Von Joachim Seidler, photog_at from Austria - 20150904 174, CC BY 2.0, Link

Alarm: Wenn eine Million Arme ein­wandern, steigt die Ungleichheit!

Wenn man diesen Titel für einen Artikel wählen würde, wäre die Nach­richt klar. Jeder, der etwas über mathe­ma­tische Kennt­nisse verfügt, wüsste sofort, dass alleine durch die Mix­ver­än­derung die Ungleichheit zunehmen muss. Wenn man das nicht will, so wäre die richtige Schluss­fol­gerung: weniger Zuwan­derung, weniger Armut, Problem gelöst.
Das aber ist “aus­län­der­feindlich” und “ras­sis­tisch”.
Besser also: Arm gegen Reich: Schlimmer als in Amerika“. Da kann sich dann die (links-) intel­lek­tuelle Elite am Pfingst­wo­chenende so richtig auf­regen und neue Pläne zur Belastung der Mit­tel­schicht aus­brüten, ist es doch die Mit­tel­schicht, die immer die Rechnung für die Ver­suche, die „Reichen“ zu besteuern, begleichen muss.
Thomas Fricke, den ich aus den FTD-Zeiten sehr schätze, scheint seine Exis­tenz­be­rech­tigung bei SPIEGEL ONLINE nur durch immer wie­der­wäh­rende Pro­pa­ganda-Artikel sicher zu können. Das tut mir leid. 
  • „Von wegen Wohl­stand für alle – das Gefälle zwi­schen Bes­ser­ver­dienern und Bil­lig­ar­beitern erreicht im aktu­ellen Auf­schwung einen Rekord. Und das Drama ist: Die Folgen werden bei uns immer weniger aufgefangen.“
    Stelter: Damit wird sug­ge­riert, dass es ein Ver­gleich innerhalb der Gruppe der Arbei­tenden ist und hier käme es zu deut­li­cheren Stei­ge­rungen bei jenen die besser ver­dienen und der Staat würde es immer weniger korrigieren.
  • Die Wirt­schaft wächst. Es gibt Monat für Monat einige Tausend mehr Beschäf­tigte im Land. Und die Arbeits­lo­sigkeit ist mitt­ler­weile nur noch halb so hoch wie vor zehn Jahren. (…)  Aus­lauf­modell Reich­tums­ge­fälle. Was der eine oder andere opti­mis­tische Experte in den ver­gan­genen Jahren auch schon zu erkennen schien, weil die Ungleichheit der Ein­kommen seit 2005 angeblich nicht mehr zuge­nommen habe.“
    – Stelter: Das sagt übrigens die OECD, also nicht „irgendein opti­mis­ti­scher Experte“. Aber egal.
  • Umso mehr haben es erste Schät­zungen in sich, nach denen das Gegenteil zu pas­sieren scheint – und die Ein­kommen mitten im gelobten deut­schen Auf­schwung weiter aus­ein­an­der­ge­driftet sind. (…)  Wie unter­schiedlich sich Ein­kommen ent­wi­ckeln, leiten Experten aus großen Umfragen und Sta­tis­tiken ab, in Deutschland vor allem aus denen des Sozio-öko­no­mi­schen Panels, das vom Deut­schen Institut für Wirt­schafts­for­schung (DIW) in Berlin geführt wird.“
    Stelter: Große Sta­tis­tiken sind natürlich glaub­wür­diger als „opti­mis­tische Experten“. So arbeitet man mit Sprache! Dass das DIW zuge­geben hat, die Daten mani­pu­liert zu haben und sich eine zuneh­mende Ungleichheit eben nicht aus den Daten ergeben hat, ver­schweigt Fricke. Warum nur? Hier die Meldung über die mas­siven Daten­fehler beim DIW:
    NTV: „DIW räumt Pannen bei Mit­tel­stands­studie ein“
    Später musste dann auch das DIW zuge­geben: → „Gering­ver­diener schließen zur Mitte auf“
 So ein Mist auch, wie kann man da rum­laufen und jammern. Egal, Fricke hat eine neue Quelle gefunden: 
  • „Wie es um Deutschland steht, hat der weltweit renom­mierte Ungleich­heits­for­scher Branko Mila­novic kürzlich aus­ge­wertet. Der Index ist 2015 wieder gestiegen, dem aktu­ellsten Jahr der Erhe­bungen. Nimmt man die allei­nigen (Netto-)Einkommen zum Maßstab, die am Markt und ohne Ein­rechnung des Zugriffs durch den Fiskus erzielt werden, liegt der Abstand zwi­schen Reich und Arm jetzt sogar so hoch wie noch nie in der Bun­des­re­publik – nachdem er ums Jahr 2010 herum für kurze Zeit geringer geworden war. Die Ungleichheit ist heute also größer als vor dem Auf­schwung. Nach Mila­novics Berechnung liegen Besser- und Schlechter-Ver­die­nende in Deutschland sogar weiter aus­ein­ander als in den USA.“
    – Stelter: Tja, woran könnte das wohl liegen? 2015 beginnt der Anstieg. Nein, die Flücht­linge sind in den Zahlen noch nicht ent­halten, aber die Migranten der Vor­jahre schon.
  • „Im Dia­gramm ent­sprechen die blauen Linien diesem soge­nannten Markt-Ein­kommen. (…) Zwar bestä­tigen auch Mila­novics neue Rech­nungen: Nach Steuern und Transfers liegen die tat­sächlich ver­füg­baren Ein­kommen in Deutschland nach wie vor weniger stark aus­ein­ander als etwa in den USA (anders als bei den Markt­ein­kommen –  Im Dia­gramm sind das die grünen Linien.) Nur gilt das seit der Jahr­tau­send­wende immer weniger.“
    – Stelter: Wenn man ganz genau hin­sieht, was sieht man dann? Die Schlag­zeile von Fricke? Also, ich nicht:
 
  •  „Bis etwa ins Jahr 2000 wurde der dras­tische Anstieg der Abstände zwi­schen den Ein­kommen im Grunde voll­ständig dadurch aus­ge­glichen, dass die Top-Ver­diener mehr Steuern zahlten und Geld zu denen trans­fe­riert wurde, die zu den Ver­lierern zählten. (…) Vorbei: Seit 2000 nimmt der Abstand zwi­schen den ver­füg­baren Ein­kommen ähnlich stark zu, wenn die Ein­kommen – vor Umver­teilung – aus­ein­an­der­gehen.“
    – Stelter: Wäre es denn richtig? Und wenn ja, wer wäre der Pro­fiteur der Umver­teilung? Nach heu­tiger Politik nicht der arme Rentner oder die Allein­er­zie­hende, sondern Zuwan­derer, die selber nie in das System ein­ge­zahlt haben. Wenn man dies unge­recht emp­findet, lautet die Antwort aber nicht mehr Abgaben, sondern andere Ver­teilung der Leis­tungen. Oder?
  • „Ein Grund dürften die Steu­er­re­formen seit Ende der Neun­zi­ger­jahre sein, sagt Char­lotte Bartels, Ungleich­heits­expertin beim DIW. Damals wurden Spit­zen­steu­er­sätze gesenkt und obere Ein­kommen vor allem ent­lastet. Und danach auch die eine oder andere Sozi­al­leistung gekürzt. (…) Mit dem – damals gewollten – Ergebnis, dass es weniger Umver­teilung gibt. Weil die angeblich zu teuer war – und die (ver­meint­lichen) Leis­tungs­träger vom Arbeiten abhalten.“
    – Stelter: Liebe Ungleich­heits­expertin: Allein mit einer Drei­satz­rechnung lässt sich der gesamte Anstieg der Ungleichheit seit 2015 erklären, wie ich schon 2017 an dieser Stelle und bei manager magazin online vor­ge­rechnet habe:
    Nehmen wir die Zahlen einmal, wie sie prä­sen­tiert werden, und schauen etwas genauer auf die Kom­po­nenten. Nach Daten des Sta­tis­ti­schen Bun­des­amtes ist die Armuts­quote  defi­niert als weniger als 60 Prozent des Medi­an­ein­kommens – in den letzten Jahren gestiegen. Von 10,8 Prozent (1995) auf 12,6 (2005) und 13,9 (2014). Dabei sind unter­schied­liche Bevöl­ke­rungs­gruppen sehr unter­schiedlich vom Armuts­risiko getroffen: 
  • Bei der Bevöl­kerung ohne Migra­ti­ons­hin­ter­grund liegt das Risiko demnach bei 11,3 Prozent.
  • Bei der Bevöl­kerung mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund ist das Risiko deutlich höher. Men­schen mit „direktem Migra­ti­ons­hin­ter­grund“ haben ein Risiko von 22,2 Prozent, jene mit „indi­rektem“ (also Nach­kommen von nach Deutschland ein­ge­wan­derten Men­schen) immer noch ein Risiko von 16,1 Prozent.
  • Legt man die Bevöl­ke­rungs­an­teile im Schnitt der Jahre 2012 bis 2014 zugrunde, waren rund 6,8 Mil­lionen Deutsche ohne Migra­ti­ons­hin­ter­grund vom Armuts­risiko betroffen, 2,35 Mil­lionen Men­schen mit direktem Migra­ti­ons­hin­ter­grund und 1,65 Mil­lionen mit indirektem.
  • Bekanntlich steigt seit Jahren der Anteil der Bevöl­kerung mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, was zu der inter­es­santen Erkenntnis führt, dass der Zuwachs der sta­tis­ti­schen Armut auch viel mit der Zusam­men­setzung der Bevöl­kerung zu tun hat. Fol­gende Rechnung mag das ver­deut­lichen: Bei Annahme gleicher Armuts­quoten der Bevöl­ke­rungs­gruppen wie im Jahre 2014 genügt ein Anstieg des Anteils der Bevöl­kerung mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund von 22 auf den heu­tigen Wert von 25,6 Prozent, um den Anstieg der Gesamt-Armuts­quote seit 2005 zu erklären. Nach­zu­lesen hier:→ Warum Deutschland nicht noch mehr Umver­teilung braucht
  • Dann kommt es bei Fricke noch dicker: „Jetzt steht Deutschland da, erlebt ein immer atem­be­rau­ben­deres Aus­ein­an­der­driften der Ein­kommen – und wundert sich, warum so viele Leute irgendwie nicht zufrieden sind. Obwohl wir so einen tollen Auf­schwung haben. Kein gutes Omen, wenn sich im nächsten Abschwung bemerkbar zu machen droht, (…) Was dann droht, lässt sich in Ländern schon jetzt beob­achten, die wie die USA oder Groß­bri­tannien gesell­schaftlich tief gespalten sind. Und wo Poli­tiker immer dachten, dass sie so einen Aus­gleich fürs Aus­ein­an­der­driften von Ein­kommen nicht bräuchten.“ Oh man. 1. „atem­be­raubend“ passt nicht zur Abbildung 2. „nicht zufrieden“ kann ja nicht daran liegen, dass der Sozi­al­staat manchen Leuten, die nie ein­ge­zahlt haben, mehr gibt als jenen, die es getan haben (siehe Min­dest­rente). 3. Die Spaltung ist doch schon da, aber aus anderen Gründen und 4. Natürlich wird es beim nächsten Abschwung bitter. Sehr bitter. Aber wegen Migration und Euro.