pe­tenz­über­tragung stu­fen­weise in einem System der „zwei Geschwin­dig­keiten“ erfolgen: Regionen, die bestimmte admi­nis­trative Vor­aus­set­zungen, wie Res­sourcen und Ver­wal­tungs­ka­pa­zi­täten, erfüllen, sollen die zusätz­lichen Kom­pe­tenzen sofort wahr­nehmen können. Regionen, die diese Vor­aus­set­zungen nicht erfüllen, sollen jene Kom­pe­tenzen zu einem spä­teren Zeit­punkt über­tragen bekommen. (Quelle für die letzten beiden Absätze:Wikipedia)

Peter Helmes / Conservo.Wordpress.com

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