Ent­wi­ckelt sich die AfD zunehmend zur Partei der unteren Mittelschicht?

Eine Ent­wicklung lässt sich schon länger beob­achten und es gibt zunehmend Belege für diese: Die Partei, die 2013 als hoch kom­pe­tente Pro­fes­soren-Partei startete, welche berech­tigte Kritik vor allem am Euro übte, hat sich zunehmend gewandelt, wahr­scheinlich auch deshalb, weil sie merkte, wo sie am ehesten Wäh­ler­stimmen gewinnen kann. Die heute ver­öf­fent­lichte YouGov-Studie in Koope­ration mit dem SINUS-Institut kommt dies­be­züglich zu einem relativ klaren Ergebnis: „Unter AfD-Wählern finden sich besonders häufig ver­än­de­rungs­scheue Gruppen der unteren Mitte oder Unter­schicht.“ Doch betrachten wir es etwas genauer.
Die AfD holt ihre Stimmen vor allem in der unteren Mittel- und Unterschicht
Um also das Ergebnis vor­weg­zu­nehmen: Ja, es gibt wohl ein­deutig eine Ent­wicklung der AfD hin zur Partei der unteren Mit­tel­schicht. YouGov schreibt dazu in seiner heute ver­öf­fent­lichten Studie in Koope­ration mit dem SINUS-Institut:
»Die Par­tei­af­fi­nität ist eine Frage des Milieus

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Die Affi­nität für eine Partei hängt bei einigen Par­teien eng mit dem sozialen Milieu der Wähler zusammen. Dies wird besonders am Bei­spiel der AfD- und Grünen-Wähler deutlich. Manfred Taut­scher, Geschäfts­führer des SINUS-Instituts, erklärt:
„Unter AfD-Wählern finden sich besonders häufig ver­än­de­rungs­scheue Gruppen der unteren Mitte oder Unter­schicht, z.B. das Sicherheit und Ordnung lie­bende Milieu der Tra­di­tio­nellen oder das um Ori­en­tierung und Teilhabe bemühte Milieu der Pre­kären. Diese Milieus fühlen sich von den Ver­än­de­rungen in der Gesell­schaft aus­ge­schlossen und haben das Gefühl, dass ihre Stimme nur wenig bewirkt.“
Die Grünen holten ihre Stimmen hin­gegen vor allem in jungen und modernen Milieus, z.B. im kreativ-kos­mo­po­li­ti­schen Milieu der Expe­di­tiven oder bei den Adaptiv-Prag­ma­ti­schen, der modernen jungen Mitte der Gesell­schaft. Laut Taut­scher zeichnen sich diese Gruppen durch hohes Ver­trauen in die eigenen Fähig­keiten sowie ent­spre­chend großen Zukunfts­op­ti­mismus aus. Wei­terhin ver­deut­liche die Sinus-Milieu-Analyse die Pro­fil­lo­sigkeit der SPD, denn die Sozi­al­de­mo­kraten können aktuell kein gesell­schaft­liches Milieu über­durch­schnittlich stark von sich überzeugen.«
Soweit YouGov und das SINUS-Institut. Doch betrachten wir das Ganze etwas genauer anhand der Wäh­ler­analyse der letzten Wahlen, nämlich der Land­tags­wahlen in Bran­denburg und Sachsen.
Über­prüfung anhand von Wähleranalysen
Zunächst müssen wir, wenn wir wissen wollen, wie die Wähler von ver­schie­denen Par­teien sich zusam­men­setzen, zwei Dinge unter­scheiden. Wir können zum Bei­spiel fragen: Wie viele Stimmen holte die Partei X in der Alters­gruppe der 18- bis 29-Jäh­rigen (U30)? Dann wollen wir wissen, wie sich die Gruppe der U30er zusam­men­setzt. Oder wir können fragen: Wie groß ist der Anteil der U30er innerhalb der Gruppe der Wähler der Partei X?
Stellen Sie sich einfach vor, man würde jeweils alle Wäh­ler­gruppen in einen rie­sigen Raum bitten. Einmal wären in dem Raum zum Bei­spiel alle U30er und man möchte wissen, wie viele von ihnen die AfD gewählt haben, und einmal wären in einem anderen Raum zum Bei­spiel alle AfD-Wähler und man möchte wissen, wie viele unter ihnen unter 30 Jahre alt sind. Letz­teres ist inter­es­siert uns hier, wenn wir wissen wollen, ob sich die AfD zur Partei der unteren Mit­tel­schicht ent­wi­ckelt hat, natürlich primär.
Denn wenn bei­spiels­weise die SPD bei einer Wahl ins­gesamt auf fast 30 Prozent der Stimmen käme, die FDP dagegen nur auf ca. 4 Prozent, dann dürfte klar sein, dass die SPD-Wähler in jeder Alters‑, Geschlechts‑, Status-Gruppe stärker ver­treten sein dürften als die FDP-Wähler. Wenn man aber fest­stellen würde, bei den Selbst­stän­digen waren es nicht knapp 30, sondern nur 20 Prozent, die die SPD wählten, die FDP holte hier aber nicht 4, sondern 10 Prozent, bei den Arbeitern oder Beamten aber nur 2 Prozent, dann weiß man, dass die FDP eher eine Selbst­stän­digen-Partei ist, dass sie in dieser Gruppe am ehesten punkten kann.
Betrachten wir nun, wie sich das Ganze bei der AfD dar­stellt. Wir gehen jetzt also in den Raum der AfD-Wähler. Zu den Daten siehe auch hier: Männlich, Arbeiter, AfD-Wähler.
AfD holt ihre meisten Stimmen bei den 30- bis 60-Jährigen
Erste Fest­stellung: In Bran­denburg kam die AfD ins­gesamt auf 23,5 Prozent der Zweit­stimmen, in Sachsen auf 27,5 Prozent. Damit müssen wir jetzt also die ent­spre­chenden Wahl­er­folge in den Wäh­ler­gruppen ver­gleichen. Und wir sehen sofort: Die AfD war in Bran­denburg über­durch­schnittlich stark nicht bei den 18- bis 29-Jäh­rigen (22 Prozent), noch weniger bei den Ü60ern (18 Prozent), sondern bei den 30- bis 59-Jäh­rigen. Hier holte die AfD ca. 30 Prozent der Stimmen, bei den 30- bis 44-Jäh­rigen 31 Prozent, bei den 45 bis 59-Jäh­rigen 29 Prozent. Die Grünen dagegen sind am stärksten bei den U30ern, die SPD bei den Ü60ern.
Hier ist ganz klar zu sehen: Die Grünen hat ihr Kli­entel vor allem bei den Jungen. Obwohl die AfD ins­gesamt mehr als doppelt so stark war wie die Grünen, waren diese in der Gruppe U30 sogar stärker als die AfD. Genau umge­kehrt verhält es sich bei der SPD. Hier gilt: Je älter die Wähler, desto mehr Stimmen holt die SPD, die bei den Jungen aus­ge­sprochen schwach ist.
BB-Alter
In Sachsen holte die AfD bei den 18- bis 29-Jäh­rigen mit 22 Prozent zwar mehr Stimmen als alle andere Par­teien (Die Grünen kamen hier auf 19 Prozent), aber im Ver­gleich zu allen anderen Alters­gruppen war dies sogar ihre schwächste Alters­gruppe. Sogar bei den Über-60-Jäh­rigen holte sie mehr (23 Prozent), in den mitt­leren Alters­gruppen sogar über 30 Prozent (30 bis 44 Jahre: 31 Prozent). Am aller­stärksten war sie hier aber bei den 45 bis 59-Jäh­rigen, wo sie 32 Prozent, also fast jede dritte Stimme holen konnte.
Die CDU dagegen ist ähnlich wie die SPD bezogen auf das Alter der Wähler quasi der Gegenpol zu den Grünen. Je älter die Wähler, desto mehr Stimmen kann die Union holen und bei den Ü60ern punktet sie mit Abstand am meisten. Die Grünen umge­kehrt immer am ehesten bei den Jungen und je älter die Wähler sind, desto wenig können die Grünen punkten.
S-Alter
Ins­gesamt sieht man hier auch: Es waren die Alten, die Ü60er, die in beiden Bun­des­ländern ver­hindert haben, dass die AfD auf Platz 1 kommt. Und diese Aussage können wir noch prä­zi­sieren und ergänzen.
Auf zwei AfD-Wäh­le­rinnen kommen mehr als drei männ­liche AfD-Wähler
Denn hier sehen wir: In Bran­denburg punktete die AfD wie fast immer deutlich mehr bei den Männern, die SPD und die Grünen dagegen mehr bei den Frauen. Es waren also die Alten und die Frauen, die die AfD von Platz 1 fern hielten.
BB-Geschlecht
In Sachsen sehen wir in Bezug auf die AfD fast das gleiche Bild: Auch hier wählen deutlich mehr Männer als Frauen die Alter­native für Deutschland. In Sachsen ten­dierten die Frauen nun aber gar nicht so sehr zur SPD und den Grünen, sondern sehr stark zur CDU. Hier liegt also die Ver­mutung nahe, dass ins­be­sondere sehr viele Frauen dachten „bloß nicht die AfD auf Platz 1“ und dann in jedem Bun­desland die Partei wählten, von der sie dachten, diese könne die AfD am ehesten abfangen.
S-Geschlecht
Zweite Fest­stellung: Die AfD holt bei Männern deutlich mehr Stimmen als bei Frauen. SPD, Grüne und CDU holen ihre Stimmen dagegen mehr­heitlich bei den Frauen.
Die AfD ist vor allem die Partei der Real- und Hauptschüler
Dritte Fest­stellung: Die AfD punktet ein­deutig am meisten bei Leuten mit Real­schul­ab­schluss, dann bei Haupt­schülern. In Bran­denburg punktete sie bei Abitu­ri­enten für ihre Ver­hält­nisse minimal unter­durch­schnittlich, bei Leuten mit Hoch­schul­ab­schluss deutlich unter­durch­schnittlich. Hier holt sie mit 14 Prozent anteilig nicht halb so viele Stimmen wie bei Real- und Hauptschülern.
Ganz anders dagegen die Grünen. Diese holen bei den Per­sonen mit Haupt­schul­ab­schluss nur 3 Prozent, bei Abitu­ri­enten aber 15 und bei Hoch­schul­ab­sol­venten sogar 18 Prozent.
BB-Bildungsabschluss
In Sachsen sehen wir in Bezug auf die AfD das Gleiche noch dras­ti­scher. Hier domi­nieren ganz klar die Real­schul- und Haupt­schul­ab­sol­venten, während die Abitu­ri­enten unter­durch­schnittlich ver­treten sind (23 statt 27,5 Prozent). Bei den Hoch­schul­ab­sol­venten holte die AfD sogar nicht einmal halb so viele Pro­zente wie im Schnitt aller Wähler (27,5 Prozent).
Bei den Grünen dagegen ein ähn­liches Bild wie in Bran­denburg. Bei den Haupt­schülern holen sie nur 3 Prozent, bei Abitu­ri­enten und Hoch­schul­ab­sol­venten vier- bzw. fünfmal so viele Anteile. In beiden Bun­des­ländern holen die Grünen bei den Hoch­schul­ab­sol­venten sogar mehr Stimmen als die AfD, obschon diese in Sachsen 3,2 mal so stark abschnitt. Die CDU domi­nierte dagegen vor allem bei Hauptschulabsolventen.
S-Bildungsabschluss
Die AfD ist die neue Arbeiterpartei
Hier sehen wir nun sehr schön, dass die AfD vor allem bei den Arbeitern weit über­durch­schnittlich abschneidet und in dieser Gruppe sogar klar die Nr. 1 ist, die SPD sogar in ihrer Hochburg Bran­denburg als Arbei­ter­partei abgelöst hat (35:25 Prozent). Bei Selbst­stän­digen holte sie darüber hinaus minimal über­durch­nittlich viele Stimmen, bei Ange­stellten und Beamten leicht unter­durch­schnittlich viele.
BB-Arbeiter
In Sachsen ist die AfD eben­falls die stärkste Arbei­ter­partei (mit wie­derum 35 Prozent) hier vor der CDU. Die SPD ist hier mit bloß noch 7 Prozent voll­kommen abge­schlagen. Sie ist inzwi­schen, das sieht man auch oben in der Bran­den­burg­grafik, eher eine Ange­stellten und Beamten- denn eine Arbei­ter­partei. Die AfD dagegen schnitt in Sachsen auch bei den Selbst­stän­digen sehr gut ab, holte hier 30 Prozent, sechsmal so viel wie die SPD und mehr als dreimal so viel wie Grüne und FDP.
S-Arbeiter
Vierte Fest­stellung: Ins­gesamt hat die AfD also in beiden Bun­des­ländern mehr als jede dritte Stimme bei den Arbeitern geholt. Sie ent­wi­ckelt sich, das kann man wohl getrost sagen, zur neuen Arbei­ter­partei.
Die Grünen sind eine Großstadt‑, die AfD eher eine Partei des Ländlichen
Je höher die Bevöl­ke­rungs­dichte, desto besser die Wahl­chancen der Grünen. Vor allem in Groß­städten kann die Partei am ehesten punkten.
S-Land
Fünfte Fest­stellung: Die AfD dagegen holte gerade in Sachsen ihre Stimmen sehr stark auch im länd­lichen Bereich und dort am stärksten, wo die Men­schen zunehmend abwandern:
S-AfD-Bev.rückgang
Fazit
Jeder Partei holt natürlich überall Stimmen. Es gibt keine, die nur von Männern, nur von Frauen, nur von Jungen, nur von Alten, nur von Haupt­schülern, nur von Hoch­schul­ab­sol­venten gewählt wird, aber es gibt eben deut­liche Unter­schiede. CDU und SPD punkten am ehesten bei Men­schen über 60, die CDU am stärksten bei den Ü70ern. Die Grünen punkten am ehesten bei den U30ern und Leuten mit Hoch­schul­ab­schluss. All das ist ganz eindeutig.
Die AfD punktet am meisten bei
  • 30- bis 60-Jäh­rigen (also nicht bei den Jungen und nicht bei den Alten, sondern in der Alters­mitte, bei Men­schen, die mitten im Berufs­leben stehen),
  • bei Männern deutlich stärker als bei Frauen,
  • am meisten bei Leuten mit Real­schul- oder Hauptschulabschluss,
  • ganz stark bei Arbeitern und
  • auf dem Land, vor allem in Gebieten, wo die Men­schen abwandern.

All das belegt die These: Die AfD ent­wi­ckelt sich zunehmend zur Partei der unteren Mit­tel­schicht, was natürlich nicht heißt, dass sie nur hier gewählt wird. Aber hier hat sie inzwi­schen ihren größten Schwerpunkt.


Jürgen Fritz — Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog des Autors www.juergenfritz.com