SPD-Bür­ger­ver­si­cherung: Etwas geringere Bei­träge, dafür viel weniger Gesundheit!

Das Thema Groko ist noch lange nicht vom Tisch. Die SPD sieht ihren Auf­tritt gekommen und möchte in den Ver­hand­lungen her­aus­holen, was geht. Dabei scheint sie an die absolute Schmerz­grenze der Union und darüber hinaus zu gehen. Die Rechnung ist einfach: Neu­wahlen würden der SPD eher nutzen als schaden. Um so mehr, da die abge­half­terte Tante SPD im Ringen mit der CDU nur Profil gewinnen kann. Das bedeutet ent­weder eine wesentlich stärkere Position in einer mög­lichen Groko oder eine kos­tenlose Wahl­kam­pagne für eine mög­liche Neuwahl.

Nun haben sich die Sozi­al­de­mo­kraten ein Schlachtfeld gewählt, das ganz auf ihrer Linie liegt, die Bür­ger­ver­si­cherung. Gewinnt die SPD diese Aus­ein­an­der­setzung und erzwingt die Kran­ken­ver­si­cherung für alle, würde sie große Teile der abtrünnig gewor­denen SPD-Wäh­ler­schaft wie­der­ge­winnen. Dazu kommt noch, dass man auch in der Christ­so­zialen Union der Sache nicht abge­neigt ist. Horst See­hofer findet die Bür­ger­ver­si­cherung eine gute Sache. Es könnte also durchaus das Ende der Pri­vaten Kran­ken­ver­si­che­rungen ins Haus stehen.

Ent­spre­chend jaulen die­je­nigen auf, die von einer “Kran­ken­kasse für alle” zu ihrem Nachteil betroffen wären. Der Beam­tenbund sieht durch die Bür­ger­ver­si­cherung gar das gesamte Staats­wesen gefährdet. Kein Wunder, Beamte sind meistens privat ver­si­chert, denn der „Dienstherr“ steuert bis zu 80% des Bei­trages bei. Spit­zen­leis­tungen bei güns­tigsten Bedin­gungen gibt niemand gerne auf. Die Schluss­fol­gerung des Beam­ten­bundes: Fielen diese Pri­vi­legien weg, würde der Stand des Beamten unat­traktiv. Da Beamte aber das Rückgrat des Staates seien, wäre „die Funk­ti­ons­fä­higkeit unseres Staats­wesens gefährdet“.

Die Ärz­te­schaft sieht eine Bedrohung der Ärz­te­praxen und der Vielfalt des Leis­tungs­ka­talogs, die Phar­ma­her­steller befürchten, dass For­schung und Nischen­pro­dukte nicht mehr möglich sind. Die Linke sieht im Zwei­klassen-Ver­si­che­rungs­system per se ein rotes Tuch. Jüngere, gut ver­die­nende Pri­vat­ver­si­cherte möchten bessere Leis­tungen für weniger Geld nicht missen. Ältere Pri­vat­ver­si­cherte ächzen unter der Last eines Jahr­zehn­telang stetig gestie­genen Bei­trags und fürchten, von den PKV-Bei­trägen in die Alters­armut getrieben zu werden.

Betrachten wir einmal das Für und Wider der Bürgerversicherung.

Für die Bür­ger­ver­si­cherung spricht:

  • Die Bei­tragshöhe ist ein­kom­mens­ab­hängig und kein pri­vat­recht­licher Vertrag mit einem festen Pro­dukt­preis, daher größere soziale Gerech­tigkeit. Selbst­ständige, die pri­vat­ver­si­chert sind, aber wenig Ein­kommen haben, geraten oft in Pro­bleme, weil sie sich die Ver­si­che­rungs­bei­träge nicht mehr leisten können.
  • Bes­ser­ver­die­nende, die mehr zur  Soli­dar­ge­mein­schaft bei­tragen könnten, würden her­an­ge­zogen. Bisher kommen gerade jüngere Leis­tungs­träger mit guten Gehältern unver­hält­nis­mäßig “billig” mit den festen Pro­dukt­preisen der PKVs davon.
  • Der geringere Bei­tragssatz einer Bür­ger­ver­si­cherung mindert die Lohn­ne­ben­kosten für den Arbeit­geber und könnte zu mehr Fest­an­stel­lungen führen.
  • Jedem Ver­si­cherten werden die gleichen Leis­tungen geboten, es gibt keine Zwei-Klassen-Medizin. Gerade im Linken Lager wird immer wieder betont, es dürfe keine „Son­der­be­hand­lungen“ geben.
  • Niemand, der arbeitslos wird und seine pri­vaten Bei­träge gar nicht mehr zahlen kann, gerät in Schulden oder kann sich keinen Arzt­besuch mehr leisten.
  • Die Ver­teilung der Ärzte wird wahr­scheinlich ver­bessert. Es lassen sich nicht mehr so viele Ärzte mit reinen Pri­vat­praxen in wohl­ha­benden Wohn­ge­bieten nieder, während in ärmeren Gebieten, wie auf dem Land, Ärzte Man­gelware und voll­kommen über­laufen sind.

Gegen die Bür­ger­ver­si­cherung spricht:

  • Länder mit solchen Ein­heits-Kran­ken­ver­si­che­rungs­sys­temen, wie die Nie­der­lande und Groß­bri­tannien, haben erst recht eine Zwei­klas­sen­me­dizin. Das Ein­heits­system führt zu begrenzten Leis­tungs­um­fängen, langen War­te­zeiten, Ratio­nie­rungen, Zeit­mangel bei der Ärz­te­schaft. Wer über genügend Geld verfügt, trifft direkt mit Arzt oder Kran­kenhaus eine private Ver­ein­barung als Selbst­zahler oder durch Zusatz­ver­si­che­rungen – und bekommt genau die Son­der­be­handlung, die er möchte.
  • Viele Praxen und Kran­ken­häuser, die besondere Behand­lungen, besondere Medi­zin­geräte und hoch­aus­ge­bildete und erfahrene Spe­zia­listen haben, können diese hohen Kosten nur durch die privat Kran­ken­ver­si­cherten decken. In Fällen, wo auch Kas­sen­pa­ti­enten die Mög­lichkeit bekommen, in ihrem spe­zi­ellen Fall oder durch Zuzahlung diese Leis­tungen in Anspruch zu nehmen, laufen diese „Fälle noch mit“. Bei einer ein­heit­lichen Bür­ger­ver­si­cherung werden sich viele dieser spe­zia­li­sierten Praxen und Kli­niken nicht mehr rechnen. Die wenigen, die dann bestehen bleiben, werden aus­schließlich zah­lungs­kräftige Kund­schaft annehmen.
  • Damit läuft das Ein­heits-Kran­ken­ver­si­che­rungs­system Gefahr, bei phar­ma­zeu­ti­schen und medi­zin­tech­ni­schen Inno­va­tionen abge­hängt zu werden. Mangels zah­lungs­fä­higer Kunden, durch die solche Inno­va­tionen finan­ziert werden, würde mög­li­cher­weise nur noch aus dem Ausland fri­scher Wind in die Medizin kommen.
  • Das würde wahr­scheinlich noch dadurch ver­schärft, dass die Ein­heits­ver­si­cherung, von keinem Kon­kur­renz­druck mehr ange­trieben, wenig Interesse zeigen könnte, ihre Leis­tungen und Angebote zu ver­bessern. Mangels Aus­weich­mög­lich­keiten würden wahr­scheinlich statt­dessen die Bei­trags­sätze ständig erhöht.
  • Eine weitere, wach­sende Belastung durch ein­wan­dernde Migranten, die nie einen Beitrag in die Soli­dar­ge­mein­schaft Bür­ger­ver­si­cherung geleistet haben, jedoch nicht unbe­trächt­liche Leis­tungen abfragen, würde die Bei­träge weiter nach oben treiben. Dazu kommt noch die Welle der gebur­ten­starken Jahr­gänge, die in den nächsten Jahren in Rente gehen und dem­entspre­chend zu einem großen Pro­zentsatz mul­ti­morbid sind.
  • Spit­zen­ver­diener würden immens hohe Bei­träge zahlen. Das mag ein Linker als sozial gerecht emp­finden, würde aber de facto dazu führen, dass die­je­nigen, die natürlich andere Mög­lich­keiten haben als Otto Nor­mal­ver­braucher, einen Weg fänden, sich dem hie­sigen Bür­ger­ver­si­che­rungs­system zu ent­ziehen. Diese Bei­träge wären dann für die Soli­dar­ge­mein­schaft ganz verloren.
  • Die „Quer­fi­nan­zierung“ durch höhere Preise bei Pri­vat­ver­si­cherten gilt auch für Phar­ma­zeutika und Mediz­in­for­schung. Nur 11% der Bevöl­kerung ist heute privat ver­si­chert. Diese Gruppe finan­ziert aber 25% der Praxis- und Kli­ni­kum­sätze. Viele Medi­zi­nische Leis­tungen können nur ange­boten werden, weil sie von Pri­vat­pa­ti­enten finan­ziert werden.
  • Damit finan­zieren die Pri­vat­ver­si­cherten über die höheren Preise, die sie überall bezahlen, auch indirekt die preis­wer­teren Gesund­heits­leis­tungen der Kas­sen­pa­ti­enten und damit deren Beitrag.
  • Auch der Zuschuss aus dem Bun­des­haushalt zur gesetz­lichen Kran­ken­ver­si­cherung wird aus den Steuern der Pri­vat­ver­si­cherten gespeist. Fallen diese Mittel sowohl bei der direkten Finan­zierung der Praxen und Kli­niken via höhere Rech­nungs­be­träge weg und der Zuschuss aus dem Bun­des­haushalt sinkt, wird sich der Beitrag der Bür­ger­ver­si­cherung ent­sprechen erhöhen.

Sollte die Bür­ger­ver­si­cherung also als Mor­gengabe der Union an die SPD kommen, ist die wahr­schein­lichste Ent­wicklung, dass die Bei­träge zu dieser Ein­heits­ver­si­cherung schnell anwachsen werden. Zusatz­ver­si­che­rungen, wie es sie heute schon zur GKV gibt, werden die Pri­vat­ver­si­cherten, die sich das leisten können auf­fangen, und die zwei-Klassen Medizin bleibt gewahrt.

Der Leis­tungs­ka­talog der Bür­ger­ver­si­cherung wird immer kürzer werden, während die Bei­träge steigen, und die Selbst­zahler und Zusatz­ver­si­cherten als Einzige in den Genuss von Son­der­be­hand­lungen kommen. Alter­native Methoden und The­rapien könnten einen unge­ahnten Auf­schwung erfahren, da die Qua­lität der Bür­ger­ver­si­che­rungs­leistung sinkt. Gleich­zeitig werden Länder wie Ungarn, die qua­li­tativ her­vor­ra­gende Kli­niken und medi­zi­nische Leis­tungen bieten, zum Mekka für den Mit­tel­stand, dem die Selbst­zah­ler­kosten in Deutschland zu hoch, das Ausland aber erschwinglich ist.

Mög­li­cher­weise führt das zu einer Rück­flu­tungs­welle ost­eu­ro­päi­scher Ärzte, die an diesen Kli­niken gesucht werden, ins­be­sondere wegen ihrer Deutsch­kennt­nisse. Dadurch wird die dünne Decke der Artz­praxen und Kli­nik­ärzte in Deutschland weiter aus­ge­dünnt, was zu noch vol­leren War­te­zimmern und Ver­zö­ge­rungen führt.

Wenn die Politik Hand an solche Struk­turen legt, kommt meistens nichts Gutes heraus.