Monika Maron sucht im Cicero nach inhaltlich Belastbarem auf der Antwort-Seite des Hensel-Interviews und findet es in Merkels eigenartig simpler Vorstellung von „Parität“, womit im weitesten Merkel-Sinne die Gleichberechtigung von Mann und Frau gemeint sein dürfte. Diese Parität „in allen Bereichen“ zu erlangen, scheine ihr (Merkel) einfach logisch. „Ist Parität erreicht, wenn Frauen Holz hacken und die Männer stricken?“, fragt Maron zurück und ahnt doch selbst am besten, wie nahe sie mit dieser spitzen Formulierung den glitzernden linken Gedankenblasen absoluter Parität gekommen ist.
Chancengleichheit oder Gleichmacherei?
Was vor Jahrzehnten als berechtigtes Streben nach Chancengleichheit vulgo Gleichberechtigung gestartet war und gute Erfolge hatte, bog schon vor Jahren – über den exakten Zeitpunkt herrscht Uneinigkeit – ins Metaphysische ab und propagiert heute absolute Gleichheit aller in allen Aspekten des Lebens. Die Folge sind stumpfsinnige Quotenregelungen oder Forderungen danach, die sich nun schon bis in politische Mandate erstrecken, Unisex-Toiletten, wo es früher „ein Klo für alle” tat, Sprachverhunzung durch Verleumdung des generischen Maskulinums als „Machtmittel des Patriarchats“ bis hin zu hysterischen Flashbacks wie der gerichtlich abgeschafften Bezeichnungen „Nur für Frauen“ an öffentlichen Parklätzen in Eichstätt, die nun einer eher unverbindlichen Empfehlung weichen müssen – soviel Gendergerechtigkeit muss wohl heute sein, den eigentlichen Sinn dieser Parkplätze darf man bedenkenlos opfern – aber an Frauen als Opfer einer politischen Agenda scheint man sich in der Politik ja inzwischen gewöhnt zu haben. In Einzelfällen versteht sich! Nur Steuerhinterzieher, Hasser, Hetzer und Vergewaltiger sind noch Betätigungen, die bislang unbeleckt vom Fortschritt als Domänen des Patriarchats übrig geblieben sind.
Interessant ist jedoch, dass sich die Protagonisten der absoluten Gleichheit ihrer Mittel und Ziele so gewiss sind, dass sie sich über deren praktische Wirksamkeit keine Gedanken mehr machen oder von Zeit zu Zeit durch empirische Studien überprüfen, ob die Richtung der Politik tatsächlich die propagierten Erfolge zeitigt. Denn gelegentlich fallen die Gedankengebäude der absoluten Gleichheit wie ein Soufflé zusammen, sobald sie der Zugluft der Realität ausgesetzt werden. Um eine Nase voll von dieser Zugluft zu schnuppern, verlassen wir kurz die Redaktionsstuben der „Zeit” und begeben uns in ein schwedisches Fernsehstudio.
Das Märchen vom egalitären Skandinavien
Es war einmal eine nördliche Weltgegend, die sich wie keine andere der Herstellung gleicher Lebensbedingungen für ihre Bürger verpflichtet fühlte, wozu insbesondere die absolute Gleichstellung von Frauen und Männern gehörte. Nirgends ging es gerechter zu, nirgends auf der Welt war es selbstverständlicher, dass Mädchen und Jungen dieselben Chancen in Bildung, Studium und Beruf haben, nirgends beteiligen sich die Väter mehr an der Erziehung ihrer Kinder. Politiker, Pädagogen und Sozialwissenschaftler gaben sich die größte Mühe, geschlechterspezifische Stereotype abzubauen. Als stark galt nicht mehr, wer die Ellenbogen ausfuhr, skrupellos Karriere machte oder kräftig hinlangen konnte. „Weakness“ ist the new „strong“, oder „Dad can hug, Mom can lead” waren die neuen Erziehungsideale; und wer sein Töchterchen mit Puppen spielen ließ, stand schon fast im Verdacht, die alten Rollen des unterdrückerischen Patriarchats zu rezipieren.
Skandinavien, besonders Norwegen und Schweden, gelten bis heute in punkto Gleichstellung von Mann und Frau als weltweit beispielhaft. Doch führt dies dazu, dass „Frauen Holz hacken und die Männer stricken“? Nein! Im Gegenteil! Je liberaler eine Gesellschaft ist, also je freier Männer und Frauen in ihren Entscheidungen sind, umso größer sind die Unterschiede in den getroffenen Entscheidungen. Das klingt zunächst wie ein Widerspruch, doch denkt man genau nach, ist es völlig logisch: Wenn nicht Kultur, Tribal-Strukturen, Politik oder Religion den Lebensweg eines Menschen vorzeichnen, bleiben vor allem persönliche Fähigkeiten, Neigungen und die Biologie als Antrieb übrig. Das ist allerdings nicht ganz das, was die Gleichstellungsideologen im Sinn hatten. Die gehen, um in Marons Bild zu bleiben, davon aus, dass Männer den Frauen das Holzhacken verbieten wollen und selbst zu faul seien, zu stricken – Patriarchat eben. Doch ausgerechnet in Skandinavien führt die Kindererziehung des „du kannst alles werden“ eben gerade nicht dazu, dass Frauen mehr Holz hacken und Männer stricken, wie die nachfolgend beschriebene Szene belegt.
“Men are more interested in things, woman are more interested in people”
Zugetragen hat sie sich im Herbst 2018 im norwegisch/schwedischen TV-Talk „Skavlan“, Protagonisten waren Annie Lööf (Vorsitzende der liberal-grünen Centerpartiet und bis 2014 Wirtschaftsministerin Schwedens) sowie der kanadische Psychologe Jordan B. Peterson, der Lööf einige gut belegte empirische Langzeitstudien zu den Präferenzen von Männern und Frauen weltweit und der Korrelation zum Grad der Freiheit einer Gesellschaft erläuterte.
Ich empfehle, das Video in Gänze zu schauen, denn nur selten sieht man Politiker, die von einem für sie völlig neuem Fakt so erschlagen werden, wie Lööf, als sie gefragt wurde, ob sich Petersons Aussagen mit ihrer Erfahrung decken. Alles in ihr sträubte sich gegen eine Bestätigung, weshalb sie, um in die gewohnte ideologische Spur zurückzufinden, schnell alle Schlüsselworte aufzählte, die in der skandinavischen Gesellschaft Gültigkeit haben: Gleichheit der Chancen… Träume und Hoffnungen aller Kinder möglichst unterstützen – ob man das wolle, sei die Frage. Und schnell fügt sie hinzu: „Geschlechtergerechtigkeit ist sehr wichtig für mich“. Für Lööfs Tochter bedeute dies, etwas zugespitzt zusammengefasst, dass Mama sagt, wo es langgeht und Papa tröstet und Tränen trocknet. Interessant finde ich dabei, dass Lööf offenbar denkt, diese beiden Rollen seien doch irgendwie binär angelegt und auch verteilt, aber man müsse oder solle sie möglichst vertauschen, um Gerechtigkeit herzustellen. Es gibt natürlich gute Gründe, eine derartige Rollenverteilung prinzipiell offen zu gestalten, wenn das Ergebnis jedoch ist, dass ein Fußballer im Schach antreten soll und der Schachmeister Fußball spielen muss, würde sicher etwas schief laufen.
Die Pointe hob sich Peterson bis zum Schluss auf, und es ist sehr aufschlussreich, zu beobachten, wie Lööf im Nebel stocherte, weil sie offenkundig nicht verstand, worin Petersons diagnostizierter „großer Unterschied zwischen Frauen und Männern in Skandinavien“ denn nun genau bestehe. Wie kann das auch sein? Ist nicht gerade Schweden in Sachen Gleichberechtigung ein Musterstaat? Das stimmt! Haben in Schweden Frauen und Männer vielleicht Probleme, miteinander in Kontakt zu kommen, miteinander zu reden? Sicher nicht!
Es gäbe, so Peterson, jedoch signifikante Unterschiede, welche Berufe Männer und Frauen ergreifen! Der psychologisch signifikanteste Unterschied zwischen den Geschlechtern sei die Frage, ob sich diese im Durchschnitt mehr für Dinge (Männer) oder Menschen (Frauen) interessierten. Diese biologische Präferenz werde überlagert von einer kulturellen Komponente, und wenn diese wie in Skandinavien sehr auf Gleichstellung und Angleichung auch der Einkommen angelegt sei, trete die Biologische Komponente umso stärker hervor. Die Statistik für Schweden zum Beispiel zeige, dass die Präferenz von Frauen für medizinische Berufe und die der Männern für Ingenieurberufe signifikanter ausgeprägt ist, als irgendwo sonst auf der Welt. Gerade weil beide Geschlechter die denkbar freieste Wahl hätten, entschieden sie sich eben für das, was ihren Neigungen am besten entspräche. Maximiert man also die Chancengerechtigkeit, maximiert man automatisch die persönliche freie Wahl aus eben diesen Chancen und folglich auch die Unterschiede, die sich aus einer solchen Wahl ergeben. In dieser Hinsicht ist Schweden also liberales Schlaraffenland!
Feminismus am Limit
Unter dem Strich also eine gute Sache, möchte man meinen. Für Lööf war die Situation jedoch offensichtlich ein Albtraum, den man förmlich als Sprechblase über ihrem Kopf mitlesen konnte: ‚Unmöglich! Wenn mein Mann unsere Tochter umarmt und tröstet, wie kann die dann später Krankenschwester werden wollen? Menschen unterscheiden sich zwar biologisch, aber doch nicht in den Entscheidungen, die sie treffen! Das darf einfach nicht sein! Alle Menschen sind gleich, das haben wir unseren Kindern doch mühsam aberzogen!‘ Letzteres sagte sie natürlich nicht laut, sondern umschrieb es wie folgt: „Die Wahl ist doch eher abhängig davon, wie die Kinder aufgewachsen sind, wie wir leben und erziehen… das formt doch den Menschen. Da spielt es keine Rolle, ob ein Kind Junge oder Mädchen ist. Wenn ich meine Tochter erziehe, eine Anführerin zu werden, selbstsicher zu sein, gebildet…“ Und hier schlug die nächste Peterson-Bombe ein:
„Das wäre so, wenn die Präferenzen der Kinder lediglich soziale Konstrukte wären, wie immer wieder behauptet wird. Die Praxis sagt aber das Gegenteil.“
Ketzerisch weitergedacht: Wenn das Geschlecht eines Menschen lediglich ein soziales Konstrukt wäre, träfe dies logischerweise auch auf jede Abweichung zu. Noch mehr sogar für jede Form der Erziehung und Indoktrination. Alles nur soziale Konstrukte. Daraus folgt, wer die absolute Gleichheit statt der Chancengleichheit der Geschlechter propagiert, muss langfristig den freien Willen und die Freiheit selbst abschaffen und den Menschen als eine Art leeren USB-Stick betrachten, den man beliebig mit Erziehungs- und Rollendaten füttern, löschen, neu formatieren und umbenennen kann. Kein angenehmer Gedanke, oder? Die in gewissen Kreisen der deutschen Politik populäre Meinung, die Regeln des Zusammenlebens müssten täglich neu ausgehandelt werden, geht übrigens genau in diese Richtung. Und so zeigt das Video am Ende vor allem eines: dass der immer kompromissloser geführte linke Kulturkampf gegen die Empirie sich in letzter Konsequenz immer gegen die menschliche Natur richtet und in seiner Übertreibung und der Absolutsetzung seiner Ziele am Ende stets Schaden anrichtet.
Nun stellt sich dem Leser natürlich die Frage, wie um alles in der Welt der Verfasser dieser Zeilen von einem Zeit-Interview mit Bravo-Starschnitt-Qualität zu Gendergaga und Jordan Peterson kommen konnte und ob sich der Kreis auch irgendwo schließt. Das tut der Kreis in der Tat: Jana Hensels Frage an Merkel, ob sie „…im Amt zur Frau geworden“ sei, zeigt, dass Identitätspolitik heute bereits alles überlagert und durchdringt. Immer vorneweg: unsere Medien! Es gibt keinen denkbaren Kontext, in dem diese Frage irgendeinen Sinn ergäbe, außer in der Identitätspolitik, der klinischen Psychologie oder dem Dr. Sommer-Team der Bravo. Merkels Antwort darauf, die wir bei der zu spontanem Sarkasmus gänzlich unfähigen Kanzlerin für bare Münze nehmen dürfen, ist dann auch der Höhepunkt des Interviews: Sie sei vor dem Amtsantritt schon eine Frau gewesen.
Das zeigt einmal mehr, dass Merkel nur auf das Gesagte, nie aber auf das Gemeinte achtet. Es zeigt, dass sie unfähig ist zur situativen Kommunikation und deshalb wohl auch so schlecht darin, eine Stimmungslage an der Basis in sinnvolle, praktische Politik oder auch nur in ein paar angemessene Worte zu verwandeln. Man weiß folglich nicht, wen man zuerst auf die Couch von Jordan Peterson schicken möchte: Angela Merkel oder Jana Hensel. Die richtige, menschliche Antwort auf die infantile Hensel-Frage wäre nämlich eine Gegenfrage gewesen: „Wollen Sie mich verarschen?“
Der hervorragende Autor Roger Letsch betreibt den Blog www.unbesorgt.de und ist Co-Autor des Gemeinschaftswerkes der Freien Medien “Wir sind noch mehr — Deutschland in Aufruhr”