Auch 2019 Thema: Trans­fer­union auf Biegen und Brechen

Zum Jah­res­anfang ein Über­blick über die Themen, die uns beschäf­tigen werden. Unter anderem natürlich der Kampf um die Trans­fer­union. Wir haben sie ja fak­tisch schon durch die Politik der EZB, die sich fort­setzen dürfte. Dennoch genügt es den anderen Ländern in der Eurozone nicht. Sie wollen an die Ver­schul­dungs­po­ten­ziale der (ver­meintlich!) soli­deren Länder wie Deutschland.
Was damit finan­ziert werden soll, ist spä­testens bei einem ver­tieften Blick auf Frank­reich klar. Es geht nicht um die „Rettung“ des Euros. Wie hier erinnert, rechnen die Experten des IWF vor, dass eine Trans­fer­union gar nicht so groß sein kann, wie sie sein müsste, um das Ziel zu erreichen. Wozu also braucht Frank­reich unser Geld? Hierfür:

  • „Vorige Woche haben wir anlässlich der links­rhei­ni­schen Pro­teste an dieser Stelle über den poli­ti­schen Struk­tur­wandel dis­ku­tiert, der, ange­stoßen durch die sozialen Medien, derzeit viele west­liche Demo­kratien durch­rüttelt. Aus diversen Leser­kom­men­taren sprach eine gene­relle Skepsis, ob Frank­reich über­haupt einen Kurs­wechsel brauche. Manchmal klang es, als sei die Moti­vation von Macrons Reformen reine Pro­fitgier – oder irgendeine schräge Form von Sozial-Sadismus.“
    Stelter: Was wie­derum sehr viel über das öko­no­mische Ver­ständnis der SPON-Leser aussagt.
  • „Dass nun der eis­kalte Neo­li­be­ra­lismus in Frank­reich ein­zieht, ist zumindest eine gewagte Behauptung – um es sehr vor­sichtig zu for­mu­lieren. Nir­gends sonst in der EU ist der öffent­liche Sektor so groß. Die Staats­quote liegt bei 56 Prozent, höher als in Schweden. Fast die Hälfte der Staats­aus­gaben fließt in die Sozi­al­haus­halte, rechnet die OECD vor.“
    Stelter: Da wäre es doch schön, wenn die Deut­schen das bezahlen (mit dem Geld, was sie sparen, indem sie für sich selbst nicht sorgen).
  • „Über­haupt spielt der Staat eine Haupt­rolle in der gal­li­schen Wirt­schaft. So ist der Anteil der öffentlich Beschäf­tigten in Frank­reich mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland. Wer arbeitslos wird, kann, je nach vor­he­rigem Ein­kommen, mit einer staat­lichen Unter­stützung von bis zu 7134 Euro im Monat rechnen. Zum Ver­gleich: In Deutschland liegt der Maxi­mal­betrag bei knapp 2500 Euro, so der Inter­na­tionale Wäh­rungs­fonds in seinem jüngsten Länderbericht.“
    Stelter: Mir fröstelt bei so viel sozialer Kälte.
  • „Fran­zosen gehen im Schnitt um die Sechzig in Rente, so früh wie kaum irgendwo sonst. Der gesetz­liche Min­destlohn ist mit rund 60 Prozent des mitt­leren Ver­dienstes einer der höchsten weltweit.“
    Stelter: All das will finan­ziert sein!
  • Dennoch: „(…) viele Bürger äußerst unzu­frieden mit der Lage im Land, wie die Euro­ba­ro­meter-Umfrage seit Jahren zeigen. (…) Dass ein üppiger Sozi­al­staat eine Prä­ven­tiv­maß­nahme gegen Popu­lismus ist, wie gern behauptet wird, stimmt in Frank­reich jeden­falls nicht: In der ersten Runde der Prä­si­dent­schafts­wahlen voriges Jahr holten Scharf­macher von Rechts und Links, Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon, fast die Hälfte der Stimmen. Möglich, dass gerade der fran­zö­sische Sozi­al­staat mit seinen per­ma­nenten Umver­tei­lungs­kämpfen für ver­brei­teten Unmut sorgt.“
    Stelter: Die Pro­tes­tierer sind ja jene, die das alles bezahlen müssen, wie ich hier dis­ku­tiert habe.
  • „(…) Frank­reich (kann) sich einen so großen öffent­lichen Sektor schlicht nicht leisten. Der Staat gibt chro­nisch mehr aus, als er ein­nimmt. Auf Dauer geht das nicht gut. Inzwi­schen liegen die Schulden bei knapp 100 Prozent des Brut­to­in­lands­pro­dukts (BIP). (…) Über Jahre lag das Bud­get­de­fizit oberhalb von drei Prozent des BIP. Frank­reichs „struk­tu­relle“ – also kon­junk­tur­neu­trale – Haus­halts­lücke ist eine der höchsten in den OECD-Ländern.“
    Stelter: Und deshalb Transferunion!
  • Macrons „(…) Reformen zielen darauf ab, die Schul­bildung für benach­tei­ligte Bevöl­ke­rungs­gruppen zu ver­bessern, die Jugend­ar­beits­lo­sigkeit durch ein Aus­bil­dungs­pro­gramm zu senken, die Tarif­ver­hand­lungen der betrieb­lichen Rea­lität anzu­nähern und dadurch mehr Jobs zu schaffen.“
    Stelter: Ein Unter­fangen, was scheitern muss. Die Par­al­lel­ge­sell­schaften sind nicht mit Bildung zu bekämpfen, wenn Bildung nicht ange­sehen wird.
  • „Letztlich kommt es für die Beant­wortung der Frage, wieviel Sozi­al­staat sich eine Gesell­schaft leisten kann, darauf an, wie viele Leute arbeiten, wie pro­duktiv sie sind und wie hohe Steuern sie zu zahlen bereit sind. Aus dieser Per­spektive ist der fran­zö­sische Sozi­al­staat übergroß: Die Wirt­schaft wächst langsam und kre­dit­ge­trieben, die Beschäf­ti­gungs­quote ist ver­glichen mit Deutschland niedrig.“
    Stelter: Diese Formel gilt auch bei uns. Und auch bei uns gehen die Ent­wick­lungen in die falsche Richtung.
  • „Frank­reich hat, ebenso wie Italien, gegen­wärtig kein Nach­fra­ge­problem, wie gern behauptet. Es steckt nicht in einer Rezession, die der Staat mit zusätz­lichen Aus­gaben bekämpfen müsste. (…) In einer solchen Situation ist es der Job der Regierung, pro­duktive Akti­vi­täten – Arbeit, Inves­ti­tionen, Bildung, Aus­bildung, For­schung und so weiter – attrak­tiver zu machen. Das Häss­liche an dieser Art von Wirt­schafts­po­litik: Es dauert, bis sie wirkt. Manchmal ver­gehen Jahre, bis sich positive Effekte ein­stellen. Poli­tisch sind solche Struk­tur­re­formen deshalb äußerst unattraktiv.“
    Stelter: Und deshalb mar­schieren wir alle in die falsche Richtung weiter.
  • „Die reprä­sen­tative Demo­kratie stützt sich auf Insti­tu­tionen – Par­la­mente, Regie­rungen, Behörden –, die dem Gemein­wesen lang­fristige Sta­bi­lität sichern sollen. Sie müssen zwi­schen den aktu­ellen Stim­mungen in der Bevöl­kerung und dem auf Dauer für die Gesell­schaft Not­wen­digen aus­ta­rieren. Sie sind, so gesehen, Dienst­leister des Volkes, das sie wählt und irgendwann wieder abwählt und dem gegenüber sie rechen­schafts­pflichtig sind.“
    – Stelter: Da hat Herr Müller aber ein recht ver­al­tetes Bild der Politik. Bei uns ist es doch auch so, dass die Poli­tiker nichts mehr machen was richtig ist, sondern nur, was gefällt.
  • „Aller­dings sollte Regieren nicht auf Mei­nungen‘ basieren, sondern auf spe­zi­ellen Kennt­nissen. Darüber zu ver­fügen und es nach einem demo­kra­ti­schen Inter­es­sen­aus­gleich in Ent­schei­dungen umzu­setzen, ist der Job der Eliten. Wenn sie dem nicht gerecht werden, gehören sie abge­wählt.“
    Stelter: Was, wenn die Alter­native genauso inkom­petent ist?

 


Dr. Daniel Stelter — www.think-beyondtheobvious.com
→ spiegel.de: „Gelbe Westen, leere Kassen“, 16. Dezember 2018