Wie der Spiegel Kriegs­ver­brechen der USA in Afgha­nistan verharmlost

Der Krieg in Afgha­nistan ist ein reines Fiasko und zu allem Über­fluss töten die USA mit ihren Ver­bün­deten mehr Zivi­listen, als die bösen Taliban. Wäre es nicht so tra­gisch, dann wären die Ver­suche des Spiegel, das zu ver­schleiern, lustig. So aber so ist es nur peinlich.
Der Spiegel hat am Mittwoch über Zahlen der UNO über in Afgha­nistan getötete und ver­wundete Zivi­listen berichtet. Die Ver­suche des Spiegel, um jeden Preis zu ver­meiden, dass der Leser bemerkt, dass es die USA sind, die mehr Zivi­listen töten, als jede andere Kriegs­partei, sind bemerkenswert.
Es ist spannend zu ana­ly­sieren, wie der Spiegel das anstellt. Er spricht von der „afgha­ni­schen Regierung und ihren Ver­bün­deten“ anstatt von den „USA und ihren Mario­netten in Kabul“. Letz­teres wäre eine pas­sendere Bezeichnung für die von den USA gestützten Männer in Kabul, die außer Kabul kaum noch Teile des Landes kon­trol­lieren, aber vom Spiegel trotzdem als „afgha­nische Regierung“ bezeichnet werden.
So beginnt es schon bei der Über­schrift im Spiegel: „Uno-Bericht – Afgha­nische Regierung und Ver­bündete töten mehr Zivi­listen als die Taliban„. Danach beginnt der Artikel mit einem Bericht über einen aktu­ellen Anschlag der Taliban. Erst danach kann man lesen:

„Und doch waren die Taliban und andere Isla­mis­ten­gruppen laut einem Bericht der Uno-Unter­stüt­zungs­mission in Afgha­nistan (Unama) im ersten Halbjahr 2019 nicht für die meisten getö­teten Zivi­listen in dem Land ver­ant­wortlich, sondern die afgha­ni­schen Truppen und ihre Ver­bün­deten. Demnach sind in Afgha­nistan in den ersten sechs Monaten des Jahres mehr als 1300 Zivi­listen getötet und rund 2400 weitere ver­letzt worden. Die Zahl ist damit im Ver­gleich zum Vor­jah­res­zeitraum um fast 30 Prozent gesunken. Die Zahl der Zivi­listen, die allein durch regie­rungs­treue Truppen und ihre Ver­bün­deten getötet wurden, ist aller­dings um 31 Prozent gestiegen: auf 717 Todesfälle.“

Und auch über den Grund für den Anstieg der Opfer­zahlen durch die USA und ihre Unter­stützer berichtet der Spiegel:

„Der Anstieg der Todes­fälle durch Ein­satz­kräfte, die die afgha­nische Regierung unter­stützen, geht laut dem Bericht vor allem auf Luft­an­griffe zurück. Dabei wurden in den ersten sechs Monaten des Jahres 363 Men­schen getötet und 156 ver­letzt. Auf­fällig ist, dass die Zahl der Ver­letzten zurückging, während sich die Zahl der Todes­opfer mehr als ver­doppelt hat. Diese Ent­wicklung zeige den „töd­lichen Cha­rakter dieser Taktik“, heißt es in dem Bericht.“

Aber erst im fünften Absatz des Artikels werden die USA das erste Mal direkt erwähnt:

„Mehr als drei Viertel der Luft­an­griffe (83 Prozent) gehen laut dem Bericht auf Ope­ra­tionen der inter­na­tio­nalen Streit­kräfte zurück – und damit auf die USA“

Wir halten fest: Die USA töten in Afgha­nistan mehr Zivi­listen, als jede andere Kriegs­partei. Aber der Spiegel erwähnt das nicht in der Über­schrift und die Buch­staben „USA“ sieht man erst im fünften Absatz.
Wie ist das, wenn in Syrien Men­schen bei Angriffen sterben? Dann sieht die Über­schrift im Spiegel zum Bei­spiel so aus: „Eska­lation im syri­schen Idlib – Kampfjets gegen Korn­felder – Assads ver­brannte Erde
Das ist schon ein ganz anderer Tonfall, oder?
Und natürlich darf im Spiegel das Dementi der USA unmit­telbar danach nicht fehlen:

„Die US-Armee wies die Angaben aus dem Bericht aller­dings zurück. Der Sprecher der US-Truppen in Afgha­nistan, Sonny Leggett, zwei­felte die „Methoden und Schluss­fol­ge­rungen“ der Uno-Mission an. Die US-Armee sei immer darum bemüht, Unbe­tei­ligte zu schützen, und unter­suche jeden Bericht über zivile Opfer.“

Das sind schöne Worte. Was aber fehlt, ist eine wichtige Frage: Was kommt eigentlich bei den Unter­su­chungen heraus?
2015 zum Bei­spiel haben die USA ein Kran­kenhaus der Ärzte ohne Grenzen im afgha­ni­schen Kunduz bom­bar­diert. Das machte damals sogar in Deutschland tagelang Schlag­zeilen. Aber haben Sie etwas von dem Ergebnis der damals ange­kün­digten Unter­su­chungen gehört?
Da muss man schon suchen, die Ergeb­nisse dieser Unter­su­chungen dürften den deut­schen Medien zu peinlich sein, als dass sie groß darüber berichten. 2016 schrieb der öster­rei­chische Standard dazu:

„Das US-Militär hat nach dem töd­lichen Angriff auf ein Kran­kenhaus in Kunduz in Afgha­nistan laut einem Bericht der „Los Angeles Times“ Dis­zi­pli­nar­maß­nahmen gegen 16 Armee­an­ge­hörige ver­hängt. (…) Bei dem US-Angriff auf das Kran­kenhaus der Orga­ni­sation Ärzte ohne Grenzen waren am 3. Oktober 24 Pati­enten und 18 Mit­ar­beiter getötet worden, die USA hatten schwere Fehler ein­ge­räumt. Nun sei ein Offizier sus­pen­diert und aus Afgha­nistan abkom­man­diert worden, hieß es in dem Bericht. Die anderen müssten sich Bera­tungs- und Schu­lungs­maß­nahmen unterziehen.“

42 tote Zivi­listen und noch mehr zivile Ver­letzte bei der Bom­bar­dierung eines Kran­ken­hauses und alles, was in den USA geschieht ist, dass ein Offizier sus­pen­diert wird und ein paar andere auf die Schulbank müssen. Aber niemand wurde zu einer Gefäng­nis­strafe ver­ur­teilt. Es gab auch keine Gerichts­ver­handlung. Noch nicht einmal wegen fahr­läs­siger Tötung.
Wenn man solche Ergeb­nisse sieht, dann kann man die Aussage der US-Armee über die Unter­su­chung von jedem „Bericht über zivile Opfer“ richtig ein­ordnen. Aber der Spiegel lässt den Satz so stehen und kom­men­tiert ihn nicht, indem er auf Ergeb­nisse frü­herer „Unter­su­chungen“ hin­weist.
Die USA begehen Kriegs­ver­brechen und der Spiegel sieht seine Aufgabe offenbar aus­schließlich darin, diese mög­lichst unter den Teppich zu kehren. Das ist heute der „Qua­li­täts­jour­na­lismus“ des ehe­ma­ligen Nachrichtenmagazins.
 


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“