Reaktor mit Brennstäben - Von Pieckd - Pieck Darío, CC BY-SA 3.0, Link

Brenn­stäbe unterm Bett

Die Atom­kraft macht vielen Angst, dabei geht nüchtern betrachtet von ihr wenig Gefahr aus. Und Thorium-Flüs­sig­s­alz­re­ak­toren haben großes Potential.
(Von Mathias Krauss)
Als Lilli drei Jahre alt war, bat sie mich jeden Abend, nach­zu­sehen, ob unter ihrem Bett auch wirklich kein Kro­kodil sitzt. Was wir nicht sehen können, ist halt immer am unheim­lichsten, besonders, wenn wir uns sicher sind, dass „es“ da ist. Alle Kinder durch­laufen eine Phase magi­schen Denkens. Sie meinen dann zum Bei­spiel, dass ihr Denken oder Tun Ein­fluss auf unzu­sam­men­hän­gende Ereig­nisse hat. Erwachsene sind auch nicht frei davon. Manche stecken Nadeln in Puppen, um den in Wolle nach­emp­fun­denen Unglückswurm nach Voodoo-Art zu ver­wün­schen, andere kon­zen­trieren sich auf Löffel und Gabeln, um sie zur Unbrauch­barkeit zu ver­biegen und auf­ge­schlossene Innen­ar­chi­tekten stimmen die Geister der Luft und des Wassers mit Hilfe von Feng Shui gewogen.
Magie gibt es auch als reli­giöse Wunder-Edition: Jesus hatte sei­nerzeit Wasser in Wein ver­wandelt, während Mohammed bekanntlich auf seinem geflü­gelten Pferd Buraq gen Himmel geflogen ist. Auch der Alltag von uns auf­ge­klärten Welt­bürgern ist nicht frei von Magie. Aller­orten lauert die unsichtbare Gefahr. Mir zum Bei­spiel ist unser Mikro­wel­lenofen nicht geheuer. Andere fürchten sich vor Han­dy­strahlen. Und dann ist da noch der eine Zauber, der uns alle bange macht [Sound­effekt: „Psycho“-Geigen unter der Dusche]: das Atom!

Magie und Strahlung

Man kann es nicht sehen, hören, tasten, schmecken oder riechen, es ist sinnlich schlichtweg nicht zu erfassen. Der bri­tische Science-Fiction-Autor Arthur C. Clarke for­mu­lierte drei Gesetze, von denen das letzte lautet: „Jede hin­rei­chend fort­schritt­liche Tech­no­logie ist von Magie nicht zu unter­scheiden.“ Weil sie sich unseren Sinnen ent­zieht, ist die Atom­energie ein solches Hexenwerk. Kein Wunder, dass sie uns genauso ängstigt wie die kleine Lilli ihr Kro­kodil unter dem Bett.

„Die lachende Atom­kraft-Nein-Danke-Sonne auf dem VW-Bus erfüllt einen ähn­lichen Zweck wie der Knob­lauch gegen Vampire.“

1917 teilte Ernest Rutherford in Man­chester das „Atom“ (alt­grie­chisch für unteilbar) zum ersten Mal. Fortan legte es eine steile Kariere hin und nach 28 Jahren war aus einem obskuren Winzling die denkbar schreck­lichste Waffe geworden. Nach dem Schock von Hiro­shima und Nagasaki rückte die zivile Nutzung der Irr­sinns-Energie in den Vor­der­grund. In der Euphorie der Nach­kriegs­jahre fand die Zau­ber­technik zunächst einmal Bewun­derer. 1946 wurde gar ein neu­ar­tiges, zwei­tei­liges Bade­kostüm nach jenem Atoll benannt, in dem ver­suchs­weise Atom­bomben gezündet wurden (Slogan: „Der Bikini, die erste an-ato­mische Bombe“).
Landauf, landab wurden fortan Kern­kraft­werke gebaut und lie­ferten Unmengen an Strom. Dass sie dabei kein CO2 oder sonstige Abgase frei­setzen, spielte in den Sech­zigern noch keine Rolle, umso mehr jedoch, dass sie aus natür­lichem Uran waf­fen­fä­higes Plu­tonium erbrü­teten. Im Kalten Krieg war das nicht nur ein schöner Zusatz­nutzen, sondern der Kern des Pudels. Ein wei­ter­ent­wi­ckelter Reak­tortyp, der Thorium-Flüs­sig­s­alz­re­aktor, wurde deshalb schnell wieder ein­ge­mottet. Er war zwar in meh­rerlei Hin­sicht sicherer, aber leider nicht geeignet zur Her­stellung von Bom­ben­roh­stoff. In den 1980er-Jahren hat dann Deutschland die Idee wei­ter­ent­wi­ckelt. In Hamm-Uentrop stand ein Thorium-Test­re­aktor mit sil­bernem Designer-Kühlturm. Nach Tscher­nobyl wurde er gleich wieder still­gelegt. Wir hätten Vor­reiter sein können.
Es kam anders, weil in unseren Köpfen hän­gen­ge­blieben ist, dass alles, was „Atom“ im Namen trägt, nicht nur der Gesundheit abträglich ist, sondern grund­sätzlich finstere Ziele ver­folgt. Atom­energie, Atommüll, Atom­waffen – alles eine Soße. Kein Wunder, dass die ganze Begriffswelt unwi­der­ruflich ver­strahlt ist: Reaktor, Störfall, Kern­spaltung, Wie­der­auf­be­reitung, Schneller Brüter – bei der bloßen Erwähnung solcher Unworte schüttelt’s einen. Dazu kommen die Bilder: Das gelb-schwarze Strah­lungs­warn­dreieck, die beton­grauen Rie­sen­kühl­türme, die hoch­ge­rüstete Staats­macht. Im Ange­sicht dieser magi­schen Super­power geht es nicht mehr um bloßes Für und Wider, sondern um Leben und Tod. Die lachende Atom­kraft-Nein-Danke-Sonne auf dem VW-Bus erfüllt einen ähn­lichen Zweck wie der Knob­lauch gegen Vampire (neben dem Virtue Signalling).

„Die Cas­toren ent­halten nutzbare Energie für hun­derte von Jahren.“

Flucht- und Angriffs­re­flexe in poten­zi­ellen Gefah­ren­si­tua­tionen sind uns allen mit­ge­gebene Über­le­bens­me­cha­nismen. Ob das jeweilige Angst­sze­nario durch Erfahrung begründet ist, ein Produkt unserer magi­schen Intui­tionen ist oder einfach nur durch viel­fachen Vortrag aus­ge­formt wurde, spielt in Demo­kratien keine Rolle. Jede Stimme zählt und die Politik hat das zu berück­sich­tigen. Über­haupt, vage Bauch­ge­fühle bilden die Zukunft im Zweifel nicht schlechter ab als hand­ver­lesene Sta­tis­tiken und wir alle haben noch klar vor Augen, wie ein Atompilz aus­sieht und was er anrichtet. Im Übrigen hat die angeblich so sichere Reak­tor­technik nicht nur einmal versagt. Doch wie schlimm war’s wirklich? Und gilt das immer noch für die zivil genutzte Kern­energie der nächsten Generation?

Thorium-Flüs­sig­s­alz­re­aktor

Jede Technik, die irgend­etwas bewirkt, kommt mit Neben­wir­kungen. Die rege­ne­ra­tiven Energien sind da keine Aus­nahme. Anders als zum Bei­spiel Wind­räder, ein Konzept aus dem 14. Jahr­hundert, ist Kern­kraft eine junge Technik mit viel Spielraum zur Opti­mierung. Und wer hätte es gedacht, unbe­merkt von uns ger­ma­ni­schen Umwelt­freunden tut sich hier gerade wieder eine ganze Menge. Zumindest in den Indus­trie­staaten gibt es kein Interesse mehr an wei­terem Plu­tonium. Im Gegenteil, das Zeug muss weg, am besten gleich zusammen mit dem rest­lichen Atommüll. Und so wenden sich alle Augen jetzt wieder dem Thorium-Flüs­sig­s­alz­re­aktor zu, denn der vereint geradezu magisch viele Eigen­schaften der guten Sorte:

  • GAUs, also Kern­schmelzen ver­bunden mit aus­tre­tender radio­ak­tiver Strahlung, sind kon­struk­ti­ons­be­dingt unmöglich.
  • Der Brenn­stoff wird bis zu 99 Prozent genutzt, es bleibt kaum Restmüll übrig. Bisher lag die Ener­gie­aus­nutzung unter 5 Prozent. Carlo Rubbia, Nobel­preis­träger in Physik, sagt, mit einem Kilo Thorium können wir so viel Energie pro­du­zieren wie mit 200 Kilo Uran.
  • Es ent­stehen rund tau­sendmal weniger radio­aktive Abfälle als bei den üblichen Leicht­was­ser­re­ak­toren. Fünf Sechstel davon sind schon nach 10 Jahren stabil, der Rest nach 300 Jahren.
  • Unsere radio­ak­tiven Müll­berge ein­schließlich Plu­tonium können Stück für Stück mit­ver­brannt werden, statt hun­dert­tau­sende Jahre im End­lager zu ver­rotten. Die Cas­toren ent­halten nutzbare Energie für hun­derte von Jahren.
  • Es ist nicht möglich, im Betrieb Uran oder Plu­tonium für den Bau von Atom­bomben abzuzweigen.
  • Thorium ist güns­tiger und kommt viermal häu­figer vor als Uran. Thorium-Strom ist kos­ten­güns­tiger als der bil­ligste Strom aus Kohlekraftwerken.
  • Flüs­sig­s­alz­kraft­werke können sehr viel kleiner gebaut werden als her­kömm­liche KKWs. Sie sind in Modul­bau­weise in Serie her­zu­stellen und dezentral einsetzbar.
  • Es ist denkbar, die Reak­toren unter­ir­disch zu bauen. Das erschwert Terroranschläge.
  • Sie sind schnell an- und abschaltbar und können so die sys­tem­be­dingte Sprung­haf­tigkeit erneu­er­barer Ener­gie­quellen perfekt ausgleichen.
  • Wie alle anderen Kern­kraft­werk­typen stoßen auch Flüs­sig­s­alz­re­ak­toren kein CO2 aus.

Die ersten neuen Thorium-Flüs­sig­s­alz­re­ak­toren laufen gerade an, der Betrieb in großem Maßstab ist aller­dings noch Jahre ent­fernt. Wenn wir am Ball bleiben, lösen wir mit ihrer Hilfe eine ganze Reihe der Pro­bleme im Zusam­menhang mit unserem Ener­gie­bedarf und der alten Kern­energie. Das sehen weltweit auch immer mehr Umwelt­ex­perten so. Deutsche Ökos, die starr­sin­nigsten aller Pes­si­misten, erkennen darin nichts weiter als böse Gau­kelei der „inter­na­tio­nalen Atom­lobby“. (Wenn es darum geht, den armen Mit­bürgern zum Zweck der Pro­fit­ma­xi­mierung Schaden zuzu­fügen, werden leider selbst die reak­tio­närsten Indus­tri­ellen grund­sätzlich zu Internationalisten.)

„Erneu­erbare Energien liefern bei Weitem nicht die benö­tigten Strom­mengen, grund­last­tauglich sind sie ohnehin nicht.“

Auf unserer Wohl­stands­insel haben wir nicht im Blick, was die Ent­wick­lungs­länder wirklich brauchen. Wir hier in der schönen ersten Welt haben zwar hohe Ener­gie­preise, aber alles in allem gut lachen. Für drei Mil­li­arden Men­schen in der dritten Welt hin­gegen ist das größte Problem ein feh­lendes Stromnetz. Keine ver­läss­liche Ener­gie­ver­sorgung zu haben, heißt, dass nichts von dem, was wir als selbst­ver­ständlich vor­aus­setzen, funk­tio­niert. Gekühlte Medi­ka­mente im Land­kran­kenhaus? Nur, wenn das Licht aus­bleibt, denn Strom für beides gibt die eine Solar­zelle auf dem Dach nicht her. Nachts wird es erst recht schwierig. Der Weg aus der Armut ist ein grund­last­fä­higes Stromnetz für eigene Indus­trien und Infra­struk­turen. Für uns ist Strom eine Selbst­ver­ständ­lichkeit, in Afrika brächte er mit dem dadurch wach­senden Wohl­stand Nahrung, Gesundheit und Frieden. Kohle- und Gas­kraft­werke und Sprit schlu­ckende Autos soll Afrika nicht haben dürfen, weil der Welt­kli­marat das CO2 fürchtet. Erneu­erbare Energien liefern bei Weitem nicht die benö­tigten Strom­mengen, grund­last­tauglich sind sie ohnehin nicht. Da bleibt nur eine Technik übrig – die gute alte Kern­kraft, die aber weltweit abnimmt. Doch wie ist das mit den Risiken der Nukle­ar­technik? Thorium hin oder her, was ist bisher geschehen? Hier kommen Daten:

  • Ist jede kleine Strah­len­dosis schädlich?

Gemäß der „Linear No Threshold“-Hypothese (LNT) steigt das Krebs­risiko mit jeder jemals erhal­tenen Dosis linear an. „Je weniger Strahlung, desto besser“ ist die übliche Sprach­re­gelung, auf der die Risi­ko­hoch­rech­nungen beruhen. Manche Institute sind anderer Ansicht, nämlich, dass der Körper mit geringer Strahlung gut klar­kommt und dass sich die Wirkung von Strahlung nicht lebens­länglich im Körper kumuliert.

  • Wie hoch ist die Strah­len­be­lastung, wenn man eine Banane isst?

0,001 Mil­li­sievert.

  • Wie hoch ist die Höchst­dosis der Bevöl­kerung Deutsch­lands durch lau­fende Kernkraftwerke?

Zehn Bananen – 0,01 Mil­li­sievert pro Jahr – bei groß­zü­giger Berechnung. Tat­sächlich ist es meist weniger. Ein Flug nach Japan liegt zehnfach höher, eine Com­pu­ter­to­mo­grafie hundert- bis dreihundertfach.

  • Wie hoch war die durch­schnitt­liche Strah­len­be­lastung innerhalb eines 16-km-Radius bei der Three-Mile-Island-Kern­schmelze (bei Har­risburg, 1979)?

80 Bananen oder 0,08 Millisievert.

  • Gibt es eine natür­liche Strahlung auf der Erde?

Die durch­schnitt­liche Jah­res­dosis durch Hin­ter­grund­strahlung beträgt 2,4 mSv (Mil­li­sievert), das 240-Fache der maxi­malen Belastung durch KKWs in Deutschland. Hier­zu­lande liegt sie im Schnitt bei 2,1 mSV, man­cherortsvielfach höher. Die Stadt Ramsar im Iran bestrahlt ihre Bewohner an jedem ein­zelnen Tag mit dem Äqui­valent von zwölf Rönt­gen­bildern, ohne dass dort die Sterb­lichkeit ansteigt, ganz im Gegenteil, die Leute werden bei guter Gesundheit uralt.

  • Ist eine geringe Menge an Radio­ak­ti­vität womöglich sogar gesund?

Es wäre unmo­ra­lisch, das zu testen, indem man Men­schen im Groß­versuch bestrahlt. Doch genau das ist in Taiwan pas­siert. Was war da los in Taipeh? Um 1982 herum wurde ver­se­hentlich ein Con­tainer mit strah­lendem Kobalt-60 zusammen mit regu­lären Stahl­resten ver­schmolzen und zu Stahl­trägern ver­ar­beitet. Diese wurden in 180 Neu­bauten ein­ge­setzt. Etwa zehn­tausend Men­schen zogen für 9 bis 20 Jahre ein. Erst 1992 begann man, die harte Gam­ma­strahlung der Häuser zu bemerken. 2003 betrug die kumu­lierte Kobalt-Strah­len­dosis der Bewohner 600 mSv, bei manchen bis zu 4000 mSv, das ist 1600 Mal höher als die durch­schnitt­liche Hin­ter­grund­strahlung der Erde.

„Studien zeigen, dass geringe und mittlere Dosen von Strahlung gesund­heits­för­dernd sein könnten.“

In diesen 20 Jahren hätte man sta­tis­tisch 232 Krebstote durch natür­liche Ursachen, also ohne das Kobalt-60 in der Wand, erwarten können. Gemäß den LNT-Daten­mo­dellen müssten weitere 70 durch die erhöhte Strahlung hin­zu­kommen, zusammen 302. Tat­sächlich starben aber nur sieben Men­schen an Krebs. Die Bewohner dieser kon­ta­mi­nierten Gebäude hatten ein um bei­spiellose 97 Prozent gemin­dertes Krebs­risiko. Zufall? Oder eine Neben­wirkung der Kobalt-60-Radio­ak­ti­vität? Ohne die ein­ge­baute Strah­lungs­quelle wären 46 Neu­ge­borene mit einer Form von gene­ti­scher Miss­bildung wie Down-Syndrom oder Kin­der­lähmung zu erwarten gewesen. Doch es kamen nur drei solche Babys zur Welt (alle drei mit Herz­fehlern, die später ver­heilten), das ist eine Ver­rin­gerung von Gen­de­fekten bei Neu­ge­bo­renen um 93 Prozent. Die Bewohner waren im Schnitt jünger als die Gesamt­be­völ­kerung, das erklärt einen Teil der gerin­geren Krebs­häu­figkeit. Spätere Unter­su­chungen konnten auch noch weitere Stör­ein­flüsse berück­sich­tigen, etwa die lange Zeit­spanne von der Ent­stehung einer Krebs­krankheit bis zur Dia­gnose und die vari­ie­rende Wirkung der Kobalt­strahlung auf unter­schied­liches Gewebe. Übrig bleibt eine um 40 Prozent nied­rigere Krebsrate. All dies deutet auf eine positive Wirkung von Strahlung in geringer und mitt­lerer Höhe hin, man nennt das Hor­mesis.

  • Was ist Hormesis?

Seit Jahr­mil­lionen sind Lebe­wesen radio­ak­tiver Strahlung aus­ge­setzt, in der Frühzeit stärker als heute. Durch Adaption ent­standen Mecha­nismen, die mole­kulare Strah­lungs­schäden umgehend repa­rieren – und zwar so über­ef­fi­zient, dass nicht nur akute, sondern auch bereits vor­handene Zell­schäden gleich mit repa­riert werden. Studien zeigen, dass geringe und mittlere Dosen von Strahlung (aber auch anderer Stress­fak­toren wie Gifte), durch diesen Trai­nings­effekt gesund­heits­för­dernd sein könnten – selbst noch in einer Höhe, die der maximal erlaubten Dosis für Kern­kraft­werks­ar­beiter ent­spricht. In Gegenden mit höherer Hin­ter­grund­strahlung gibt es weniger Krebs­fälle. Bri­ti­schen Radio­logen wurde eine über­durch­schnitt­liche Lebens­er­wartung attes­tiert. In ame­ri­ka­ni­schen Bun­des­staaten, in denen Atom­tests statt­fanden, ist die Lun­gen­krebsrate deutlich nied­riger als in den anderen.

  • Löst Strahlung Gen­mu­ta­tionen aus, die wei­ter­vererbt werden?

Ioni­sie­rende Strahlung kann zu Muta­tionen im Zellkern führen. Dass es in der Folge zu Gen­de­fekten bei den Nach­kommen kommt, ist aber offenbar höchst selten. Die Radiation Effects Research Foun­dation, eine japa­nisch-ame­ri­ka­nische Orga­ni­sation, die seit Ende der 1940er-Jahre gesund­heit­liche, gene­tische und umwelt­be­zogene Lang­zeit­ef­fekte der radio­ak­tiven Strahlung der Atom­bom­ben­opfer von Hiro­shima und Nagasaki unter­sucht, findet keinen Anstieg von Gen­de­fekten bei den Kindern der Betrof­fenen, selbst wenn ihre Eltern extrem hohen Dosen aus­ge­setzt waren.

  • Wie viele Men­schen hat die zivile Nukle­ar­technik bisher ins­gesamt auf dem Gewissen?

Unum­stritten sind ins­gesamt und weltweit 209 Tote seit 1945. Bei einem Unfall in Kyshtym 1957 schwanken die Schät­zungen zwi­schen 49 und 8015 Toten als Spät­folgen. Damit kol­li­dieren sie jedoch mit der bis zu 39 Prozent nied­ri­geren Krebsrate gegenüber einer nicht kon­ta­mi­nierten Ver­gleichs­gruppe aus der Gegend.

  • Und Tscher­nobyl?

Neben den 45 Mit­ar­beitern, die bereits oben ein­ge­rechnet sind, kur­sieren unter­schied­liche Schät­zungen zu den Lang­zeit­folgen von Tscher­nobyl, gemäß UN sind bislang 58 weitere Strah­len­opfer zu beklagen. Die Spät­folgen beziffert die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sation auf bis zu weitere 4000 Krebstote. Green­peace behauptet, es werden 200.000 oder mehr werden. Das Inter­na­tional Journal of Cancer wie­derum schreibt in einer Studie, es sei unwahr­scheinlich, dass die Folgen des bislang größten Strah­lungs­un­falls in den Krebs­sta­tis­tiken Europas über­haupt erkennbar werden und auch bislang gebe es in Europa keinen daraus resul­tie­renden Anstieg.

  • Fuku­shima?

Null Tote durch den (größten anzu­neh­menden) Reak­tor­unfall. Was 18.000 Men­schen­leben kostete, war eines der schwersten jemals gemes­senen Erd­beben und der dar­auf­fol­gende Tsunami, nicht aber die drei­fache Kern­schmelze. Gemäß UN-Report waren die Arbeiter im hava­rierten Kern­kraftwerk im Schnitt nur 140 mSv aus­ge­setzt, daher besteht für sie kein erhöhtes Krebs­risiko. Ein zwei­wö­chiger Auf­enthalt innerhalb der Sperrzone bedeutete typi­scher­weise 1 mSv, das ist wenig (vgl. Taipeh). Für die Bevöl­kerung war das größere Gesund­heits­risiko die Über­re­aktion der Behörden, aus­nahmslos alle zu evakuieren.

  • Welche Ener­gie­quelle ist die tödlichste?

Kohle. Wenn man mal CO2 außen vor lässt, liegt die Sterb­lichkeit im welt­weiten Schnitt bei 100.000 pro Bil­liarde Kilo­watt­stunden. Öl: 36.000, Bio­masse: 24.000, Solar­zellen: 440, Wind­räder: 150 (Vögel nicht mit­ge­zählt). Kern­kraft schneidet mit weitem Abstand am besten ab: 90.

„Was außerhalb unseres Ein­flusses liegt, macht uns panisch.“

Um all dem Geraune von Muta­tionen, Strahlung und Toten noch zwei weitere Kenn­ziffern hin­zu­zu­fügen: Jährlich sterben 3.000.000 Men­schen durch Luft­ver­schmutzung und weitere 4.300.000, weil sie mangels Strom in ihren vier Wänden Holz und Dung (in den welt­weiten Sta­tis­tiken sub­su­miert unter „Erneu­erbare Energien“) zum Kochen und Heizen ver­brennen. Das bekommen wir nur nicht so mit.
Was wir mit­be­kommen und was wir uns merken, ist das Spek­ta­kuläre, das Visuelle und das, worüber die Medien berichten und unsere Freunde reden: Schwei­negrippe, kal­bende Eis­berge, Flug­zeug­ab­stürze. Und natürlich Hiro­shima, Fuku­shima, Tscher­nobyl. Zer­störung läuft plötzlich ab, Aufbau nur langsam. Langsam hat keinen Nach­rich­tenwert, deshalb besteht die mediale Ausgabe der Welt zu großen Teilen aus Kurs­ein­brüchen, Super­stürmen und Unfällen aller Art. Dazu kommt, dass wir Risiken, die wir nicht selbst beein­flussen können, maßlos über­schätzen. Haus­ge­machte Gefahren hin­gegen ereilen gefühlt immer nur die anderen, zum Bei­spiel der ganz gewöhn­liche Tabak­genuss, welcher für Raucher das mit Abstand größte Lebens­risiko dar­stellt. Was wir ver­meintlich selbst kon­trol­lieren könnten, lässt uns kalt (gähn, Rei­se­verkehr …). Was außerhalb unseres Ein­flusses liegt, macht uns panisch (OMG, Turbulenzen!).
Als kleiner Junge konnte ich eine Weile lang nicht ein­schlafen. Ich war über­zeugt, die RAF würde mich holen kommen. Sie kam nicht. Und was das Atom betrifft: Viel­leicht wäre es mal an der Zeit, nach­zu­sehen, ob da wirklich ein Kro­kodil unter dem Bett lauert.
 


Der Beitrag erschien zuerst bei NOVO Argu­mente resp. EIKE — Euro­päi­sches Institut für Klima & Energie