Rus­sische Pässe für Ukrainer – Welche Hin­ter­gründe die deut­schen Medien verschweigen

Für viele Schlag­zeilen sorgte die Nach­richt, dass Russland den Men­schen im ukrai­ni­schen Bür­ger­kriegs­gebiet rus­sische Pässe aus­stellen will. Die Ukraine sprach von einer „rus­si­schen Aggression“, die Auf­regung im Westen ist groß. Was sind Russ­lands Gründe für den Schritt?
Um das zu ver­stehen, muss man die Situation im Bür­ger­kriegs­gebiet ver­stehen. 2014 hat die Ukraine sämt­liche Ver­bin­dungen in das Gebiet abge­brochen. Die Rentner dort bekommen zum Bei­spiel seit Sommer 2014 keine Renten mehr aus­ge­zahlt. Da die Men­schen in der Ukraine keine nen­nens­werten Erspar­nisse haben, hätte das unwei­gerlich zu einer Hun­gersnot geführt. Es war Russland, das im August 2014 ange­fangen hat, den Men­schen dort zu helfen, indem es huma­nitäre Hilfe liefert, um die Men­schen mit Nah­rungs­mitteln zu ver­sorgen. Im Westen wurde damals statt­dessen zwei Wochen lang wahr­heits­widrig von einer Lie­ferung mili­tä­ri­scher Aus­rüstung berichtet.
Diese Lüge ließ sich nicht halten, da die OSZE die LKW inspi­zierte und das Rote Kreuz später die Ver­teilung im Bür­ger­kriegs­gebiet koor­di­nierte. Daher gab es anschließend keine Mel­dungen in der west­lichen Presse mehr über rus­sische Hilfs­konvois. Tat­sächlich sind seitdem 82 rus­sische Hilfs­konvois mit Lebens­mitteln, Medi­ka­menten und Bau­ma­terial zur Besei­tigung von Kriegs­schäden in den Donbass geliefert worden. Die OSZE berichtet penibel über jeden Transport, aber die west­liche Presse igno­riert die Meldungen.
Kiew hat auch ent­schieden, den Men­schen im Bür­ger­kriegs­gebiet keine Papiere mehr aus­zu­stellen. Kinder, die ab 2014 geboren wurden, haben daher keine inter­na­tional aner­kannten Geburts­ur­kunden, Men­schen bekommen keine Pässe oder Per­so­nal­aus­weise, wenn ihre Doku­mente abge­laufen sind. Die Men­schen sind damit im Grunde recht- und staa­tenlos. Sie können nicht reisen, sie können nicht einmal mehr mit dem Zug fahren, da man in der Ukraine und in Russland beim Ticketkauf einen Ausweis oder Pass vor­legen muss.
Die selbst­er­nannten Rebel­len­re­pu­bliken haben daher ange­fangen, eigene Doku­mente aus­zu­stellen, die jedoch außer Russland kein Land der Welt aner­kennt. Da es in Russland über zwei Mil­lionen Kriegs­flücht­linge aus der Ost­ukraine gibt, die eben­falls von Kiew keine neuen Doku­mente aus­ge­stellt bekommen, war der Druck auf die rus­sische Regierung im Inland groß, an dieser Situation etwas zu ändern und schon lange wurde daher über ver­ein­fachte Ver­fahren dis­ku­tiert, den Betrof­fenen die rus­sische Staats­an­ge­hö­rigkeit zu geben.
Das Ver­halten Kiews ist schwer ver­ständlich, denn Kiew besteht darauf, dass die ukrai­ni­schen Ost­ge­biete zur Ukraine gehören und die Men­schen Ukrainer sind. Gleich­zeitig ver­weigert Kiew ihnen Sozi­al­leis­tungen wie Renten und sogar Papiere. Während also die „eigene Regierung“ in Kiew die Men­schen rechtlos stellt, ist es Russland, das ihnen mit huma­ni­tärer Hilfe und der Aner­kennung der Papiere hilft. Kiew hat sich dadurch ohne Not eine Situation geschaffen, in der es leicht zu ver­stehen ist, dass die Men­schen in diesen Gebieten nichts mehr mit der Ukraine zu tun haben wollen.
Diese Politik kann man nur ver­stehen, wenn man weiß, dass die in der west­lichen Presse als demo­kra­tisch gefeierte ukrai­nische Maidan-Regierung in Wahrheit faschis­tisch, natio­na­lis­tisch und anti-rus­sisch ist. Da geht es nicht um rationale Argu­mente, sondern um eine anti-rus­sische Ideo­logie. Das machte einen Frie­dens­prozess bisher unmöglich.
Übrigens hat sich Kiew schon im Februar 2015 im Abkommen von Minsk dazu ver­pflichtet, die Ren­ten­zah­lungen wieder auf­zu­nehmen und die Hun­ger­blo­ckade zu beenden. Das ist in den Punkten 7 und 8 des Minsker Abkommens unmiss­ver­ständlich geregelt, aber Kiew weigert sich nun schon seit vier Jahren, das umzu­setzen. Trotzdem wird Russland vom Westen vor­ge­worfen, gegen das Abkommen zu ver­stoßen, dabei ist Russland in dem Abkommen gar nicht genannt und hat sich darin zu nichts ver­pflichtet. Dass Kiew aber gegen 10 der 13 Punkte des Abkommens ver­stößt und seit vier Jahren kei­nerlei Anstalten macht, das Abkommen zu erfüllen, wird im Westen nie erwähnt.
Die Gesinnung der faschis­ti­schen Regierung in Kiew wird deutlich, wenn man sieht, dass nun noch schnell vor Selenskys Macht­über­nahme ein neues Sprach­gesetz ein­ge­führt wurde, das die Nutzung von rus­sisch in öffent­lichen Ein­rich­tungen als Straftat ein­stuft. Wenn also nun zum Bei­spiel ein Arzt in der Ukraine mit seinem Pati­enten rus­sisch spricht, kann er dafür im Gefängnis landen. Das Problem ist, dass im Osten des Landes viele Men­schen gar kein ukrai­nisch sprechen oder ver­stehen. Lan­desweit wird geschätzt, dass ca. 15% der Men­schen kein ukrai­nisch ver­stehen und in diesen Zahlen sind die Bewohner der Bür­ger­kriegs­ge­biete und der Krim, die Kiew als sein Ter­ri­torium ansieht, noch gar nicht eingerechnet.
Diese Gesetz ist so skan­dalös, dass es selbst dem Spiegel nicht gelingt, es in einem halbwegs posi­tivem Licht dar­zu­stellen. Die tat­säch­lichen Aus­wir­kungen werden deutlich, wenn man Berichte von RT-Deutsch dazu liest, wo die Folgen klar auf­ge­zeigt werden, während der Spiegel sie hinter wol­kigen For­mu­lie­rungen zu ver­bergen versucht.
Und es betrifft ja nicht nur die größte Min­derheit in der Ukraine, die eth­ni­schen Russen, es betrifft auch pol­nische, unga­rische oder rumä­nische Min­der­heiten, die im Westen des Landes leben. Merk­wür­di­ger­weise gibt es aus Brüssel bisher kei­nerlei Kritik an dem Gesetz, obwohl es ganz klar gegen sämt­liche Rege­lungen zum Min­der­hei­ten­schutz ver­stößt, die Brüssel sonst immer als wichtige Werte auf seine Fahnen schreibt. Bei der Ukraine jedoch sieht Brüssel groß­zügig über diese Dinge hinweg.
Auf­grund dieser Dis­kri­mi­nie­rungen der Min­der­heiten stellen Polen, Ungarn und Rumänien ihren ukrai­ni­schen Lands­leuten schon lange Pässe aus, was die Ukraine scharf ver­ur­teilt, aber im Westen ansonsten gleich­mütig hin­ge­nommen wird. Aber als Russland nun viel später ange­kündigt hat, das gleiche zu tun, ist der Auf­schrei in den deut­schen Medien plötzlich groß.
Im Spiegel ver­dreht die Moskau-Kor­re­spon­dentin Christina Hebel dabei mal wieder alle Tat­sachen, um Russland als Böse­wicht dar­zu­stellen. Schon die Über­schrift sagt alles: „Pass-Erlass für die Ost­ukraine – Putins Pro­vo­kation“.
Frau Hebel lügt zum Bei­spiel völlig offen, wenn sie über die „rus­sische Unter­stützung der Sepa­ra­tisten“ schreibt:

„Das geht aus zahl­reichen Auf­zeich­nungen west­licher Diplo­maten und Beob­achter der Orga­ni­sation für Sicherheit und Zusam­men­arbeit in Europa (OSZE) hervor, welche die Ver­legung von Waffen und Kämpfern von der rus­si­schen auf die ukrai­nische Seite dokumentierten.“

Die OSZE hat noch in keinem ein­zigen Bericht behauptet, Russland würde Waffen oder Sol­daten schicken. Sollte ich hier etwas über­sehen haben, wäre ich für die Zusendung des ent­spre­chenden Berichtes der OSZE dankbar. Die Berichte erscheinen täglich und man kann sie abon­nieren, um sie täglich per Email zuge­schickt zu bekommen.
Der ganze Artikel von Frau Hebel ist so gespickt mit Unwahr­heiten, dass es hier zu weit führt, sie alle auf­zu­führen. Es ist ein Machwerk der Des­in­for­mation. Über die Tat­sache, dass Kiew eine Hun­ger­blo­ckade über den Donbass ver­hängt und die Rentner durch Ein­stellung der Ren­ten­zah­lungen dem Hun­gertod aus­ge­liefert hat, fehlt bei Frau Heben jeder Hinweis. Und die Tat­sache, dass Russland diesen Men­schen mit Hilfs­lie­fe­rungen und später sogar mit Ren­ten­zah­lungen das Leben gerettet hat, umschreibt Frau Hebel folgendermaßen:

„Zudem hat der Kreml bereits Mil­li­arden von Rubel zur Finan­zierung der Struk­turen im Donbass, dar­unter auch öffent­liche Ein­rich­tungen sowie das Sozial- und Gesund­heits­system, gepumpt.“

Jedoch kein Wort darüber, warum Russland zu diesen teuren Maß­nahmen gezwungen war, kein Wort über die Vor­ge­schichte, kein Wort über die Hun­ger­blo­ckade durch Kiew, das gleich­zeitig darauf besteht, die Men­schen gehörten zur Ukraine. Ob aber Men­schen, die von der eigenen Regierung dem Hun­gertod aus­ge­liefert worden sind, noch von dieser Regierung regiert werden wollen, ist eine sehr berech­tigte Frage.
Übrigens ist der Protest der Ukraine noch aus einem anderen Grund heuch­le­risch, denn Russland erlaubt den Betrof­fenen aus­drücklich die dop­pelte Staats­bür­ger­schaft, die ansonsten in Russland – wie übrigens auch in Deutschland – grund­sätzlich ver­boten ist. Die Men­schen bekommen mit den rus­si­schen Pässen also lediglich ihre Rechte wieder, zum Bei­spiel mit dem Zug fahren zu können. Gleich­zeitig dürfen sie aber Ukrainer bleiben.
Nun ist die Frage, wie man es poli­tisch zu deuten hat, dass Russland diese Maß­nahme aus­ge­rechnet jetzt ergriffen hat, nachdem gerade ein neuer Prä­sident die Wahl gewonnen hat.
Im Westen wird von einer Pro­vo­kation gesprochen, weil Selensky doch grund­sätzlich für eine Ent­spannung der Situation und ein Ende des Krieges ein­tritt, ganz im Gegensatz zu seinem Vor­gänger Poro­schenko, der in seiner fünf­jäh­rigen Amtszeit alles getan hat, um den Krieg zu befeuern und der nicht eine Ver­pflichtung des von ihm selbst unter­zeich­neten Abkommens von Minsk erfüllt hat.
Und tat­sächlich sieht es auf den ersten Blick nach einer Pro­vo­kation aus, und der Stab von Selensky hat scharf reagiert und von einer „wei­teren rus­si­schen Aggression“ gesprochen.
Nun weiß aber niemand, welche Politik Selensky tat­sächlich machen will bzw. machen kann. Er trifft auf viele Wider­stände bei dem Versuch, den Krieg zu beenden. Wenn er dabei zu weit auf die Rebellen zugeht, dann droht im natio­na­lis­ti­schen Westen der Ukraine ein Auf­stand. Wenn er bei Poro­schenkos natio­na­lis­ti­schem Kurs bleibt, gibt es keine Mög­lichkeit, den Krieg zu beenden. Man muss die Men­schen im Osten des Landes schließlich mit Kiew ver­söhnen, wenn man das Töten beenden will.
Selensky ist ein Kan­didat des Olig­archen Kolo­moisky, der wie­derum in Israel lebt und keine anti-ame­ri­ka­nische Politik machen kann, wenn er sich selbst nicht Sank­tionen der USA aus­setzen will. Und die Rechte an der popu­lären Fern­seh­serie im „Sluga Naroda“, in der Selensky seit 2015 einen guten Prä­si­denten im Kampf gegen Olig­archen und Kor­ruption spielt und die ihm seinen Wahlsieg erst ermög­licht hat, gehören nicht etwa Selensky oder Kolo­moiskys TV-Sender, sondern Netflix. Selensky ist also vom Wohl­wollen seines Olig­archen Kolo­moisky abhängig und der ist wie­derum von den USA abhängig und die populäre Fern­seh­serie, kann von Netflix und Kolo­moisky morgen gegen Selensky fort­ge­setzt werden, wenn Selensky eine eigene Politik zu machen droht.
Im Par­lament der Ukraine hat Selensky keine Haus­macht, er wird also zumindest bis zur Par­la­mentswahl im Oktober ein zahn­loser Tiger als Prä­sident sein. Russland hat daher auch sehr zurück­haltend auf seinen Sieg reagiert und ange­kündigt, Selensky „an seinen Taten und nicht an seinen Ver­spre­chungen“ messen zu wollen.
Wenn man dies weiß, kann man es sogar als rus­sische Unter­stützung für Selensky inter­pre­tieren, aus­ge­rechnet jetzt zu beginnen, Pässe an Ost­ukrainer aus­zu­stellen, denn das gibt Selensky die Mög­lichkeit, sich verbal gegen Russland zu posi­tio­nieren, was die Natio­na­listen in der Ukraine beschwich­tigen wird, die ihm zu große Nähe zu Russland vor­werfen. Es kann also Selenskys innen­po­li­tische Position stärken. Und Selenskys Stab hat auch ent­spre­chend heftig verbal reagiert.
Aber es ist viel­sagend, dass die west­lichen Medien Russland wegen der Pass­ausgabe „Aggression“ vor­werfen, während sie die Pass­ausgabe der Polen, Ungarn und Rumänen, die seit Jahren läuft, völlig unkri­tisch sehen. Hier wird ein­deutig mit zwei­erlei Maß gemessen.


Thomas Röper – www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“