By Rafael Matsunaga - Flickr, CC BY 2.0, Link

„Die Märkte sind ange­schlagen“ — Der richtige Abschwung an den Märkten steht uns noch bevor

Der richtige Abschwung an den Märkten steht uns noch bevor. Pulver trocken halten, lautet das Motto.
Schon seit Län­gerem warne ich an dieser Stelle vor den Risiken an den Märkten. Wie jedem Skep­tiker kann man dabei natürlich auch mir vor­halten, dass man nur lange genug auf den Crash warten muss, um irgendwann Recht zu behalten. So vor­der­gründig richtig diese Kritik ist, ver­fehlt sie dennoch ihr Ziel. Denn Risiken bauen sich über Jahre und Jahr­zehnte auf und schon John Maynard Keynes wusste, dass Märkte länger falsch liegen können, als man selber Geld hat, gegen sie zu wetten. 
So bleibe ich dabei, dass wir erneut vor einer hef­tigen Kor­rektur stehen. Hin­ter­grund ist die immer höhere Ver­schuldung im System. Dabei hat sich in den letzten dreißig Jahren nicht nur die Ver­schuldung von Staaten und Pri­vaten weltweit mehr als ver­doppelt, auf nunmehr 327 Prozent des Welt-BIP. Gleich­zeitig ist der Einsatz von Fremd­ka­pital zum Kauf von Assets aller Art eben­falls durch die Decke gegangen. Als Bei­spiel mögen die Wert­pa­pier­kredite an der Wall Street her­halten, die sich in den letzten 20 Jahren auf nunmehr rund 650 Mil­li­arden US-Dollar ver­vier­facht haben. 
Schulden, Schulden, Schulden
Das wirkt dann so: Zum einen treiben Unter­nehmen Eigen­ka­pi­tal­ren­diten und Gewinne pro Aktien durch immer grö­ßeren Einsatz von Fremd­ka­pital nach oben. So haben US-Unter­nehmen im vorigen Jahr 1,14 Bil­lionen US-Dollar neue Schulden gemacht und waren noch nie so hoch ver­schuldet wie heute. Die Hälfte der im Russel-2000-Index ent­hal­tenen Unter­nehmen gibt schon heute mehr als 30 Prozent des Gewinns vor Steuern und Zinsen (EBIT) für den Zin­sen­dienst aus. 
Zum anderen leihen sich die Käufer der Aktien Geld, um eben diese Aktien zu kaufen, was so lange ein gutes Geschäft ist, wie die Kurs­zu­wächse über den Kosten der Finan­zierung liegen. Das Geld wie­derum bekommen sie von Banken und anderen Spielern im Finanz­kasino, die wie­derum mit immer gerin­gerem Eigen­ka­pital arbeiten. Immer mehr spielt sich dabei außerhalb des (relativ) besser regu­lierten Ban­ken­systems ab. Auf immerhin 45 Bil­lionen US-Dollar wird der Schat­ten­ban­ken­sektor geschätzt, wo das richtig große Rad gedreht wird. 
Die Zinsen müssen immer tiefer werden
Auf jeder Ebene des Systems machen wir seit Jahren das­selbe: wir ersetzen Eigen- durch Fremd­ka­pital, um so die Ren­diten zu steigern. Immer geringer ist der Risi­ko­puffer, den wir noch haben. Damit ist aber auch klar, dass ein Problem auf einer Stufe des Systems, die gesamte Kon­struktion zum Ein­sturz bringen kann. 
Diese Sorge ist berechtigt, wie die Fülle an Krisen an den Finanz­märkten in den letzten dreißig Jahren unter­streicht: Crash 1987, Spar­kas­sen­krise in den USA, Blase in Japan, Krise in Süd­amerika, Asi­en­krise, Dotcom-Blase, Finanz­krise. In jedem dieser Fälle kam es vor dem Ein­bruch zu einem Anstieg der Zinsen
Aller­dings kam der Ein­bruch bei immer tie­feren Zinsen. Das kann nicht ver­wundern, ist doch die immer höhere Ver­schuldung nur mit immer tie­feren Zinsen tragbar. Schon vor Jahren warnte deshalb die Bank für Inter­na­tio­nalen Zah­lungs­aus­gleich, dass wir Gefangene der Ver­schuldung sind. Tiefe Zinsen heute regen die Ver­schuldung weiter an, weshalb wir morgen noch tiefere Zinsen brauchen, um die Last über­haupt tragen zu können. Prä­ziser: um wei­terhin die Illusion auf­recht­zu­er­halten, die Schulden zu bedienen. 
Der Spareckzins des Welt­fi­nanz­systems signa­li­siert Stress
Der drei Monats US-Dollar LIBOR, also die Rate, zu dem sich Banken gegen­seitig US-Dollar für drei Monate leihen, ist in den letzten 12 Monaten dra­ma­tisch gestiegen. Von 0,4 Prozent auf fast 2 Prozent in der letzten Woche. Dieser Satz betrifft nach Daten der Bank für Inter­na­tio­nalen Zah­lungs­aus­gleich immerhin 5 Bil­lionen US-Dollar Kredite weltweit, die einen variablen Zins ver­einbart haben. Indirekt dürfte es noch mehr Kredite betreffen. 
Damit kommt unser System auf allen Ebenen unter Druck. Die ver­schul­deten Unter­nehmen haben höhere Finan­zie­rungs­kosten, Stu­den­ten­dar­lehen und Auto­kredite werden teurer und ent­ziehen den Kon­su­menten Kauf­kraft, die Spe­ku­lation auf Kredit wird unat­traktiv. Es ist das Sze­nario, wo es sich lohnt, am schnellsten zu laufen. Wie hier immer wieder erläutert, fallen hoch-gele­veragte Märkte nicht gra­duell und geordnet, sondern brutal und schnell
Die Zinsen steigen aus ver­schie­denen Gründen: die Noten­banken ver­suchen langsam aber sicher die Geld­po­litik zu nor­ma­li­sieren, US-Unter­nehmen repa­tri­ieren Aus­lands­gelder im Zuge der Steu­er­reform in den USA und die Infla­ti­ons­er­war­tungen gehen nach oben. Dabei spielt es keine Rolle, ob man wie ich eher nicht an Inflation glaubt. Ent­scheidend ist, was die Märkte glauben. Und die spielen zurzeit das Thema Inflation. 
Noten­banken mit dem Latein am Ende
Bisher waren es immer die Noten­banken, die dem System Zeit gekauft haben. Immer tiefer sanken die Zinsen, immer aggres­siver wurden die Maß­nahmen. So tief waren die Zinsen vor der nächsten Rezession noch nie. Hat die Fed die kurz­fris­tigen Zinsen etwas nach oben gebracht – oder die Märkte haben es für sie erledigt – bleibt die EZB gefangen in der Rolle des Euro-Retters um jeden Preis. Daran dürfte auch die sich abzeich­nende Ver­pfändung der deut­schen Steu­er­gelder für das euro­päische Projekt durch die neue Regierung nichts ändern
Die Lage für die Noten­banken ist wenig attraktiv: 

  • Sie haben es mit einer Rekord­be­wertung der Asset­märkte zu tun, getrieben von tiefen Zinsen und Rekord-Leverage. Die Börsen dürften relativ zum BIP nicht nur in den USA den höchsten Stand der Geschichte erreicht haben, sondern auch weltweit. 
  • Sie haben es mit einer Rekord­ver­schuldung der Real­wirt­schaft zu tun. Kon­su­menten und Unter­nehmen haben weltweit immer noch Rekord­schulden. In einigen Ländern ist die Ver­schuldung gar weiter gestiegen, wie bei­spiels­weise bei US-Unternehmen.
  • Sie befinden sich in einem Wäh­rungs­krieg mit­ein­ander. Zurzeit haben die USA die Nase vorn und schaffen eine Abwertung der eigenen Währung. Japan, China aber auch die Eurozone spüren schon jetzt die Folgen der Dol­lar­schwäche und es setzt sie unter Druck, noch mehr zu tun, um die eigene Währung wieder zu schwächen.
  • Sie stecken im Dilemma, Inflation nicht zulassen zu dürfen, sie eigentlich aber anzu­streben, um die Schulden real zu ent­werten und zugleich schwer erzeugen zu können. 
  • Sie haben den Zins­stei­ge­rungs­ten­denzen gerade in den USA wenig ent­ge­gen­zu­setzen, wissen aber, dass es eine über­schuldete Welt­wirt­schaft und ein auf Leverage gebautes Kar­tenhaus schlecht ver­kraften, wenn die Zinsen steigen.
  • Sie haben es mit einer weit­gehend dys­funk­tio­nalen Politik zu tun. In den USA werden am Höhe­punkt des Auf­schwungs Steu­er­sen­kungen und Infra­struk­tur­pro­gramme auf Kredit beschlossen und zugleich ein glo­baler Han­dels­krieg vom Zaun gebrochen. In Europa ver­an­staltet die EU eine Straf­aktion gegen Groß­bri­tannien, um andere Länder von ähn­lichen Aus­stiegs­über­le­gungen abzu­halten und ver­schleppt zugleich eine wirk­liche Lösung der Euro­krise, was auch daran liegt, dass man sich mit Schein­lö­sungen beschäftigt

Die Noten­banken sind nicht unschuldig an dieser Situation. Sie ist die Folge von einer Politik, die dreißig Jahre ein­seitig dar­auf­ge­setzt hat, die Ver­schuldung nach oben zu treiben. 
Deut­licher Warn­schuss an den Märkten
Doch es geht nicht ewig weiter. Die Tur­bu­lenzen vom Februar sind eine deut­liche Warnung. Auch letzte Woche ging es an den Märkten weiter bergab. Die Medien pro­pa­gieren zwar weiter die These, dass es zu Aktien keine Alter­native gibt und die Kurs­kor­rektur eine Ein­stiegs­chance ist. Das erinnert an die Dis­kussion vom „Melt-up“-Boom, die sich – wie hier richtig pro­gnos­ti­ziert – als Pro­pa­ganda her­aus­ge­stellt hat, um den Insidern einen Aus­stieg zu erleichtern. Kurz darauf ging es bergab. 
So dürfte es in den kom­menden Monaten weiter bergab gehen. Die Real­wirt­schaft mag noch gute Signale senden, die Märkte sind ange­schlagen und blicken weiter. Auf die weitere Ver­knappung der Liqui­dität, auf die gestiegene Anfäl­ligkeit eines immer fra­gi­leren Systems. 
Zu pes­si­mis­tisch, denken Sie? Mag sein. Aller­dings befinde ich mich in guter Gesell­schaft. Warren Buffet ist mitt­ler­weile zum größten Käufer von US Tre­asury Bills geworden. Mehr als 100 Mil­li­arden US-Dollar hat Berkshire Hat­haway in kurz­fris­tigen US-Staats­pa­pieren geparkt, um dann kaufen zu können, wenn es günstig ist. Dann muss man nämlich liquide sein, ließ der Meister wissen. Gilt auch für uns.


Dr. Daniel Stelter — www.think-beyondtheobvious.com  → WiWo.de: „Die Märkte sind ange­schlagen“, 08. März 2018