#EheFuerAlle in Öster­reich: Von Richtern und Komödianten

Früher schufen die demo­kra­tisch gewählten Poli­tiker die Gesetze und die Richter ver­wen­deten diese Gesetze für ihre wichtige Arbeit. Heute ist es anders: Richter, die niemals vom Volk gewählt wurden, machen die Gesetze und die gewählten Poli­tiker, die sich noch immer “Volks­ver­treter” nennen, setzen sie brav um. Anschau­liche Bei­spiele gibt es genug. Die #EheFuerAlle und ihre auf einem Rich­ter­spruch basie­rende Ein­führung ab 2019 ist vorerst der letzte Akt, in dem öster­rei­chische Richter grund­le­gendes Recht sprachen, aus dem dann Politik wurde. Genauer gesagt sind es die Ver­fas­sungs­richter, die heute die Kern­fragen der Politik und da vor allem jene der Gesell­schafts- und Grund­satz­po­litik entscheiden.
Auch beim Nachbarn
In Deutschland ist es ähnlich, wenn nicht sogar schlimmer: Die Ver­fas­sungs­richter in Karlsruhe tauchen immer öfter in den poli­ti­schen und medialen Debatten auf und geben dort ihre Mei­nungen zu den bren­nenden Fragen der deut­schen und euro­päi­schen Politik ab. Der zukünftige Prä­sident des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts­hofes, Stephan Har­barth, sprach sich dieser Tage klar für den Migra­ti­onspakt aus und bezeichnete alle, die gegen den Pakt sind, implizit als Rechts­po­pu­listen. Im Sommer kri­ti­sierte der jetzige Prä­sident Andreas Voß­kuhle etliche CSU-Poli­tiker, weil sie angeblich eine zu harte Rhe­torik pflegen würden. Ver­fas­sungs­richter erheben sich so über die Politik, um der­selben Hand­lungs­an­wei­sungen zu geben, auch wenn sie gar nicht in ordent­lichen Ver­fahren dazu auf­ge­rufen sind.
Die Umwertung der Werte
Da hat sich also massiv etwas geändert — aber was genau ist da eigentlich pas­siert? In der Politik hat eine förmlich nietz­schea­nische Wende ein­ge­setzt, die “Umwertung aller Werte” hat längst begonnen. Wo gesetz­ge­be­rische Klarheit und Gewal­ten­trennung war, soll recht­liche Dif­fusion herr­schen und wo Ver­ant­wort­lichkeit gegenüber dem Sou­verän als Prinzip galt, soll nun die Juris­diktion das letzte und unan­fechtbare Wort haben. Jeder höher ste­hende demo­kra­tische Diskurs ist damit von vorn­herein dem Tod geweiht. Daraus ent­steht ein para­doxer Effekt: Die Politik wird auf diese Weise frei von Ver­ant­wortung und kann heikle Dinge an die Recht­spre­chung vulgo die Ver­fas­sungs­richter dele­gieren. Das jeweilige Verdikt der Richter wird danach skrupel- und pro­blemlos als Ver­satz­stück des poli­ti­schen Klein­handels ver­wendet. Seht her, da kann man jetzt nichts machen, die Ver­fas­sungs­richter haben halt so ent­schieden! Anders gesagt: Die Politik orga­ni­siert die Ent­sorgung ihrer selbst über die Damen und Herren im Talar. Das ist enorm schade, denn zu Ende gedacht, bedeutet das auch das Ende der Demokratie.
Draussen im Leben
Auf der anderen Seite, draussen im angeblich wirk­lichen Leben, werden der­weilen eben­falls bestimmte Rollen getauscht: Die Kömo­di­anten, Schau­spieler, Sänger, Autoren, Kaba­ret­tisten und diverse andere Künstler haben ein neues und offenbar ein­träg­liches Feld ent­deckt, auf dem sie ihre Extro­ver­tiert­heiten prä­sen­tieren können. Die Rede ist von den poli­ti­schen For­maten und Rubriken in der Medi­en­szene. Dort schlägt heute der Künstler wesentlich öfter zu als in seinem ange­stammten Bereich. Kunst findet nicht mehr in der Galerie oder auf der Bühne ihren Umschlag­platz, sondern der Künstler geht lieber ins Fern­sehen und lässt sich dort zu den fun­da­men­talen Fragen unserer Zeit inter­viewen. Weil nur im Theater her­um­künsteln oder in ein Mikro singen, das ist zu wenig, das kann doch eh irgendwie jeder.
Die Moral-Elite
Wer wirklich Künstler sein will, der muss sich heute als Kern­be­standteil der neuen mora­li­schen Elite gerieren. Und als solche wollen die Künstler uns vor­geben, was richtig, edel und mora­lisch ist. Egal ob Herbert Grö­ne­meyer, Michael Köhl­meier, Heike Makatsch, Jan Delay oder Wolfgang Ambros — wer auch immer aus der Riege der Kunst­schaf­fenden in einem Studio oder in einem Medium erscheint, redet daher von der Mensch­lichkeit, schwa­dro­niert von der Ver­pflichtung zu helfen, soli­da­ri­siert sich mit den pri­vaten und selbst­er­nannten See­not­rettern, warnt vor den furcht­baren Rechts­po­pu­listen, die angeblich Europa zer­stören wollen oder findet sonst irgendeine Phrase, um seinen Tugend­stolz der Öffent­lichkeit zu präsentieren.
Glaub­würdig?
Jetzt sei es natürlich den Damen und Herren aus der Szene unbe­nommen, ihre poli­tische Meinung zu äußern. Sie dürfen sich gerne auch für die neuen Takt­geber der öffent­lichen Moral halten. Nur: Glaub­würdig klingt das alles nicht, denn Künstler wollen ja ihre Pro­dukte, Shows, CDs, Bücher etc ver­kaufen. Und dafür eignet sich der Jahr­markt der mora­li­schen Eitel­keiten geradezu her­vor­ragend. Apropos Moral: Über viele Jahr­hun­derte, im gesamten Mit­tel­alter und herauf bis in die Neuzeit galten Komö­di­anten und Schau­steller als mora­lisch höchst frag­würdig. Ihr Ruf war mies und dem der Vaga­bunden ähnlich. Viel­leicht ist ja der heute so bemüht daher­kom­mende Anspruch der Künstler, als mora­lische Instanz statt als “lie­der­liche Spiel­leute” wahr­ge­nommen zu werden, eine über­schies­sende Kom­pen­sation der jahr­hun­der­talten Minderwertigkeit?
Schaut in die Antike
Zur Ehren­rettung der Schau­spieler muss man aller­dings sagen, dass in der Antike, nämlich in der grie­chi­schen Wiege der Demo­kratie, die Schau­spie­lerei durchaus zum poli­ti­schen Wesen gehörte und einen all­seits akzep­tierten Raum zur poli­ti­schen Reflexion bot. Das Theater war damals eine Art Spiegel der Gesell­schaft und der Politik. Wenn man ehrlich ist, dann kann man darin Par­al­lelen zum Heute erkennen. Leider liefert uns dieser Spiegel aber zu oft absurde und teils hässlich ver­zerrte Bilder einer im Grunde nur geheu­chelten Moral, sodass man das ganze Theater über weite Strecken gar nicht ernst nehmen kann. Und das ist eigentlich schade.
 

Dr. Marcus Franz — www.thedailyfranz.at