Wird die Flücht­lings­frage zur Nagel­probe für die EU? — EUGH weist Klage Ungarns und Slo­wakei zurück

Die Klage Ungarns und der Slo­wakei gegen eine zwin­gende Umver­teilung der Flücht­linge in Europa ist abge­lehnt worden. Der Euro­päische Gerichtshof wies die Klage mit der Begründung ab, dieser Umver­tei­lungs­me­cha­nismus sei nur als „vor­läufige Maß­nahme“ gedacht, um Grie­chenland und Italien nicht mit dem Ansturm allein zu lassen und eine gerechtere Ver­leitung der Lasten soli­da­risch innerhalb der EU sicher­zu­stellen. Die ver­bind­liche Quote an Flücht­lingen auf­zu­nehmen sei daher angemessen.

Den Einwand Ungarns und der Slo­wakei, die natio­nalen Par­la­mente seien nicht in die Ent­scheidung ein­ge­bunden gewesen wies der EUGH mit dem Argument zurück, es handle sich bei der besagten, vor­läu­figen Maß­nahme ja nicht um ein for­melles Gesetz, das die Betei­ligung der natio­nalen Par­la­mente erfordert hätte. Laut dem Lis­sa­boner Vertrag können die EU-Organe »sämt­liche vor­läufige Maß­nahmen ergreifen, die not­wendig sind, um wirksam und rasch auf eine durch den plötz­lichen Zustrom von Ver­trie­benen geprägte Notlage zu reagieren«. Der EUGH bezog sich damit auch auf ein Gut­achten, das Ende Juli ver­öf­fent­licht wurde und die in Frage ste­hende Umver­teilung der Migranten für legal befand.

Ungarn und die Slo­wakei wehrten sich mit der Klage vor dem EUGH gegen einen Beschluss der EU-Innen­mi­nister von 22. Sep­tember 2015, der auf dem Höhe­punkt der ersten Migra­ti­ons­welle gegen die Stimmen der Visegrad-Staaten Rumänien, Slo­wakei, Tsche­chien und Ungarn die Ver­teilung von 120.000 Migranten in Europa vorsah. Dieser Beschluss erfolgte auf Bitten von Grie­chenland und Italien, die sich mit dem Zustrom über­fordert sahen. Der Beschluss legte wei­terhin fest, dass der Vorgang der Ver­teilung bis zu zwei Jahren dauern dürfe und bis Sep­tember 2017 abge­schlossen sein müsse. Tat­sächlich sind angeblich aber nur 27.000 Men­schen aus Grie­chenland und Italien offi­ziell in andere EU-Länder verlegt worden. Unklar ist, wie auf dem Hin­ter­grund dieses Zah­len­werks allein in Deutschland eine Anzahl von etwa einer Million Flücht­lingen ankommen konnte.

Ungarn und die Slo­wakei haben seit dem Regie­rungs­wechsel in Polen auch Unter­stützung von dort. Man zieht nicht nur in Zweifel, dass die Quo­ten­be­schlüsse recht­mäßig zustande gekommen sind, die Visegrad- Staaten und Polen werden sich auch in Zukunft weigern, Flücht­linge auf­zu­nehmen, weil sie in den anderen euro­päi­schen Staaten, die dem Quo­ten­be­schluss Folge leis­teten beob­achten, dass die innere Sicherheit dort nicht mehr gewähr­leistet ist. Aus­serdem kommen auf den Gast­staat und die Kom­munen enorme Summen zu, um Unter­bringung, Ver­pflegung, medi­zi­nische Betreuung und Inte­gra­ti­ons­maß­nahmen zu finanzieren.

Die EU befindet sich jedoch mit diesem Urteil in einer schwie­rigen Situation. Denn ange­sichts der Tat­sache, dass die ost­eu­ro­päi­schen Mit­glieder der EU schon klar­ge­macht haben, dass sie nicht bereit sind dem Beschluss zur Umver­teilung Folge zu leisten, müsste die EU-Kom­mission ein Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fahren ein­leiten, das den Ländern, die sich der Flücht­lings­auf­nahme ver­weigern, hohe Geld­strafen auferlegt.

Die Regie­rungen dieser Länder wie­derum können dem Quo­ten­be­schluss nicht Folge leisten, ohne mas­sivsten Protest ihrer Bürger zu pro­vo­zieren. Letztlich bleibt diesen Ländern nur die Option abzu­wägen, ob die Kosten und Nach­teile, die eine Flücht­lings­auf­nahme mit sich bringen würde, teurer und pro­ble­ma­ti­scher werden würde als die Geld­strafen oder umge­kehrt  – oder ob es nicht sogar einen dritten Weg gibt, nämlich der geschlossene Aus­tritt aus der EU und die Bildung einer eigenen Wirt­schaftszone. Hier bleibt anzu­merken, dass, sollten diese Staaten über solche dritten Lösungen ernsthaft nach­denken, weitere Spieler auf dem Spielfeld erscheinen werden.

Russland und China bauen gemeinsam mit starken Partnern die „Neue Sei­den­straße“ auf. Eine enorm weit­rei­chende, bereits gut durch­struk­tu­rierte Han­dels­route und ein immens großer Wirt­schaftsraum, der unschätzbare Vor­teile für seine Teil­nehmer bietet. Hier würde sich gerade für die Visegrad­staaten eine höchst inter­es­sante Position als Brü­ckenkopf nach Europa hinein eröffnen, und die großen Player werden sicher ein wohl­aus­ge­wo­genes Angebot zur Zusam­men­arbeit vor­schlagen. Die daraus erwach­senden, sicht­baren, wirt­schaft­lichen Vor­teile für diese Brü­ckenkopf-Länder würden sehr schnell eine große Sog­wirkung auf die wirt­schaftlich und finan­ziell immer fra­giler wer­dende EU ausüben.

Es bleibt also sehr spannend, wie sich dieser Inter­es­sens­kon­flikt aus­wirken wird.

(Bei­tragsbild: Euro­päi­scher Gerichtshof, Bild­quelle: Wiki­media Commons, Cédric Puisney, Bild­lizenz CC BY 2.0)