Mehrwert-Steuer: Das Geld des Volkes

(von Prof. Dr. Albrecht Goeschel)

Volk, Bevöl­kerung, Besteuerung

Zwei Jahre nach ihrem Flücht­lings-Staats­streich hat Angela Merkel offen gegen die Ver­fassung gesprochen: »Das Volk ist jeder, der in diesem Lande lebt.« Nicht nur Staats­rechtler halten ihr vor, dass im Grund­gesetz der Bun­des­re­publik Deutschland etwas anderes steht. Diese Kritik ist von der Sache her zutreffend, ver­fehlt aber den Inhalt dessen, was die »Ver­fas­sungs­feindin« (Michael Klo­novsky) im Bun­des­kanz­leramt letztlich mit­ge­teilt hat. Im Wahl­kampf des Jahres 2005 hatte Merkel mit einer Erhöhung der Mehr­wert­steuer gedroht und diese Drohung nach ihrem Wahlsieg auch wahr gemacht. Damals ist das Hasswort von der »Mer­kel­steuer« erfunden worden. In diese Richtung sollten die Ermitt­lungen gehen.

Zu den Lehr­buch­weis­heiten der Finanz­wis­sen­schaft gehört die gerne her­vor­ge­kramte Regel, dass die Mehr­wert­steuer mitt­ler­weile die auf­kommens- und anteils­stärkste Steu­er­ein­nah­me­quelle im deut­schen Staats­haushalt sei. Dahinter ran­giere die Lohn­steuer. Ein­kom­men­steuer, Abgel­tungs­steuer, Kör­per­schafts­steuer, Gewer­be­steuer und Erb­schafts­steuer folgten in weitem Abstand. Eine Ver­mö­gens­steuer gebe es sowieso nicht mehr. Die gegen­wärtige Steu­er­ge­rech­tig­keits- und Steu­er­um­ver­tei­lungs­de­batte in Deutschland ist tod­lang­weilig und fruchtlos. Dabei wird über­sehen, dass die Mehr­wert­steuer auch in zahl­reichen öffent­lichen Daseins­vor­sor­ge­leis­tungen, d.h. Im so genannten Staats­konsum ent­halten ist. So finan­ziert der Staat sich selbst aus seinen ver­meint­lichen Wohl­taten. Noch inter­es­santer ist, dass die Mehr­wert­steuer die Grund­regel der kapi­ta­lis­ti­schen Mehr­wert­pro­duktion abbildet – auch wenn der Mehr­wert­be­griff der Steu­er­ge­setz­gebung ein anderer als der Mehr­wert­be­griff der Kapi­tal­analyse ist.

Grund­sätzlich belastet die Mehr­wert­steuer Markt­vor­gänge, d.h. Ver­käufe bzw. Käufe, bei denen »private Haus­halte Aus­gaben tätigen« (Dieter Brüm­merhoff). In kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaften wird die Erwerbs­arbeit weit über­wiegend als abhängige Arbeit für Lohn oder Gehalt ver­richtet. Es handelt sich bei diesen Aus­gaben mehr­heitlich also um solche, mit denen sich die Arbeit­neh­mer­schaft auf dem jewei­ligen Kul­tur­niveau am Leben erhält und auf dem jewei­ligen Pro­duk­ti­ons­niveau ihre Brauch­barkeit und Leis­tungs­fä­higkeit für die jeweilige »Lebens­ar­beitszeit« vor­be­reitet, her­stellt, wie­der­her­stellt und am Ende ent­sorgt. Zugleich sind die von der Mehr­wert­steuer belas­teten Aus­gaben als Pri­vat­konsum auch die letzte, unver­zichtbare Phase in der kapi­ta­lis­ti­schen Ver­wertung von abhän­giger Arbeit gegen Lohn oder Gehalt. Erst mit dem Ver­kaufsakt der erstellten Güter und Dienste ist das nicht nur für die Anlagen, sondern auch für die Beschäf­tigten auf­ge­wendete Kapital, der damit erzeugte Mehrwert, wieder Geld­umsatz, wieder Kapital geworden und wirft den ange­strebten Profit ab. Nicht zu Unrecht werden Steuern auf die not­wen­digen Lebens­mittel daher als »Dreh­achse« (Karl Marx) der modernen Staats­fi­nan­zierung bezeichnet. Die Mehr­wert­steuer saugt sozu­sagen an der Hals­schlagader des kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­körpers. Ein Bild, das cha­rak­te­ro­lo­gisch nicht schlecht zu Wolfgang Schäuble passt, dem noto­ri­schen Ver­fechter zuneh­mender Mehrwertbesteuerung.

Die von der Mehr­wert­steuer belas­teten Aus­gaben als Pri­vat­konsum auch die letzte, unver­zichtbare Phase in der kapi­ta­lis­ti­schen Ver­wertung von abhän­giger Arbeit gegen Lohn oder Gehalt. Die Mehr­wert­steuer saugt sozu­sagen an der Hals­schlagader des kapi­ta­lis­ti­schen Wirtschaftskörpers.

Die Regel­lo­sigkeit, mit der Merkel zunächst Hun­dert­tau­sende von angeb­lichen Flücht­lingen her­bei­ge­rufen hat und neu­erlich zu Aber­tau­senden wieder hin­aus­wirft, ist in diesem Zusam­menhang ein stim­miges Abbild dessen, was sie mit dem Migra­ti­ons­putsch des Jahres 2015 erreicht hat und wohl auch erreichen wollte: fis­ka­li­schen Nutzen für ihr Regime. Noch der isla­mis­tischste Gefährder lebt hier als »Ver­braucher« und damit als Mehr­wert­steu­er­zahler: ein Merkel-Wachs­tums­pro­gramm ganz ohne Macht­risiko. Ver­bes­se­rungen für die ein­hei­mi­schen Insassen des Hartz IV-Ghettos oder die ein­hei­mi­schen Anwär­te­rinnen und Anwärter auf Alters­armut, die auch Mehr­wert­steu­er­ein­nahmen schaffen würden, wären mit Macht­ri­siken verbunden.

Für diese Politik der noch üppi­geren Regime­fi­nan­zierung durch lohn- und ren­ten­po­li­tisch risi­ko­freie Ver­brauchs­stei­gerung und deren Besteuerung braucht die Kanz­ler­kan­di­datin des Jahres 2017 vor allem eine wach­sende »Bevöl­kerung«. Fürchten muss sie hin­gegen das »Deutsche Volk« des Grund­ge­setzes. Dieses könnte »popu­lis­tisch« seine Ver­fas­sungs­rechte nutzen, um eine Politik des Regimes zu ver­hindern oder zu erschweren, die seine Lebens‑, Schaffens‑, Rechts- und Wirt­schafts­kraft gefährdet.

Klas­sen­kämpfe gegen Besteuerung

Steu­er­kämpfe seien die »älteste Form der Klas­sen­kämpfe«, dekre­tierte der Ökonom Rudolf Gold­scheid in den drei­ßiger Jahren des ver­gan­genen Jahr­hun­derts. Als Exempel benannte er Refor­mation und Bau­ern­krieg in Deutschland, den Puri­ta­ner­auf­stand in England, die Kolo­ni­al­re­bellion der Siedler in Amerika und die Fran­zö­sische Revo­lution. Den letzten großen Klas­sen­kampf gegen die Steu­e­rer­würgung durch den Staat und gegen die Zins­plün­derung durch die Banken gab es in Deutschland in der End­phase der Wei­marer Republik in der dama­ligen preu­ßi­schen Provinz Schleswig-Hol­stein. Die dor­tigen Bauern schlossen sich zum »Landvolk« zusammen, pro­tes­tierten, demons­trierten, begannen einen Steu­er­streik, leis­teten gewalt­samen Wider­stand gegen die Zwangs­ver­stei­gerung ihrer Höfe, ver­übten Spreng­stoff­an­schläge gegen die Finanzämter.

Die Mehr­wert­steuer in Deutschland ist seit ihrer Erst­ein­führung zur Finan­zierung der Kriegs­kosten und Kriegs­fol­ge­kosten im Jahr 1916 von damals 0,1 Prozent mit jeder his­to­ri­schen Krise oder Kata­strophe als Anlass und Vorwand auf heute 19,0 Prozent ange­hoben worden. Im Rück­blick hat sich diese Besteuerung der puren Exis­tenz­er­haltung der Bevöl­kerung, ins­be­sondere der abhän­gigen oder schein­selb­stän­digen Erwerbs­be­völ­kerung, vormals »Arbei­ter­klasse«, als eine besonders wirksame und auf­kom­mens­starke Finan­zie­rungs­quelle für den Staats­ap­parat erwiesen. Gerade in Zeiten öko­no­mi­scher, poli­ti­scher oder mili­tä­ri­scher Tur­bu­lenzen konnte und kann auf sie zuge­griffen werden. Heute, nach sechs Jahr­zehnten mit Auf­rüs­tungen, Welt­kriegen, Bür­ger­kriegen, Sys­tem­wechseln, Geld­ent­wer­tungen, Wirt­schafts­krisen, Ver­trie­benen, Ver­wun­deten, Ver­letzten und Getö­teten ist die Mehr­wert­steuer auf ein Viel­faches ihres Ein­füh­rungs­satzes gestiegen. Nicht ohne Grund gibt es Ver­mu­tungen, dass die »Flücht­lings­krise« benutzt werden wird, um mit einer wei­teren Mehr­wert­steu­er­erhöhung das Merkel-Regime undseine Politik noch reich­licher zu finan­zieren. Es darf auch nicht ver­gessen werden: Die For­de­rungen nach Mehr­wert­steu­er­erhö­hungen waren und sind ein bevor­zugtes Instrument des von Merkel/Schäuble prak­ti­zierten Spar- und Zer­stö­rungs­diktats gegen die Volks­wirt­schaften und Gesell­schaften der EU-Peri­pherie. Die Mehr­wert­steuer ist längst von einem Instrument natio­naler Fis­kal­po­litik gegen die eigenen Klassen und Völker auch zu einem Instrument hege­mo­nialer Wirt­schafts­ag­gression gegen andere Gesell­schaften und Volks­wirt­schaften geworden.

In der deut­schen Staats­öko­nomie hat die Mehr­wert­steuer eine ähn­liche Funktion wie die Sozi­al­bei­träge. Letztere werden aus den Brut­to­löhnen kon­fis­ziert, um die Dumping-Net­to­löhne des deut­schen Expor­tex­tre­mismus zu sub­ven­tio­nieren. Die Mehr­wert­steuer dagegen wird aus den Net­to­ein­kommen bzw. dem Pri­vat­ver­brauch kon­fis­ziert, um einen neuen Auto­ri­ta­rismus und Impe­ria­lismus zu finan­zieren. Mit den Sozi­al­bei­trägen finan­zieren die Ver­si­cherten ihre eigene Aus­beutung. Mit der Mehr­wert­steuer finan­zieren die Ver­braucher ihre eigene Ent­rechtung. Die Mehr­wert­steuer belastet am stärksten die Pri­vat­haus­halte und Sozi­al­mi­lieus, die niedrige Net­to­ein­kommen und damit hohe Kon­sum­an­teile daran haben. Gleichwohl kennt das deutsche Links­milieu und Gut­men­schentum eine Frage nach dem »Geld des Volkes« nicht.

“Die Mehr­wert­steuer wird aus den Brut­to­löhnen kon­fis­ziert, um die Dumping-Net­to­löhne des deut­schen Expor­tex­tre­mismus zu subventionieren.” 

Kon­sum­ver­zicht, Staats­ver­schuldung, Rüstungsinflation

In der his­to­ri­schen For­schung ist es mitt­ler­weile Übung, den Ersten und den Zweiten Welt­krieg als poli­tisch­mi­li­tä­ri­sches und öko­no­mi­sches Kon­tinuum zu betrachten:
Die im Zuge des Ersten Welt­krieges aus­ge­lösten revo­lu­tio­nären Ver­än­de­rungen und Durch­brüche haben nicht nur neue Gesell­schafts­formen und ver­än­derte Staa­ten­ge­bilde her­vor­ge­bracht. Es folgten schwerste Wirt­schafts- und Wäh­rungs­krisen sowie eine enorme Akku­mu­lation von Kapital, aber auch eine ubi­quitäre Pro­le­ta­ri­sierung tra­di­tio­neller Schichten und Klassen. Vor allem die wirt­schafts­struk­tu­rellen und geld­wert­in­fla­tio­nären Folgen der tita­nen­haften Rüs­tungs- und Kriegs­an­stren­gungen einer­seits und der infamen Repa­ra­ti­ons­diktate ande­rer­seits hatten Aus­wir­kungen weit in die Fol­ge­jahr­zehnte. Alle Macht­blöcke, besser: sämt­liche so genannten Eliten des schon abseh­baren nächsten Welt­krieges hatten damals mehr oder weniger gelernt, welche ver­hee­renden öko­no­mi­schen und damit sozialen und poli­ti­schen Folgen die Usur­pation aller wirt­schaft­lichen und gesell­schaft­lichen Res­sourcen aus­schließlich für die Krieg­führung nach sich ziehen musste. Kon­se­quen­ter­weise wählten die drei wesent­lichen Macht­blöcke des kom­menden Groß­krieges zwi­schen dem Ende der 1920er Jahre und dem Beginn der 1940er Jahre die unauf­fäl­ligste Form der Steu­er­erhöhung und Kon­sum­ein­schränkung: Erhö­hungen der Mehr­wert­steu­er­sätze oder über­haupt erst Ein­führung dieser Steuer.

Alle drei Macht­blöcke, auch die Sowjet­union, finan­zierten ihre Rüs­tungs­kon­junk­turen zwar zunächst über staat­liche Geld­schöpfung. Die darüber hinaus benö­tigten Finanz­mittel sollten aber durch tat­säch­liche Mehr­wert­steu­er­an­he­bungen oder ver­suchte Mehr­wert­steu­er­erhe­bungen ein­ge­bracht werden. Damit sollte zugleich der rüs­tungs­be­dingte Kauf­kraft­überhang Inflation ver­meidend wieder in die Budgets zurück­ge­schleust werden. Das Dritte Reich erhöhte die Mehr­wert­steuer, die bei Ein­führung im Jahr 1916 lediglich 0,1 Prozent betragen hatte und im Jahr 1926 auf 0,75 Prozent ange­stiegen war, im Jahr 1935 auf 2,0 Prozent. In der Sowjet­union stellte die Mehr­wert­steuer tra­di­tionell eine der wich­tigsten Quellen der Staats­fi­nan­zierung dar.

Anders verlief die Ent­wicklung in den Ver­ei­nigten Staaten. Hoover, der Vor­gänger Roo­se­velts im Prä­si­den­tenamt, hatte die Ein­führung einer bun­des­staat­lichen Mehr­wert­steuer ver­sucht. Er war damit aber an der tra­di­tio­nellen Feind­schaft der US-ame­ri­ka­ni­schen Bevöl­kerung gegenüber Ver­brauchs­steuern gescheitert. Roo­sevelt wählte als Ausweg für die Auf­rüs­tungs­fi­nan­zierung eine Erhöhung der Ein­kom­men­steuer. Diese hohe Ein­kom­mens­be­steuerung sowie die hohe Staats­ver­schuldung sollten sich für die Besitz­klassen und das Staats­system der USA als pro­fi­tables Investment erweisen. Der Ein­tritt in den Zweiten Welt­krieg brachte den USA nicht nur eine enorme Rüs­tungs­kon­junktur und eine gigan­tische Tech­no­lo­gie­beute. Er zahlte sich auch in der nach Kriegsende erreichten US-Welt­herr­schaft aus.

Hal­bierter Welt­markt, Kalter Krieg, Totale Konsumgesellschaft

»Soziale Markt­wirt­schaft« war die Ideo­lo­gie­formel, mit der sich nach dem Zweiten Welt­krieg die Par­teien in der US-Satrapie Bun­des­re­publik Deutschland ein­rich­teten. Zwar hatten die Ver­ei­nigten Staaten dem deut­schen Natio­nal­so­zia­lismus, dem ita­lie­ni­schen Faschismus und dem japa­ni­schen Impe­ria­lismus deren Teile des Welt­marktes ent­rissen. Aber die am Welt­kriegssieg betei­ligte Sowjet­union und später das Revo­lu­ti­ons­china hatten ihrer­seits den kapi­ta­lis­ti­schen Welt­markt dras­tisch ver­kleinert. Hinzu kamen Ein­schrän­kungen durch die sich vom Kolo­nia­lismus befrei­enden Länder. Die für den Kapi­ta­lismus exis­tenz­not­wendige öko­no­mische, d.h. auch ter­ri­to­riale Expansion brauchte daher dringend einen Ausweg. Diesen boten damals der Kalte Krieg als Legi­ti­mation einer expan­die­renden Rüs­tungs­öko­nomie, ein wei­terer Ver­nich­tungs­krieg – in Korea – und die Kolo­ni­sierung der west­lichen Länder zu Totalen Kon­sum­ge­sell­schaften, d.h. die »Große Ver­schwendung« (Vance Packard). Lud­wi­gEr­hards »Wohl­stand für Alle« war die Über­setzung dieses US-ame­ri­ka­ni­schen Rüs­tungs- und Kon­sum­ka­pi­ta­lismus in ein so genanntes bun­des­deut­sches »Wirt­schafts­wunder«. Der Preis hierfür waren NATO-Bei­tritt, Wie­der­auf­rüstung und Wehrpflicht.

Sogleich nach Kriegsende, noch während das US-Militär seine Tech­no­lo­gie­beute aus Deutschland in Sicherheit brachte und die West­al­li­ierten Indus­trie­de­mon­tagen und Zwangs­exporte sowie die Bezahlung von Besat­zungs­kosten ver­fügten, machten die west­lichen Besat­zungs­mächte in ihren Zonen alle schon erfolgten oder gerade begon­nenen Ver­ge­sell­schaf­tungen der im Dritten Reich noch gigan­ti­scher gewor­denen Montan‑, Schwer- und Groß­in­dus­trie­ver­mögen rück­gängig oder unter­drückten diese. Den west­deut­schen Eliten gelang es, im Konsens, aber auch in Kon­kurrenz mit dem US-Hegemon, ihren enormen Kapi­tal­stock nicht nur zu reak­ti­vieren, sondern auch zu expan­dieren und damit in den Welt­markt zurück­zu­kehren. Schon im Zuge der Wäh­rungs­reform des Jahres 1948, der öko­no­mi­schen Geburts­stunde der aus dem deut­schen Staats­verband sezes­sio­nierten Bun­des­re­publik Deutschland, wurden die im Zweiten Welt­krieg weiter gewach­senen großen Sach­ka­pi­tal­ver­mögen auf Kosten bei­spiels­weise der kleinen Spar­geld­ver­mögen weit­gehend ent­schuldet. Vor allem war es die Steu­er­ge­setz­gebung des Jahres 1950, die den Unter­nehmen groß­zügige Steu­er­vor­teile, ins­be­sondere Abschrei­bungs­mög­lich­keiten zur beschleu­nigten und erwei­terten Selbst­fi­nan­zierung, d.h. Kapi­ta­lerneuerung und Kapi­tal­erwei­terung, gewährte. Ange­sichts der enormen öffent­lichen Kriegs­fol­ge­lasten mussten diese Steu­er­ver­zichte aber gegen­fi­nan­ziert werden. Hierzu wurde eine »plan­mäßige Ein­schränkung« (Hans-Hermann Hartwich) des pri­vaten Konsums der Bevöl­kerung betrieben – durch eine Erhöhung der Mehr­wert­steuer von 3,0 auf 4,0 Prozent.

Die erneute Mehr­wert­steu­er­erhöhung war damit nicht nur ein Instrument, um die West­zo­nen­fi­nan­zierung zu sichern und den Nach­kriegs­kauf­kraft­überhang Inflation vor­beugend abzu­schöpfen. Durch indi­rekte Kapi­tal­ver­sorgung der Unter­nehmen schau­kelten sich auch Pro­duktion, Beschäf­tigung, Arbeits­ein­kommen, Ver­brauch und damit wie­derum das Ver­brauchs­steu­er­auf­kommen gegen­seitig auf. Der Boom des US-Korea­krieges ver­stärkte diesen Prozess. Der »Wohl­stand für Alle« wuchs durch die Erwerbs­arbeit, den Ver­brauch und die damalige Umsatz­steuer aller – bewirkte aller­dings die Gewinn- und Ver­mö­gens­be­rei­cherung nur Weniger.

Die Groß­mächte for­derten von ihrem west­deut­schen Vasallen eine Kom­pen­sation für dessen Rüs­tungs­abs­tinenz. Die dafür nötigen Mittel bezahlte wieder das Volk — durch Erhöhung der Mehrwertsteuer.

For­mierte Gesell­schaft, Atom­rüstung – und: Mehrwertsteuer

Bis 1968 wurde die heutige »Mehr­wert­steuer« aus­schließlich als »Umsatz­steuer« bezeichnet. Aber nicht nur diese Umbe­nennung und zudem Anhebung auf 11 Prozent, sondern vor allem das damalige poli­tisch-öko­no­mische Umfeld zeigten erneut, dass diese indi­rekte Mas­sen­steuer die staats­po­li­tisch bedeu­tendste aller Steuern ist. Zuvor waren die berüch­tigten Not­stands­ge­setze erlassen worden und damit Ludwig Erhards »For­mierte Gesell­schaft« ein gutes Stück mehr Wirk­lichkeit geworden, die er an die Stelle der »Sozialen Markt­wirt­schaft« setzen wollte. Vor allem aber waren die Groß­mächte des west­lichen Kapi­ta­lismus mit dem west­deut­schen Wirt­schafts­konzept eines Wachstums durch Konsum und Export, Kapa­zi­täts­aus­schöpfung sowie Voll­be­schäf­tigung unter Ver­meidung von Rüs­tungs­aus­gaben nicht mehr einverstanden.

Nach der wei­teren Dra­ma­ti­sierung des Kalten Krieges durch die Ber­liner Mauer und die Kuba-Krise for­derten sie von ihrem west­deut­schen Vasallen eine Kom­pen­sation für dessen Rüs­tungs­abs­tinenz in Form beschleu­nigter Rück­zahlung von Vor­kriegs- und Nach­kriegs­schulden sowie der Über­nahme hoher Sta­tio­nie­rungs­kosten für die alli­ierten Streit­kräfte in Deutschland. Gefordert wurde auch eine erhöhte Betei­ligung an der west­lichen Ent­wick­lungs- und Mili­tär­hilfe. Schon seit geraumer Zeit gab es zudem Über­le­gungen und Pla­nungen zumindest für eine gemeinsame deutsch-fran­zö­sische Atombewaffnung.

Gleich­zeitig ent­stand im Zusam­menhang mit dem Ver­nich­tungs­krieg der USA in Vietnam, mit der Ver­ab­schiedung der Not­stands­ge­setze und mit dem Sicht­bar­werden einer Bil­dungs- und vor allem Hoch­schul­krise eine »Außer­par­la­men­ta­rische Oppo­sition«. Diese war auch mas­sen­medial so stark geworden, dass eine offene Auf­rüs­tungs­fi­nan­zierung auf mas­siven Wider­stand gestoßen wäre. Das von den Alli­ierten gefor­derte Rüs­tungs­en­ga­gement musste daher mög­lichst unauf­fällig voll­zogen werden. Hierzu bot sich die 1968er-Erhöhung der Mehr­wert­steuer vor allem auch deshalb an, weil die damalige Pro­test­be­wegung in ihrer Kritik an der Kon­sum­ge­sell­schaft einer Ver­brauchs­steu­er­erhöhung gegenüber nicht son­derlich auf­merksam war.

Infla­ti­ons­import, Reform­po­litik, Finanzplanung

Auch ohne die Auf­rüs­tungs­for­de­rungen der »Ver­bün­deten« schlug der asia­tische US-Ver­nich­tungs­krieg in die Wirt­schafts­land­schaft West­deutsch­lands ein. Die in breitem Strom hierher gelan­genden Dol­lar­zu­flüsse aus den Gewinnen der US-Rüs­tungs­in­dustrie wurden damals als »Impor­tierte Inflation« (Gerard Bökenkamp) gefürchtet und kri­ti­siert und machten eine ent­spre­chende Liqui­di­täts­ab­schöpfung uner­lässlich. Erneut signa­li­sierte eine Erhöhung der Mehr­wert­steuer einen Wen­de­punkt des Systems BRD.

Unterhalb der kriegs‑, rüstungs‑, geld- und wäh­rungs­po­li­ti­schen Bühne wuchs seit Beginn der 1960er Jahre ein immer drän­gen­deres wirt­schafts- und wachs­tums­po­li­ti­sches Problem heran, das gelöst werden musste. Die anderen kapi­ta­lis­ti­schen Volks­wirt­schaften hatten schon zu Beginn der 1960er Jahre begonnen, durch die Anwendung keyne­sia­ni­scher Steue­rungs- und Pla­nungs­kon­zepte und ins­be­sondere durch För­derung des »Tech­ni­schen Fort­schritts« in der Wirt­schaft neue Wachs­tums­felder und Gewinn­mög­lich­keiten zu erschließen. In West­deutschland blieb es lediglich bei einer ver­stärkten Ein­be­ziehung der hand­werklich-land­wirt­schaft­lichen Erwerbs­tä­tigen, Sek­toren und Regionen in den kapi­ta­lis­ti­schen Verwertungsprozess.

Kri­ti­siert wurden damals eine Steue­rungs­lücke und eine Tech­no­lo­gie­lücke des west­deut­schen Kapi­ta­lismus. Ein wesent­licher Teil der heute ver­klärten »Reformen« der Regierung Brandt/Scheel diente dann genau der Schließung dieser »Tech­no­lo­gi­schen Lücke« (Joachim Hirsch). Schon zuvor, während der Regierung Kiesinger/Brandt, war mit dem »Sta­bi­li­täts­gesetz« und der »Mit­tel­fris­tigen Finanz­planung« die Grundlage für eine Glo­bal­steuerung des Wirt­schafts­ge­schehens und für den not­wen­digen Ausbau des öffent­lichen Sektors geschaffen worden. Damit ver­bunden waren wach­sende Inflationsrisiken.

Die ent­schei­dende Tie­fen­strömung in dieser Phase der Been­digung des in der Nach­kriegszeit prak­ti­zierten for­dis­ti­schen »Teil­ha­be­ka­pi­ta­lismus« (Ulrich Busch, Rainer Land) wird in der Ersetzung der Erhard­schen Ideo­lo­gie­formel vom »Wohl­stand für alle« durch dessen neue Ideo­lo­gie­formel »Maß­halten« erkennbar. Die erreichte Voll­be­schäf­tigung und die teil­weise erstreikten Lohn- und Sozi­al­ver­bes­se­rungen hatten ver­meintlich das Mehr­wert­wachstum und die Gewinn­aus­sichten beein­trächtigt und die Preise getrieben – damit wurden das rück­läufige Wirt­schafts­wachstum und die zuneh­mende Geld­ent­wertung »erklärt«. Ange­trieben wurde die ver­meint­liche »Lohn-Preis-Spirale« zusätzlich durch die Dollar-Inflation. Beide zusammen boten eine fabel­hafte Legi­ti­mation für die damalige Liqui­dität abschöp­fende und damit Inflation dämp­fende Mehr­wert­steu­er­erhöhung. Sie erzeugten zugleich auch das wach­sende Geld­vo­lumen, aus dem sich der Staat via Mehr­wert­steuer kom­for­tabel finan­zieren konnte.

Stag­flation, Mone­ta­rismus, Wendeprogramm

In der poli­ti­schen Wis­sen­schaft werden die Jahre 1969 bis 1979 als »Jahr­zehnt der Illu­sionen« (Gerard Bökenkamp) titu­liert – zutref­fender hieße es »Jahr­zehnt der Kon­fu­sionen«. Das west­deutsche poli­tische System der Par­la­ments­par­teien und Koali­ti­ons­re­gie­rungen schlin­gerte mehr als es steuerte durch die ersten drei Wirt­schafts­zyklen der Nachkriegszeit.

Die Annahme, trotz der Infla­ti­ons­ri­siken der neuen Glo­bal­steue­rungs- und Inves­ti­ti­ons­po­litik die welt­weiten Sta­gna­ti­ons­ten­denzen und Kri­sen­phä­nomene bewäl­tigen zu können, ging gründlich fehl: Die damalige Koalition sah sich nach einigen Jahren nicht nur mit wach­sendem Defizit, zuneh­mender Sta­gnation und stei­gender Arbeits­lo­sigkeit, sondern zusätzlich auch noch mit wach­sender Inflation kon­fron­tiert. »Stag­flation« war der Begriff dieser Zeit. Es ging bei den Zyklen des Jahr­zehnts 1970 bis 1980 aber nicht vor­rangig um zu wenig Kauf­kraft wegen zu nied­riger Löhne oder um zu niedrige Kapi­tal­erträge wegen zu hoher Löhne, d.h. um gestörte Ver­tei­lungs­re­la­tionen zwi­schen Arbeit und Kapital, die der Staat hätte aus­gleichen können.

Globalismus: Wunschtraum oder Alptraum? von [Vetter, Harald]Es ging vielmehr um das weitaus schwie­rigere Problem einer stetig vor­an­schrei­tenden Kapi­tal­in­ten­sität der Pro­duktion, bei der immer höhere Anteile der Erlöse allein für die Erhaltung und Erneuerung des Anla­ge­ka­pitals auf­ge­wendet werden mussten. Daher ent­stand eine Grund­tendenz zur Ertrags­si­cherung durch Ratio­na­li­sierung und Redu­zierung der Beschäf­tigung. Hohe oder stei­gende Löhne ver­stärkten diese Tendenz noch. Stei­gende Roh­stoff­preise wie etwa für Öl wegen der dama­ligen Ölpreis-Schocks und stei­gende Preise für Vor­pro­dukte hatten die gleiche Wirkung. Um dennoch aus­kömm­liche und ange­messene Erträge zu erzielen, bot es sich vor allem für markt­be­herr­schende Unter­nehmen an, »über­zy­klische Preis­stei­ge­rungen« (Elmar Alt­vater) zu setzen. Diese stei­gende Kapi­tal­in­ten­sität der Pro­duktion, häufig fehl­be­zeichnet als »Tech­ni­scher Fort­schritt«, war der sys­te­mische Kern des Infla­ti­ons­pro­blems. Lohn­for­de­rungen, die solchen Preis­stei­ge­rungen folgten, ver­schärften diese Kon­stel­lation, waren aber nicht für sie ursächlich. Umge­kehrt bedeutete ein Mangel an kauf­kräf­tiger Nach­frage, z.B. wegen zuneh­mender Arbeits­lo­sigkeit oder sta­gnie­render Löhne, einen »Fla­schenhals« für den Ver­brauch der erstellten Güter und Leis­tungen und damit eine Ver­schärfung der Krise. Ein solcher Nach­fra­ge­mangel konnte durch die Erhöhung von Mas­sen­steuern, bei­spiels­weise der Mehr­wert­steuer, noch ver­stärkt werden.

Da die Koali­ti­ons­partner nicht erkannt hatten, worum es sich bei den Kri­sen­phä­no­menen tat­sächlich han­delte, stellten sie unter den damals gän­gigen Über­schriften wie »Kon­junk­tur­pro­gramme« einer­seits und »Kon­so­li­die­rungs­po­litik« ande­rer­seits einfach noch einmal ihre poli­ti­schen Laden­hü­ter­for­de­rungen in die Schau­fenster. Die Erhöhung der Mehr­wert­steuer des Jahres 1978 auf 12 Prozent war dann letztlich ein Kom­promiss zwi­schen den Koali­ti­ons­partnern und den von ihnen ver­tre­tenen Lagern. Diese Kom­pro­miss­bildung erfolgte sozu­sagen »auf Kosten« der Gesamt­be­völ­kerung und ihrer Ver­brauchs­mög­lich­keiten – ver­schärfte aber mit ihrer »Fla­schen­hals­wirkung« gegenüber der Kon­sumtion letztlich die Krise. Am Ende schei­terte die Koalition aus Sozial- und Frei­de­mo­kratie an den in die Fis­kal­po­litik, vor allem in den Bun­des­haushalt ver­la­gerten unver­stan­denen Krisenphänomenen.

In den Wirt­schafts­wis­sen­schaften und in der Wirt­schafts­be­gut­achtung waren bereits die kon­zep­tio­nellen und prak­ti­schen Schwächen der keyne­sia­ni­schen Glo­bal­steuerung benutzt worden, um For­de­rungen nach einer mone­ta­ris­ti­schen, aus­schließlich auf die Geld­po­litik begrenzten Wirt­schafts­po­litik zu begründen. Deren Aufgabe sollte es sein, die wach­sende Kapi­tal­in­ten­sität nun durch eine unge­bremste Politik der Redu­zierung von Beschäf­tigung, Arbeits­löhnen und Sozi­al­löhnen zu unter­stützen und lediglich infla­tionäre Ten­denzen zu bekämpfen.

Durch die Auf­kün­digung der sozi­al­li­be­ralen Koalition seitens der Frei­de­mo­kratie und die Bildung einer christ­li­be­ralen Koalition wurde der Weg frei­ge­macht für den Ein­stieg in den Mone­ta­rismus in Deutschland. Das Pro­gramm dieser »Wende« beinhaltete dann an erster Stelle umfang­reiche Kür­zungen im Bereich der Sozi­al­ein­kommen. Zusätzlich wurde die Mehr­wert­steuer im »Nach-Wen­dejahr« 1983 auf 14 Prozent ange­hoben. Wieder war die Bevöl­ke­rungs­be­steuerung zu einem stra­te­gi­schen und sym­bo­li­schen Moment des poli­ti­schen Kapi­ta­lismus in Deutschland geworden.

Sozi­al­union: Sozi­al­staat als Feind von Volk und Klassen

Ent­spre­chend erbrachte die Mehr­wert­steuer in der Mitte der Regie­rungszeit Helmut Kohls 25 Prozent der gesamten Steu­er­ein­nahmen. Sie war zur bevor­zugten Manö­vrier­masse geworden, mit der die gesell­schafts­po­li­ti­schen und die partei- und par­la­ments­po­li­ti­schen Lager die Finan­zierung ihrer Kom­pro­misse immer wieder sicher­stellen konnten.

Während der christ­li­be­ralen Koalition der 1980er und 1990er Jahre wurden Stimmen wie die von Wolfgang Schäuble laut, die einen grund­sätz­lichen Übergang in der Steu­er­po­litik von direkten zu indi­rekten Steuern, also bevorzugt zur Mehr­wert­steuer, for­derten. Von Norbert Blüm gab es Vor­schläge, die Ren­ten­ver­si­cherung aus dem Mehr­wert­steu­er­auf­kommen zu sanieren bzw. die Sozi­al­si­che­rung­ins­gesamt aus der Mehr­wert­steuer zu finan­zieren. Der Zeit­punkt, zu dem diese Vor­schläge in die Öffent­lichkeit getragen wurden, zeigt, dass die Urheber solcher Ideen das Groß­ereignis der so genannten Wie­der­ver­ei­nigung als günstige Gele­genheit erkannten, um die bis­herige Finanz- und Sozi­al­fi­nanz­ordnung des Systems BRD im Zuge seiner ter­ri­to­rialen Erwei­terung grund­stürzend abzu­ändern, eine »Schub­umkehr« des so genannten »Sozi­al­staats« ein­zu­leiten. Unter dem Label »Sozi­al­union« wurden die Sozi­al­lohn­fonds der west­deut­schen Arbeit­nehmer, finan­ziert aus deren Brut­to­löhnen, benutzt, um die sozialen Kosten der BRDDDR-Zusam­men­legung mit Hilfe des nun gesamt­deut­schen Sozi­al­staates auf die west­deut­schen Lohn- und Gehalts­emp­fänger abzu­wälzen. Dies war der Auftakt zu einer Ent­wicklung, in deren Verlauf der Sozi­al­staat zu einem per­ma­nenten Prozess geworden ist, durch den aus den Brut­to­löhnen der Arbeit­nehmer die­je­nigen Mittel kon­fis­ziert werden, mit denen die Niedrig-Net­to­löhne des »Geschäfts­mo­dells Deutschland« sub­ven­tio­niert werden. Dieser »Sozi­al­staat als giftige Frucht des Kapi­ta­lismus« (Albrecht Goe­schel) wurde mit der Finan­zierung der Wie­der­ver­ei­ni­gungs­kosten aus den Bei­trägen der Sozi­al­ver­si­cherten gereift.

Mit den Erhö­hungen der Mehr­wert­steuer auf 15 Prozent im Jahr 1993 und auf 16 Prozent am Ende des Jahres 1997 einer­seits und der Steu­er­be­güns­tigung von Kapi­tal­in­ves­ti­tionen und Immo­bi­li­en­erwerb in der vor­ma­ligen DDR ande­rer­seits benutzte die christ­li­berale Koalition die Mehr­wert­steuer nicht mehr als Manö­vrier­masse für Kom­pro­misse zwi­schen den gesell­schaft­lichen oder den par­la­men­ta­risch­po­li­ti­schen Lagern, sondern nunmehr ein­seitig als Mittel zur Abwälzung der Kosten des DDR-Anschlusses auf die gesamte, auch die ost­deutsche Bevöl­kerung. Der Sozi­al­staat war end­gültig zu einem Feind des Volkes und ins­be­sondere der Klasse der abhängig oder schein­selb­ständig Erwerbs­tä­tigen geworden.

Die Pfle­ge­ver­si­cherung Pfle­ge­be­dürf­tigkeit« dient dazu, die Unter­nehmen nicht mit höheren Sozi­al­bei­trägen zu belasten, die kom­munale Sozi­al­hilfe zu ent­lasten, dafür aber die Pri­vat­haus­halte und vor allem die Lohn- und Gehalts­emp­fänger zu beanspruchen.

Pfle­ge­ver­si­cherung: Kapi­ta­li­sierung der Gesundheitsversorgung

Der Trubel der ersten DDR-Anschluss­jahre wurde vom Kohl-Regime auch genutzt, um die schon über ein Jahr­zehnt dis­ku­tierte Lösung des so genannten »Risikos der Pfle­ge­be­dürf­tigkeit« sys­tem­ge­recht zu gestalten, d.h. Die Unter­nehmen nicht mit höheren Sozi­al­bei­trägen zu belasten und die kom­munale Sozi­al­hilfe zu ent­lasten, dafür aber die Pri­vat­haus­halte und vor allem die Lohn- und Gehalts­emp­fänger zu bean­spruchen. Das Ergebnis war die 1994 als wei­terer zumindest nomi­naler »Sozial«-Versicherungszweig ein­ge­richtete »Pfle­ge­ver­si­cherung«.

Die Pfle­ge­ver­si­cherung ist ein Para­de­bei­spiel dafür, dass und wie der Sozi­al­staat nicht mehr gegen Risiken sichert, sondern selbst Risiko ist. Die Kosten dieser »Sozial«- Ver­si­cherung tragen die so genannten Arbeit­nehmer nicht nur selber. Vielmehr bewirkt sie auch, demo­gra­phisch bedingt, eine zuneh­mende Ver­la­gerung von Mor­bi­dität aus der Gesetz­lichen Kranken- in die Gesetz­liche Pfle­ge­ver­si­cherung. Dabei bietet die Gesetz­liche Kran­ken­ver­si­cherung sozu­sagen eine Voll­kasko-Hoch­ver­sorgung, die Gesetz­liche Pfle­ge­ver­si­cherung nur eine Teilkasko-Grundversorgung.

Es ist leicht zu erkennen, dass damit eine schlei­chende Ver­bil­ligung der Gesund­heits­ver­sorgung der älteren Bevöl­kerung erreicht wird. Nutz­nießer sind vor allem die Kran­ken­kas­sen­kon­zerne, die die wach­sende Zahl der Alten­pfle­ge­kräfte als ver­si­cherte Bei­trags­zahler gewinnen, gleich­zeitig aber die eher bei­trags­schwachen und leis­tungs­auf­wän­digen »Schlechten Risiken« der Pfle­ge­be­dürf­tigen als Leis­tungs­fälle unauf­fällig los­werden. Nutz­nießer sind auch die Kran­ken­häuser. Sie werden durch die Pfle­ge­ver­si­cherung, den ambu­lanten und sta­tio­nären Pfle­ge­sek­torund die Eigen­pflege der Familien von den wenig ein­träg­lichen und pfle­ge­auf­wän­digen Fällen ent­lastet und können auf diesem Wege ihre Gewinnlage ver­bessern. In der sozi­al­öko­no­mi­schen Lite­ratur wird die Pfle­ge­ver­si­cherung mitt­ler­weile als bedeu­tendster Schritt der letzten Jahr­zehnte auf dem Weg zu einer »Kapi­ta­li­sierung der Gesund­heits­ver­sorgung« (Albrecht Goe­schel; Michael Teumer) eingeschätzt.

Wolfgang Schäuble als dog­ma­ti­scher Anhänger der Staats- und Sozi­al­fi­nan­zierung aus der Mehr­wert­steuer for­derte in den Debatten zur Pfle­ge­ver­si­cherung erwar­tungs­gemäß deren Finan­zierung aus einer Erhöhung dieser Steuer. Sein Ziel erreicht er so zwar nicht, ist diesem aber ein­einhalb Jahr­zehnte später auf ähn­liche Weise näher gerückt. Kurz vor dem Sicht­bar­werden der glo­balen Finanz­krise Mitte der nuller Jahre hat die damalige erneute christ­de­mo­kra­tisch­so­zi­al­de­mo­kra­tische »Große Koalition« unter dem Deck­be­griff einer »Stärkung des Wett­be­werbs in der Kran­ken­ver­si­cherung« erkennbar die Gesund­heits­wirt­schaft und die Kran­ken­ver­si­cherung zum Objekt einer »Staats­fi­nan­zierung aus der Gesund­heits­ver­sorgung« (Albrecht Goe­schel) gemacht. Nun sollten nicht mehr die Kas­sen­bei­träge, d.h. Die so genannten Lohn-Neben­kosten der Unter­nehmen, durch die Mehr­wert­steuer der Gesamt­be­völ­kerung ersetzt werden. Vielmehr werden immer weitere Bereiche der Gesund­heits­ver­sorgung und Kran­ken­ver­si­cherung pri­va­ti­siert und können daher mit Mehr­wert­steuer belastet und abge­schöpft werden. Sozu­sagen »hybrid« wird seitdem die längst zum poli­ti­schen Dogma gewordene steu­er­liche Ent­lastung von Unter­neh­mens­ge­winnen und Kapi­tal­ver­mögen auf dem Wege einer mehr­wert­steu­er­lichen Abschöpfung sozi­al­bei­trags­fi­nan­zierter Gesund­heits­leis­tungen bzw. Gesund­heits­leis­tungs­er­bringer »gegen­fi­nan­ziert«.

Das Geld des Volkes für den Export­krieg der Konzerne?

Kaum bekannt und erst recht nicht dis­ku­tiert ist eine andere schlei­chende Ent­eignung der west­deut­schen und später der gesamten deut­schen Bevöl­kerung, bei der wie­derum die Mehr­wert­steuer die Haupt­rolle spielt.

Von der sozi­al­de­mo­kra­tisch-grün­al­ter­na­tiven Koalition gestartet und vom Merkel-Schäuble-Regime weiter ange­heizt, führen die deut­schen Export­kon­zerne seit bald zwei Jahr­zehnten einen Export­krieg vor allem gegen die euro­päi­schen Nach­bar­volks­wirt­schaften, der sich von Jahr zu Jahr steigert. 1960 belief sich der so genannte Export­über­schuss in der »Volks­wirt­schaft­lichen Gesamt­rechnung« West­deutsch­lands auf ca. 4 Mil­li­arden Euro. Im Jahr 2016 betrug dieser Export­über­schuss dann ca. 160 Mil­li­arden Euro. Mit diesen weltweit an der Spitze lie­genden Werten sind umge­kehrt Handels- und Leis­tungs­bi­lanz­un­gleich­ge­wichte in der Welt und ins­be­sondere in Europa ver­bunden. Sie ver­schaffen zwar den in Deutschland ansäs­sigen Export­kon­zernen hohe Extra­profite, ver­ur­sachen aber in anderen Ländern Unter­aus­lastung, Arbeits­lo­sigkeit, Ver­armung und Über­schuldung. Die EU- und Euro-Krise gehören zu den Folgen dieses Exportkrieges.

Das deutsche Links­milieu und Gut­men­schentum und ins­be­sondere die sich mit ihren Rat­schlägen zur Wirt­schafts­po­litik nach vorn drän­genden deut­schen »Links­keyne­sianer« haben es bis heute ver­mieden, die fis­ka­li­schen Kosten dar­zu­stellen, die mit dieser »Export­welt­meis­ter­schaft« für die deutsche Bevöl­kerung ver­bunden sind. Den höchsten Kos­ten­beitrag zum Export­krieg der Kon­zerne leistet die Bevöl­kerung mit den Hun­derten von Mil­li­arden Euro Mehr­wert­steuer, die den deut­schen öffent­lichen Haus­halten in den letzten Jahr­zehnten ent­gangen sind, da die Export­über­schüsse nicht mit Mehr­wert­steuer belegt sind. Allein für die Jahre 2000 bis 2007 errechnet die bisher einzige Studie zu diesem Thema einen Mehr­wert­steu­er­verlust infolge der Mehr­wert­steu­er­frei­stellung der Export­über­schüsse in Höhe von etwa 126 Mil­li­arden Euro.

Wie von Angela Merkel im Wahl­kampf des Jahres 2005 ange­droht, wurde von ihrer »Großen Koalition« die Mehr­wert­steuer im Jahr 2007 von bis dahin 16 Prozent auf nunmehr 19 Prozent erhöht. Damit wird der Mehr­wert­steu­er­ver­zicht des Regimes gegenüber den Export­kon­zernen weiter auf das Staatsvolk und die Gesamt­be­völ­kerung abge­wälzt. Für den Export­krieg der Kon­zerne wurde und wird das Geld des Volkes konfisziert.

Zuerst ver­öf­fent­licht in der Zeit­schrift “Tumult”