Saudi-Ara­biens neuer, gemä­ßigter Islam: Todes­strafe für Frau­en­recht­le­rinnen & das schmutzige Spiel um Macht

Der „Westen“ berichtet freundlich über den Kron­prinzen Mohammed bin Salman. Er insze­niert sich als welt­of­fener und tole­ranter, moderner Muslim, der sogar ein Ver­fechter der Gleich­be­rech­tigung sei. Bei einem Besuch in den USA gab er öffentlich ein Bekenntnis ab, dass Männer und Frauen die gleichen Rechte haben sollten in Saudi-Arabien. Die West­presse geriet in Ver­zü­ckung und feierte die neuen Rechte der sau­di­schen Frauen. Ins Fuß­ball­stadion dürfen sie! Auto­fahren dürfen sie! Die erste Emp­fän­gerin eines Füh­rer­scheins, Rima Judat, erhielt Glück­wünsche der Behörde: „Tau­sende Glück­wünsche den Töchtern unseres Landes!“. Ein Video auf Twitter zeigte dazu die Übergabe der Fahr­erlaubnis. Bis dahin war Saudi-Arabien das einzige Land der Welt, in dem Frauen nicht fahren durften.
Am 24. Juni fiel das Fahr­verbot für Frauen, nicht zuletzt das Ver­dienst mutiger Frau­en­recht­le­rinnen in dem Scheichtum. Die bekann­testen von ihnen können nicht in Saudi-Arabien Auto fahren, weil sie ver­haftet wurden.

foto: ap/saudi infor­mation ministry

 
Eine davon ist Loujain al-Hathloul. Eine sehr hübsche, junge Frau mit wachen Augen und einem frechen, leicht ange­zausten Pagen-Haar­schnitt. Sie ist nicht einmal 30 Jahre alt und wurde Mitte Mai ver­haftet, wie vier weitere Frauen und zwei Männer. Die Behörden haben inzwi­schen vier der älteren weib­lichen Gefan­genen frei­ge­lassen. Auf Twitter kam die Infor­mation, Loujain al-Hathloul, Tochter eines Mari­ne­of­fi­ziers aus gutem Hause, habe in den Ver­ei­nigten Ara­bi­schen Emi­raten stu­diert, sei dort ver­haftet worden und nach Saudi-Arabien gebracht. Ihr und den anderen sechs fest­ge­nom­menen Kämpfern für Frau­en­rechte wird nun vor­ge­worfen, Mit­glieder einer „Spio­na­ge­zelle“ zu sein, berichtete die Tages­zeitung Al-Shark al-Awsat unter Berufung auf Ver­treter der Staats­si­cherheit. Sie hätten Men­schen­rechte als Vorwand benutzt, um das Herr­schafts­system zu unterlaufen.
Die Fotos der sieben „Ter­ro­risten“ erschienen in den Medien das Landes mit einem Stempel, der an den „Wanted“-Stempel auf den Kopf­geld­pla­katen im Wilden Westen erinnert: „Ver­räter“ knallt die rote, ara­bische Schrift über den Köpfen. Die Akti­visten werden des Hoch­verrats bezichtigt und es sind nicht nur diese sieben. Pro­fes­so­rinnen, Lehrer, Schrift­steller … Männer und Frauen gelten jetzt als Schwerst­ver­brecher und Hoch­ver­räter, die Familien werden unter Druck gesetzt. Sollten die Fest­ge­nom­menen wegen Spionage ange­klagt werden, steht darauf die Todesstrafe.
Die Web­seite „mena-watch – Der unab­hängige Nahost-Thinktank“ schreibt hierzu:
„Bald nach den Fest­nahmen tweetete eine regie­rungsnahe Nach­rich­ten­web­seite das Bild eines Posters mit der Über­schrift: ‚Unter uns gibt es keinen Platz für Ver­räter‘. Es folgte die Erklärung, dass die Fest­ge­nom­menen sich mit aus­län­di­schen Insti­tu­tionen ver­schworen hätten, um den Glauben und die Religion Saudi-Ara­biens zu unter­graben und öffent­lichen Dissens zu schüren. Auf die Gesichter der Fest­ge­nommen war in Rot das Wort ‚Ver­räter‘ gestempelt worden. Mehrere Zei­tungen wie­der­holten die Anschul­di­gungen und ver­öf­fent­lichten ähn­liche Abbil­dungen. Doch keine von ihnen bot Ein­zel­heiten oder Beweise. ( … ) Mohammed bin Salman ver­folgt mit den Fest­nahmen andere Ziele. Er will seinem Volk offenbar einen neuen Antrieb ein­flößen, ein natio­nales Zuge­hö­rig­keits­gefühl, das nicht mehr von reli­giöser Ideo­logie, sondern vom Natio­na­lismus ange­trieben wird. Der Kriegs­einsatz der Saudis im Jemen und die diplo­ma­tische Kon­fron­tation mit Katar haben zum Anschwellen des patrio­ti­schen Stolzes bei­getragen. (Das Eröffnen von Kinos und die Erlaubnis, Kon­zerte abzu­halten, kann das jeden­falls nicht leisten.) Der­ar­tiger Natio­na­lismus gedeiht, wenn es einen – realen oder ver­meint­lichen – äußeren Feind gibt. ( … ) Unab­hängig von den Beweisen und unab­hängig davon, wer der angeb­liche Feind sein soll, haben die Fest­nahmen für Mohammed bin Salman ihren Zweck erfüllt. Die Kri­tiker und Akti­visten sind ver­stummt und die patrio­ti­schen Massen sind mobi­li­siert worden.“
 

 
Dabei waren die Akti­visten eigentlich – aus der Außen­sicht des Westens – ganz auf der Linie des welt­of­fenen Kron­prinzen, der das schwer­reiche, aber gesell­schaftlich tri­ba­lis­tisch- isla­mis­tische Land nach vorn, in die Neuzeit kata­pul­tieren will. Warum kon­ter­ka­riert der doch vom Westen als „moderat“ apo­stro­phierte, junge Herr­scher sein eigenes Image? Ist die ganze modern-moderate Agenda nichts als Lug und Trug?
Der Ein­schätzung der Frau­en­rechtler nach geht es eher um Kon­trolle. Die Akti­visten und Akti­vis­tinnen sind bekannt. Sie können Dinge bewegen. Allein Loujain al-Hathloul hat auf Twitter 315.000 Fol­lower. Sie ist eine der ein­fluss­reichsten Akti­vis­tinnen. Sie war schon zweimal in Haft, doch nun droht ihr der Tod. Eine andere Akti­vistin, die nicht genannt werden will sagte dem Spiegel über Mohammed bin Salman: „Er will die absolute Kon­trolle, und er will die absolute Dank­barkeit … Wir sollen die Reformen laut feiern und dem Kron­prinzen danken.“
Eine Anklage wurde bisher noch nicht gegen die Inhaf­tierten erhoben, zumindest nicht offi­ziell. Der Vorwurf des Hoch­ver­rates wurde von der natio­nalen Staats­si­cher­heits­be­hörde erhoben, die direkt dem König unter­stellt ist. Die Beschul­digten hätten staats­zer­set­zendes Ver­halten begangen und mit „aus­län­di­schen Enti­täten“ Kontakt gehabt. Damit ist gemeint, dass die sau­di­schen Frau­en­recht­le­rinnen gern gesehene Gesprächs­partner in west­lichen Medien sind, sie kommen meist aus gebil­deten Kreisen und haben Kon­takte zu Diplo­maten und aus­län­di­schen Poli­tikern. Sie sind gut ver­netzt mit Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tionen und auch den üblichen NGOs. Im Gegenzug haben solche NGOs damit auch Anliegen und Per­sonen, mit denen sie inter­na­tional punkten können und damit eine aus­weislich gerechte Sache, die ihnen viel Sym­pathie und Geld ein­bringt. Genau diese Orga­ni­sa­tionen schä­digen aus Sicht Mohammeds bin Salmans aber auch den Ruf und die gesell­schaft­liche Sta­bi­lität Saudi Ara­biens mit nega­tiven Schlag­zeilen, wie es die Plattform „change.org“ in seiner drin­genden Petition für Loujain al-Hathloul so schön schreibt.
Es sind genau solche Orga­ni­sa­tionen wie diese, die in den Augen eines Mohammed bin Salman eine echte Gefahr für sein König­reich sind. Change.org hat 145 Mil­lionen Nutzer in 196 Ländern und sammelt von allen die Daten. Die Inves­toren von change.org sind Twitter-Mit­gründer Evan Wil­liams, der Lin­kedin-Chef Jeff Weiner, der Ebay-Gründer Pierre Omidyar und Bill Gates von Microsoft und alle sind gute Freunde von George Soros. Diese Plattform hat enormen Ein­fluss und rekru­tiert blitz­schnell inter­na­tionale Kam­pagnen und Pro­teste, die die viel­zi­tierte „Zivil­ge­sell­schaften“ in Bewegung und Regie­rungen zu Fall bringen.
Offen­sichtlich werden die Frau­en­recht­le­rinnen mit ihren guten Ver­bin­dungen zu solchen Orga­ni­sa­tionen zur Gefahr für die Ölmon­archie Saudi-Arabien. Die Kam­pagnen der Frauen haben auch viele Männer über­zeugt. Das ganze Land fing plötzlich an, über die Themen Gleich­be­rech­tigung, den Islam, die Vor­schriften des Koran, die Abschaffung der männ­lichen Vor­mund­schaft für Frauen – und damit über das Fun­dament der sau­di­schen Gesell­schafts­ordnung zu diskutieren.
Das kann der junge Herr­scher Saudi-Ara­biens über­haupt nicht brauchen. Für Saudi-Arabien wird es in den nächsten Jahren kom­pli­ziert werden. Das Gefüge der Macht im Nahen Osten zeigt Risse. Russland hat sich als ver­trau­ens­würdige Macht dort eta­bliert. Der Syri­en­krieg läuft nicht so, wie es der bis­herige Platz­bully USA sich vor­ge­stellt hat. Tod­feind Iran und Assad erweisen sich als eine härtere Nuss, als gedacht. Der bis­herige Ver­bündete USA macht keine so gute Figur und was von Trump zu erwarten ist, das weiß niemand so recht. Es gilt, Saudi Arabien neu zu posi­tio­nieren und auf dem Schach­brett “Naher Osten” hand­lungs­fähig und stark zu machen. Die Abhän­gigkeit vom Ölexport muss gesenkt werden, die Wehr­fä­higkeit erhöht und der innere Zusam­menhalt gefestigt werden.
„Mit seiner Reform­agenda “Vision 2030” will er die Wirt­schaft umkrempeln, aus ihrer Ölab­hän­gigkeit befreien und neue Arbeits­plätze schaffen — dafür braucht es Inves­ti­tionen und Know-how, vor allem aus dem Westen“, schreibt der Spiegel. Das ist nur fol­ge­richtig, denn die bereits lau­fenden (Jemen) und wahr­scheinlich auch zukünf­tigen Kriege in der Region lassen sich nur mit Ver­bün­deten und aus­rei­chend Waffen gewinnen.
Die bekannt guten Bezie­hungen zwi­schen dem Königshaus Saud und den US-Prä­si­den­ten­fa­milien Bush und Clinton sind dabei sehr hilfreich.