Der Merkel-Malus: Nie­der­sachsens Wähler weisen der Kanz­lerin die Tür

Sie hatte sich mächtig ins Zeug gelegt. Gleich fünf Mal war Angela Merkel im kurzen nie­der­säch­si­schen Wahl­kampf für die CDU in den Ring gestiegen. Drei Wochen nach dem desas­trösen Abschneiden bei der Bun­des­tagswahl wollte sie dafür sorgen, die letzte ver­bliebene CDU-Macht­option „Jamaika“ im künf­tigen Landtag in Han­nover zu instal­lieren, um kurz darauf leichtes Spiel in Berlin zu haben. Vor allem aber wollte sie allen beweisen, dass das schwächste Bun­des­tags­ab­schneiden seit 1949 nur ein Aus­rut­scher war. Es wurde ein bit­terer Abend. Denn die herbe Schlappe der nie­der­säch­si­schen CDU geht vor allem auf Merkels Konto. Auch an der Leine haben immer weniger Men­schen Lust auf die Ex-Kon­ser­va­tiven. Mit dem schlech­testen Nie­der­sachsen-Ergebnis seit 1959 muss die CDU erstmals seit fast 20 Jahren der SPD den Vor­tritt lassen. Nun scheint alles offen. Denn für eine Neu­auflage von Rot-Grün reicht es in Han­nover nicht. Und da sich die FDP auf „Jamaika“ ein­ge­schworen hat, kommt sie für Minis­ter­prä­sident Stephan Weil (SPD) als Mehr­heits­be­schaffer nicht infrage. Die CDU wird sich einer „Großen Koalition“ ver­weigern, um viel­leicht doch noch ein schwarz-grün-gelbes Bündnis schmieden zu können, nachdem die SPD keine Partner gefunden hat, mit denen es zum Regieren reicht. Egal, wie es kommen wird, eines ist klar: Die nie­der­säch­sische Hän­ge­partie ist eine schwere Belastung für die Son­die­rungs­ge­spräche der „Jamaika“-Bundestagsfraktionen. Und sie schwächt die Position der ange­zählten CDU-Vorsitzenden.

Die CDU-Vor­sit­zende, die allem Kon­ser­va­tiven abge­schworen hat, ist zum Mühl­stein geworden, der die Partei nach unten zieht

„Sie kennen mich“, war einst das Ver­sprechen, mit dem die Kanz­lerin ihre CDU zum Sieg führte. Voll blinden Ver­trauens folgten ihr die Men­schen. Heute wirkt Merkels Leit­spruch auf viele Wähler eher wie eine Drohung. Am Wahl­abend ließ manche Äußerung aus den Reihen der Union den Unmut darüber erkennen, dass eine Vor­sit­zende, die allem Kon­ser­va­tiven abge­schworen hat, zum Mühl­stein geworden ist, der die CDU nach unten zieht. Mancher fragt sich bereits, ob sich mit Merkel noch Wahlen gewinnen lassen. Nächste Station ist Bayern, wo die CSU weit von der gewohnten Mehrheit ent­fernt ist, so lange Angela Merkel das Kanz­leramt besetzt. Es gehört zu den neuen Rea­li­täten, dass Par­la­mente künftig aus min­destens fünf Frak­tionen bestehen und die großen Par­teien kaum noch in der Lage sein werden, mit nur einem kleinen Partner zu regieren. Die Merkel-CDU hat es mit Omni­kom­pa­ti­bi­lität ver­sucht, man könnte auch sagen: Mit Belie­bigkeit. Die Rechnung schien auf­zu­gehen, trotz der enormen Ver­luste bei der Bun­des­tagswahl. Doch eine Gesell­schaft, die in fun­da­men­talen Fragen gespalten ist, braucht keine Belie­bigkeit, sondern einen wirk­lichen poli­ti­schen Diskurs, wie ihn nur Volks­par­teien mit klarem Profil führen können. Es dürfte die falsche Stra­tegie sein, die eigenen Macht­op­tionen mit inhalt­licher Leere erweitern zu wollen. Wie groß das Ver­langen vieler Deut­scher nach einer kon­ser­va­tiven Partei ist, zeigen die Erfolge der AfD, die nun in 14 Land­tags­wahlen nach­ein­ander den Par­la­ments­einzug geschafft hat.

Mit Sebastian Kurz als öster­rei­chi­schem Kanzler wird Merkel nach ihrem innen­po­li­ti­schen Desaster auch auf euro­päi­scher Bühne geschwächt

Ungemach droht Merkel aber noch von einer ganz anderen Seite. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass aus­ge­rechnet am Abend der bit­teren Nie­der­sachsen-Pleite eine Partei in Öster­reich haushoch gesiegt hat, deren Kanz­ler­kan­didat gerade in der Zuwan­de­rungs­po­litik dia­metral gegen­sätz­liche Posi­tionen zur Bun­des­re­gierung ver­tritt. Mit der bevor­ste­henden Ernennung von Sebastian Kurz zum öster­rei­chi­schen Kanzler wird Merkel nach ihrem innen­po­li­ti­schen Desaster auch auf euro­päi­scher Bühne geschwächt. Und die Ver­schie­bungen im poli­ti­schen Koor­di­na­ten­system Öster­reichs haben eine weitere Dimension: Es könnte sein, dass die dor­tigen Grünen dem Natio­nalrat künftig nicht mehr ange­hören. Zwar gilt bei unseren Nachbarn nur eine 4%-Hürde, doch hatten die Grünen vor der Aus­zählung der Briefwahl nicht einmal diese über­sprungen. Wie auch immer es letztlich aus­gehen wird – fest steht, dass die Grünen in Öster­reich in vier Jahren zwei Drittel ihrer Zustimmung ver­loren haben. Zwar sieht es für die deut­schen Kol­legen nicht ganz so düster aus, doch sind auch sie der große Ver­lierer des Wahl­abends. Für die Son­nen­blu­men­an­beter sind Land­tags­wahlen keine Selbst­läufer mehr. Eine Regie­rungs­be­tei­ligung auf Bun­des­ebene kommt da als Rettung wie gerufen. Die Wahl in Nie­der­sachsen hat mehr Fragen als Ant­worten geliefert, eines aber scheint fest­zu­stehen: Angela Merkel wird zwar als „Jamaika“-Kanzlerin ins Rennen gehen dürfen – ihr Nach­folger wird jedoch ab sofort gesucht.

 

 

Mein aktu­elles Buch „Das Grauen – Deutsch­lands gefähr­liche Par­al­lel­ge­sell­schaft“ ist im Handel erschienen. „Spuk­schloss Deutschland“ ist als Ebook und als signiertes Taschenbuch erhältlich. Im Paket können Sie die beiden Bücher direkt von mir zum Son­der­preis erwerben.

 

Ramin Peymani / Liberale Warte — peymani.de

Bild:Photo by slud­ge­gulper