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Eva Herman: Die Macht­an­sprüche des Femi­nismus – warum wir unsere Weib­lichkeit verdrängen

Neulich hörte ich in einem Interview einen Satz, den ich mir spontan notierte: »Die Geschichte der Frau­en­be­wegung kann man auch als Ent­wer­tungs­ge­schichte schreiben, in der Frauen die spe­zi­fische Iden­tität ihres Geschlechts ver­loren haben.«
(Von Eva Herman)
Kluge Worte. Denn sie bringen auf den Punkt, was schon seit langem offen­sichtlich wird: Dass der Femi­nismus das Frausein so lange dis­ku­tiert und kri­ti­siert hat, bis nichts mehr davon übrig­blieb. Wir Frauen sind ent­wertet worden und haben selber maß­geblich dazu bei­getragen. Wir haben zuge­lassen, dass uns jene Werte genommen wurden, die uns als weib­liche Wesen leiten können, die uns helfen, unsere weib­liche Rolle zu finden und zu leben.

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Gesagt hatte den Satz Katharina Rutschky, Jahrgang 1941, eine Publi­zistin, die mit ihrer Kritik an der Frau­en­be­wegung immer wieder bei ihren femi­nis­ti­schen Schwestern aneckt und regel­mäßig Droh­briefe bekommt. Einmal mehr sah ich die Bestä­tigung dafür, dass die Frau­en­be­wegung nicht nur gegen Männer kämpft, sondern auch gegen Frauen. Gegen jene nämlich, die es wagen, eine andere Meinung zu haben. Femi­nismus ist letztlich nichts anderes als eine Form von Fun­da­men­ta­lismus, dachte ich, rette sich, wer kann! Denn der Begriff Fun­da­men­ta­lismus bezeichnet eine reli­giöse oder welt­an­schau­liche Strömung, die in sich starr bleibt und nicht dis­ku­tiert werden darf.
Als ich dann kurze Zeit später auch noch auf die »Bibel der Frau­en­be­wegung« auf­merksam wurde, “Das andere Geschlecht” von Simone de Beauvoir, ver­voll­stän­digte sich das Bild: Die Frau­en­be­wegung scheint eine Art Reli­gi­ons­ersatz zu sein.
Simone de Beau­voirs Buch erschien 1949. Darin for­mu­lierte sie ihren Kern­ge­danken: »Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird dazu gemacht.« Was war das für eine Autorin, die so etwas schrieb? Warum lehnte sie ihr Frausein so heftig ab? Ihre Bio­graphie erklärt einiges. Als Tochter aus einem bil­dungs­bür­ger­lichen Haus wuchs sie auf; als sie zwölf war, ereignete sich dann ein Schlüs­sel­er­lebnis. Ihr Vater, den sie wegen seiner Bele­senheit und Klugheit bewun­derte, sah sie an und sagte: »Wie hässlich du bist!« Es war ein Schock. Aus­ge­rechnet zu Beginn der Pubertät, in einer Lebens­phase, in der ein Mädchen zur Frau wird, fühlte sie sich in ihrem Frausein her­ab­ge­setzt und gedemütigt.
Auf der Stelle änderte sie radikal ihr ganzes Leben. Sie achtete bewusst nicht mehr auf ihr Äußeres und beschloss, sich nur noch mit Geist und Intellekt zu beweisen. Nahezu besessen lernte sie und paukte sogar während des Essens Vokabeln. Sie wollte nicht mehr als Frau gesehen werden, sondern aus­schließlich auf dem Feld der Männer aner­kannt sein. Das bedeutete für sie: Phi­lo­so­phie­studium, Berufs­tä­tigkeit, Ablehnung der Ehe, Kin­der­lo­sigkeit. Alle weib­lichen Signale vermied sie. Ihr Haar flocht sie zu Zöpfen, steckte sie am Kopf fest und zog einen Turban darüber. Einzig am Wochenende soll sie die Zöpfe gelöst und das Haar gekämmt haben.
Als sie sich in den Phi­lo­sophen Jean-Paul Sartre ver­liebte, stand für sie sofort fest, dass sie auf keinen Fall hei­raten wollte. Als er ihr dennoch einen Antrag machte, schrieb sie ihm, die Ehe sei »eine beschrän­kende Ver­bür­ger­li­chung und insti­tu­tio­na­li­sierte Ein­mi­schung des Staates in Pri­vat­an­ge­le­gen­heiten«. Die beiden schlossen einen Pakt, der vorsah, dass sie zwar ein Paar sein wollten, doch ohne kör­per­liche Treue, ohne gemeinsame Wohnung, ohne Ver­pflich­tungen. Sie lebten stets getrennt, meist in Hotels, nie kochte sie für ihn, stets aßen sie in Restaurants.
Sicher, das wirkte damals unerhört modern und mutig. Doch mal ehrlich: Man ahnt, dass so etwas nicht ohne Dramen, ohne Eifer­sucht, ohne Ver­let­zungen ablaufen kann. Zeit­weise lebten Simone und Jean-Paul in einer Beziehung mit zwei jungen Frauen und einem jungen Mann, beide hatten sie zahllose Affären; Sartres Frau­en­bedarf war ohnehin immer hoch gewesen, Simone ver­suchte es mit Frau­enhebe; es erscheint wie ein Expe­riment mit der eigenen Seele.
Jeder Mensch hat das Recht, sich zu irren — keine Frage. Doch aus­ge­rechnet die Beauvoir wurde zur Ikone der Frau­en­be­wegung. Sie galt als Vorbild und war Urhe­berin einer ganzen Reihe von Ideen, die sich in den Köpfen und Herzen der Frauen fest­setzten, Ideen, die mir aus meiner heu­tigen Sicht wie Gift erscheinen.
Als Erstes for­mu­lierte die Fran­zösin eine Kriegs­er­klärung. Da Männer Frauen unter­jochen, so Simone de Beau­voirs Argument, sei es mit dem Frieden vorbei: »Jede Unter­drü­ckung schafft einen Kriegs­zu­stand.« Das Frausein urteilte sie ab: »Die Aus­ein­an­der­setzung wird so lange dauern, als Mann und Frau sich nicht als ihres­gleichen aner­kennen, das heißt, solange sich das Frausein als solches fest­setzt.« Zur Ehe befand sie: »Hei­raten ist eine Pflicht, einen Lieb­haber nehmen, ein Luxus.« Und natürlich war die Berufs­tä­tigkeit der Frau für sie der einzige Weg, sich des unge­liebten Frau­seins zu ent­le­digen: »Wenn die Mutter mit der­selben Berech­tigung wie der Vater die mate­rielle und mora­lische Ver­ant­wortung für das Paar über­nähme, würde sie das­selbe blei­bende Ansehen genießen.« Über Mut­ter­schaft äußerte sie sich dem­entspre­chend negativ: »Die Mut­ter­schaft ist schließlich immer noch die geschick­teste Art, Frauen zu Skla­vinnen zu machen.«
Man kann kaum ermessen, was diese Sätze anrich­teten. Und wie wirk­mächtig sie bis heute sind. Die Ver­un­si­cherung sitzt immer noch tief, Ängste wurden geschürt, Feind­bilder ent­worfen, und das Ganze mündete in ein Lebens­modell, das Frauen zu ein­samen Ama­zonen machte. Ohne Bindung, ohne Familie, ohne Kinder. Immer kampf­bereit, selbst dann noch, wenn sie sich ver­liebten. Es sind Sätze, die Deutsch­lands füh­rende Femi­nistin Alice Schwarzer fortan in ihren Büchern auf­griff und variierte.
Selten oder nie wagte eine Frau­en­kämp­ferin die Frage zu stellen, ob all das denn glücklich mache, ob es sich bei diesen Annahmen nicht um Irr­tümer und Ein­bahn­straßen handeln könnte. Und so wurde buch­stäblich das Kind mit dem Bade aus­ge­schüttet – wo war da noch Platz für Kinder und nicht zuletzt für Männer?
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Die Geschichte des Femi­nismus begann übrigens weit vor der Arbeit Simone de Beau­voirs und hatte durchaus viel Gutes zur Folge. Immer wieder gab es Strö­mungen, die sich schließlich Anfang des zwan­zigsten Jahr­hun­derts ver­dich­teten! Aktive Strei­te­rinnen wie Anita Augsburg, Gertrud Bäumer oder Uly Braun traten ihren Weg an und kämpften für mehr Gerech­tigkeit für Frauen. Ihren Erfolgen haben wir es zu ver­danken, dass den Grund­rechten für alle Men­schen glei­cher­maßen Geltung ver­schafft wurde. So dürfen Frauen in Deutschland seit 1900 stu­dieren, seit 1918 ist es ihnen möglich, das Wahl­recht auszuüben.
Es ist nicht ver­wun­derlich, dass der Zeit­geist der Befreiung aus der Weib­lichkeit seinen Aus­druck auch in der Mode fand. Die berühmte Hut­ma­cherin und Mode­de­si­gnerin Coco Chanel erfand den Anzug und die Kra­watte für die Damen­gar­derobe. Sie selbst bevor­zugte einen klaren, puris­ti­schen Stil ohne Schnörkel und Rüschen, trug Blusen zu Hosen und Kra­watten, ver­zierte diese mit Uni­form­knöpfen und ‑bor­düren. Es dauerte nicht lange und sie hatte die Allein­herr­schaft der Röcke und Kostüme in den Schränken der Frauen beendet.
Poli­tisch, kul­turell und gesell­schaftlich war also bereits zu Beginn des zwan­zigsten Jahr­hun­derts ein Umbruch in den Geschlech­ter­rollen fest­zu­stellen. Diese Ent­wicklung fand in Deutschland ihr jähes Ende durch die natio­nal­so­zia­lis­tische Regierung, die für die Frau nur eine Rolle vorsah, die der Mutter. Erst nach dem Krieg setzten die Femi­nis­tinnen ihre aktive Arbeit, die sie jah­relang nur im Unter­grund betrieben hatten, fort.
Aus dem ursprüng­lichen Ansinnen, all­ge­meine Men­schen­rechte für Frauen durch­zu­setzen, ist inzwi­schen ein erbit­terter, zum Teil auch unwür­diger Geschlech­ter­kampf geworden, der die Fronten zwi­schen Männern und Frauen ver­härten ließ und uns dorthin führte, wo wir jetzt stehen. Wir Frauen haben uns durch dieses Gefecht ent­werten lassen, und wir haben selber maß­geblich dazu bei­getragen, dass uns jene Werte genommen wurden, die uns helfen, unsere Weib­lichkeit zu leben.

Auszug aus dem Best­seller Das Eva-Prinzip von Eva Herman, erschienen 2006