Christian Lindner - By Caitlin Hardee - FDP-Bundesgeschäftsstelle - Roland Kowalke, CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=53024388

Auch Christian Lindner trifft der Zorn der gewollten Miss­ver­steher und Immerempörten

Die Auf­regung über Christian Lindners angeblich „ras­sis­tische“ Äußerung auf dem FDP-Par­teitag ist nur eines von vielen Bei­spielen für das bewusste „Miss­ver­stehen“: Men­schen wird das Wort im Munde her­um­ge­dreht, um Dis­kus­sionen zu unter­drücken, Ver­un­si­cherung zu ver­breiten und die Sprach­gebote der poli­ti­schen Kor­rektheit durchzusetzen.
(Von Dr. Rainer Zitelmann)
Lindner hatte auf dem Par­teitag eine Anekdote wie­der­ge­geben, die ihm ein Bekannter mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund erzählt hatte. Hier noch einmal der Wortlaut der angeblich ras­sis­ti­schen Äußerung: „Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unter­scheiden, wenn einer mit gebro­chenem Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hoch qua­li­fi­zierte Ent­wickler künst­licher Intel­ligenz aus Indien ist, oder eigentlich ein sich bei uns illegal auf­hal­tender, höchstens gedul­deter Aus­länder. Damit die Gesell­schaft befriedet ist, müssen die anderen, die in der Reihe stehen, damit sie nicht diesen einen schief anschauen und Angst vor ihm haben, müssen sich alle sicher sein, dass jeder, der sich bei uns aufhält, sich legal bei uns aufhält. Die Men­schen müssen sich sicher sein, auch wenn jemand anders aus­sieht und noch nur gebrochen deutsch spricht, dass es keine Zweifel an seiner Recht­schaf­fenheit gibt. Das ist die Aufgabe einer for­dernden, libe­ralen, rechts­staat­lichen Einwanderungspolitik.”
Lindner wollte auf Miss­stände als Folge der unkon­trol­lierten Zuwan­derung auf­merksam machen, dabei Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund vor unge­recht­fer­tigten Vor­ur­teilen in Schutz nehmen und für eine geordnete Zuwan­derung werben. Keiner der über 100 Jour­na­listen auf dem Par­teitag hatte das miss­ver­standen oder einen Grund zur Auf­regung gesehen – bis dann ein FDP-Mit­glied Lindner (mit einer Argu­men­tation wie wir sie von Grünen und Linken kennen) des „All­tags­ras­sismus“ beschul­digte und aus der Partei austrat. Erst dann folgte die in Deutschland all­seits bekannte Auf­regung der Imme­r­em­pörten. Der SPD-Innen­po­li­tiker Burkhard Lischka sprach von einer “dümm­lichen Anekdote”. Der stell­ver­tre­tende Bun­des­vor­sit­zende der Christlich-Demo­kra­ti­schen Arbeit­neh­mer­schaft (CDA), Christian Bäumler, sprach im Han­dels­blatt gar von “Stim­mungs­mache gegen Dun­kel­häutige und Hartz-IV-Emp­fänger mit Flücht­lings­ge­schichte”. Damit betreibe Lindner “das Geschäft der AfD”, sagte Bäumler.
Tages­themen skan­da­li­sieren die Äußerung
In einem Kom­mentar in den Tages­themen wurden wir belehrt: „Mit seinen Worten liefert er Ras­sisten einen Vorwand, ras­sis­tisch zu sein. Nach dem Motto: Ist doch nach­voll­ziehbar, dass Men­schen andere allein deshalb ver­däch­tigen, weil sie gebrochen Deutsch sprechen. Sind ja auch ein paar illegal hier, die so reden. Gerade als Chef der angeblich Libe­ralen Partei in Deutschland, ist das ein Armuts­zeugnis. Lindner zeigt mit seiner Anekdote, dass er leider keine Ahnung hat, wie Ras­sismus funk­tio­niert. … Außerdem ver­steht Lindner offenbar nicht, dass Ras­sismus schon beim Denken anfängt… Lindner erzählt die Geschichte nicht aus Sicht des Opfers, sondern aus der Sicht des ras­sis­ti­schen Schlan­gen­stehers und zeigt dadurch Mit­gefühl für die falsche Seite…. Und schließlich: Lindner kann sich offenbar schlecht ent­schul­digen. Statt einfach zu sagen, ‚sorry, hab mich ver­rannt, war dummes Gerede, tut mir leid’, unter­stellt Lindner seinen Kri­tikern lieber Hys­terie. Das ist schlechter Stil und wirkt schnell arrogant. Wenn man es ver­semmelt hat, sollte man viel­leicht erstmal kleinere Brötchen backen.“
Es ist typisch in solchen Situa­tionen, dass die Imme­r­em­pörten sich über­haupt nicht mehr bemühen, den Sinn, die Intention und die Haupt­bot­schaft einer Aussage zu ver­stehen, sondern haar­spal­te­risch jedes Wort auf die Gold­waage legen, damit am Ende das Gegenteil dessen her­aus­ge­lesen werden kann, was ganz offen­sichtlich gemeint war. Und natürlich darf die For­derung nicht fehlen, dass sich der bewusst Miss­ver­standene öffentlich dafür ent­schul­digen muss, etwas gesagt zu haben, dass andere miss­ver­stehen wollten.
Empö­rungs­ri­tuale mit Tradition
Das Phä­nomen des bewussten Miss­ver­stehens ist nicht neu. Bei­spiele dafür gibt es zahllose. Ich erinnere mich an die Rede des Prä­si­denten des Deut­schen Bun­des­tages, Philipp Jen­ninger, am 10. November 1988 zum Gedenken an den 50. Jah­restag der Reichs­po­grom­nacht in Deutschland. Seine Rede führte zu einem großen Skandal, weil man ihn bewusst hatte miss­ver­stehen wollen. Ihm wurde unter­stellt, er habe Hitler und den Natio­nal­so­zia­lismus beschönigt, weil er bei der Ver­lesung seiner Rede die „Anfüh­rungs­zeichen“ zu manchen Begriffen nicht aus­rei­chend betont habe. Es ent­stand eine hys­te­rische Dis­kussion in Deutschland und im Ausland, und Jen­ninger musste sofort von seinem Amt zurück­treten. In der Folge wurden Jen­ninger und seine Rede reha­bi­li­tiert, unter anderem dadurch, dass der spätere Vor­sit­zende des Zen­tralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, demons­trativ umstrittene Pas­sagen aus Jen­ningers Ansprache in eine eigene Rede übernahm, ohne damit Anstoß zu erregen. Viele Bei­spiele für absurde Skan­da­li­sie­rungen finden sich in dem Buch des Mainzer Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaftlers Mat­thias Kepplinger
Der „herr­schafts­freie Diskurs“
Empö­rungs­ri­tuale wie jetzt bei Lindner haben die Funktion, Men­schen zu ver­un­si­chern: Jeder Bürger soll ver­stehen: Bei bestimmten Themen muss „man vor­sichtig sein“, muss man höl­lisch auf­passen, um nicht „miss­ver­standen“ zu werden. Das gilt für alle Themen im Zusam­menhang mit Zuwan­derung, aber auch, wenn es um andere Min­der­heiten oder um Frauen geht. Schon harmlose Äuße­rungen haben damit das Potenzial, hys­te­ri­siert zu werden. Bestimmte Dinge „darf man sagen“, andere darf man auch sagen – aber nur dann, wenn man Lust hat, sich öffentlich als Rassist, Frau­en­feind, isla­mophob usw. dif­fa­mieren zu lassen.
Jeder Poli­tiker, jeder Jour­nalist und jeder Bürger soll wissen: Bei Themen, die von den Tugend­wächtern der Sprach­po­lizei für „sen­sibel“ erklärt wurden, ist es ratsam, den Mund zu halten, weil man sich leicht den Mund ver­brennen kann. Und wenn man sich äußert, dann sollte man tun­lichst vorher jedes Wort auf die Gold­waage legen und darüber reflek­tieren, wie einem ein bös­wil­liger Mensch, der den Vorsatz hat, die Äußerung miss­zu­ver­stehen, die Worte im Mund her­um­drehen könnte.
Poli­tiker und Jour­na­listen haben darin eine gewisse Routine ent­wi­ckelt – daher die vielen inhalts­leeren Phrasen, der unver­dächtige Wort­schaum, der den Abstand zwi­schen Bürgern und der Politik immer mehr ver­größert. Der Beruf von Poli­tikern und Jour­na­listen ist es, mit Sprache umzu­gehen (manchmal können sie sonst auch nichts). Der durch­schnitt­liche Bürger, der sprachlich nicht ent­spre­chend geschult ist, muss sich hilflos fühlen, weil er die Kunst, vor einer Äußerung alle Mög­lich­keiten des bewussten Miss­ver­stehens gedanklich durch­zu­spielen, nicht beherrscht. Also schweigt er lieber. Und genau das ist es, was die poli­tisch Kor­rekten wollen, die eigentlich den „herr­schafts­freien Diskurs“ (Jürgen Habermas) zum Maßstab dafür gemacht haben, wie frei und „eman­zi­piert“ eine Gesell­schaft sei.
 


Dr. Rainer Zitelmann für TheEuropean.de