Symbolfoto Goldbarren - By Andrzej Barabasz (Chepry) - Own work, CC BY-SA 4.0, Link

„In den 1920er-Jahren hat der Gold­standard versagt“ – eine fol­gen­schwere Fehl­deutung der Geschichte

Nicht etwa das Goldgeld (der Gold­standard) ist für die Welt­wirt­schafts­krise 1929–1933 ver­ant­wortlich zu machen. Die Krise ist vielmehr durch staat­liche Ein­griffe in das monetäre System ver­ur­sacht worden. Die Fed und die Banken sorgten für einen infla­tio­nären Boom, der platzen musste.
von Thorsten Polleit
Es geschieht immer wieder: In einer Podi­ums­dis­kussion, sobald das Thema Gold und Gold­standard auf­kommt, ergreift jemand das Wort und ver­kündet der Zuhö­rer­schaft selbst­sicher: „Ja, der Gold­standard funk­tio­niert nicht, er ist sogar gefährlich. Schließlich hat er zur furcht­baren Welt­wirt­schafts­krise 1929 bis 1933 geführt. Und aus diesem Grund ist man gut beraten, ihn nicht wieder zu errichten. Zudem wäre es heute, in den modernen Volks­wirt­schaften, auch gar nicht mehr möglich, zu einem Gold­standard zurück­zu­kehren: Es ist gar nicht genug Gold ver­fügbar, um das zu bewerkstelligen!“
Zwar gibt es unter Wirt­schafts­his­to­rikern nach wie vor keinen Konsens darüber, was die Große Depression („Great Depression“) in den Jahren 1929 bis 1933 eigentlich aus­gelöst hat. Nicht wenige ordnen aller­dings die Krise als direkte Folge des Kapi­ta­lismus ein. Und nicht wenige erblicken im Goldgeld den Schul­digen bezie­hungs­weise den Brand­be­schleu­niger der Welt­wirt­schafts­krise. (*) Das aber ist eine mehr als frag­würde Deutung, die zudem leider auch noch sehr weit­rei­chende Folgen hat: Sie trägt bis zum heu­tigen Tag dazu bei, das Goldgeld zu Gunsten des unge­deckten Papier­geld­systems (oder “Fiat-Geld­systems“) zu diskreditieren.
In diesem Aufsatz wird eine andere Inter­pre­tation ange­boten. Es werden in einem ersten Schritt die Eigen­schaften eines „echten“ Gold­geld­systems (eines „Gold­stan­dards in Reinform“) benannt. Vor diesem Hin­ter­grund werden sodann die Gescheh­nisse in der Wäh­rungs­ordnung der west­lichen Welt, wie sie sich in den 1920er-Jahren zuge­tragen haben, ein­ge­ordnet. Beginnen wir mit der zen­tralen Frage: Was zeichnet einen Gold­standard aus, der diesen Namen tat­sächlich auch ver­dient? Welche Eigen­schaften hat ein „Gold­standard in Reinform”? 
Das Ideal: Gold­standard in Reinform
Der „Gold­standard in Reinform“ lässt sich durch sechs Eigen­schaften kenn­zeichnen: (1) Es ist eine Geld­ordnung, in der Gold Geld ist: Gold wird als das all­gemein ver­wendete Tauch­mittel ver­wendet. Das gelbe Metall ist das “Grundgeld”. (2) Das (Gold-)Geld läuft in Form von (i) Kurant­münzen um, also Münzen, deren auf­ge­druckter Nomi­nalwert (genau) dem Gold­fein­gehalt der Münze ent­spricht, und/oder als (ii) Geld­zer­ti­fikat – also Bank­noten und Giro­gut­haben, die sich jederzeit zum Nennwert in phy­si­sches Gold ein­tau­schen lassen, und zwar bei der (Depositen-)Bank, die sie emit­tiert hat bezie­hungs­weise bei der das Konto gehalten wird.
(3) Das Gold, ent­weder in Form von phy­si­scher Ware oder in Form von Geld­zer­ti­fi­katen, ist Eigentum des Geld­halters. Es ist keine Kre­dit­for­derung. (4) Die Depo­siten-Banken ope­rieren als Lager­stellen für phy­si­sches Gold, das die Kunden bei ihnen ein­lagern, und sie bieten Sicher­heits- und Über­wei­sungs­dienst­leis­tungen für das depo­nierte phy­sische Gold der Kunden an (und ver­langen dafür eine Gebühr). Wichtig ist dabei: Die Depo­si­ten­banken weisen das ein­ge­la­gerte Gold ihrer Kunden nicht auf der Bilanz-Aktiv­seite aus.
Das Gold der Kunden wird vielmehr in einer Ver­wahr­sta­tistik aus­ge­wiesen, ver­gleichbar mit der Buchungs­praxis bei Wert­papier-Clearing-Häusern. Zu betonen ist an dieser Stelle auch: Depo­siten-Banken schaffen kein neues Geld. Lagern Kunden Gold bei ihnen ein, erhalten sie dafür ein Lager­hal­tungs­schein, ein Geld­zer­ti­fikat, das zu 100 Prozent mit phy­si­schem Gold hin­terlegt ist. Der Bestand der aus­ste­henden Geld­menge bleibt davon unbe­rührt. Das Grundgeld ver­schwindet aus dem Zah­lungs­verkehr, der Bestand der Geld­zer­ti­fikate nimmt in gleichem Betrag zu.
Box 1: Die Sache mit der Teilreserve
Nehmen wir an, Sie lagern ihr Goldgeld (Münze oder Barren) bei einer Depo­siten-Bank ein, und die Bank schreibt es Ihnen als Sicht­einlage auf dem Konto gut. Die Bank sichert ihnen damit zu, dass Sie über das Sicht­gut­haben jederzeit in voller Höhe ver­fügen können, um es auf Wunsch in bar (also in phy­si­schem Gold) abzu­heben oder an andere zu über­weisen. Um was für eine Art Vertrag handelt es sich? Es handelt sich um einen Depo­si­ten­vertrag: Die Depo­siten-Bank (Depo­sitar) ver­pflichtet sich, ihr Gold (Sie sind der Deponent) sicher auf­zu­be­wahren und es auf Ihr Ver­langen jederzeit und voll­ständig aus­zu­hän­digen. Das Gold ist nun aber ein ver­tret­bares, ein fun­gibles Gut. Sie werden daher nicht darauf bestehen, genau das Gold zurück­zu­er­halten, das sie ein­ge­lagert haben, sondern sie werden damit zufrieden sein, bei Aus­zahlung Gold zu erhalten, das ein Äqui­valent ihres Depo­situm hin­sichtlich Quan­tität und Qua­lität ist (man sprich hier von einem Tantundem). Ein Depo­situm fun­gibler Güter wird übli­cher­weise als Depo­situm irre­gulare bezeichnet. Würde eine Depo­siten-Bank das von Ihnen depo­nierte Gold für eigene Zwecke ver­wenden, sodass sie es Ihnen, dem Depo­nenten, nicht (in Form des Tantundem) jederzeit und voll­ständig aus­hän­digen kann, begeht sie eine Straftat – sie ver­un­treut. (Ange­merkt sei, dass eine solche Straftat in dem Zeit­punkt ent­steht, in dem ver­un­treut wird, unab­hängig von den nach­ste­henden Folgen – wie zum Bei­spiel die Ent­de­ckung der Ver­un­treuung durch den Depo­nenten, oder wenn die Bank das Ver­gehen nach­folgend wieder rück­gängig macht). Wie Jesus Huerta de Soto (2006, 1998) her­vorhebt, haben bis in das zwan­zigste Jahr­hundert hinein Gerichte in Europa eine Reser­ve­de­ckung von 100% bei einem Depo­situm irre­gulare gefordert.
(5) In einem “Gold­standard in Reinform” gibt es keine Zen­tralbank, die Geld- und Zins­po­litik betreibt. Es sind das freie Angebot von und die freie Nach­frage nach Geld, die ent­scheiden, was als Geld umläuft (in diesem Falle Goldgeld), und es sind eben­falls die freien Märkte, die fest­legen, wie groß die Geld­menge aus­fällt. Auch die Zins­bildung erfolgt im freien Markt, ganz ohne staat­liche oder zen­tral­bank­po­li­tische Ein­fluss­nahme – und zwar wie­derum durch das freie Angebot von und die freie Nach­frage nach Kredit.
(6) Ein reines Gold­geld­system ist vor­zugs­weise ein inter­na­tio­nales Arran­gement: Alle Volks­wirt­schaften, die sich für die Ver­wendung des Gold­geldes ent­scheiden, ver­wenden de facto das­selbe Geld. Dadurch mar­kieren nationale Grenzen nicht mehr das volks­wirt­schaft­liche Geschehen. Mit einem Gold­geld­system wachsen die Volks­wirt­schaften vielmehr zu einer Welt­volks­wirt­schaft eng zusammen. Arbeits- und Fak­tor­märkte sind in höchstem Maße mit­ein­ander ver­zahnt. Dadurch werden die inter­na­tionale Arbeits­teilung und damit der mate­rielle Wohl­stand best­möglich gefördert.
Box 2: Der inter­na­tionale Goldmechanismus 
Wenn unter­schied­liche Länder Gold als Geld ver­wenden (und bestimmte Mengen Feingold zum Bei­spiel als US-Dollar, Pfund oder Franc bezeichnen), ver­wenden sie ein ein­heit­liches Geld. Ihre Wirt­schaften sind dann auf das Engste mit­ein­ander ver­woben. Steigen zum Bei­spiel die Güter­preise in Land A an im Ver­gleich zu den Güter­preisen in Land B, nehmen in Land A die Exporte ab und die Importe zu. Die Bezahlung der impor­tierten Waren in Gold ver­ringert dann jedoch die Gold- und damit Geld­menge in Land A. Das wie­derum trägt dazu bei, die Güter­preis­in­flation in Land A zu ver­ringern, bezie­hungs­weise die Güter­preise zu senken. In Land B wächst hin­gegen die Gold- und Geld­menge hin­gegen an, und die dor­tigen Güter­preise nehmen zu. Das wie­derum senkt in Land B die Exporte und erhöht die Importe. Mit anderen Worten: Das Goldgeld sorgt dafür, dass sich die Han­dels­bi­lanzen ten­den­ziell aus­gleichen. Über diesen Mecha­nismus kann ein Land keine autonome Kon­junk­tur­po­litik betreiben, kann sich nicht vom inter­na­tio­nalen Wirt­schafts­ge­schehen iso­lieren. Es kann bei­spiels­weise keine eigen­ständige Infla­tions- und Umver­tei­lungs­po­litik betreiben. Das macht die Ver­wendung von Goldgeld aus Sicht von Regie­rungen und Poli­tikern natürlich wenig attraktiv.
Die Rea­lität: Pseudo- oder Fake-Goldstandard 
In der jün­geren Wäh­rungs­ge­schichte hat es keinen Gold­standard in der vor­an­ste­henden „Reinform“ gegeben, sondern lediglich ver­schiedene Aus­prä­gungen eines “Pseudo-“ oder “Fake-Gold­stan­dards” – monetäre Systeme also, die aus öko­no­mi­scher Sicht die Bezeichnung „Gold­standard“ im Grunde gar nicht ver­dienen. Es ist daher ver­wirrend, ja geradezu irre­führend, die Welt­wirt­schafts­krise der 1920er-Jahre, die “Große Depression”, in Ver­bindung mit dem Gold­standard zu bringen – bezie­hungs­weise die Krise dem Goldgeld anlasten zu wollen.

Offi­ziell war zwar in dieser Zeit Gold das Grundgeld. Die Banken in den Ver­ei­nigten Staaten von Amerika und auch in vielen Ländern Europas ope­rierten jedoch unge­niert und mit aus­drück­licher Duldung des Staates mit einer “Teil­re­serve”: Die Banken erhöhten durch Kre­dit­vergabe die Geld­menge „aus dem Nichts“ – gaben also Geld aus, das nicht durch Gold gedeckt war. Das wie­derum sorgte nicht nur für eine chro­nische Ent­wertung der Kauf­kraft des Geldes. Es ver­ur­sachte vor allem auch Wirt­schafts­stö­rungen („Boom und Bust“). Besonders unheilvoll war dabei die Rolle der Zen­tral­banken (wie noch deutlich werden wird).
Wer sich mit den Gescheh­nissen in den 1920er-Jahren beschäftigt, der kommt nicht umhin zu erkennen, dass das inter­na­tionale Geld­system bes­ten­falls ein Pseudo- oder Fake-Gold­standard war; dass es – man muss es leider so sagen – große Ähn­lichkeit hatte mit einem Betrugs­system. Lassen Sie uns diese Ein­schätzung genauer begründen, indem wir (i) die mone­tären Ver­hält­nisse in den Ver­ei­nigten Staaten von Amerika (vor allem in den 1920er-Jahren) skiz­zieren; (ii) uns an Groß­bri­tan­niens halb­herzige Wie­der­an­bindung an das Gold erinnern; und (iii) die sys­tem­im­ma­nente Dys­funk­tio­na­lität des „Gold-Devisen-Stan­dards“ aufzeigen.
Blick in die Währungsgeschichte 
Durch das Münz­gesetz von 1873 („Coinage Act of 1873“) wurde der US-Dollar gesetzlich nur noch in Gold-Fein­ge­wicht defi­niert: 20,67 US-Dollar ent­sprachen fortan einer Feinunze Gold; gleich­zeitig wurde das Silber demo­ne­ti­siert. Der Greenback war folglich Aus­druck für eine bestimmte, fest­ge­legte Fein­gold­menge. Den US-Banken wurde aller­dings erlaubt, mit einer Teil­re­serve zu ope­rieren: Banken gaben durch Kre­dit­vergabe US-Dollar-Gut­haben in Umlauf, die nicht durch Gold­einlage ihrer Kunden gedeckt waren. Das Ergebnis waren wie­der­keh­rende Wirt­schafts­krisen: bei­spiels­weise die Rezes­sionen von 1873 und 1882–1885 sowie die Paniken von 1893, 1896 und 1907 und 1910–1911.
Im Jahr 1913 wurde die US-Zen­tralbank Federal Reserve (Fed) gegründet. Durch sie wurde der Spielraum für eine Kredit- und Geld­men­gen­aus­weitung der Geschäfts­banken ganz erheblich erhöht – bei­spiels­weise, indem die Fed sogleich die Min­dest­re­ser­ve­pflicht der Banken ver­rin­gerte[1] und als „Retter der letzten Instanz“ (als „Lender of Last Resort“) auftrat, um Banken vor der Zah­lungs­un­fä­higkeit zu bewahren. Die Fed sorgte dafür, dass die infla­tionäre Wirkung des Teil­re­ser­ve­systems, mit dem die Banken ope­rierten, erhöht wurde. Die daraus fol­genden preis­ver­zer­renden Effekte und Fehl­in­ves­ti­tionen fielen zunächst jedoch noch nicht auf.
Denn in den 1920er-Jahren gab es in der US-Wirt­schaft bedeu­tende pro­duktive Ent­wick­lungen, die einen Abwärts­druck auf die Preise aus­übten. Gleichwohl fielen die Güter­preise nicht, weil ja die Fed und die Geschäfts­banken die Kredit- und Geld­mengen merklich aus­wei­teten. Doch dadurch bauten sich Ungleich­ge­wichte auf. Bei­spiels­weise expan­dierte die Kapi­tal­gü­ter­in­dustrie über­mäßig gegenüber der Kon­sum­gü­ter­pro­duktion. Dass es irgendwann zu einer Berei­ni­gungs­krise kommen musste, war öko­no­misch absehbar.
Vor allem im inter­na­tio­nalen Geld­system braute sich etwas zusammen. Nach Ende des Ersten Welt­krieges war das welt­weite Wäh­rungs­system zer­rüttet. Viele Länder hatten mit Aus­bruch des Krieges die Gold­ein­lös­barkeit ihrer Wäh­rungen beendet. Man wollte die Kriegs­aus­gaben infla­tionär mit der Noten­presse finan­zieren. Unter den Ländern, die sich vom Goldgeld abge­wandt hatte, befand sich auch Groß­bri­tannien – bis dato die bedeu­tendste Welt­wirt­schafts- und Mili­tär­macht. Ab 1922 hatte sich dann jedoch unter bri­ti­schem Drängen ein soge­nannter „Gold-Devisen-Standard“ her­aus­ge­bildet. Was bedeutete das?
Der „Gold-Devisen-Standard“ sah das Fol­gende vor: Das Bri­tische Pfund konnte durch Gold und US-Dollar (teil-)gedeckt werden, wobei der US-Dollar wei­terhin Aus­druck einer bestimmten Fein­gold­menge blieb. Die anderen Wäh­rungen (wie zum Bei­spiel fran­zö­si­scher Franc und deutsche Mark) konnten durch Bri­tische Pfund und/oder US-Dollar gedeckt werden. Der Gold-Devisen-Standard war damit eine äußerst wackelige Kon­struktion: Er war im Grunde ein Pyra­miden-System, eine Art Ket­ten­brief, der infla­tionär wirkte und zwi­schen den Teil­neh­mer­staaten für immer größere wirt­schaft­liche Ungleich­ge­wichte sorgte.
Im April 1925 ent­schlossen sich die Briten, das Bri­tische Pfund wieder an das Gold anzu­binden. Anvi­siert war eine Rückkehr zur Vor­kriegs­pa­rität von 4,87 US-Dollar pro Pfund. Doch durch die hei­mische Infla­tio­nierung in den Jahren zuvor hatte das Pfund stark gegenüber dem Greenback abge­wertet. Kauf­kraft­be­reinigt lag es bei schät­zungs­weise nur noch 3,40. Die Ent­scheidung, zur Vor­kriegs-Parität zurück­zu­kehren, hätte folglich eine Preis­de­flation in der bri­ti­schen Wirt­schaft not­wendig gemacht. Doch dagegen sperrten sich Unter­nehmer, Gewerk­schaften und Arbeit­nehmer vehement.
Weil die Preise nicht in aus­rei­chendem Maße fielen, ver­loren bri­tische Pro­dukte ihre inter­na­tionale Wett­be­werbs­fä­higkeit. In Groß­bri­tannien stieg die Arbeits­lo­sigkeit stark an, und auch das Han­dels­bi­lanz­de­fizit des Landes ver­grö­ßerte sich: Die Importe über­stiegen zuse­hends die Exporte. Weil nun aber die Importe in Gold bezahlt werden mussten, wurde Gold aus Groß­bri­tannien in andere Länder ver­schifft, ins­be­sondere in die Ver­ei­nigten Staaten von Amerika. Das übte nicht nur Abwärts­druck auf die bri­ti­schen Güter­preise und Löhne aus, der Gold­ab­fluss setzte auch den Außenwert des Pfunds unter Abwertungsdruck.

Quelle: Federal Reserve of St. Louis, NBER; eigene Berech­nungen. Blaue Flächen: Rezes­sionen (nach NBER). US-Geld­menge indexiert.

Um diesen Ent­wick­lungen ent­ge­gen­zu­wirken, drängte der Gou­verneur der Bank von England, Montagu C. Norman (1871–1950), seinen US-ame­ri­ka­ni­schen Kol­legen in Washington, Ben­jamin Strong Jr. (1872–1928), die Leit­zinsen zu senken. Strong wil­ligte ein. Die US-Zins­sen­kungen in 1924 befeu­erten die ohnehin schon über­hit­zende US-Kon­junktur zusätzlich. Die Kurse der US-Aktien stiegen – vor allem auch begünstigt durch die Fed-Politik – auf immer höhere Niveaus. Banken ver­gaben bereit­willig Kredite. Die Ver­schuldung von Unter­nehmen und auch Pri­vaten schwoll weiter an. Eine groß­an­ge­legte Spe­ku­la­ti­ons­welle kam in Gang.
Die Spe­ku­la­ti­ons­blase platzte im Oktober 1929 – und die Folgen erreichten rasch viele andere Länder der Welt. (Genau genommen begann der „Crash“ am 24. Oktober 1929 („Black Friday“) und setzte sich bis zum 29. Oktober 1929 fort („Black Tuesday“)). Banken und Unter­nehmen, aber auch Pri­vat­leute wurden nach­folgend in großer Zahl zah­lungs­un­fähig. Eine schwere Rezession-Depression stellte sich ein, nicht nur in den USA, sondern weltweit. Die Arbeits­lo­sigkeit stieg stark an. Durch „Bank Runs“ wurden Banken illi­quide, denn sie hatten vor allem per Kredit Geld in Umlauf gebracht, Geld, das nicht durch aus­rei­chende Gold­be­stände gedeckt war. Das Platzen der Spe­ku­la­ti­ons­blase Ende der 1920er-Jahre ent­zau­berte die rechtlich frag­würde und öko­no­misch schäd­liche Praxis des Teil­re­ser­ve­systems der Banken.
Wie aus dem Bust eine Große Depression wurde 
Mit dem bisher Gesagten sollte deutlich geworden sein, dass die monetäre Ordnung, die sich in den 1920er-Jahren unter staat­licher Ein­fluss­nahme her­aus­ge­bildet hatte, die Bezeichnung Gold­standard nicht ver­dient. Es ist daher auch nicht sach­ge­recht, die Ursache der Welt­wirt­schafts­krise 1929–1933 dem Goldgeld anzu­lasten. Öko­no­misch betrachtet han­delte es sich um ein mone­täres Schnee­ball­system, das irgendwann einmal auf­fliegen musste. Und im Herbst 1929 war es dann tat­sächlich soweit (was auch immer der Aus­löser gewesen sein mag): Die Berei­nigung setze ein – mit zuge­ge­be­ner­maßen äußerst dra­ma­ti­schen wirt­schaft­lichen und poli­tisch-sozialen Folgen.
Dass das Platzen des Infla­tions-Booms in eine Große Depression mündete, lag nun aber vor allem daran, dass sich die US-Admi­nis­tration dar­an­machte, den hei­mi­schen Wirt­schafts­ab­schwung zu bekämpfen. Sie hebelte zuse­hends die Markt­kräfte aus, die die Volks­wirt­schaften ver­mutlich recht bald zu einem neuen Gleich­ge­wicht zurück­ge­führt hätten. In der Tat wurde vor allem in den USA, noch unter der Prä­si­dent­schaft von Herbert C. Hoover (1874–1964), eine große Zahl „markt­feind­licher“ Maß­nahmen zur Über­windung eingeleitet:
Hierzu zählten zum Bei­spiel Arbeits­be­schaf­fungs­pro­gramme, Immi­gra­ti­ons­re­strik­tionen, Preis­sub­ven­tionen in der Land­wirt­schaft und auch Ver­suche, die Nomi­nal­löhne vor dem Absinken zu bewahren (obwohl die Güter­preise fielen und folglich die Real­löhne immer weiter anstiegen, sodass der Faktor Arbeit sich immer weiter ver­teuerte). Der US-Wirt­schaft wurde es de facto erschwert, zu einem neuen Gleich­ge­wicht zurück­zu­finden. Sie blieb sprich­wörtlich in der Unter­be­schäf­tigung stecken.
Unser Aufsatz muss hier enden. Abschließend sei noch einmal her­vor­ge­hoben: Aus öko­no­mi­scher Sicht lässt sich das Goldgeld – der Gold­standard – nicht ver­ant­wortlich machen für das, was Ende der 1920er- und frühen 1930er-Jahren geschehen ist. Es war vielmehr die Ver­letzung der Regeln, ins­be­sondere der Verstoß gegen die Eigen­tums­rechte der Gold- bezie­hungs­weise Geld­halter, die zur Krise geführt hat; und es waren staat­liche Ein­griffe in das Wirt­schafts­leben, die die Über­windung der Berei­ni­gungs­krise so erschwert hat.
Natürlich war es, nachdem die Krise erst einmal offen­kundig geworden war, mit Goldgeld nicht möglich, sich aus der Krise zu infla­tio­nieren – wie es die Gegner des Gold­geldes, die Befür­worter des unge­deckten Papier­geld­systems, wohl nur gern gesehen hätten. Ist das aber ein Defizit des Gold­geldes? Wohl kaum. Eine Infla­ti­ons­po­litik hätte die Kapi­tal­ver­zer­rungen, die die vor­an­ge­hende Inflation ver­ur­sacht hat, nicht gelöst, sondern nur noch weiter ver­schlimmert. Doch das kann hier nicht weiter erörtert werden; dennoch will ich das als streitbare These, am Ende dieses Auf­satzes, so stehenlassen.
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(*) Siehe zum Bei­spiel Bernake, B., James, H. (1991), The Gold Standard, Deflation, and Financial Crisis in the Great Depression: An Inter­na­tional Com­pa­rison, NBER, Chicago Press, S. 33–68; Eichen­green, B., Temin, P. (2000), The Gold Standard and the Great Depression, in: Con­tem­porary European History 9(2), S. 183–207; Eichen­green, B., Temin, P. (2010), Fetters of gold and paper, in: Oxford Review of Eco­nomic Policy, Oxford Uni­versity Press, vol. 26(3), Autumn, S. 370–84. Für eine “aus­ge­wogene” Sicht zum Goldgeld in den 1920er Jahren siehe White, L. H. (2008), Is the Gold Standard Still the Gold Standard among Monetary Systems?, Cato Institute, Brief Papers, No. 100. Eine umfas­sende und sehr bekannte Aus­ar­beitung zur Großen Depression wurde vor­gelegt von Friedman, M., Schwarz, A. (1971, 1963), A Monetary History of the United States, 1867–1960, National Bureau of Eco­nomic Research Publi­ca­tions, Princeton Uni­versity Press, Princeton. Die wohl auf­schluss­reichste Analyse der Großen Depression stammt von Rothbard, M. N. (1963, 2000), The Great Depression, 5th edition, Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama.
ANHANG
Die nach­ste­hende Graphik (ent­nommen aus Friedman/Schwartz (1963), S. 282) zeigt ein­drücklich, wie der Zufluss der Gold­be­stände in die USA zwar von der Fed teil­weise „neu­tra­li­siert“ wurde (indem die Fed ihre Kre­dit­ge­währung an die Banken zurück­führte), dass aber die Fed dennoch die Basis­geld­menge („High-powered money“) kräftig anschwellen lies. Zu erkennen sind auch die Zins­sen­kungen im Jahr 1924. Sie wurden nach­folgend zwar revi­diert, waren aber unzu­rei­chend, um die Spe­ku­lation wirksam ein­zu­dämmen. Auch zu sehen sind die Zins­er­hö­hungen ab 1928, durch die die Fed dann die Über­hitzung ein­zu­dämmen ver­suchte. Ver­mutlich waren es die Zins­er­hö­hungen, die dem Boom letztlich das Wasser abgruben und den Bust einleiteten.
Die unten­ste­hende Graphik zeigt die Gold­re­serven der US-Fed-Banken in Mrd. US-Dollar (der offi­zielle Gold­preis betrug in dieser Zeit kon­stant 20,67 US-Dollar pro Feinunze). Ende 1914 betrugen sie 0,24 Mrd. US-Dollar. Am Ende des Ersten Welt­kriegs, im November 1918, lagen sie jedoch schon bei 2,07 Mrd. US-Dollar – ein Plus von 763 Prozent! Das Gold wurde zuse­hends nach Amerika gebracht – eine Ent­wicklung, die in den 1930er- und 1940er-Jahren anhalten sollte.

Quelle: Federal Reserve Bank of St. Louis.


Thorsten Polleit, 50, ist seit April 2012 Chef­volkswirt der Degussa. Er ist Hono­rar­pro­fessor für Volks­wirt­schafts­lehre an der Uni­ver­sität Bay­reuth, Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama, Mit­glied im For­schungs­netzwerk „Research On money In The Economy“ (ROME) und Prä­sident des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Er ist Grün­dungs­partner und volks­wirt­schaft­licher Berater eines Alter­native Investment Funds (AIF). Die private Website von Thorsten Polleit ist: www.thorsten-polleit.comHier Thorsten Polleit auf Twitter folgen.
[1] Ab Dezember 1913 betrugen die Min­dest­re­ser­ve­sätze für Sicht­ein­lagen von „Central Reserve City Banks“ 18%, die für „Reserve City Banks“ 15% und die für „Country Banks“ 12%. Ter­min­lagen unter­lagen einem ein­heit­lichen Satz von 5%. Im Juni 1917 wurden die Sätze gesenkt: die auf Sicht­ein­lagen auf 13%, 10% und 7%, der Satz auf Ter­min­lagen fiel auf 3%. Ein Anstieg der Reser­ve­sätze gab es erst wieder im August 1936. Siehe Feinman, J. N. (1993).