Vera Lengsfeld: Nun auch noch Wahl­recht für schuld­un­fähige Straftäter

Ziemlich unbe­merkt von der Öffent­lichkeit hat das Ver­fas­sungs­ge­richt beschlossen, dass auch Men­schen, die nach §1896 BGB von Amts wegen einen Betreuer ver­ordnet bekommen haben, weil sie „auf Grund einer psy­chi­schen Krankheit oder einer kör­per­lichen, geis­tigen oder see­li­schen Behin­derung“ ihre Ange­le­gen­heiten „ganz oder teil­weise nicht besorgen“ können, an der Euro­pawahl in wenigen Wochen teil­nehmen können sollen. Das Ver­fas­sungs­ge­richt, das bereits im Februar geur­teilt hatte, dass es grund­ge­setz­widrig sei, ent­mün­digte und schuld­un­fähige Men­schen von den Wahlen aus­zu­schließen, gab nun einem Antrag der Linken, Grünen und der FDP Recht. Im Februar war der Gesetz­geber auf­ge­fordert worden, das Urteil des Ver­fas­sungs­ge­richts umzu­setzen. Das ist aber sehr schwierig, weil er an die 80.000, so groß ist die Zahl der betrof­fenen Per­sonen, Ein­zel­ent­schei­dungen treffen muss, ob die Person fähig ist, zu wählen oder nicht.

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Das Ver­fas­sungs­ge­richt hat, so kann man den Pres­se­be­richten ent­nehmen, dabei nicht berück­sichtigt, dass der Ver­treter der Bun­des­re­gierung, Ansgar Heveling, Jus­titiar der CDU-Bun­des­tags­fraktion, geltend gemacht hat, diese Vorgabe wäre bis zur Euro­pawahl nicht umzu­setzen. Die Wäh­ler­listen seien bereits erstellt, eine Öffnung der Wahl sei prak­tisch nicht mehr hin­zu­be­kommen. „Es muss in Zukunft hän­disch nach­kon­trol­liert werden, welcher Wahl­rechts­aus­schluss besteht und welcher gege­be­nen­falls dann eben nicht mehr besteht. Das prak­tisch umzu­setzen, wird schwierig sein”, sagte er.
Die grüne Bun­des­tags­ab­ge­ordnete Britta Haßelmann war dagegen der Meinung, „dass es eine große Arbeits­leistung für viele, viele Kom­mu­nal­be­schäf­tigte ist, in den Ver­wal­tungen, in den Lan­des­ver­wal­tungen“. Aber dieser Ver­wal­tungs­aufwand dürfe „kein Argument dafür sein, Men­schen dieses Bür­ger­recht zu verweigern.“

Das ist die neueste Variante von „Wir schaffen das!“, wobei die damit ver­bundene Arbeit und die Ver­ant­wortung dafür, wenn das, was höchst­wahr­scheinlich ist, schief gehen sollte, auf die­je­nigen abge­wälzt wird, die für die Durch­führung der Wahl sorgen müssen.
Aller­dings waren die Ver­treter der Wahl­helfer nicht ganz unbe­teiligt am Votum der Bun­des­richter. Auf wie­der­holte Nach­frage beteu­erten sie, es sei machbar. „Pro Wähler zirka vier Minuten Arbeits­einsatz“ seien nötig, behauptete der Wahl­leiter aus Nord­rhein-West­falen. Ob diese Zahl stimmt, mag bezweifelt werden. Man hat eher den Ein­druck, dass hier der offenbar unaus­rottbare deutsche Unter­ta­nen­geist zu Diensten war. Was ist, wenn die Umsetzung für die ein­zelne Gemeinde wegen der Oster­fei­ertage und Brü­ckentage und wegen des Per­so­nal­mangels teil­weise schwierig oder gar unmöglich wird? Werden die dann sanktioniert?
Nach der unan­greif­baren Eil­ent­scheidung unserer Ver­fas­sungs­hüter bleiben viele Fragen offen.
Was ist, wenn an der Euro­pawahl Per­sonen via Betreuer teil­nehmen, von denen der Gesetz­geber hin­terher fest­stellt, dass sie nicht wahl­fähig sind? Wie wird ver­hindert, dass nicht die betreute Person selbst, sondern ihr Betreuer die Wahl­ent­scheidung trifft? Da ein amtlich bestellter Betreuer oft mehrere Per­sonen betreut, ist nicht aus­zu­schließen, dass er das Stimm­recht mehrfach ausüben könnte.
Die einzige Vor­aus­setzung, die von den Ver­fas­sungs­richtern bisher for­mu­liert wurde, ist, dass der Behin­derte einen Antrag stellt oder gegen das Wäh­ler­ver­zeichnis Ein­spruch erhebt. Aller­dings sind Wil­lens­er­klä­rungen von geschäfts­un­fä­higen Per­sonen nicht gültig. Wie dieser Wider­spruch gelöst werden soll, haben uns die Richter bisher nicht ver­raten. Man darf auf die Begründung ihres Urteils gespannt sein.
Alles in allem ver­mittelt die Eil­ent­scheidung des Ver­fas­sungs­ge­richts einen Ein­druck, wie groß die Angst vor der Euro­pawahl ist. Statt mit ver­nünf­tiger Politik Wähler zu über­zeugen, ziehen es Linke, Grüne und FDP vor, in die Trick­kiste zu greifen, um neue Wäh­ler­schichten zu erschließen. Wobei die Moti­vation der FDP unklar ist. Die Sozi­al­be­treuer sind über­wiegend Linke und Grüne, Wähler der FDP findet man in diesen Kreisen eher wenig. Deshalb bekommen die gar nicht mehr freien Demo­kraten am ehesten den Fluch ihrer bösen Tat zu spüren. Ver­dient haben sie es allemal.
 

Vera Lengsfeld — Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog der Autorin www.vera-lengsfeld.de