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NABU: Inter­na­tio­nales For­scherteam bestätigt dra­ma­ti­sches Insektensterben

Ein inter­na­tio­nales For­scherteam aus den Nie­der­landen, Groß­bri­tannien und Deutschland hat die dra­ma­ti­schen Befunde zum Insek­ten­rückgang in Nord­west­deutschland in einer jetzt in der inter­na­tio­nalen Online-Fach­zeit­schrift PLOS ONE ver­öf­fent­lichten Studie bestätigt. Die For­scher stellten damit die Beob­ach­tungen des Ento­mo­lo­gi­schen Vereins Krefeld auf eine wis­sen­schaftlich abge­si­cherte Basis. So ist mit den Bio­mas­se­ver­lusten bei Flug­in­sekten von 76 bis 81 Prozent seit den 1990er Jahren ein klarer Negativ-Trend erkennbar. Ins­gesamt wurden in einem Zeitraum von 27 Jahren 63 Standorte in Schutz­ge­bieten unter­schied­lichster Lebens­räume des Offen­landes über­wiegend in Nord­west­deutschland unter­sucht, wobei der Rückgang über­wiegend im Flachland fest­ge­stellt wurde.

„Wir haben es mit einer höchst dra­ma­ti­schen und bedroh­lichen Ent­wicklung zu tun. Allein die Tat­sache, dass es sich bei allen Unter­su­chungs­flächen um ver­in­selte Standorte innerhalb von Schutz­ge­bieten handelt, in deren Umfeld zu mehr als 90 Prozent kon­ven­tio­nelle Agrar­nutzung statt­findet, legt einen nega­tiven Ein­fluss durch die Land­wirt­schaft nahe“, sagt NABU-Prä­sident Olaf Tschimpke. Die neue Bun­des­re­gierung müsse sich umgehend auf EU-Ebene für einen Kurs­wechsel in der Agrar­po­litik ein­setzen sowie einen Schwer­punkt auf Erfor­schung und Schutz der bio­lo­gi­schen Vielfalt legen. Der NABU fordert ein Deut­sches Zentrum für Bio­di­ver­sitäts-Moni­toring in Trä­ger­schaft von Wis­sens­ein­rich­tungen sowie den zügigen Aufbau eines bun­des­weiten Insekten-Moni­to­rings. Als Vorbild für ein bun­des­weites Insekten-Moni­toring könnte NRW dienen, wo 2017 die Beprobung von 100 Stand­orten ange­laufen ist.

Der Lan­des­vor­sit­zende des NABU NRW, Josef Tum­brinck, begleitet die Arbeiten des Ento­mo­lo­gi­schen Vereins Krefeld seit Jahren. Seiner Ein­schätzung nach finden in ganz Deutschland und wahr­scheinlich auch in anderen euro­päi­schen Ländern ähn­liche Ent­wick­lungen statt: „Früher mussten wir Auto­scheiben nach ein oder zwei Stunden Fahrt wieder von Insekten säubern und an Stra­ßen­la­ternen flogen mas­senhaft Insekten. Heute ist das meist nicht der Fall. Diese Beob­ach­tungen wurden mir vielfach aus allen Regionen des Landes mit­ge­teilt.“ Langzeit-Unter­su­chungen aus anderen Staaten liefern Hin­weise darauf, dass es sich nicht nur um ein deut­sches Phä­nomen handelt. Auch von der EU offi­ziell bestä­tigte Bestands­rück­gänge von Vögeln, die auf Insekten als Nah­rungs­grundlage ange­wiesen sind, dürften höchst­wahr­scheinlich zu einem wesent­lichen Teil auf den Insek­ten­schwund zurück­zu­führen sein.

Pro­fessor Dave Goulson von der Sussex Uni­versity und Co-Autor der Studie, ist zutiefst beun­ruhigt über diese Ent­wick­lungen: „Insekten machen etwa zwei Drittel allen Lebens auf der Erde aus. Wie es scheint, machen wir große Land­striche unbe­wohnbar für die meisten Formen des Lebens, und befinden uns gegen­wärtig auf dem Kurs zu einem öko­lo­gi­schen Arma­geddon. Bei dem derzeit ein­ge­schla­genen Weg werden unsere Enkel eine hoch­gradig ver­armte Welt erben.“

Die aktuelle Ver­öf­fent­li­chung arbeitet heraus, dass die zusätzlich in die sta­tis­tische Aus­wertung ein­ge­flos­senen Daten zu Ver­än­de­rungen des Klimas und von Bio­top­merk­malen den über­wie­genden Teil der Insek­ten­ver­luste nicht erklären. Hin­ge­wiesen wird jedoch auch darauf, dass mangels ver­füg­barer Daten die poten­zi­ellen Ein­fluss­fak­toren, so zum Bei­spiel zur Pes­ti­zid­be­lastung aus direkt umlie­gender Agrar­nutzung nicht berück­sichtigt werden konnten, weil die Datenlage nicht trans­parent ist.

In der Regel ist die intensive land­wirt­schaft­liche Nutzung im Rahmen der so genannten guten fach­lichen Praxis am Rande von Natur­schutz­ge­bieten ohne Ein­schränkung erlaubt. Viele mit Pes­ti­ziden behan­delte Flächen befinden sich sogar inmitten von Natur­schutz­ge­bieten. „Bis heute muss den Natur­schutz­be­hörden nicht mit­ge­teilt werden, welche Pes­tizide in welcher Mischung und Menge auf Acker­flächen innerhalb vieler Schutz­ge­biete aus­ge­bracht werden“, kri­ti­siert Tum­brinck. Ein Verbot müsste in der jewei­ligen Schutz­ge­biets­ver­ordnung eines Gebietes aus­ge­sprochen werden. Das wird aber nur in wenigen Fällen gemacht. Es fehlt also offen­sichtlich ein aus­rei­chendes Risi­ko­ma­nagement, obwohl dieses nach der aus dem Jahr 2009 stam­menden EU-Richt­linie für die „nach­haltige Ver­wendung von Pes­ti­ziden“ zur Abwehr nega­tiver Ein­flüsse auf Schutz­ge­biete vor­ge­schrieben ist.

Damit nimmt der Druck auf die Insek­tenwelt weiter zu. Ins­be­sondere die weltweit in der Kritik ste­henden hoch­wirk­samen Insek­ten­gifte aus der Stoff­klasse der Neo­ni­ko­tinoide müssen umgehend und voll­ständig vom Markt genommen werden. Der NABU fordert, die EU- und län­der­über­grei­fenden Zulas­sungs­ver­fahren für der­artig toxische Che­mi­kalien dringend zu über­ar­beiten und dabei zwingend die Wir­kungen für typische Öko­systeme rea­li­tätsnah in die Prüf­ver­fahren zu integrieren.

Mehr Infos:

Ver­öf­fent­li­chung „More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in pro­tected areas“: Fach­ar­ti­kel­nummer DOI: 10.1371/journal.pone.0185809

www.NABU.de/insektensterben