Irr­lich­ternde römische Polit-Cäsaren — Wien, Bozen, die ita­lie­nische Par­la­mentswahl und die Doppelstaatsbürgerschaftsfrage

Der Ausgang der ita­lie­ni­schen Par­la­mentswahl  zei­tigte nicht nur ein poli­ti­sches Erd­beben in einem bis­weilen  von ver­hee­renden geo­lo­gi­schen Erschüt­te­rungen heim­ge­suchten Land.  Die Ergeb­nisse des Urnen­gangs legten sowohl eine par­tei­farb­liche, als auch  eine geo­po­li­tische Drei­teilung des Landes offen. Im ver­gleichs­weise pro­spe­rie­renden Norden bis hin zur Salurner Klause domi­nieren Matteo Sal­vinis Lega mitsamt Silvio Ber­lus­conis Forza Italia nebst Anhängseln wie den neo­fa­schis­ti­schen „Brüdern Ita­liens“ (Fratelli d’Italia). Der dezi­mierte Partito Demo­cratico (PD) des wie eine Stern­schnuppe  ver­glühten (Kurzzeit-)Ministerpräsidenten und Par­tei­chefs Matteo Renzi und seines ade­ligen Nach­folgers Paolo Gen­tiloni konnte sich hin­gegen lediglich  in Ita­liens Mitte, vor­nehmlich in der Emilia Romagna sowie in der Toskana, halten.
Par­tei­po­li­tisch drei‑, sozio­öko­no­misch zweigeteilt
Nahezu das gesamte Terrain von den Marken über die Abruzzen und Apulien  bis zur  Stie­fel­spitze – mit Aus­nahme Kala­briens, wo das Rechts­bündnis siegte —  sowie Sar­dinien sind von den „Grillini“, der Pro­test­partei „MoVi­mento 5 Stelle“ (M5S), erobert worden, deren juve­niler Spit­zen­kan­didat Luigi Di Maio ebenso wie Lega-Chef Salvini Anspruch auf die Regie­rungs­bildung erhebt. Man ist geneigt, eine abge­wan­delte Zeile aus Cäsars „Gal­li­schem Krieg“ zu über­tragen:  „Italia  est omnis divisa in partes tres ….“.
Sieht man die als Folge der Kammer- und Senatswahl her­vor­tre­tende par­tei­po­li­tisch drei­ge­teilte Ein­färbung vor dem Hin­ter­grund  der sozi­al­öko­no­mi­schen Zwei­teilung des Landes (in „reichen“ Norden und „armen“ Süden),  so kommt einem unwill­kürlich  in den Sinn:  Mit der (1861 formell erzielten) „Einheit Ita­liens“, die Ver­fas­sungs­ar­tikel 5 („die eine, unteilbare Republik“) und ein­schlägige Straf­rechts­be­stim­mungen des nach wie vor gel­tenden faschis­ti­schen  „Codice Rocco“ (Artikel 241 „Anschlag auf die Einheit des Staates“ und  Artikel 283 „Anschlag auf die Ver­fassung“) geradezu beschwören, kann es nicht allzu weit her sein.
Auto­nomer Pyrrhussieg
In Süd­tirol, als wirt­schaftlich ver­gleichs­weise erfolg­reiche Autonome Provinz Bolzano-Alto Adige einer der kleinsten, aber wohl am besten ver­wal­teten Teile Ita­liens, treibt der Wahl­ausgang den maß­geb­lichen Ver­tretern der seit 70 Jahren domi­nanten Volks­partei  Sor­gen­falten auf die Stirn. Zwar bejubeln sie ihren Wahl­erfolg, denn die SVP kann drei Abge­ordnete (zudem eine der Partei ver­bundene und in einem Süd­ti­roler Wahl­bezirk auch von SVP-Sym­pa­thi­santen zur Stim­men­mehrheit ver­holfene PD-Abge­ordnete) in die Kammer sowie drei Sena­toren (zudem einen ihr ver­bun­denen und in einem Süd­ti­roler Wahl­bezirk auch von SVP-Sym­pa­thi­santen zur Mehrheit ver­hol­fenen PD-Senator) in die zweite Par­la­ments­kammer nach Rom ent­senden.  Doch trotz hym­nisch orches­trierter Ver­laut­ba­rungen der Par­tei­führung erweist sich ihr Wahl­erfolg als klas­si­scher Pyrrhussieg.
Im Ver­gleich mit den Par­la­ments­wahlen von 2013 hat die SVP gut 20.000 Stimmen ver­loren. Die Wahl­be­tei­ligung in Süd­tirol ist gegenüber jener von vor fünf Jahren um durch­schnittlich 13 Pro­zent­punkte gesunken. In 15 Gemeinden fiel sie  um mehr als 20 Pro­zent­punkte. In abso­luten Zahlen aus­ge­drückt: Am 4. März 2018 machten sich 42.328 Wahl­be­rech­tigte weniger als fünf Jahre zuvor zum Urnengang auf. Weitere Fakten: 2013 hatte  das von der SVP  geführte Bündnis für die Kam­merwahl 176.128 Wähler hinter sich scharen können; jetzt waren es nurmehr deren  134.102 — ein Minus von rund 24 Prozent an Wäh­ler­stimmen. Die Wahl­be­tei­ligung lag 2013 bei 82,1 Prozent, diesmal bei  68,9 Prozent. Ähnlich das Bild bezüglich der Wahl in den Senat: Konnte die SVP  2013 mit ihren Bünd­nis­partnern  153.561 Stimmen holen, so waren es in diesem Jahr  nur deren 126.091. Dies ent­spricht einem Wäh­ler­abgang von 27.470 Stimm­be­rech­tigten und damit einem Minus von rund 22 Prozent im Ver­gleich zu 2013.  Zugleich sank die Betei­ligung an der Wahl zur zweiten Par­la­ments­kammer von 82,5 auf durch­schnittlich 70,2 Prozent.
Ein auf die SVP zuge­schnit­tenes Wahlgesetz….
Kein Wunder also, dass die deutsch­ti­roler  Oppo­si­ti­ons­par­teien Frei­heit­liche (FPS) und Süd-Tiroler Freiheit (STF) in alldem eine schwin­dende Zustimmung zur SVP sehen. FPS- Frak­ti­ons­spre­cherin Ulli Mair lastete der SVP an, sich „ohne Not und vor allem ohne Zukunfts­per­spektive dem PD aus­ge­liefert und Süd­tirol eine schwere Hypothek auf­ge­laden” zu haben, zumal da der „SVP-Bünd­nis­partner und große Wahl­ver­lierer PD Süd­tirol in eine Position der Schwäche gegenüber dem Zen­tral­staat manö­vriert“ habe.
Rückgang der Wahl­be­tei­ligung und Stim­men­ein­bußen für die SVP sind auch der „Uni­for­mität“ des für Süd­tirol gel­tenden Wahl­ge­setzes geschuldet, welches deren Ex-Senator Karl Zeller mit aus­ge­handelt und seine Partei außer­or­dentlich begünstigt hat. Es legte die Hürden so hoch, dass von vorn­herein nur SVP-Kan­di­daten (oder solche ver­bün­deter Par­teien) eine Chance auf Einzug in Kammer oder Senat hatten;  weshalb die deutsch­ti­roler Oppo­sition gar nicht erst  antrat und empfahl, ent­weder der Wahl fern­zu­bleiben oder „weiß“ zu wählen.
….und lan­des­fremde Kandidaten 
Dieser Effekt machte sich besonders im Wahl­kreis Bozen-Unterland bemerkbar, wo den Wählern die auf­grund des (im römi­schen Par­lament wie im Bozner Landhaus/Landtag gül­tigen) SVP-PD-Bünd­nisses pro­vinz­fremden PD-Kan­di­daten Maria Elena Boschi (für die Kammer) und Gian­claudio Bressa (für den Senat) vor­ge­setzt wurden. Wobei gegen die vor­malige Minis­terin für Ver­fas­sungs­re­formen und Bezie­hungen zum Par­lament der Regierung Renzi die Vor­be­halte besonders groß waren (sogar unter SVP-Anhängern). Denn die 2013 in der Toskana in die  Abge­ord­ne­ten­kammer Gewählte und alsbald in die PD-Führung Auf­ge­stiegene war zusammen mit Renzi die größte Ver­fech­terin der geplanten (2016 aber am staats­weiten Refe­rendum geschei­terten) zen­tra­lis­ti­schen Ver­fas­sungs­reform. Aus­ge­rechnet  in Süd­tirol hatte sei­nerzeit die SVP-Führung unter Obmann Philipp Achammer und Lan­des­hauptmann Arno Kom­patscher — gegen den Rat ihrer „Alt­man­datare“, ins­be­sondere des Experten und lang­jäh­rigen Senators Oskar Peterlini —  aus Ver­bun­denheit mit „Freund Renzi“ und Bünd­nis­treue mit dessen PD zur Zustimmung auf­ge­rufen.  Wenn­gleich just Frau Boschi damals der Ansicht war,  die Auto­nomie sei ein „Res­sourcen ver­schwen­dendes Relikt der Ver­gan­genheit“  und gehöre daher abge­schafft. Doch jetzt vor der Par­la­mentswahl  gerierte sie sich  als „glü­hende Ver­tei­di­gerin der Inter­essen Süd­tirols und seiner Auto­nomie“. Alle Ergeb­nisse zeigen, dass weder Boschi noch Bressa ohne die SVP-Wahl­kreis­stimmen  der Einzug in Kammer und Senat ver­wehrt geblieben wäre.
Italo­philie statt par­tei­über­grei­fender Strategie 
Aus alldem ergeben sich einige Befunde.  Das Interesse  an  römi­scher Politik ist südlich des Brenners deutlich gesunken. Für  Italien ist auf­grund der Wahl­er­geb­nisse eine Art Inter­regnum sowie poli­tische Insta­bi­lität zu erwarten.  Süd­tirol  bleibt davon nicht unbe­rührt, es ist, ganz im Gegenteil,  stark davon betroffen. Die SVP, die sich jahr­zehn­telang in Äqui­di­stanz zu den römi­schen Par­teien gehalten hatte, hat unter Führung ihres italo­philen Duos Achammer — Kom­patscher eine deut­liche Quittung für ihr Zweck­bündnis mit dem PD bekommen. Jetzt gibt sie sich der Hoffnung hin, von den auto­no­mie­kri­ti­schen bis ‑feind­lichen Wahl­siegern bei deren Poker um die Regie­rungs­über­nahme mög­li­cher­weise als „Zünglein an der Waage“ gebraucht zu werden und sich dies „auto­no­mie­po­li­tisch“ ent­gelten zu lassen.
Ob’s das spielt, ist höchst zwei­felhaft. Die angeblich inter­na­tional  gut abge­si­cherte, „modell­hafte“ Süd­tirol-Auto­nomie  hatte schon unter der PD-Regierung sowie deren Vor­gängern, ins­be­sondere in der Ägide des vor­ma­ligen EU-Kom­missars Monti, einen schweren Stand. Geht aus den Gewinnern der Par­la­mentswahl 2018  — Kräften, die den Aus­tritt aus dem Euro und der EU fordern und von Rom aus mög­lichst zen­tra­lis­tisch durch­re­gieren wollen – irgendwann eine wie auch immer colo­rierte Regierung hervor, kann es für die von der SVP ver­ab­so­lu­tierte Auto­nomie eigentlich nur noch schlimmer werden.  All­mählich rächt es sich, dass sich aus der SVP jene Man­datare und Funk­tionäre, die dem über Par­tei­grenzen hinaus gepflegten volks­tums­po­li­ti­schen Gedan­kengut positiv gegen­über­standen, zurück­ge­zogen haben oder aus­ge­schieden worden sind. Denn spä­testens jetzt wäre „Denken über den Tel­lerrand hinaus“ von­nöten; noch besser wäre sozu­sagen die Aus­ar­beitung eines  „Plans B“ zur Inan­spruch­nahme des Selbst­be­stim­mungs­rechts, wobei alle deutsch­ti­roler Par­teien Süd­tirols an einem Strang ziehen müssten.
Lack­mustest Doppelstaatsbürgerschaft 
Jus­tament in diesem Zusam­menhang wird die Frage der dop­pelten Staats­bür­ger­schaft zum Lack­mustest. Mit der Wie­der­erlangung der erstmals von einer öster­rei­chi­schen Regierung – wenn auch ver­sehen mit  abschwä­chenden Formeln –  in Aus­sicht gestellten Staats­bür­ger­schaft für Süd­ti­roler hätte Bozen einen starken Schutz­schild gegen zu erwar­tende römische Angriffe auf die Auto­nomie in der Hand. Doch auch hierbei zeigt sich die Janus­köp­figkeit der SVP.  Obmann Achammer  und Lan­des­hauptmann Kom­patscher  gaben zunächst deutlich zu erkennen, dass sie sogar jenen Beschluss des höchsten Par­tei­gre­miums, der SVP-Lan­des­ver­sammlung, aus­hebeln wollten, die sich 2012 ein­stimmig für die öster­rei­chische Staats­bür­ger­schaft für Süd­ti­roler aus­ge­sprochen hatte.
Sodann rügte die Par­tei­führung in aller Öffent­lichkeit  jene mutigen sieben SVP-Land­tags­ab­ge­ord­neten, die den von ins­gesamt 19 Land­tags­ab­ge­ord­neten unter­zeich­neten Brief an den öster­rei­chi­schen Bun­des­kanzler (und ÖVP-Obmann) Sebastian Kurz sowie den Vize­kanzler (und FPÖ-Obmann) Heinz-Christian Strache mit dem ent­spre­chenden Ersuchen um Erteilung der Staats­bür­ger­schaft an Süd­ti­roler mit­un­ter­zeichnet haben. Erst als  die gut ver­netzte „Ver­ei­nigung der SVP‑,Altmandatare‘“ ihr Gewicht  in die Waag­schale warf und sich auch positive Stimmen aus der (Nord-)Tiroler ÖVP (Lan­des­hauptmann Günther Platter und dessen Vor­gänger Herwig van Staa sowie Wen­delin Wein­gartner) pro Staats­bür­ger­schafts­begehr ver­nehmen ließen, suchten Achammer und Kom­patscher von ihrem  destruk­tiven Ver­halten loszukommen.
Fakten schaffen – statt Kotau vor Rom
Jedoch hat es immer wieder den Anschein, als tue just  Kom­patscher einiges, um die Sache dennoch zu hin­ter­treiben. In Wien hat sich Kanzler Kurz  ohnehin nur wider­willig auf des Koali­ti­ons­partners FPÖ Drängen in der Staats­bür­ger­schafts­frage ein­ge­lassen. Er dürfte sich bei seinen Brems­ma­növern stets auf Italien her­aus­reden und infolge der  neuen poli­ti­schen Ver­hält­nisse in Rom, die in der Staats­bür­ger­schafts­frage für die Süd­ti­roler kaum mehr als nichts erwarten lassen, deren unge­liebtes Begehr dem Sankt-Nim­mer­leinstag anheim­zu­geben trachten.  Es ist daher an der FPÖ, Druck aus­zuüben und Fakten zu schaffen. Alle Rechts­gut­achten besagen nämlich, dass es allein der sou­ve­ränen Ent­scheidung Öster­reichs obliegt, den Süd­ti­rolern, deren Vor­fahren sie vor hundert Jahren genommen wurde, seine Staats­bür­ger­schaft wieder zu erteilen. Ein Ein­ver­nehmen mit irr­lich­ternden ita­lie­ni­schen Polit-Cäsaren ist eben­so­wenig von­nöten wie ein unwür­diger Kotau vor römi­schen Palazzi.