Nicht etwa das Goldgeld (der Goldstandard) ist für die Weltwirtschaftskrise 1929–1933 verantwortlich zu machen. Die Krise ist vielmehr durch staatliche Eingriffe in das monetäre System verursacht worden. Die Fed und die Banken sorgten für einen inflationären Boom, der platzen musste.
von Thorsten Polleit
Es geschieht immer wieder: In einer Podiumsdiskussion, sobald das Thema Gold und Goldstandard aufkommt, ergreift jemand das Wort und verkündet der Zuhörerschaft selbstsicher: „Ja, der Goldstandard funktioniert nicht, er ist sogar gefährlich. Schließlich hat er zur furchtbaren Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1933 geführt. Und aus diesem Grund ist man gut beraten, ihn nicht wieder zu errichten. Zudem wäre es heute, in den modernen Volkswirtschaften, auch gar nicht mehr möglich, zu einem Goldstandard zurückzukehren: Es ist gar nicht genug Gold verfügbar, um das zu bewerkstelligen!“
Zwar gibt es unter Wirtschaftshistorikern nach wie vor keinen Konsens darüber, was die Große Depression („Great Depression“) in den Jahren 1929 bis 1933 eigentlich ausgelöst hat. Nicht wenige ordnen allerdings die Krise als direkte Folge des Kapitalismus ein. Und nicht wenige erblicken im Goldgeld den Schuldigen beziehungsweise den Brandbeschleuniger der Weltwirtschaftskrise. (*) Das aber ist eine mehr als fragwürde Deutung, die zudem leider auch noch sehr weitreichende Folgen hat: Sie trägt bis zum heutigen Tag dazu bei, das Goldgeld zu Gunsten des ungedeckten Papiergeldsystems (oder “Fiat-Geldsystems“) zu diskreditieren.
In diesem Aufsatz wird eine andere Interpretation angeboten. Es werden in einem ersten Schritt die Eigenschaften eines „echten“ Goldgeldsystems (eines „Goldstandards in Reinform“) benannt. Vor diesem Hintergrund werden sodann die Geschehnisse in der Währungsordnung der westlichen Welt, wie sie sich in den 1920er-Jahren zugetragen haben, eingeordnet. Beginnen wir mit der zentralen Frage: Was zeichnet einen Goldstandard aus, der diesen Namen tatsächlich auch verdient? Welche Eigenschaften hat ein „Goldstandard in Reinform”?
Das Ideal: Goldstandard in Reinform
Der „Goldstandard in Reinform“ lässt sich durch sechs Eigenschaften kennzeichnen: (1) Es ist eine Geldordnung, in der Gold Geld ist: Gold wird als das allgemein verwendete Tauchmittel verwendet. Das gelbe Metall ist das “Grundgeld”. (2) Das (Gold-)Geld läuft in Form von (i) Kurantmünzen um, also Münzen, deren aufgedruckter Nominalwert (genau) dem Goldfeingehalt der Münze entspricht, und/oder als (ii) Geldzertifikat – also Banknoten und Giroguthaben, die sich jederzeit zum Nennwert in physisches Gold eintauschen lassen, und zwar bei der (Depositen-)Bank, die sie emittiert hat beziehungsweise bei der das Konto gehalten wird.
(3) Das Gold, entweder in Form von physischer Ware oder in Form von Geldzertifikaten, ist Eigentum des Geldhalters. Es ist keine Kreditforderung. (4) Die Depositen-Banken operieren als Lagerstellen für physisches Gold, das die Kunden bei ihnen einlagern, und sie bieten Sicherheits- und Überweisungsdienstleistungen für das deponierte physische Gold der Kunden an (und verlangen dafür eine Gebühr). Wichtig ist dabei: Die Depositenbanken weisen das eingelagerte Gold ihrer Kunden nicht auf der Bilanz-Aktivseite aus.
Das Gold der Kunden wird vielmehr in einer Verwahrstatistik ausgewiesen, vergleichbar mit der Buchungspraxis bei Wertpapier-Clearing-Häusern. Zu betonen ist an dieser Stelle auch: Depositen-Banken schaffen kein neues Geld. Lagern Kunden Gold bei ihnen ein, erhalten sie dafür ein Lagerhaltungsschein, ein Geldzertifikat, das zu 100 Prozent mit physischem Gold hinterlegt ist. Der Bestand der ausstehenden Geldmenge bleibt davon unberührt. Das Grundgeld verschwindet aus dem Zahlungsverkehr, der Bestand der Geldzertifikate nimmt in gleichem Betrag zu.
Box 1: Die Sache mit der Teilreserve
Nehmen wir an, Sie lagern ihr Goldgeld (Münze oder Barren) bei einer Depositen-Bank ein, und die Bank schreibt es Ihnen als Sichteinlage auf dem Konto gut. Die Bank sichert ihnen damit zu, dass Sie über das Sichtguthaben jederzeit in voller Höhe verfügen können, um es auf Wunsch in bar (also in physischem Gold) abzuheben oder an andere zu überweisen. Um was für eine Art Vertrag handelt es sich? Es handelt sich um einen Depositenvertrag: Die Depositen-Bank (Depositar) verpflichtet sich, ihr Gold (Sie sind der Deponent) sicher aufzubewahren und es auf Ihr Verlangen jederzeit und vollständig auszuhändigen. Das Gold ist nun aber ein vertretbares, ein fungibles Gut. Sie werden daher nicht darauf bestehen, genau das Gold zurückzuerhalten, das sie eingelagert haben, sondern sie werden damit zufrieden sein, bei Auszahlung Gold zu erhalten, das ein Äquivalent ihres Depositum hinsichtlich Quantität und Qualität ist (man sprich hier von einem Tantundem). Ein Depositum fungibler Güter wird üblicherweise als Depositum irregulare bezeichnet. Würde eine Depositen-Bank das von Ihnen deponierte Gold für eigene Zwecke verwenden, sodass sie es Ihnen, dem Deponenten, nicht (in Form des Tantundem) jederzeit und vollständig aushändigen kann, begeht sie eine Straftat – sie veruntreut. (Angemerkt sei, dass eine solche Straftat in dem Zeitpunkt entsteht, in dem veruntreut wird, unabhängig von den nachstehenden Folgen – wie zum Beispiel die Entdeckung der Veruntreuung durch den Deponenten, oder wenn die Bank das Vergehen nachfolgend wieder rückgängig macht). Wie Jesus Huerta de Soto (2006, 1998) hervorhebt, haben bis in das zwanzigste Jahrhundert hinein Gerichte in Europa eine Reservedeckung von 100% bei einem Depositum irregulare gefordert.
(5) In einem “Goldstandard in Reinform” gibt es keine Zentralbank, die Geld- und Zinspolitik betreibt. Es sind das freie Angebot von und die freie Nachfrage nach Geld, die entscheiden, was als Geld umläuft (in diesem Falle Goldgeld), und es sind ebenfalls die freien Märkte, die festlegen, wie groß die Geldmenge ausfällt. Auch die Zinsbildung erfolgt im freien Markt, ganz ohne staatliche oder zentralbankpolitische Einflussnahme – und zwar wiederum durch das freie Angebot von und die freie Nachfrage nach Kredit.
(6) Ein reines Goldgeldsystem ist vorzugsweise ein internationales Arrangement: Alle Volkswirtschaften, die sich für die Verwendung des Goldgeldes entscheiden, verwenden de facto dasselbe Geld. Dadurch markieren nationale Grenzen nicht mehr das volkswirtschaftliche Geschehen. Mit einem Goldgeldsystem wachsen die Volkswirtschaften vielmehr zu einer Weltvolkswirtschaft eng zusammen. Arbeits- und Faktormärkte sind in höchstem Maße miteinander verzahnt. Dadurch werden die internationale Arbeitsteilung und damit der materielle Wohlstand bestmöglich gefördert.
Box 2: Der internationale Goldmechanismus
Wenn unterschiedliche Länder Gold als Geld verwenden (und bestimmte Mengen Feingold zum Beispiel als US-Dollar, Pfund oder Franc bezeichnen), verwenden sie ein einheitliches Geld. Ihre Wirtschaften sind dann auf das Engste miteinander verwoben. Steigen zum Beispiel die Güterpreise in Land A an im Vergleich zu den Güterpreisen in Land B, nehmen in Land A die Exporte ab und die Importe zu. Die Bezahlung der importierten Waren in Gold verringert dann jedoch die Gold- und damit Geldmenge in Land A. Das wiederum trägt dazu bei, die Güterpreisinflation in Land A zu verringern, beziehungsweise die Güterpreise zu senken. In Land B wächst hingegen die Gold- und Geldmenge hingegen an, und die dortigen Güterpreise nehmen zu. Das wiederum senkt in Land B die Exporte und erhöht die Importe. Mit anderen Worten: Das Goldgeld sorgt dafür, dass sich die Handelsbilanzen tendenziell ausgleichen. Über diesen Mechanismus kann ein Land keine autonome Konjunkturpolitik betreiben, kann sich nicht vom internationalen Wirtschaftsgeschehen isolieren. Es kann beispielsweise keine eigenständige Inflations- und Umverteilungspolitik betreiben. Das macht die Verwendung von Goldgeld aus Sicht von Regierungen und Politikern natürlich wenig attraktiv.
Die Realität: Pseudo- oder Fake-Goldstandard
In der jüngeren Währungsgeschichte hat es keinen Goldstandard in der voranstehenden „Reinform“ gegeben, sondern lediglich verschiedene Ausprägungen eines “Pseudo-“ oder “Fake-Goldstandards” – monetäre Systeme also, die aus ökonomischer Sicht die Bezeichnung „Goldstandard“ im Grunde gar nicht verdienen. Es ist daher verwirrend, ja geradezu irreführend, die Weltwirtschaftskrise der 1920er-Jahre, die “Große Depression”, in Verbindung mit dem Goldstandard zu bringen – beziehungsweise die Krise dem Goldgeld anlasten zu wollen.